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Donnerstag, 11. April 2019

Nach dem letzten Schuss: In der Nie­man­ds­zeit

Zu Ostern 1945 flogen die Alliierten letzte große Bombenangriffe auf Halle, die Stadt  wird in jener Osternacht schwerer getroffen als je zuvor.


Der Berliner Autor Harald Jähner erkundet in senem Buch "Wolfszeit" ein unbekanntes Land: Deutschland zwischen Kriegsende und Staatengründung.

Noch im September, fast sechs Monate nach dem letzten und größten Bombenangriff auf Halle, ist nicht nur die Welt, sondern auch die Saalestadt ein Trümmerfeld. Die Journalistin Ursula von Kardorff beschreibt das Elend, das auf dem Bahnhof von Halle herrscht, mehr als hundert Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und dem Untergang des Dritten Reiches. "Schaurige Bilder", schildert von Kardorff, die im Krieg zwar für Nazi-Zeitungen geschrieben, zugleich aber Kontakte zum Widerstand unterhalten hatte, "Trümmer, zwischen denen Wesen herumwandern, die nicht mehr von dieser Welt zu sein scheinen".

Die Apokalypse, zum Alltag verlängert. "Heimkehrer in zerfetzten, wattierten Uniformen, mit Schwären bedeckt, an selbstgemachten Krücken schleichend", schreibt die Mittdreißigerin, die das Ende halbwegs glimpflich in Bayern überlebt hat. Überall nur "lebende Leichname", schreibt sie, stolpernd durch eine Zeit, die nicht mehr die alte ist und noch nicht wieder eine neue. Deutschland zwischen Kriegsende und Staatengründung.


Harald Jähner, studierter Historiker und Literaturwissenschaftler und ehemals Feuilletonchef der Berliner Zeitung, besucht dieses Land in der Niemandszeit zwischen 1945 und 1955, die keineswegs die "Stunde Null" war, von der so oft die Rede ist. "Wolfszeit" erzählt den Zusammenbruch nicht als kurzen Moment, sondern als quälenden Prozess. Die Städte liegen in Ruinen, von 75 Millionen Menschen, die in den vier Besatzungszonen leben, befindet sich mehr als die Hälfte nicht dort, wo sie hingehören oder hin wollen.

Doch es gibt keine Transportmittel, diese 40 Millionen Flüchtlinge, ehemalige KZ-Häftlinge, entlassene Kriegsgefangene, Fremdarbeiter und rückkehrwillige Stadtbewohner, die vor den alliierten Bomben aufs Land ausgewichen waren, zurückzubringen. Nicht einmal genug Koffer für alle sind da, obschon die meisten kaum noch eine Habe ihr eigen nennen. Und wer es trotzdem dorthin schafft, wo er sein Zuhause wähnt, findet oft nur Ruinen, Häuser ohne Dach, Räume ohne Wände.

Fast die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland sind zerstört, man haust in Gruppen in verbliebenen Zimmern, auf den Bahnhöfen, in Kaufhauskellern. "Doch die verbreitete Vorstellung, Deutschland nach Kriegsende sei ein leeres, unendlich stilles Land gewesen, ist falsch", korrigiert Jähner. Denn überall auf den Straßen zogen Kolonnen entwurzelter Menschen entlang: Sieger und Besiegte begegneten sich aus unterschiedlichen Richtungen kommend, in einer Welt aus Rädern. "Verschleppte fuhren in Lastwagen zurück Richtung Warschau, französische Kriegsgefangene schwenkten die Trikolore, wie ein schmaler Bach rieselte dazwischen die andere Welt, die deutsche Welt, die Welt zu Fuß."

Nichts ist festgelegt in diesen Tagen der Neuordnung, der auch die Alliierten nur mit Mühe und ganz grob eine Richtung geben können. Die Integration der nach Westen strömenden Bewohner der verlorengegangenen Ostgebiete, die später als "Eingliederungswunder" Furore machen wird, ist vor Ort ein Kampf um die raren Ressourcen, der mit allen Mitteln ausgefochten wird.

Es gibt einerseits sehr schnell wieder Theatervorstellungen, Zeitungen, Musik und trotz des grausamen Missbrauchs von hunderttausenden Frauen eine wilde Sehnsucht nach menschlicher Wärme und körperlicher Nähe. Gleichzeitig aber ist der Hunger allgegenwärtig. Plündern und Rauben wird hoffähig und Schwarzmarkthandel gibt denen, die nur schnell, skrupellos und gewitzt genug sind, einen Vorgeschmack darauf, was für Möglichkeiten im Kapitalismus schlummern.

Hans Magnus Enzensberger, damals ein Teenager, ist einer der frühen Profiteure einer auf den Kopf gestellten Welt. Er spricht Englisch und er muss den Alten, den moralisch diskreditierten, zur Hand gehen, damit die verstehen, was Briten und Amerikaner von ihnen wollen. Enzensberger, gerade 16, spielt seine Macht aus: Er tauscht NS-Devotionalien gegen Ami-Zigaretten und erwirbt für diese immer noch mehr Dolche, Orden und Waffen. Im Keller hortet er irgendwann 40 000 Kippen, jede zehn Reichsmark wert. Ein Vermögen, das den Jungen in der kurzen Hose das Lammsein hinter sich lassen wird. Es macht ihn zu einem Wolf, einem der Wesen, die er Jahre später in seinem Dichter-Debüt "Verteidigung der Wölfe" nur halb ironisch vor den Lämmern in Schutz nimmt.

Da ist die Niemandszeit vorbei und die Deutschen haben sich rechts und links der ideologischen Blöcke eingeordnet.

Auf beiden Seiten wird es ihnen bald gelingen, zu den besten Gefolgsleuten ihrer Schutzmacht zu werden.





Dienstag, 18. September 2018

Frank Turner: Ein Mann mit Mission



Er zählt sie immer noch, seine Auftritte. Vom ersten an, den er damals im September vor 14 Jahren spielte, als sich seine Band Million Dead aufgelöst hatte, kommt der britische Musiker und Sänger Frank Turner bis heute auf 2 223 Live-Shows, in denen er seinen Lagerfeuer-Punkrock von großen und kleinen, manchmal aber auch von keinen Bühnen gesungen hat. Immer sprüht der 36-Jährige vor Temperament, immer zündet er sein Publikum an, weckt er Begeisterung bis hin zur schieren Euphorie.

