Donnerstag, 10. März 2016

Wahlserie AfD: Ein Plüschbär auf Siegeszug


Im Sommer vergangenen Jahres war das Schreckgespenst tot. Die AfD in Sachsen-Anhalt war ein tief zerstrittener Torso aus Liberalen und Rechten, Machtgierigen und Naiven, die einander bei Versammlungen gegenseitig aussperrten, sich vor Gericht zerrten, einander im Internet schmähten, Gruppen bildeten und Allianzen schmiedeten. Alle in der AfD misstrauen einander und sie sprachen über die jeweilige Gegenseite schlimmer als über das, was im Parteisprech "Altparteien" genannt wird. Eine ehemals legitim scheinende Idee stand vor dem Ende, ausgezehrt und in Kleinkriegen zerrissen.

Dann aber kam der Flüchtlingszustrom. Und allerorten das Gefühl auf, die großen Parteien seien nicht eben daran interessiert, das Thema öffentlich mit ihren Wählern zu diskutieren. Die in Talkshows vielbeschworene größte Herausforderung der letzten Jahre wurde zu einer Verwaltungsaufgabe. Und plötzlich lief es für die AfD, als hätte sie diese Krise eigens aus Wahlkampfzwecken bestellt.

Viel mehr ist seitdem nicht passiert. Alle anderen Parteien versuchen, den Elefanten im Zimmer tunlichst zu ignorieren. Die AfD reitet ihn. Die anderen Wahlkämpfer suchen den Windschatten oder sie wollen wenigstens den Schwanz zu fassen bekommen. Und in den Umfragen triumphiert das Original, seinem inneren Zustand nach eine Resterampe der Enttäuschten und Empörten, aber aufrecht im Gegenwind, weil der jeden Start erleichtert.

Alle Arten, die selbsternannte neue Kraft zu bekämpfen, sind vorerst gescheitert. Das Ignorieren hat nicht geklappt, das Denunzieren ebensowenig. In der Phase der Demaskierung der AfD – personell voller Leichtgewichte, inhaltlich voller Obrigkeitsstaat – glaubt schon kein Wähler mehr, dass es noch darauf ankommt.

Die AfD wird nicht wegen ihrer Inhalte gewählt werden, sondern trotz. Nicht wegen ihres Personals, sondern völlig unabhängig davon. Die Parteispitze hätte statt des Burgenländers André Poggenburg vermutlich einen Plüschbären als Spitzenkandidaten nominieren können, und die Umfragewerte wären nicht viel niedriger. Das Programm könnte ein Bierdeckel mit dem Wort „Nein“ sein und es schadete nicht.

Die Kraft dieser Partei liegt einzig in der komatösen Schwäche der rund um den unbekannten, zusehends scheuer werdenden Wähler herumtaktierenden anderen Parteien: Deren Sowohlalsauch treibt traditionelle Wähler der Linken genauso wie SPDler und CDU-Anhänger erst in den Zweifel. Und dann in die Versuchung, ein Signal an die Etablierten zu senden: So nicht!

Es wird nicht ankommen, und das, nicht der Parlamentseinzug der AfD, ist das einzig wirklich besorgniserregende an der Situation. Wenn ein Land durchgeschüttelt wird vom Zuspruch zu einer Partei, die weder eine Idee noch einen Plan noch wenigstens charismatische, glaubwürdige Figuren an der Spitze hat, dann steht es schlecht um die gesellschaftlichen Verhältnisse.


Bisherige Teile der Wahlserie:

FDP: Waschen, ohne nass zu werden
Grüne: Sie reden wieder vom Wetter
Linke: Und immer reicht es nicht
CDU: Ich bin euer Herbergsvater
SPD: Wahl ohne Kampf

Mittwoch, 9. März 2016

Wahlserie Grüne: Sie reden wieder vom Wetter


Grünen-Chef Özdemir erinnert sich gut an den grünen Wahlkampf 1990. "Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter", plakatierte seine Partei damals. Die Wähler bestraften so viel Ignoranz mit Abstinenz, die Grünen flogen aus dem Bundestag.

