Mittwoch, 6. Januar 2016

Jemen: Die im Inneren brennende Nation


Graue Gipfel, ein Himmel wie aus Seide, subtropische Täler und Wüsten voller Wolkenkratzer aus Lehm: Der Jemen, einst Reich der Königin von Saba, war einmal ein bekanntes und beliebtes Reiseland. Mittlerweile aber ist er Schauplatz der Schlachten fremder Staaten, ein failed state, geplagt von Stammeskriegen, Drogenhandel und Islamismus. Eine Ursachensuche fällt nicht schwer, denn wo 1950 noch 4,3 Millionen Menschen lebten, werden sich 2025 schon 43 Millionen drängen. Nach Überzeugung des Bremer Zivilisationsforschers Gunnar Heinsohn entsteht so eine "im Inneren brennende Nation", die unter einer so gewaltigen Bevölkerungsexplosion leiden, dass zahllose dritt- und viertgeborene Söhne keinerlei Karrierechance innerhalb der Gesellschaft haben.


Die Häuser von Thula liegen wie graues Geröll am Fuße der Felsen, die unvermittelt aus dem flachen Land wachsen. Eine Autostunde von Sanaa, wo die Teerstraßen enden, ist der Himmel blank wie frisch geputzt und wolkenlos blau. Darunter lehnt Helmut am Stadttor und wartet auf Besucher, die Hände malerisch auf seinen "Janbíya" genannten Dolch gestützt. Seit der 17-Jährige, der eigentlich Abdul heißt, nicht mehr zur Schule geht, schlägt er sich als Touristenführer durch. "Aber es kommen nicht mehr so viele Leute", sagt Abdul, der sich extra für deutsche Besucher Helmut nennt, "früher war mehr los."

Jetzt aber liegt das malerische Städtchen mit den weißbemalten runden Fenstern still in der Mittagssonne. Silber-Händler hocken in ihren Ständen, eine alte Frau treibt ihre Kuh die Gasse entlang. Nachdem das deutsche Außenministerium vor Jahren eine Reisewarnung für den Jemen ausgab, machen sich die Neugierigen aus dem Westen rar, die früher als endloser Strom durch die uralte Stadt auf 2 600 Metern Höhe flanierten. 

Helmut aber hat von ihnen Deutsch gelernt, von dem einen dieses Wort, vom nächsten jenes. "Heute", grinst er, "würde das nicht mehr funktionieren." Denn Jemen, das klingt selbst für welterfahrene Deutsche zuallererst nach Entführung und erst viel später nach Geschichte, Kultur und Königin von Sabaa. "Das ist sehr schlimm", klagt Moammed Al-Asadi, Chefredakteur des "Yemen Observer", "aber es ist eben so."

Und so lange es so ist, bleiben die Zeiten nur Erinnerung, in denen der Jemen eines der angesagten Reiseziele für entdeckungslustige Individualtouristen aus aller Welt war. Zum Leidwesen vonAbdulnasser Alschuaibl, der in der DDR studiert hat und heute als Reiseleiter für die Abu Taleb Group (ATG) arbeitet. Wenn es Arbeit gibt.

Im Alltagsleben des Landes, das ebenso reich an Geschichte wie an imposanten Naturdenkmälern ist, herrschte für eineige Zeit wirklich wieder Normalität. Wo noch Anfang der 2000er Jahre jeden Morgen eine Autokarawane gebildet wurde, um Waren und Reisende unter Armeebewachung sicher durch die Berge etwa in die nördlich gelegene Stadt Mahrib zu bringen, durfte jeder fahren wie und wann er mochte. Es gab keine Versorgungslücken, keine Feindseligkeit Westlern gegenüber.

Doch die Idylle hielt nicht lange.  Zwischen den kahlen Gipfeln der Dreitausender um Sanaa und den glühend heißen Tälern, die hier Wadi genannt werden, entfaltet der Krieg inzwischen wieder seine ganze Gewalt. Außerhalb ist gar nicht nmehr klarm,w er warum gegen wen kämpft. Stämme gegen den Westen, gegen die Regierung? Rebellen gegen die Regierung, Al Kaida gegen die Bedeutungslosigkeit? Aufständige gegen Korruption? Die Landschaften sind hart, staubig und schwer auf den ersten Blick nicht ins Herz zu schließen. Umso größer aber war früher die Freundlichkeit der Menschen, die den im Jeep vorüberfahrenden Fremden nicht nur begeistert nachwinkten, sondern bei jeder Pause herbeiströmten, um zu schwatzen.

Wo sind die heute ale hin? Wie konnte das alles passieren? Neben der starken Prägung durch den Islam haben sich unter den stolzen Jemeniten Sitten und Gebräuche erhalten, die nirgends sonst existieren. Das Qat-Kauen etwa, das eine ganze Wirtschaftsbranche antreibt, die einzige im Land, die wirklich funktioniert, weil sie riesige Gewinne abwirft. Kaum ist es Mittag geworden, schwärmen die Männer aus, sich ihre Tagesportion Qat-Blätter zu besorgen. Die wird dann am Nachmittag allmählich zerkaut und in der Backe verstaut. "Das verhindert, dass man müde wird", lobt Abdulnasser Alschuaibl, "so ähnlich wie Kaffee." Eine Angewohnheit, die sich die Jemeniten nicht nehmen lassen. Wie das Tragen ihres "Janbíya", der - in Bauchhöhe in den Gürtel gesteckt - unpraktisch ist, aber als Statussymbol gilt.

Und auf Statussymbole wird viel Wert gelegt. Außerhalb der Städte, in denen das Mitführen von Waffen verboten ist, tragen noch immer viele Männer ihre Kalaschnikow, meist alte, klapprige Modelle, draußen in den Bergen gibt es zuweilen auch spontane Schießübungen von einem Berg zum anderen. Oder ist das schon wieder der Krieg?

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