Ein langer Weg, der inzwischen in die großen Hallen und - bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in London - sogar in die Stadien der Welt geführt hat. Doch Turner, in Bahrain geboren, im südenglischen Winchester aufgewachsen und im Elite-Internat Eton ausgebildet, hat sich den Erfolg auf die harte Tour erarbeitet. Seit zwölf Jahren spielt er nie weniger als 160 Konzerte im Jahr, meist aber über 200. Alle zwei Jahre gibt es ein neues Album, das stets Turners Philosophie folgt: Ehrliche Musik, handgemacht, quer zum Zeitgeist gedacht und nie auf kommerziellen Erfolg kalkuliert.

Der Mann mit dem Dreitage-Bart und dem Universitätsabschluss in Europäischer Geschichte bleibt seiner Mission auch beim Nachfolger seines bislang erfolgreichsten Werkes "Positive songs for negative people" treu. "Be more kind", zu deutsch ein Aufruf, freundlicher zueinander zu sein, in Zeiten, in denen Wut, Zorn und Hass die Welt zu regieren scheinen, ist eine Sammlung von 13 Songs, die Turners Fähigkeit, nach Belieben unwiderstehliche Melodien zu erfinden, mit seinem Händchen für Sounds zwischen Rock und Folk verbinden, dazu aber erstmals auch fast schon poppige Synthesizer addiert.

Ein Album, das mehr sein will als Musik, denn Frank Turner, der seine Karriere mit entschieden politischen Texten startete, hat beschlossen, dass es Zeit ist, dorthin zurückzukehren, wo er einst mit Million Dead und dem ruppig eingespielten Liebeslied "Smiling at strangers on trains" angefangen hatte. "Stop asking musicians what they think", heißt es in "1933", einem Lied, das zu zackigen Akkorden den Karl-Marx-Spruch von der Geschichte zitiert, die sich als Farce wiederholt. Ehe Frank Turner mit kippender Stimme warnt: "Glaub' bloß nicht, dein brennendes Haus sei die Morgendämmerung".

Es ist viel schlimmer. "Die Welt draußen brennt mit einem neuen Licht", reimt Turner, "aber es wärmt mich nicht." In 45 Ländern der Erde hat Frank Turner seine 2 223 Konzerte gespielt, er war nicht nur in Wohlfühlzonen wie Deutschland, Estland oder den USA unterwegs, sondern auch in Indien, Sierra Leone und Südafrika. Das weitet den Blick, das brachte Turner zur Überzeugung, dass er zwar keineswegs die Verpflichtung habe, seine Ansichten zu äußern. "Künstler müssen das nicht, sie können mit ihrer Kunst ausdrücken, was immer sie wollen", sagt er. Das sei aber nur die eine Seite. "Die andere ist, dass jeder Künstler natürlich das Recht hat, sich zu allem zu äußern."

Turner, in den vergangenen zehn Jahren Mitbegründer einer Rockschule, in der Leute wie Jake Bugg, Passenger, Jayke Orvis oder Chuck Ragan sich abwandten vom traditionellen Rockgeschäft und eine Rückkehr zu den wahren Werten des Rock predigten, der Echtheit über Vermarktungschancen stellt, zieht mit seiner Stammband The Sleeping Souls alle Register zwischen Wut auf die Welt, Tröstung der Enttäuschten und Wunschgesang. Im sparsam instrumentierten Opener "Don't worry" umarmt eine sanfte Melodie die Mühseligen und Beladenen. "Du bist nicht allein", heißt die Botschaft, die am Ende ein summender Chor zu gospelartigem Klatschen singt. Es folgt "Little Changes", ein Stück über Entfremdung, in dem Turner angstlos raunt, dass die großen Dinge sich schnell ändern können, wenn "wir die kleinen Dinge ändern". Welche? Der Titelsong gibt Frank Turners einfache Antwort: In einer Welt, die sich entschlossen hat, verrückt zu werden, hindert uns doch niemand daran, wenigstens nett zu einander zu sein.

Der Sänger selbst ist es bloß nicht, wenn es seinen aktuellen Lieblingsgegner Donald Trump betrifft, den er mit dem betont holprigen Kracher "Make America great again" verhöhnt, den er schon schrieb, ehe Trump gewählt wurde. Danach aber fährt der Ex-Punk und Pop-Philosoph die Schmeichler, Schüttler und Überlebenshymnen auf. "Brave Face", "There she is" und "21st Century Survival Blues" zeigen Frank Turner als unübertroffenen Meister der großen Gefühle. Leise und laut, mitsingkompatibel und dahingehaucht - der nette Punk-Missionar weiß genau, was er kann.

Direkt zum Künstler:
www.frank-turner.com

Donnerstag, 26. Juli 2018

The Alarm: Ein neues Kapitel


Rory Macdonald und Mike Peters gingen mit ihren Bands Runrig und The Alarm stets eigene Wege. Im vierten Jahrzehnt drehen der Schotte und der Waliser noch einmal auf.

Es ist eine Stimme aus der Vergangenheit, die da zu vorsichtigen Gitarrenakkorden „Ohoho“ ruft. Rockpalast 1984, Markthalle Hamburg, auf der Bühne vier Männer mit hochtoupiertem Haar und akustischen Gitarren. Eine Band wie eine Mischung aus Robert Smith von The Cure und Bob Dylan, im Mittelpunkt ein blonder Schlacks, der vom „Blaze of glory“ singt und von einem Marsch für die Freiheit.

Der Mann heißt Mike Peters, die Band nennt sich The Alarm. Neben den irischen Kollegen von U2 und den Schotten von Big Country sind die vier Mittzwanziger aus dem Örtchen Rhyl in Wales die Spitze einer neuen Generation von Gitarrenbands inmitten eines Heeres aus Gruppen, die eher elektronische Musik machen. The Alarm zeichnet zudem aus, dass die Gruppe, zu der anfangs auch der spätere World Party-Gründer Karl Wallinger gehört, elektrisch verstärkte Akustik-Gitarren verwendet, um ihren hymnischen und immer wieder auf die walisischen Wurzeln verweisenden Folkrock zu spielen. Eine Gemeinsamkeit, die sie mit den schottischen Kollegen von Runrig verbindet, die ein paar Jahre früher als reine Folkband starteten, später Rockelemente einbauten und wenig später mit dem Album „The Cutter and the Clan“ zum ersten Mal in der Hitparade auftauchten.

Dreißig Jahre und zwei gänzlich gegensätzlich verlaufende Karrieren sind die geistesverwandten 80er-Veteranen zurückgekehrt, auch das aber wieder auf ganz verschiedenen Wegen. Während Runrig sich mit einem Doppel-Album namens „Best of Rarities“ von ihrem Anhang aus sogenannten Riggies verabschieden, schlägt Mike Peters mit dem zwölften Alarm-Album „Equals“ nach acht Jahren Studiopause ein neues Kapitel für die legendäre Band auf. Auf die ersten „Ohohos“ in „Two Rivers“, dem Opener des Werkes, folgen plötzlich elektronische Beats, beim nächsten Song „Beautiful“ klingen US-Punkbands an, ehe das Titelstück balladesk beginnt wie der Bandklassiker „Eye of a hurricane“.