Zeichen an der Wand, 26 Jahre später. Alle reden von Flüchtlingen, von Obergrenzen, von Integration. Die Grünen aber plakatieren stur ein Schwein, ein Rind und eine Biene unter dem Slogan "Grün für Mutter Natur". Im Internet lobt sich die Partei dafür, im Landtag Debatten über besseren Klima- und Naturschutz" angestoßen zu haben. Zudem habe man "die quälerischen Bedingungen in der industriellen Tierhaltung zum Thema gemacht und Debatten über Qualität in der Bildung energisch vorangetrieben".

Brennende Themen, von denen nur unklar ist, ob sie die Wählerinnen und Wähler entzünden werden und die sie noch rechtzeitig als ihre entdecken, um der in Sachsen-Anhalt stets an der Fünfprozenthürde wackelnden Ökopartei eine Verlängerung im Landtag zu bewilligen. Daneben haben die Grünen nur noch im Angebot, wogegen sie sind: "Grün gegen TTIP" und "Grün gegen Nazis". Man muss die Grünen deshalb aber nicht wählen. Man sich auch für zehn Euro ein T-Shirt bestellen, auf dem ein Lego-Nazi durchgestrichen ist.

Özdemir selbst ist auch schon aufgefallen, dass die Wahlstrategie seiner Parteifreunde in Sachsen-Anhalt vielleicht nicht ganz optimal ist. Er hat aber einen Ausweg gefunden. Wenn niemand nach den alten urgrünen Themen fragt, weil Ozonloch, Klimawandel und Überfischung der Weltmeere derzeit kaum jemanden interessieren, erklärt man eben andere Themen zu urgrünen. Bildung bietet sich an, denn die grüne Spitzenkandidatin Claudia Dalbert kennt sich da aus. Dass niemand die Spitzenkandidatin kennt, "das wird sicherlich noch besser werden", sagt Cem Özdemir. Es klingt wie "und wenn wir Glück haben, reicht es noch mal".

Bei der Kommunalwahl in Hessen war seine Partei mit einem landesweiten Minus von 6,7 Prozentpunkten größter Verlierer aller Parteien. In Sachsen-Anhalt kann das zumindest nur theoretisch passieren. Die SPD ist hier als größter Wahlverlierer gesetzt. Umfragen sagen ihr Verluste um fünf Prozent voraus. Die Grünen hatten zuletzt, in ihrem besten Jahr, überhaupt nur sieben.

Viel Luft nach unten ist da nicht. Dabei böte der reine, pure Einzug in den Landtag aufgrund der allgemeinen Konstellation erstmals die Garantie, eine Regierungsbeteiligung quasi geschenkt zu bekommen. Die Grünen hätten es sich leicht machen und konsequent für grüne Grundüberzeugungen kämpfen können: Ja zu offenen Grenzen, ja zum Zuzug ohne Obergrenzen, ja zu mehr Europa, ja zu mehr Geld für Integration.

Wäre, hätte, wenn und aber. Wenn die Angst vor dem Wähler nicht wäre. Aber Cem Özdemir fragt: "Mehr Integration, wie wollen Sie das denn plakatieren".





Dienstag, 8. März 2016

Wahlserie FDP: Waschen, ohne nass zu werden


Sachsen-Anhalt war einmal eine Hochburg des Liberalismus, damals, als der noch das Gesicht von Hans-Dietrich Genscher über die Marktplätze trug. Als diese Ära endete, endete auch die Ära der FDP im Landesparlament. Das Grausame daran: Niemand vermisste die Partei, die 1990, nach der Übernahme der ehemaligen DDR-Blockparteien LDP und NDPD mehr als 24.000 Mitglieder hatte, diesen Bestand aber bis 2014 auf nurmehr fünf Prozent zurückfahren konnte..

2016 ist die Partei wieder da, angeführt von einem neuen Parteichef, der sich mit neuen Farben schmückt. Und was sind das für Farben!

Alles drin, alles dran, alle Zwischentöne dabei. In Rosa, Gelb, Hellblau, Schwarz und Rot, abgetupft mit Grau und Weiß werben die wiedergeborenen Liberalen um Wähler, eher grell als geschmackvoll, eine Polit-Bonboniere, die an Baumarktwerbung erinnert. In der ist alles drin: Datenschutz und Bargelderhalt, mehr Polizisten wie bei allen Parteien. Dazu was mit Schule, was mit Wirtschaft, was mit Investitionen. Wie alle anderen kein Wort zur Flüchtlingskrise. Vermutlich war das Programm schon fertig.

