Sonntag, 13. November 2016

Leonard Cohen: Das letzte Hallelujah


„Ich bin bereit, mein Gott“, beginnt sein letztes Album, eine Songsammlung, die er „You want it darker“ nannte. Ein Augenzwinkern, wie es nur Leonard Cohen hinbekam, der Mann, der erst mit 33 Jahren aufbrach, vom Dichter zum Rockstar zu werden. Der Mann, der mitten in die Mauerfall-Euphorie eine Platte pflanzte, auf der er nach der „Berlin wall“ und Stalin flehte. Der Mann, der sein erstes Album nach zehn Jahren als Mönch schlicht „zehn neue Lieder“ genannt hatte.

Keiner wie die anderen


Mit Hut, Anzug und malerischen Denkerfalten im Gesicht unterschied sich der Sohn eines Ingenieurs schon äußerlich vom grellbunten Rest der Rock- und Popwelt. Cohen, aufgewachsen in einer ebenso gläubigen wie wohlhabenden jüdischen Familie, die aus Litauen nach Kanada ausgewandert war, gehörte zur Generation der Bob Dylans, Joan Baez’ und Nick Drakes, die Ende der 60er Jahre vom New Yorker Stadtteil Greenwich Village aus aufbrachen, die Welt zu verändern. Aber Teil der Gegenkultur, als die sich die Hippies verstanden, war Cohen nicht.

Er ist älter als die anderen und er fühlt sich eher als Poet denn als Liedersänger. Zwar hat Leonard Cohen mit 13 Jahren Gitarrespielen gelernt, allerdings nur, um an ein bestimmtes Mädchen heranzukommen. Langfristig sieht der belesene Junge mit der markanten Nase sich als Dichter wie Byron, Yeats und Camus. Mit 22 veröffentlicht er seinen ersten Gedichtband, mit 27 folgt der zweite, schon relativ erfolgreiche. Cohen kauft sich für 1 500 Dollar, die ihm seine Oma zum Geburtstag schenkt, ein Häuschen auf der griechischen Insel Hydra. Cohen zieht dort hin, steht früh auf, sitzt am Schreibtisch und dichtet. Und er lernt neben der gelassenen griechischen Lebensart auch ein norwegisches Mädchen namens Marianne kennen und lieben, das ihn später zu einem Song inspirieren wird, der heute als Klassiker gilt.

Daran, ein Singer/Songwriter wie Bob Dylan zu werden, denkt Cohen nicht, obwohl er Songs wie „Suzanne“ schreibt, das die mit ihm befreundete Folksängerin Judy Collins für eine Platte einspielt. Erst nach seiner Rückkehr in die USA überlegt er es sich anders, nachdem er, der die Frauen liebt und den die Frauen lieben, sieht, dass der Trick mit der Gitarre immer noch klappt. Nun tritt er beim berühmten Newport Folk Festival auf. Und seine Bühnenpräsenz überzeugt Dylans Produzenten John Hammond, ihm einen Vertrag bei Dylans Label Columbia zu verschaffen.

Cohen, mit einer dunklen, zuweilen wackligen Stimme ausgestattet, ist von Anfang an erfolgreich. Seine Lieder haben nichts Rebellisches, sie kreisen um allgemeinmenschliche Dinge: Sie verlässt ihn, er verlässt sie. Sie liebt ihn, und er merkt es nicht. Und wo zum Teufel ist Gott, wenn man ihn mal braucht? Der Anzugträger unter den Hippies zupft dazu auf einer akustischen Gitarre, gern lässt er sich auch von Chordamen begleiten und badet die Melancholie seiner „Songs of Love and Hate“ (LP-Titel) in wohligen Streichersounds.

Mit schweren Depressionen

Bitter aber bleibt er, ein Misantroph, der an der Welt zu leiden scheint, die doch gerade im Begriff ist, ihm zu Füßen zu sinken. Leonard Cohen hat Frauen wie die Rocksängerin Janis Joplin und die Folk-Queen Joni Mitchell. Aber er hat auch schwere Depressionen, die ihn ein Lebtag lang nicht verlassen werden. Noch als etablierter Künstler, der Hallen füllt und auch ohne Single-Hit Stammgast in den LP-Hitparaden ist, sucht Leonard Cohen nach seinem Platz und seiner Stimme. Er experimentiert mit Streicherschmalz und Folkmusik, er überlädt seine Lieder mit Chören und Synthesizern und findet schließlich mit dem Album „Various Positions“ im Alter von 50 Jahren endlich die brummige Stimme und den bibelfesten Tröster-Ton, der die zweite Hälfte seiner Karriere bestimmen wird. Cohens „Hallelujah“ etwa mischt biblische Motive und sexuelle Anspielungen mit einer so hymnischen Melodie, dass das tausendfach nachgespielte Lied bis heute immer wieder als Soundtrack in Kinofilmen wie „Shrek“, dem „Tatort“ oder Erfolgsserien wie „Cold Case“ auftaucht.

Leonard Cohen hat sich bald danach von der Welt zurückgezogen - erst, indem er seinen Alkoholkonsum auf bis zu vier Flaschen Wein am Tag ausweitet. Dann, indem er im Mount Baldy Zen-Kloster in der Nähe von Los Angeles versucht, als Mönch von seinen Dämonen loszukommen. Der Weltstar dient Klostergründer Kyozan Joshu Sasaki Roshi als Koch und Fahrer. Cohen hat einen kahlgeschorenem Kopf, er nennt sich den „unnützen Mönch“.

Alles verloren


Ein Mönch, dessen Verbitterung die Rückkehr in die Welt seine Leiden an der Welt aber nur noch mehrt. Drei Jahre nach seinem triumphalen Comeback stellt Leonard Cohen fest, dass seine langjährige Managerin ihm alles gestohlen hat, was er in fast vier Jahrzehnten zusammensingen konnte. Neun Millionen sind fort, auf dem Konto gerade noch 150 000 Dollar. Cohen klagt. Er gewinnt. Und sieht doch keinen einzigen Cent wieder.

Geschockt verstummt der Vater des Rocksängers Adam Cohen und der Filmemacherin Lorca Cohen erneut für Jahre. Ehe er mit Ende 60 plötzlich an die produktivsten Zeiten seiner Laufbahn anknüpft: Mit „Old Ideas“, „Popular Problems“ und „You want it darker“ bringt er in drei Jahren mehr Alben heraus als zuvor in einem Jahrzehnt. Er geht auf Tour, ein schmaler gewordener Elder Statesman, der sich auf der Bühne kaum bewegt und doch alle Blicke mit dem Zucken einer Braue einfängt. Und er schleppt sich ins Studio, selbst wenn er dort nur noch im Sitzen singen kann. Hellwach beobachtet er die Welt, bissig kommentiert er den Literaturnobelpreis für Bob Dylan mit dem Satz, das sei, „als würde man dem Mount Everest eine Medaille dafür verleihen, dass er der höchste Berg ist“. Eines seiner letzten Lieder hat Leonard Cohen „Leaving the Table“ genannt, es besteht aus leisem Trommelstreicheln, akustischer Gitarre und seinem düsteren Bass. „Ich verlasse den Tisch“, brummt der, „ich bin raus aus dem Spiel“.

Leonard Cohen ist am 7. November im Alter von 82 Jahren gestorben.


2 Kommentare:

  1. Vor und nach der letzen Zwischenüberschrift "Alles verloren" holpert der Text etwas...

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  2. Danke. Ich glaube, ich habe es repariert.

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