Mit knapp 60 hat sich Peters, Mitte des vergangenen Jahrzehnts zweimal schwer an Krebs erkrankt, noch einmal neu erfunden. Kritisch wie schon seinerzeit mit „Across the boarder“ oder „Hardland“ vermählen Peters, Gitarrist James Stevenson, Bassmann Craig Adams und Drummer Derek Forbes Springsteen-Attitüde und Folkrock-Gefühl. Schmutzig, handgemacht und immer wieder mit unwiderstehlichen Melodien versehen, ist das sechste Album der Ende der 90er Jahre neuformierten Gruppe deren vorläufiges Meisterwerk. The Alarm, einst wie Runrig Vorreiter auch beim Versuch, Rockmusik mit Texten in gälischer und walisischer Sprache zu machen, klingen geerdet, zugleich aber frisch wie eine Newcomerband, die noch Spaß daran hat, Dinge auszuprobieren und ohne Vorfestlegungen draufloszuspielen.

Runrig, seit den allerersten Anfängen in den 70er Jahren die Familiencombo der Macdonald-Brüder, die zeitweise zu dritt im Lineup vertreten waren, versucht dergleichen gar nicht erst. „Best of Rarities“ ist ein Nachruf aus eigener Feder, eine Zusammenstellung von zum Teil wieder gälisch gesungenen Live-Aufnahmen aus den Jahren 1993 bis 2016, aufgehübscht mit einer Neueinspielung des schwergewichtigen Abschiedsstückes „Somewhere“, das besonders gut passt, weil sich Runrig nach 45 Jahren auf der Bühne in diesem Sommer mit einem letzten gewaltigen Open-Air-Konzert verabschieden wollen. „The Last Dance“ überschrieben, sollte dieses finale Konzert im City Park im schottischen 36 000-Einwohner-Städtchen Stirling die Bandgeschichte mit einem letzten großen Hymnensingen beenden. Die Karten für das Konzert am 18. August waren so schnell vergriffen, dass die Macdonald-Brüder ein zweites Konzert am Vortag planen, um dem Andrang einigermaßen beikommen zu können.

Mike Peters jagt derweil noch anderen Träumen nach: Wie in den großen Tagen, als seine Band versuchte, den US-Markt zu knacken, geht der 59-Jährige diesen Sommer auf US-Tournee. Der „Mann in der Tarnjacke“, wie ihn der Filmemacher Russ Kendall in einer abendfüllenden Dokumentation über den Weg zum Ruhm, den Kampf gegen die schwere Krankheit und die Rückkehr auf die Bühne nannte, will es noch einmal wissen. Mit guten Argumenten: Seit Songs von The Alarm immer öfter als Unterlegmusik in Netflix-Serien wie „„Tote Mädchen lügen nicht“ verwendet werden, entdecken neue, junge Hörer das Schaffen der Waliser.

Die ersten Testkonzerte im Mai in New York waren ausverkauft.

Donnerstag, 21. Juni 2018

Gundermann: Vernunft verlangt Verzicht


Rocksänger, Baggerfahrer, Samurai: Der Cottbusser Sänger und Dichter Gerhard Gundermann war in seinen besten Jahren nichts weniger als die Stimme Ostdeutschlands in der westdeutsch dominierten Rockmusik. Gundermann starb heute vor 20 Jahren, seine Lieder aber bleiben gültig. Ebenso dieses Interview, das fünf Jahre vor seinem Tod entstand.


Frage: Du hast ganze vier Jahre geschwiegen, ehe Deiner Debütplatte "Männer, Frauen und Maschinen" das Album "Einsame Spitze" folgte, den "Siebten Samurai" zu produzieren hat dagegen nur ein Jahr gedauert.

Gundermann: Auch vor "Einsame Spitze" hatte ich immer genug Material, eine Platte zu machen. Und gewollt habe ich auch, klar. Aber ich bin ja auch doof. Gleich nach der Wende bin ich zur Ariola gegangen und habe denen mein Zeug gegeben. Da denkste dann: Wenn ich jetzt bei denen war, darf ich erstmal mit keinem anderen reden, bis die ja oder nee gesagt haben. Die haben aber nicht mal nee gesagt bis heute. So nach einem Jahr habe ich das endlich mitbekommen und mich dann doch mal anderswo umgehört. Und so sind wir dann bei Buschfunk untergekommen.

Frage: Als einer der letzten deutschen Sänger läßt Du Dir die Bezeichnung "Liedermacher" gefallen...

Gundermann: Ja, ich weiß, vor einem Jahr oder so da stand immer in der Zeitung: Ha, Liedermacher sind jetzt out, weil man kann ja jetzt alles in die Zeitung schreiben. Aber ich habe mich ja nie als Zeitungsersatz verstanden, auch in der DDR nicht. Erstens habe ich immer Lieder gesungen, das hat die Zeitung auch damals nicht gemacht (lacht). Und zweitens, auch wenn damals Erich Honecker auf dem Thron saß und heute sitzt da Helmut Kohl - die meisten Dinge auf der Welt funktionieren doch unabhängig davon. Und über die denke ich eigentlich nach, über die mache ich auch Lieder. Nicht darüber, ob der Honecker nun vor Gericht gekommen ist oder was. Mich interessieren ganz andere Themen.

Frage: Und welche?

Gundermann: Menschen, Arbeit, Umwelt. Nimm mal die Arbeit. Da habe ich vor Jahren schonmal ein Programm drüber gemacht, jetzt mach' ich wieder eins, weil ich denke, daß ich einen neuen Erkenntnisstand dazu habe, daß ich zu Antworten gelangt bin, die auch andere interessieren könnten.

Frage: Die Antworten, die Du auf Umweltfragen gibst, haben aber viele Leute schwer verstört. Für Deine Forderung, eine "grüne Armee" zu gründen, hat sich Gundermann, der Pazifist, gar den Vorwurf eingehandelt, ein "Ökofaschist" zu sein. Meinst Du denn solche Vorschläge ernst?