Es könnte trotzdem zum Landtagseinzug reichen, wenn auch nicht, weil die FDP unter Frank Sitta so stark ist. Sondern weil die Parteien, die zuletzt im Landtag saßen, so schwach sind. "Das Ende des Stillstands beginnt mit ihrer Stimme" und "Jetzt spricht die Jugend" lockt die Partei gemäßigte Protestwähler, die der Linken nicht mehr trauen und der AfD noch nicht.

Ein Geschäftsmodell, das letzten Umfragen zufolge ganz knapp aufgehen könnte. Das "Sitta-Projekt" namens "Sachsen-Anhalt neu starten – Wir machen was draus!“ beschreibt die FDP als "positive Protestpartei". Man ist dagegen, in dem man dafür ist. Man kann sich hier waschen, ohne nass zu werden.

Bisherige Teile der Wahlserie:

Linke: Und immer reicht es nicht
CDU: Ich bin euer Herbergsvater
SPD: Wahl ohne Kampf

Montag, 7. März 2016

Wahlserie Linke: Am Ende reicht es nie


Als Wahlkämpfer ist Wulf Gallert Spitze. Der Mann, der für die Linke Ministerpräsident werden will, macht die richtigen Gesichter zur richtigen Botschaft, er kann, er will, er wird, er ist "Frauenversteher" und "Wirtschaftskenner" und auch sonst noch so allerlei. Wahlsieger aber wird er wieder nicht, nun schon zum dritten Mal. Was für eine Tragik.

Für Gallert ist immer zur falschen Zeit Wahltag. Als seine Partei noch regierte, war er Student. Als sie dann von den anderen Parteien als eine Art extremistische Fortsetzung der DDR mit demokratischem Mäntelchen bezeichnet wurde, machte er Kommunalpolitik. Mit Gallert stieg auch die SED, PDS und spätere Linke auf, ihr Stimmenanteil von ehemals zwölf Prozent verdoppelte sich binnen zweier Jahrzehnte. Die Stimmen, die die Linkspartei als ewiggestrig bezeichneten, wurden leiser. Und Wulf Gallert hatte gute Aussichten, eines Tages zusammen mit der SPD selbst regieren zu können.

Wäre nicht die Flüchtlingskrise dazwischengekommen, wäre das vielleicht passiert. So aber wendet sich ausgerechnet ein Teil der Stammwählerschaft der Linken seit Monaten den Rechten zu. Und ein anderer Teil sucht die wohlige Wärme einer bekannten und beliebten Herberge. Keine Experimente!

Ist der Wahlkampf der SPD nicht vorhanden und der der CDU darauf bedacht, einschläfernd zu wirken, poltert Wulf Gallert nun notgedrungen mit Parolen durch die Lande, die wie aus der Zeit gefallen scheinen. Frühkindliche Bildung, Wirtschaftsförderung ohne Skandale, ein "Transparenzgesetz ein Open-Data-Portal" und "gute Arbeit, unbefristet, gut bezahlt, gleich verteilt zwischen den Geschlechtern" - wo Gallert draufsteht, ist Gestern drin.

Die Linke hat es aber auch besonders schwer, beim Hauptthema des Wahlkampfes Stellung zu beziehen. Um gegen die CDU zu punkten, braucht es weit offene Arme für Geflüchtete, weiter und offener als Angela Merkels Arme sind. Doch selbst wenn das anatomisch möglich sein sollte: Es wäre auch die Garantie dafür, dass noch größere Teile der konservativen Stammwählerschaft in Richtung AfD abwandern.

Ein Dilemma, dem Wulf Gallert Wahlkampfzentrale mit einem Spagat zwischen den Standardfloskeln jedes linken Wahlkampfes ("Solidarität", "Gerechtigkeit") und einem vorsichtig angedeuteten Bezug zu Merkels Migrationspolitik ("So schaffen wir das") zu entkommen sucht.

Zum Schluss wird es so wieder nicht reichen, zum dritten Mal.