Sonntag, 29. November 2015

Nachruf auf Steffen Drenkelfuß: Das Schicksal, dieser miese Verräter


Ich bin nicht hier, um zu gewinnen,
ich bin am Leben, um es zu verlieren.
Wo nichts verloren wird, ist nichts zu finden,
wer sich wärmen will, muss erstmal frieren.

Gerhard Gundermann



Beim Fußball hat er immer im Sturm gestanden. Natürlich im Sturm, ganz vorn, wo die Tore gemacht werden. Steffen Drenkelfuß war kein fleißiger Läufer, keiner, der das Spiel lenken wollte. Hier nicht. Hier, auf dem Platz, war er der, der seinen wuchtigen Körper mit ein paar schnellen Schritten in Position brachte und abschloss. Er war zielsicher, er war zur Verwunderung seiner Gegenspieler sogar schnell. Er war genau der, der er sein wollte. Ein Macher, ein Vollender. Ein Mann, der seinen Platz hatte und ihn ausfüllte.


Im Leben hat Steffen Drenkelfuß nach diesem Platz gesucht. Er liebte die lauten Runden, in denen über Gott und die Welt geredet wurde, die Abende am Lagerfeuer, an denen immer noch ein letztes Bier getrunken wurde, ehe es ins Zelt ging. Begann er zu erzählen, von den wilden Zeiten im Café Fusch, von seinen Reisen nach Afghanistan und Russland, von den Geschichten aus der Geschichte, die er liebte wie vielleicht kaum etwas sonst, dann wurden die Runden leise und alle hörten zu. Steffen Drenkelfuß war dann ein Menschenmagnet, ein wortgewandter Welterklärer, der allen einfachen Wahrheiten misstraute, weil er aus der Geschichte, die für ihn immer auch die Lebensgeschichte seiner geliebten Großmutter war, wusste, dass die Dinge nie einfach sind.

Steffen Drenkelfuß hielt es weniger mit den Gewinnern, die die Geschichte schreiben. Sein Herz schlug für die Verlierer, für die, die es versucht hatten und gescheitert waren.

Für sich selbst sah er das nicht vor. Meister seines Lebens zu sein, ein Mann, der seinen Weg geht, das war das Bild, das er von sich selbst hatte. Steffen Drenkelfuß war der Mann auf dem Kapitänsplatz hinten im Paddelboot, wenn es nach Schweden oder Polen ging. Tagsüber fuhr er ganz vorn im ersten Boot und abends war er der, der die Härten des Outdoorlebens bei jedem Wetter in vollen Zügen genoss – am liebsten nur in eine Plane gewickelt, der er seit der Armeezeit die Treue hielt. Er war ein Romantiker, er schlief auf einer Matte, die dreimal geflickt war, denn er hing an Dingen, die gelebt hatten.

Lange suchte er auch nach dem Ort, an dem er seine Fähigkeiten zeigen und verwenden konnte. Zum Glück für alle, die er auf seine Reise von der Universität zur Zeitungsredaktion, zum MDR und in die Stelle als Sprecher eines italienischen Hightech-Unternehmens mitnahm. Legende ist seines raue Imitation eines früheren MDR-Chefs, den er mit blitzenden Augen nachahmte. Auch seine absurden Anekdoten aus dem halleschen Rathaus hätten es verdient gehabt, ein Buch zu füllen. Und nie ließ er einen Zweifel daran, wie sehr er Falschheit und Größenwahn verachtete, wie sehr es ihn traf, wenn Aufschneider und Heuchler das Sagen hatten.

Steffen Drenkelfuß hätte es nie zugegeben, weil er sich für einen Realisten hielt. Doch er träumte von einer Welt, in der Leistungen zählen und nicht Bürokratie, Falschheit und das, was er Geschwätz nannte. Er selbst hat auf sich nie Rücksicht genommen, um seinem eigenen Anspruch an Leistung gerecht zu werden. Er arbeitete, akribisch, ausdauernd. Und wenn Freunde ihn brauchten, als Computerexperten, als Zuhörer, als Freund, war er da. So sehr, dass er oft den Vorwurf hörte, dass er nicht vergessen solle, dass da noch ein anderes Leben im Leben sein müsse.