Gundermann: Mit dem Vorwurf kann ich leben, weil ich sie ernst meine. Grüne Armee ist keine Poesie. Das Schlüsselerlebnis ist für mich ein Fernsehbericht so vor zehn Jahren gewesen. Damals hat der Bundesgrenzschutz in Italien bei der Beseitigung von Erdbebenschäden geholfen - und genau für solche harten Sachen brauchst Du harte Leute, die richtig kämpfen können. Bloß, daß der Feind nicht die Armee von nebenan, sondern was anderes, viel Schlimmeres ist. Guck Dich doch um: Die Welt geht kaputt. Meiner Meinung nach hilft da keine Kosmetik mehr. Wenn wir es noch schaffen wollen, die Kurve zu kriegen, brauchen wir Armeen gegen die Wüste, müssen wir schleunigst sämtliche Kapazitäten, die im Militär stecken, an diese entscheidende Front werfen. Dazu braucht es natürlich den entsprechenden politischen Willen.

Frage: Da der illusorisch ist, sagt das ja zugleich, daß wir es nicht schaffen werden.

Gundermann: Das weiß ich nicht genau. Früher, da habe ich die beiden großen Weltlager immer als zwei Kämpfende am Fuße eines Berges gesehen. Und vom Berg kommt so ein Riesenbrocken runtergerollt, genau auf die zu. Nun können sie sich entscheiden: Entweder, sie hauen sich weiter und werden überrollt, oder sie tun sich zusammen und versuchen das aufzuhalten. Es ist ganz anders gekommen.

Frage: Einer der beiden Kämpfer ist abgetreten.

Gundermann: Und das ist der Punkt. Niemand hätte doch vor fünf Jahren dran geglaubt, daß der Konflikt sich so auflöst. Deshalb ist es doch nicht so, daß ich an nichts mehr glaube. Nur: Ich halte jetzt alles für möglich - da hab` ich ja eine gewisse Schule durch, wie wir alle hier im Osten. Und deshalb denke ich auch, daß da noch gewisse Möglichkeiten sind. Die westliche Welt ist doch auch im Wandel, das ist doch alles tieferschüttert, das muß man doch sehen.

Frage: Du siehst einen Wandel zum Positiven?

Gundermann: Ich bin Anhänger der Theorie von der neunten Welle. Die sagt: jede Generation hat 30 Jahre Zeit, ihre Ideale und Vorstellungen zu verwirklichen, ehe alles anders kommt. Das kannst Du in den USA ziemlich genau nachvollziehen - alle 30 Jahre steigt da ein Demokrat auf den Präsidentensessel, alle 30 Jahre kommt ein Versuch der Erneuerung. Und wir hängen da irgendwie dran.

Frage: Eine Mechanik, ein Automatismus, Zufall oder Gottvertrauen?

Gundermann: Es gibt Zusammenhänge, die ich nicht durchschauen kann, die aber doch irgendwie funktionieren. Es ist ja objektiv so: Du kannst Gesetze machen wie Du willst, wenn die Leute zu Zehntausenden über die Oder schwimmen, dann kannst Du nur damit leben oder schießen. Und dann führen wir in hundert Jahren wieder Prozesse.

Frage: Wie sieht Deine Lösung aus?

Gundermann: Wenn das Wohlstandsgefälle auf 300 Kilometer Entfernung fünf menschliche Generationen ausmacht - von der Industriegesellschaft bis in den Feudalismus - dann werden die hier herkommen, wenn wir es nicht schaffen, unseren Wohlstand da rüber zu exportieren. In der Physik gibt es die einfache Regel vom Wasser, das in verbundenen Gefäßen immer gleich hoch ist. Da kannst Du Wasser sagen oder Wohlstand. Wir, also die DDR, waren der erste Schritt, dieses Gefälle auszugleichen.

Frage: Triffst Du beim Versuch, die ganze Welt so leben zu lassen, wie wir leben, aber nicht an andere Grenzen?

Gundermann: Natürlich. Deshalb ist das auch nicht möglich. Und weil nicht alle auf unser Wohlstandsniveau hochkommen können, werden wir wohl runtergehen müssen. So, daß es für alle reicht. Wir müssen abgeben, bis sich das alles auf eine Art Nullpunkt eingependelt hat. Lebensstandard wie in Polen meinetwegen, aber den für alle. Und das reicht auch zu - denn ein Pole ist ja ein Fürst gegen andere, noch Ärmere.

Frage: Wie soll sich soviel Vernunft und Verzicht durchsetzen?

Gundermann: Durch Katastrophen. Das geht nur durch Katastrophen. Wenn sich die Klimaveränderungen, die wir ja längst haben, erst auf die Nahrungsmittelversorgung auswirken, dann werden die Leute wach. Der Druck der Ereignisse wird uns keine andere Wahl als die Vernunft lassen. Ich hoffe nur, daß der Druck der Ereignisse groß genug ist, damit wir reagieren, aber nicht so groß, daß wir nicht mehr reagieren können. In diese geschichtliche Sekunde müssen wir springen, unsere Konzepte vorholen und Lösungen anbieten. Wichtig ist, daß wir dann auch welche haben!

Frage: Dein Wendetrauma?

Gundermann: Wenn Du so willst. Wir haben damals immer dran gesägt, gesägt, gesägt - aber nie gedacht, daß das Ding, also der Staat, wirklich mal umkippt. Ich hab' zum Beispiel nie für die Schublade gearbeitet. Ich habe immer nur gemacht, was machbar war. Das war falsch. Als dann die Wende kam und die alten Herren gingen, als plötzlich alles möglich war, stand ich mit leeren Händen da. Weil ich blöde war. Passiert mir beim nächsten Mal in dreißig Jahren nicht wieder. Ich arbeite jetzt vor, damit ich was zu sagen habe, wenn ich dann gefragt werde.

Frage: Was macht eigentlich Dein anderes Ich, der Baggerfahrer Gundermann?

Gundermann: Der macht ABM. Unseren ganzen Betrieb haben sie dichtgemacht und zu so `ner Sanierungsfirma umgeschmiedet. Wir reparieren jetzt das, was wir früher kaputtgemacht haben.

Mittwoch, 30. Mai 2018

Spukhafte Fernwirkung: Als Einstein Gott Vorschriften machte


Albert Einstein veröffentlichte 1905 die spezielle Relativitätstheorie und revolutionierte die gesamte Physik - für viele eine harte Nuss. Ein weiterer Versuch populärer Erklärung.


Albert Einstein ahnte nur, dass es jenseits der Physik noch etwas geben muss. Heute gilt die Quantenphysik als letzter Stand der Wissenschaft - verstehen aber kann sie nur, wer sie sich von kundigen Männern wie Anton Zeilinger erklären lässt. Ein ganz klein wenig Hexerei ist dabei. Stellen wir uns Folgendes vor: Zwei Photonen, also Lichtteilchen, die mit Hilfe eines Lasers und eines Prismas im Labor miteinander "verschränkt" wurden - in einfachen Worten. Diese Photonen sind winzig klein, man kann sie nicht sehen, man weiß nur, dass sie da sein müssen. Und weil sie da sind, weiß man, dass eines von ihnen die bestimmte Eigenschaft A hat, während das andere die bestimmte Eigenschaft B in sich trägt. Welche Eigenschaft das eine hat, hängt ganz davon ab, welche im anderen enthalten ist.

