Freitag, 31. Januar 2014

"Böhse Menschen, Böhse Lieder"

Finstere Kerle sind das, die aus schmalen Augen schauen. Tätowiert, kahlrasiert. Mädchen in Militärhosen, Männer mit Stiernacken. Hunderte. Tausende. Zehntausende. Und alle in schwarzen T-Shirts, auf denen vor Gefahr knirschende Sprüche stehen wie "Ach, du willst Streit?" Nein, Türen zu und Fensterläden runter! Das Auto in die Garage und die Kinder von der Straße. Die Böhsen Onkelz sind in der Stadt!

So geht das, wenn Deutschlands gefürchtetste Rockband die Provinz bereist. Zweimal standen die Hessen mit dem patentiert schlechten Ruf am Wochenende auf der Bühne in der Baggerstadt Ferropolis, erschreckte die Invasion von 25 000 Fans aus ganz Deutschland das barocke Oranienbaum und das benachbarte Gräfenhainichen.

"Dabei sind die die Jungs eigentlich alle sehr nett", sagt Verena Felgner, die an einem fliegenden Stand Würstchen verkauft. Ein paar Betrunkene dazwischen, jaja. "Mehr als bei Grönemeyer." Aber das Schwarze, das Schwere, das Harte -eine Macho-Maske. Wie beim Anhang so auch bei der Band, die seit ihrem vor 20 Jahren erschienenen Album "Der nette Mann" als latent rechtsradikal und gewissermaßen gesellschaftsgefährdend gilt. Platten wurden verboten, im Radio laufen Onkelz-Lieder nie, das Fernsehen hält die Türen zu. Trotzdem hat es das Ex-Skinhead-Quartett um Bassist und Bandsprecher Stephan Weidner geschafft, einen Massenmarkt zu erobern, von dessen Existenz zuvor niemand wusste.

Kraftprotzenden Rock versehen die Onkelz mit Texten zwischen philosophierender Weltverachtung und muskulösem Eigensinn. Die Plattenbranche wird verachtet, die Presse ignoriert und die Öffentlichkeit genau so erschreckt, wie die das erwartet: "Böhse Menschen, Böhse Lieder" heißen dann CDs, "Gehasst, verdammt, vergöttert" steht auf Fan-Hemden wie ein religiöses Bekenntnis.
"Hier sind die Onkelz", röhrt Kevin Russell, nachdem die New Yorker Hardcore-Combo Biohazard kurz vor 22 Uhr Platz gemacht hat für die Helden der Heerscharen in Schwarz. "Fahr mit uns in den Himmel / wir ebnen dir den Weg / wir öffnen dir die Augen / zeigen dir wie es geht." Da fliegen die Arme schonmal vorab nach oben, da wird kollektive Inbrunst zum riesigen Chor: "Warum willst du laufen / wenn du fliegen kannst?" Den gebürtigen Iren, der statt Skinhead-Glatze längst Metaller-Mähne trägt, hört man fast nicht mehr. Aber Onkelz-Fans müssen nicht hören, sie können fühlen. Und kennen jede Zeile. Wenn die Band mit Vorurteilen spielt und sich selbstironisch das "Feindbild Nummer Eins" nennt, dann möchten sie auch Feind sein. Randgruppenstolz liegt auf glänzenden Gesichtern, wenn die Band große Vokabeln wie "Lüge" und "Ewigkeit" gegen eine nur diffus beschriebene kalte Karriere-Gesellschaft bemüht. Die draußen werden nie verstehen, gerade darum ist es ja so schön.

Nicht mehr Sekretärin, Bauarbeiter, Anwalt sein. Sondern "leben ohne Konventionen", wie Kevin Russell singt, ein Mann mit tätowierten Armen und einem Gesicht, das so wenig nach Rockstar aussieht wie die Ferropolis-Bagger nach Schichtbeginn. Alles echt! "Finde die Wahrheit", empfiehlt der Sänger, "hab keine Angst / finde die Wahrheit / so lange du noch kannst". Eingebettet ist die Suche in eine perfekte Live-Show aus Haley-Gitarren, Großleinwänden und Ohoho-Gesang, mit der die Onkelz sich in der Baggerstadt als letztes Identifikations-Angebot für einsame Individualisten inszenieren. Rechts? Links? Dort die, hier wir! Das große Gruppengefühl, es lebt unten im Gewühl, wo Männerkörper schwitzen und Mädchen für die Großbildschirme bereitwillig ihre Leibchen lüften. So warm kann's werden in karrierekalter Zeit.

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