Aber auch das hatte er, etwa wenn er am Pool bei seinen Eltern auf der Sonnenliege saß und bei einem Bier Gespräche mit seinem Vater  führte. Wenn er in Oebisfelde auf Fotopirsch zur Grenzerbank ging, aus der er mit seinen Bildern ein Kultmotiv machte. Oder wenn er abends zu Hause saß und über Max Höltz, Ernst Ottwalt oder Nestor Machno las. Bücher, die ihn beeindruckten, konnte er kapitelweise auswendig nachsprechen. Mit Gesten und ganzem Körpereinsatz holte er die Vergangenheit dann ins Heute. Er war begeistert und begeisterte andere. Er war lebendig. Er war glücklich.

Auch in der Musik. Er war dann melancholisch, romantisch, still. Gerhard Gundermann, Christian Haase, Natalie Merchant waren seine Säulenheiligen, immer wieder fand er aber auch zurück zum Punk seiner Jugendjahre. Den zornigen jungen Mann, der er damals gewesen war, trug Steffen  auch jenseits der 40 noch irgendwo in sich. Milde können andere sein, sagte er. Steffen urteilte präzise und schnell, sein moralischer Kompass schlug sicher aus, und wenn er eine Position gefunden hatte, dann verteidigte er sie vehement. Bis das letzte Bier ausgetrunken und das Feuer zu kalter Asche heruntergebrannt war.

Steffen Drenkelfuß ist am 11. November 2015 gestorben.
Er ist nur 45 Jahre alt geworden.

Steffen Drenkelfuß bei Facebook

Montag, 23. November 2015

Im digitalen Loch

Bei der Auswertung der Vorschläge für eine "digitale Agenda" für Sachsen-Anhalt hatte ich das Land als einziges bundesweit beschrieben, das im Breitband-Atlas "bei schnellen Anschlüssen flächendeckend nicht über Versorgungsquoten von 50 Prozent hinauskommt".

Die Karte oben illustriert, was gemeint war. Ein großes, graues digitales Loch.

Datensicherheit: Ungeschützt auf offener See

Auch wenn die Politik nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes den Eindruck zu erwecken versucht: Nutzerdaten sind auch in Europa keineswegs vor Zugriffen sicher.


Heiko Maas freute sich demonstrativ. „Das Urteil ist ein starkes Signal für den Grundrechtsschutz in Europa“, sagte der Justizminister direkt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der die bisher geltenden Regeln zum Schutz der Daten europäischer Bürger auf Speicherservern in den USA verworfen hatte. Zu unsicher seien die Daten dort, zu leicht könnten Geheimdienste und Regierungsbehörden Zugriff auf Inhalte nehmen, die der Privatsphäre der Nutzer von Diensten wie Facebook, Google oder Twitter zuzuordnen sind. Für Heiko Maas müssen diese Daten einem „fundamentalen“ Schutz unterliegen. „Die Daten europäischer Verbraucher müssten auch in den USA effektiv geschützt werden“, forderte der Minister mit deutlicher Betonung auf dem „auch“.

Datenspeicher an der Hintertür

Das allerdings existiert nur in der Fantasie des SPD-Politikers, der gerade dabei ist, die vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig verworfene Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Nach den bisher vorliegenden Entwürfen ist dabei geplant, dass Ermittler und andere „auf die Gefahrenabwehr spezialisierte Behörden“ - womit wohl Geheimdienste gemeint sind - Verbindungs- und Standortdaten nicht nur abrufen dürfen, wenn sie Terrorismus oder schwere Straftaten verfolgen wollen. Sondern bereits dann, wenn der Verdacht besteht, dass Straftaten „mittels Telekommunikation begangen“ worden sein könnten.

Das ist keine Tür zur Vollüberwachung, sondern ein Scheunentor, das es künftig nahezu unbegrenzt erlauben würde, auf gespeicherte Kommunikationsdaten zuzugreifen. Telekommunikationsfirmen sollen Verbindungsdaten zehn und Standortdaten vier Wochen aufbewahren, bei Mobiltelefonen werden auch alle Angaben gespeichert, „aus denen sich die geografische Lage und die Hauptstrahlrichtungen der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantennen ergeben“. Rückwirkend lässt sich so feststellen, wer wann wo gewesen ist und mit wem er gesprochen hat - selbst die EU-Kommission meldete dagegen Bedenken an.