Zu kompliziert? Schwer verständlich? Das fand Einstein auch. Also machen wir es doch gleich noch ein bisschen schwieriger: Keines der beiden verschränkten Teilchen kennt seine eigene Eigenschaft. Denn die wird erst festgelegt, wenn ein Beobachter von außen sie zu ergründen versucht - wie zwei Würfel mit nur zwei Buchstaben, die erst eine Zahl zeigen, wenn sie geworfen worden sind. Dann aber, und das ist wirklich wahr, entscheidet sich nicht nur das eine Quant für Eigenschaft A oder B. Sondern ganz automatisch auch das andere - hat ein Würfel das "A", zeigt der andere das "B" und umgekehrt. Und nun halten wir uns mal fest, denn was jetzt kommt, ist mehr als nur ein bisschen Hexerei: Dabei ist völlig egal, welcher Abstand zwischen beiden Teilchen liegt. Und gleichgültig, dass es keinerlei Verbindung zwischen ihnen gibt.

Albert Einstein nannte das einst "spukhafte Fernwirkung" und er hatte ernsthafte Zweifel daran, ob er eine Welt akzeptieren könne, in der Wirkungen ohne Ursachen möglich sein sollen. Was heute als einer der Grundlehrsätze der Quantenmechanik gilt, war Einstein ein rotes Tuch. Schließlich hatte er doch die Lichtgeschwindigkeit als theoretisch höchstes Tempo überhaupt mathematisch nachgewiesen. Und die verschränkten Photonen kümmerte das überhaupt nicht! Sie "beamten" sich offenbar Informationen in Null-Zeit, also ohne jede Verzögerung zu, und das ohne Verbindung miteinander. Irgendwo, vermutete der Vater der Relativitätstheorie, müsse da noch etwas sein, das alles erkläre. Bis Niels Bohr, auch er ein großer Physiker, ihm eines Tages entgegenschleuderte: "Hören Sie endlich auf, dem Herrgott Vorschriften zu machen, wie er die Welt gestaltet."

Und im Bauplan des Kosmos ist Einsteins "spukhafte Fernwirkung" nun mal ein Fakt, wie der Wiener Physik-Professor Anton Zeilinger auf einer eben erschienenen Doppel-CD gleichen Namens ausführt. Die, als Teil einer populärwissenschaftlichen Hörbuch-Reihe im Kölner Supposé-Verlag erschienen, versucht, Leuten die Quantenphysik zu erklären, die bei dem Wort allein schon an langweilige Gleichungsketten und endloses Formelgewimmel denken. Ein Vorhaben, das Zeilinger, im vergangenen Jahr Leiter eines Aufsehen erregenden Experiments, bei dem es erstmals gelang, Lichtteilchen durch ein Glasfaserkabel unter der Donau hindurch zu beamen, mit Wiener Charme und nahezu ohne Fachausdrücke erledigt. Locker plaudernd beschreibt der 60-jährige Experimentalphysiker eine Welt, in der ganz andere Gesetze gelten als in unserem Alltag. Eine Welt ist dies, in der Dinge zugleich da und dort sein können und in der der Zufall kein Ergebnis von beeinflussbaren Faktoren, sondern reine, pure Willkür ist.

Zeilinger, ein wuschliger Charakterkopf von Reinhold-Messner'schem Format, bemüht einprägsame Beispiele, um klarzumachen, was die Welt im Innersten zusammenhält. "Wenn ein Spiegel genau halb durchsichtig ist", beschreibt er, "geht die Hälfte des Lichtes hindurch und die andere Hälfte wird reflektiert." Soweit, so gut. Was aber geschieht mit einem einzelnen Photon, das auf den Spiegel trifft? Wird es zurückgeworfen? Oder durchgelassen? "Niemand weiß das", sagt Anton Zeilinger, "nicht einmal das Photon selbst."

Und all unsere Wissenschaft kann daran nichts ändern. Einstein meinte einst, die Welt könne gar nicht so verrückt sein, wie uns die Quantenmechanik glauben machen will. "Heute aber wissen wir, die Welt ist so verrückt", zitiert Anton Zeilinger seinen amerikanischen Forscherkollegen Daniel Greenberger. Im Reich der Quanten können Teilchen an verschiedenen Orten zugleich sein, und auch die Regel, dass Dinge selbst dann existieren, wenn sie niemand sieht - wie die Sonne, die auch scheint, wenn keiner hinschaut -gilt nicht mehr. 


Das ist im ersten Moment verstörend. Männer wie Anton Zeilinger aber sehen vor allem "Die Schönheit der Quantenphysik" (CD-Untertitel) und die Fülle der neuen Möglichkeiten, die in Einsteins "spukhafter Fernwirkung" stecken. Schon hat Zeilingers Team so genannte Quantenzustände kilometerweit über die Dächer von Wien hinweg transportiert. Und schon basteln andere Forscher an Computern, die auf Quantenbasis funktionieren - dann stünde eine Revolution ins Haus, die alle bisherigen technischem Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte in den Schatten stellen wird.

Nur das Beamen größerer Objekte oder gar ganzer Menschen bleibt wahrscheinlich für immer Science-Fiction: "Allein die Information über die Quantenzustände eines Menschen, die zum Beamen übertragen werden müssten, würden einen CD-Stapel von 1 000 Lichtjahren Länge füllen", weiß Zeilinger. Ein Lichtjahr sind knapp 10 Billionen Kilometer - selbst mit bester Technik würde die Übertragung dieser Daten Ewigkeiten dauern. Der britische Quantencomputerexperte Samuel Braunstein hat das einmal gallig kommentiert: "Natürlich wäre es einfacher zu laufen."

Samstag, 26. Mai 2018

Michel Birbæk: Heiße Romance mit Prinz


Das Leben ist hart und der Weltstar tot: Der Däne Michel Birbæk beschreibt in "Das schönste Mädchen der Welt", warum es trotzdem schön ist, da zu sein.

