Dienstag, 11. Dezember 2012

Der gute Mensch von Köpenick



Es hätte alles ganz anders kommen können. Dann säße er jetzt da unten im Saal und hätte die von harter Mechanikerarbeit rauhen Fäuste mit den Ölspuren unter den breiten Nägeln in den Schoß gelegt. Solche Gedankenspiele macht Frank Schöbel manchmal. "Ich bin ja gelernter Mechaniker", erinnert er sich dann, "ich kann mir das gut vorstellen." Auch, daß er dann vielleicht arbeitslos wäre. Oder Versicherungen verkaufen müßte. Bei "Stony", seinem Lieblingslied, in dem es heißt "sie kämpfte gern/auch wenn sie nicht gewann", würde Frank Schöbel wahrscheinlich klatschen.

 Bei "Wie ein Stern" nicht. Das hat er sich mit den Jahren irgendwie überhört. An den Tag, an dem alles anfing, erinnert sich Frank Schöbel noch ganz genau. Da muß er eine Sekunde überlegen. Achte Klasse war das, Deutschstunde. "Ich saß letzte Bank Mittelreihe neben meinem besten Freund Otto, wir sangen ,Oh Sindy, Sindy, oh sind die denn ganz verrückt" und beschlossen, Schlagersänger zu werden", kichert er. Die Lehrerin sei so "eine fürchterlich Kleene" gewesen. "Die hat zwar immer geguckt, wer das ist, aber erwischt hat sie uns nie." Frank Schöbel ist ein fröhlicher Mensch. Erzählt er Schnurren, und er erzählt andauernd welche, strahlen die blauen Augen unter dem naturkrausen Pony wie zwei kleine Scheinwerfer. Der Otto, sagt er betrübt, und die Scheinwerfer gehen aus, der Otto ist dann später verschütt gegangen.

Frank Schöbel wurde berühmt. Rein statistisch betrachtet ist Superstar Michael Jackson gar nichts gegen ihn. Keiner seiner Hits war weniger als Platz 1, keines der zwanzig Schöbel-Alben ging weniger als 100 000 Mal über den Ladentisch. Das "85er Werk "Weihnachten in Familie" stellte mit 1,3 Millionen verkauften Exemplaren einen für alle Zeiten unerreicht bleibenden Rekord auf: Keine andere Schallplatte steht in so vielen ostdeutschen Haushalten. In seinen 28 Jahren als erfolgreichster Unterhaltungskünstler der DDR drehte Frank Schöbel Filme und er moderierte Radiosendungen, er hatte seine eigene Fernsehshow, bekam Preise im In- und Ausland und durfte Konzerte auch außerhalb der Landesgrenzen geben.

Heute fragen ihn leider immer noch alle zuerst danach. Wie er die Wende verkraftet hat und ob es schwer war, den Kopf oben zu behalten. Anfangs hat Schöbel sogar mitgespielt. Er hat den Zeitungen traurige Geschichten vom Tiefpunkt seiner Karriere erzählt. Wie er mal beim Lamadeckenverkauf gesungen hat. Und wie er auf einen schrecklich gutriechenden Manager aus dem Westen reinfiel. Und dann auch noch diesen Plattenheinis aus Köln und Hamburg seinen Namen buchstabieren mußte. Eszehha-Ö-B-E-L.

Es hat nicht mal viel geholfen. Die erste Wut über die "Nichtachtung", die ostdeutschen Künstlern wie ihm nach 1989 bei westlichen Plattenfirmen, bei Sendern und Magazinen entgegenschlug, hat er inzwischen runtergeschluckt. Jetzt könne er das einordnen: "Früher waren wir Exoten, heute sind wir Konkurrenten." Schöbel weiß, was man mit Konkurrenten macht. "Nur nicht hochkommen lassen." Das sei nun mal die Marktwirtschaft. "Und die haben wir ja nun jetzt." Er selber ist nicht so. "War er nie", sagt Aurora Lacasa, die Frau mit der Gänsehautstimme, mit der Frank Schöbel seit zwanzig Jahren zusammenlebt. In einem Geschäft, in dem Erfolg in erster Linie Leute mit Talent zum Einsatz der Ellenbogen haben, mutet der nette Mann mit dem faltenlosen Jungsgesicht an wie ein seltsames Unikum.

Als auch der letzte nebenberuflich tätige deutsch-demokratische Freizeitentertainer sich im "Volvo" kutschieren ließ, fuhr Schöbel weiter "Wartburg". Bis zum Ende der DDR lebte er im zehnten Stock eines Hochhauses in Köpenick und ging Samstagnachmittag in die Wuhlheide, Eisern Union anfeuern. Und immer hat er gelacht, immer war er lieb und freundlich. Nie, so scheint es, wird diesem Mann der Kragen platzen. "Alsich ihn kennenlernte, fand ich das schon ein bißchen verrückt", gesteht Aurora Lacasa, "ich fragte mich: Wie kann jemand allen Leuten immer so offen gegenübertreten?" Frank Schöbel, der vor ein paar Tagen 52 Jahre alt wurde und wieder nicht gefeiert hat, muß.