Denn schon ohne behördliche Speicherpflicht ist Deutschland nicht eben ein Musterland des Datenschutzes, wie die Transparenzberichte der drei großen Internetfirmen Google, Facebook und Twitter zeigen. Mit 3 114 Anfragen nach Nutzerdaten, die deutsche Behörden in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres an Google stellten, rangiert Deutschland in absoluten Zahlen auf Rang 3 weltweit. Davor liegen nur noch die USA und Großbritannien. Wobei die USA viermal so viele Einwohner zählen. Prozentual gesehen gibt es damit ein Fünftel mehr Anfragen aus Deutschland als aus den USA. Weltweit sind nur die britischen Behörden noch datengieriger.

Die Zahlen bei Facebook sehen nicht viel anders aus: 2 132 Mal wollten Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte zwischen Juli und Dezember 2014 Auskunft über deutsche Facebook-Benutzer haben. Zum Vergleich: Aus den Niederlanden kamen 84 Anfragen, aus Dänemark 33, aus Norwegen 22 und aus Island ganze zwei.

Selbst beim weniger weit verbreiteten Kurznachrichtendienst Twitter forschen deutsche Regierungsstellen emsiger als in den meisten Nachbarländern nach Nutzerdaten. Während Irland, die Schweiz, Dänemark oder Schweden höchstens ein-, zweimal im Jahr nähere Angaben zu Urhebern von bestimmten Tweets zu erfahren wünschen, stieg die Zahl der aus Deutschland abgefragten Nutzerkonten seit 2012 von einem auf immerhin 34 im halben Jahr. Dabei geht es meist nicht um gerichtlich geprüfte und von einem Richter erlassene Verfügungen, Nutzerdaten herauszugeben. Sondern um Anforderungen von Ermittlungsbeamten, die allenfalls von Staatsanwälten bestätigt wurden.

Getarnte Wahrheiten

Zugriffe von Geheimdiensten sind in den Transparenzberichten der Internetriesen nur verklausuliert dargestellt, bei Facebook etwa als „Nationale Sicherheitsschreiben“, die nur „in Bandbreiten bis 1 000“ angegeben werden dürfen.

Diese Höchstzahl wird jeweils ausgeschöpft, und darin nicht enthalten sind die im Rahmen der vom Whistleblower Edward Snowden enthüllten Spionage-Programme XKeyscore, Prism und Eikonal direkt an den Glasfaserkabeln der großen Netzknoten abgeschöpften Datenmengen.

Auf die hatte sich der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil gegen das „Safe Harbor“-Abkommen zwischen EU und Vereinigten Staaten bezogen. Weil die US-Internetfirmen zwar versprächen, die Daten europäischer Nutzer zu sichern, die US-Regierung jedoch bei Bedarf nur die nationale Sicherheit als Begründung nennen müsse, um diese Zusicherung auszuhebeln, seien Server in den USA eben kein sicherer Hafen, hieß es.

Sicherer aber sind Daten auch in Deutschland und dem Rest Europas nicht, das haben die Snowden-Dokumente über die Kooperation des deutschen BND und des britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) mit der NSA gezeigt. Aus streng geheimen Dokumenten ging beispielsweise hervor, dass das Innenministerium die NSA um Hilfe bei der Überwachung des Internet-Telefondienstes Skype bat. Später fragten deutsche Stellen die US-Partner, ob sie Informationen, die geheimdienstlichen Absaugaktionen der NSA entstammten, als Beweis in Gerichtsverfahren verwenden dürften.

Durften sie nicht, denn das Ausmaß der Ausspähung sollte natürlich verborgen bleiben. Demselben Zweck dient jetzt der Beifall für das Urteil des EuGH: Je lauter er dröhnt, umso weniger sind die Stimmen vernehmbar, die Zweifel an der Sicherheit des Datenschutzes in der EU anmelden.