Viel ist nicht übrig vom Ruhm der großen Tage. Ein paar Telefonnummern hat Leo Palmer noch, einen guten Ruf in der Branche und einige Erinnerungen. Aber mit Ende 40 ist der Lack ab. Aus der Zeit, als der begnadete Background-Sänger mit seiner Band "Funkbanditen" kurz davor stand, die Welt zu erobern, ist nur noch die Sammlung von CDs des amerikanischen Superstars Prince geblieben. Der ist für Leo Palmer soetwas wie Jesus, Mohammed und Buddha zugleich. Ein Erretter, Erlöser und Idol, Ratgeber, Tröster und Rhythmusgeber, ein Mann, der in ein Leben voller Alltag glitzernde Diamanten streut und mit seiner Person beweist, was ein Mensch alles sein kann, wenn er will.

Leo Palmer will nur noch mal eine Frau kennenlernen, mit der es länger funktioniert. Ruhelos treibt er sich bei der Rendezvous-App Tinder herum, jeden Tag ein Date, immer mal auch eine anschließende Nacht. Aber Michel Birbæk, in Kopenhagen geboren und selbst anderthalb Jahrzehnte als Musiker weltweit unterwegs, gönnt seinem gefallenen Rockhelden in seinem Pop-Roman "Das schönste Mädchen der Welt" kein Happy End. Als Leo Mona trifft und sich unsterblich verliebt, passiert die Katastrophe: Prince stirbt. Für dessen größten Fan wie für die zersprengten Reste der alten Band ist das ein Schicksalsschlag, gegen den die Apokalypse wirkt wie ein lauer Sommerregen.

Auf einmal ist die neue Liebe nur noch nebensächlich. Auf einmal wird dem altgewordenen Jugendlichen von damals klar, dass Dinge im Leben wirklich zu Ende gehen. Niemals mehr Prince auf Tour. Niemals mehr jung. Niemals mehr Zeit, geradezurücken, was vor vielen, vielen Jahren von einem früheren Selbst verpatzt und verdorben wurde.

Ein Pop-Roman, der in der Sprache lässig ist wie Tommy Jauds Idiotenbücher, damit aber eine tiefere Ebene verbirgt, die weniger zum Lächeln und Lachen ist. Leo Palmer, der eine feste Bindung sucht, seit seine Ehe mit Schlagzeugerin Stella gescheitert ist, geht festen Bindungen aus dem Weg. Nicht noch einmal verletzt werden, nicht noch einmal verletzen können, was man eigentlich liebt - das ist der Plan, nach dem er lebt, ohne ihn selbst zu kennen. Auch die anderen von früher, die sich alle nach Jahren wiedertreffen, um Prince zu betrauern, haben ihre Macken: Der eine kokst und ist selbstmordgefährdet, die andere pleite, der dritte so beziehungsunfähig, dass er mit elf Hunden zusammenlebt. Die Vergangenheit steht zwischen allen und zugleich bindet sie alle aneinander - gemeinsame Erlebnisse sind auf einmal wieder so nah, dass sich auch die Menschen, die aus den Freunden von früher geworden sind, wieder nahekommen.

Keine Romanze, keinen lustigen Bericht von einer bizarren Reise, sondern ein ebenso unterhaltsamer wie nachdenklicher Roman über das, was immer bleibt, hat der seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Birbaek geschrieben. Zugleich ist das Buch eine Liebeserklärung an einen der größten Stars, den die Popwelt jemals hatte. Den vor zwei Jahren nach einer versehentlich eingenommenen Medikamentenüberdosis verstorbenen Prince Rogers Nelson hat Buchautor Birbaek selbst zu seinem absoluten Säulenheiligen erklärt, hier steht sein Name für eine Zeit, in der Musik noch handgemacht war, Bands noch auf der Bühne beweisen mussten, was sie können. Und alle, die das taten, jung, schön und voller Energie waren.

Ein Abgesang an eine verschollene Zeit ohne DJs, Computerprogramme und Streamingdienste, verpackt in eine Hymne an die gute alte Liebe. Michel Birbaek gelingt es in seinem fünften Großstadtroman, den Gefühlen und oft komischen Gebrechen einer Generation nachzuspüren, die als erste ganz selbstverständlich mit Rock und Pop und Teenagerliebe aufwuchs, bis heute aber ganz eigene Geister aus dieser so unbeschwert und offen wirkenden wunderbaren Vergangenheit mit sich schleppt. Zwischen Prince-Gottesdienst und zynischem Humor muss das Heimkind Leo Palmer, längst erfolgreicher Tonstudiobetreiber, zurück an den ersten Anfang, um die Chance auf einen zweiten mit dem "schönsten Mädchen der Welt" zu bekommen.

Montag, 14. Mai 2018

Andy Weir: Die Frau im Mond


Mit seinem Debütroman "Der Marsianer" wurde der Amerikaner Andy Weir schlagartig zum Weltstar. Der Nachfolger "Artemis" spielt in einer Stadt auf dem Mond.

Es war eine verzweifelte Idee, die den kalifornischen Softwareprogrammierer Andy Weir mit Anfang 40 beinahe über Nacht zu einem literarischen Weltstar werden ließ. Weir hatte für ein Buch, an dem er lange Jahren herumtüftelte, einfach keinen Verleger gefunden. Und das Werk, das der Frage nachging, was wohl passieren würde, bliebe ein einzelner Astronaut auf einer Marsexpedition allein auf dem roten Planeten zurück, schließlich notgedrungen einfach im Internet veröffentlicht.

Ein Hit. Das Gedankenexperiment faszinierte zehntausende Leser, Weir schraubte hier und verbesserte dort. Und als die großen Verlage schließlich Schlange standen, war aus dem Hobbyschriftsteller schon ein Vorlagengeber für Hollywood geworden: Altstar Ridley Scott verfilmte die Geschichte um den auf dem Mars gestrandeten Astronauten Mark Watney mit Matt Damon in der Hauptrolle. Der Film war weniger als das Buch ein von Mathematik, Physik, Chemie und amerikanischen Pioniergeist gespeistes Wissenschaftsdrama. Aber genauso erfolgreich. Andy Weir kann seitdem Bücher schreiben, so viele er mag. Er ist schließlich eines dieser so selten gewordenen literarischen Wunderkinder, die eine eigene, unverwechselbare Sprache in einer eigenen Nische sprechen - und dennoch ein Millionenpublikum erreichen.

Mit "Artemis", seinem zweiten Buch, wird Weir das zweifellos wieder gelingen. Denn der inzwischen 45-Jährige variiert seinen Stoff nur vorsichtig. Diesmal spielt die Handlung auf dem Erdmond, der zum Zeitpunkt der Ereignisse am Ende des Jahrhunderts besiedelt ist. Artemis heißt die Mondstadt, in der das Mädchen Jazz Bashara aufgewachsen ist und in der sie nun als eine Art Tagelöhnerin lebt. Mit großen Träumen allerdings, denn richtig glücklich ist die Tochter eines auf den Mond ausgewanderten Handwerkers nicht mit ihrer Rolle als Gelegenheitskurierin, die ihren Job hauptsächlich als Tarnung für ein florierendes Schmuggelgewerbe für alles nutzt, was es auf dem Mond offiziell nicht geben soll.