Der gute Mensch von Köpenick kann nicht anders, auch wenn er bisweilen will. Aufgewachsen ohne den Vater, der den Krieg nur überlebte, um anschließend in einem russischen Kriegsgefangenenlager zu erfrieren, ist der nach außen stets fröhliche Sonnyboy des DDR-Schlager mehr als einmal ins offene Messer gelaufen. Die Traumehe mit Chris Doerk ging kaputt, Schöbel durfte den gemeinsamen Sohn kaum sehen und auch der Versuch, Alexander mit der Kinderplatte "Komm, wir malen eine Sonne" zurückzugewinnen, scheiterte. Doch Schöbel glaubt störrisch an das Gute im Menschen. Bei den meisten hatte er Recht damit. "Und bei den anderen sag" ich mir dann selber, Junge, denk nicht schlecht. Gib ihnen einfach eine Chance." Wenn ihn einer in der Kaufhalle erkennt, kriegt er also auch sein Autogramm.

Wenn sie am Nebentisch in der Kneipe wetten, ob der Typ da drüben wirklich der echte Schöbel ist, gibt er es gern zu. Und wenn eine Zeitung anklingelt, mit der er "schlechte Erfahrungen" gemacht hat, nimmt er sich zwar jedesmal fest vor, bloß "Bitte rufen Sie die Auskunft an" zu näseln. Er macht es nie. Manchmal wünscht sich Frank Schöbel ein "Freundlichkeitsspray, damit die Leute nicht alle so mufflig sind". Aber nur manchmal. Er versucht, sagt er, dankbar zu sein. Nur dieses "vor der Wende war er da, und nach der Wende war er weg" ärgert ihn. Die Stirn umwölkt sich, die blassen Lippen werden schmal.

Nach 1989 hat Schöbel lange Zeit gar keine Musik gemacht. "Ich habe die Zeitung abbestellt, das Studio zugeschlossen und Holz gehackt." Draußen tobte die Geschichte, drinnen tobten die Selbstzweifel. "Haben wir schlechte Lieder gemacht? Hätte ich etwa auch weglaufen sollen?" Aurora, die schmale, schöne Frau, die Frank nur sein "Mädel" nennt, hat in dieser Zeit oft mit ihm geschimpft."Wie lange willst du dich denn noch beleidigen lassen." Wäre es nach Aurora gegangen, hätten die Schöbels gepackt. Aber einer wie er geht nicht. Schon zu DDR-Zeiten kam das nicht infrage, weil "ein Pfarrer seine Gemeinde schließlich auch nicht sitzenläßt." Natürlich ist dabei auch ein bißchen Koketterie. Frank Schöbel, den die Leute seiner Generation auch heute noch "Frankie-Boy" nennen, als wäre die Zeit ungefähr zur 74er Fußball-WM stehengeblieben, braucht seinen Kiez, seine Leute.

In Spanien, sagt er, kenne er doch außer Auroras Verwandten keinen Menschen. Was soll er da. "Meine Leute hier", weiß er ganz genau, "haben mich nie hängenlassen". Immer sind Briefe gekommen, in denen sie ihm geschrieben haben "Frank, laß dich nicht unterbuttern, Frank, wir halten zu dir". Hunderte Briefe. Das verpflichtet. Schöbel, der zugibt, nie politisch gewesen zu sein, hat sich im 32. Jahr seiner Laufbahn eine neue Rolle gesucht. "Ich bin ein vorgeschobener Posten", beschreibt er seine Motivation, es noch einmal zu packen, "wenn ich"s schaffe, schaffe ich"s auch für die."

 Sich selbst müßte er lange nichts mehr beweisen. Mit seiner großen Liebe Aurora und den Töchtern Odette und Dominique lebt Frank Schöbel "an der oberen Grenze des Glücklichseins". Zufrieden. Keine Wünsche. Nur ganz hinten im Kopf puckert er noch, der Traum vom Hit, der Traum von der Rückkehr ins große Rampenlicht. Schöbel kämpft gern, auch wenn er nicht gewinnt, und er arbeitet immer noch härter als andere. Zuerst die Fortsetzung von "Weihnachten in Familie", die sich in ein paar Wochen mehr als 40 000 Mal verkaufte. Danach die Weihnachts-Tour, die fast durchweg ausverkauft war. Und im Frühjahr eine richtige Platte. Die macht Frank Schöbel wieder bei einer großen Firma. "Dann muß ich nur noch einen Hit haben und bin sofort wieder da." So einfach ist das. Und so schwer

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