Wie seine Space Opera vom Mars lebt auch Weirs neuer Weltraumthriller von der Faszination der gnadenlosen Begrenzung aller Dinge mitten im unendlichen Kosmos. Es gibt nicht genug Luft, nicht genug Wasser, nicht genug von irgendetwas, weil alles von der Erde heraufgebracht werden muss. Artemis, gegründet unter der Hoheit des Kongo, der Mitte des 21. Jahrhundert durch eine kluge Steuerpolitik zur führenden Weltraumnation wurde, ist weniger Stadt als Dorf. Eine multikulturelle Minigesellschaft am Rande des Niedergangs, weil der Weltraumboom längst vorüber ist, der Erhalt der Anlagen teuer und das einzige Exportgut Aluminium nicht mehr teuer genug.

Eine Welt auf der Kippe, Leben, das mit spitzem Bleistift rechnen muss. Jeder kennt hier jeden, die Staatsmacht wird geduzt. Die halbe Bevölkerung ist zudem in der Reparaturbranche tätig, weil Artemis unübersehbar Abnutzungserscheinungen zeigt. Die fünf durch Gänge verbundenen Kuppeln funktionieren nur durch konsequente Einhaltung von Regeln. Jede Verletzung hat tödliche Konsequenzen, jeder Verstoß muss deshalb geahndet werden.

Was nicht bedeutet, dass Jazz Bashara nicht bereit wäre, auch über die zulässigen Grenzen zu gehen, um sich ihren Traum von Unabhängigkeit und Wohlstand zu erfüllen. Als ein auf den Mond geflüchteter Milliardär sie bittet, ihm mit einem großangelegten Sabotagemanöver gegen die größte Bergbaugesellschaft auf dem Mond zu helfen, um in den Besitz der Firma zu gelangen, zögert sie nicht lange, die Chance zu ergreifen. Nur ein paar kleine Manipulationen, ein paar Sprengungen weit draußen, wo niemand Schaden nehmen kann. Und das Leben ist geritzt.

Es ist dann genau der Andy Weir, den Leserinnen und Leser vom "Marsianer" kennen, der die Ausführung der Aktion schildert, die im luftleeren Raum auf ganz andere Schwierigkeiten trifft als sie das auf der guten alten Erde täte. Jazz Bashara plant vorzüglich, aber der Kosmos hat eigene Vorstellungen: Es gibt einen Mord, ein Mafiakiller taucht auf, die Luft wird dünn und Weirs Heldin muss wie damals Mark Watney auf dem Mars alle Register ziehen, um am Leben zu bleiben. Unter Bedingungen, die es schon zur Herausforderung machen, von einer Kuppel in die andere zu gelangen, wenn man den normalen Verbindungsgang nicht benutzen kann, entwickelt Weir einen packenden Thriller voll überraschender Wendungen, der nichts gemein hat mit Ballerorgien a lá "Star Wars".

Denn hier geht es streng wissenschaftlich zu. Andy Weir hält die Anzahl der Mitwirkenden in seinem Kammerspiel auf Luna überschaubar, die Schauplätze sind es sowieso, auch die Hintergründe der Verschwörung, die Jazz Bashara nach und nach aufdeckt, sind nicht allzu komplex, sondern auch im vollen Lesesog, den Weir automatisch provoziert, leicht zu bewältigen.

Demnächst dann auch wieder im Kino.

Samstag, 21. April 2018

Bell, Book & Candle: Auf einmal auf Deutsch


Zwei Jahrzehnte nach ihrem internationalen Riesenhit "Rescue me" sind Jana Groß, Andreas Birr und Hendrik Röder mit ganz neuen Tönen zurück. Die Band, die bisher immer englisch sang, hat plötzlich deutsche Texte.

Kommen, gesehen werden und ganz hochschießen an die Spitze, das passierte damals, als Andreas Birr und Hendrik Röder sich aufmachten, mit Sängerin Jana Groß in ihre zweite Karriere zu starten. Zu DDR-Zeiten waren Birr - schon hörbar Sohn von Puhdys-Chef Dieter "Maschine" Birr - und Röder, Sohn von Puhdys-Keyboarder Peter Meyer, als "Rosalili" erfolgreich gewesen. Doch der Ruhm hielt nicht über den Mauerfall, die Band löste sich auf.

Der Neustart gelang erst, als Hendrik Röders Freundin Jana Groß den Wunsch äußerte, ihr musikalisch beschlagener Lebensgefährte könne ihr doch mal eine Band zusammenstellen: Bell, Book & Candle. Zwei Jahre probten beide mit dem alten Rosalili-Kollegen Birr. Dann knallte "Rescue me" in die Hitparaden. Und für einen Moment sah es nicht nur für die Plattenfirma ganz so aus, als habe Deutschland wirklich eine neue Pop-Sensation mit internationalen Marktchancen.

Doch wer Jana Groß und ihre Kollegen damals erlebte, wie sie barfüßig, leicht angeschickert und bester Laune durch ein Bierzelt am Ostseestrand rockten, ahnte, dass die Ambitionen des Trios eher nicht auf die Rockarenen der Welt zielten. Verlässlich lieferte das Trio eingängige Pop-Songs auf der Höhe der Zeit. Doch ein Erfolg wie "Rescue me" gelang nie wieder.

Zusammen mit Ingo Politz, der alle Alben von Bell, Book & Candle produziert hat, haben die drei Berliner sich nun noch einmal neu erfunden. Jana Groß hatte früher schon deutsche Texte für die Band Eisblume geschrieben, die Politz ebenso wie die Kollegen von Silbermond produziert. Für das neue Album "Wie wir sind" lässt die Sängerin nun die verbalen Hüllen fallen: Erstmals verzichtet Groß, die alle BBC-Texte schreibt, auf die sichere Verkleidung und den Schutz der fremden Sprache, wenn sie über ihre Gefühle, ihr Leben und ihren Blick auf die Welt singt.

"Wie wir sind" ist eine Platte, die mit dem folklorisierten Pop-Rock der frühen Tage nichts mehr zu tun hat. Statt akustischer Gitarren gibt es hier elektronische Clubbeats, spitze E-Gitarrenriffs, U2-Bässe wie in "Woran glauben wir" und Melodien, in die sich sogar Helene-Fischer-Fans verlieben werden. "Alles ändert sich, alles ändert mich", singt Jana Groß, die nicht mehr an Dolores O'Riordan von den Cranberries erinnert, sondern eher an Stefanie Kloß von Silbermond oder Anna Loos von Silly. Erwachsen klingt sie, eine Frau, die viel erlebt hat und nun Zeit zum Zurückschauen findet. "Es gibt Menschen, die sind Lieder / und du bis ein Liebeslied / deine Worte sind Musik", reimt sie in "Liebeslied" und bei "Déjà-vu" klingt es fast, als sei das Rap, was sie da zu einem stampfenden Rhythmus vorträgt.

Die 49-Jährige, eine imponierende Sängerin sowieso, entpuppt sich hier als originelle Dichterin, die es schafft, klischeefrei über die ewigen Popmusik-Themen zu schreiben. "Wir waren ein Kartenhaus / das kriegt man wieder aufgebaut", heißt es in "Ich bin wie keine", einem Abschiedsschmerzstück, in dem die Betrogene sich "farblos" findet und den Verflossenen warnt, es sich noch einmal zu überlegen: "Sieh mich an / dann wirst du sehen, was ich meine / ich bin wie keine".

Zwei Jahre haben Groß, Röder und Birr an den dreizehn Songs geschraubt, die nun eine Art Neuerfindung ihrer Band nach fast einem Vierteljahrhundert sind. Damals, als alles losging, sei die Entscheidung für englische Texte eine ganz selbstverständliche gewesen, hat Jana Groß erklärt. Musik wie die von Bell, Book & Candle schien ihren Machern selbst unmöglich mit deutschsprachigen Texten.

Als sich dann Jahre später Gruppen wie Juli, Silbermond und Wir sind Helden auf Deutsch vorwagten, schien es dem Berliner Trio nicht angeraten, auf den Zug aufzuspringen. "Aber jetzt war es einfach an der Zeit zu gucken, ob uns was einfällt." Eine richtige Entscheidung, das glaubt Jana Groß jetzt schon. Nie zuvor seien so viele Menschen auf sie zugekommen und hätten sie auf ihre Texte angesprochen. "Die Leute sagen, ich hab das genau so erlebt, wie du das gerade gesungen hast", erzählt die BBC-Sängerin über ihre ersten Erfahrungen mit einem Publikum, das sie versteht. "Da haben wir danach schon gedacht, was wir haben die ganzen Jahre verpasst?

Es war Produzent Ingo Politz, der die drei, die ihre Band einst nach einem Hitchcock-Film benannten, sanft auf die neue Sprachspur schob. Dort sucht Jana Groß nun erfolgreich nach einer gereiften Version der Leichtigkeit des Anfangs, nach Texten ohne Tabus, und Liedern, die vom Leben erzählen, wie es ist: Mit Liebe, Lachen, Tod und Leiden, Kindern und Kerlen und der Hoffnung, dass es Grund zur Hoffnung gibt.

Samstag, 10. März 2018

Medien: Die Angst vor der 5. Gewalt



Das Journalisten-Ehepaar Petra Gerster und Christian Nürnberger hat ein Buch zur Verteidigung der vielkritisierten "Lügenpresse" geschrieben. Aber der Plan der beiden Insider geht nicht richtig auf.


Man tut eigentlich nur, was man immer getan hat. Und auf einmal ist alles anders. Petra Gerster ist irgendwann eine Wandlung aufgefallen, die sie nicht verstanden hat. Die Chefmoderatorin der "heute"-Nachrichten im ZDF empfing Signale eines Vertrauensverlustes, die Leute vor dem Schirm schimpften häufiger, "Lügenpresse" hieß es plötzlich auch in Richtung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders, bei dessen Frauenmagazin "Mona Lisa" Gerster einst ihre Karriere begonnen hatte.

Damals in den 90ern, so erinnert sie sich, sei ein Grundvertrauen dagewesen zwischen Zuschauern und Journalisten, zwischen Sender und Empfänger. Die Bürger könnten sich nicht zu jeder Detailfrage eine eigene Meinung und ein sicheres Urteil bilden, meint Gerster, sie müssten denen vertrauen, die Experten auf ihrem Gebiet seien. "Erodiert dieses Vertrauen, erodiert die Demokratie", glaubt Petra Gerster, die zusammen mit ihrem Ehemann, dem Journalisten Christian Nürnberger, ein Buch geschrieben hat, das nach den Ursachen des Vertrauensverlustes sucht und vor seinen Folgen warnt.

Es ist ein Buch aus der Innenperspektive, das sich bemüht, denen draußen zu erklären, wie das Nachrichtengeschäft läuft. Dass das überhaupt nötig ist, analysieren Gerster und Nürnberger, liege überhaupt nur an jener fünften Gewalt, die sich den drei verfassungsmäßigen Legislative, Judikative und Exekutive und jener aus sich selbst heraus wirksamen 4. Gewalt der Medien ungebeten angeschlossen habe. Soziale Netzwerke, "ohne deren Existenz der Vertrauensverlust marginal geblieben wäre", wie die Autoren vermuten.

Das ist auch schon das ganze Problem. Nicht eine Berichterstattung, die zumindest von Teilen der Zuschauer als bevormundend oder manipulativ empfunden wird, sehen Petra Gerster und Christian Nürnberger als Ursache des angespannten Verhältnisses zwischen den etablierten Medien und ihrem Publikum. Sondern die sozialen Netzwerke: Anfangs nur vereinzelt vorgetragene Kritik von Laien an den journalistischen Profis habe durch Facebook, Twitter und Co. zu einer "nie dagewesenen Gegenöffentlichkeit" geführt. Die nicht ernst genommen, sondern von den Kritisierten als unsinnig weggewischt worden sei. "Woraus die Kritiker ableiteten, dass sie recht hatten."

Es ist nun, wo das Kind im Brunnen liegt, ein ehrenwertes, aber mühseliges Unterfangen, die "Verunsicherten, die Fragen und Zweifel haben, aber noch empfänglich sind für Argumente", davon zu überzeugen, dass dem nicht so ist. Zumal, wenn sich beide Autoren entschließen, ihre Argumentation mit den üblichen Beweisen zu begründen. So sind Facebook und Twitter natürlich auch hier wieder "Medien, die tagtäglich eine Überdosis Gift aus Lügen, Gerüchten, Verschwörungstheorien, Aberglauben und Fake News verspritzen". Eine Behauptung, die die täglich allein bei Facebook eingestellten zwei Milliarden neuen Kommentare, die überwiegend weder Gift noch Lüge noch Aberglauben enthalten, einfach für unwichtig erklärt, um in der "Überdosis Gift" einen bequemen Schuldigen an der wachsenden Kritik an der eigenen Arbeit zu finden.

Das "Misstrauensvotum", von dem Gerster und Nürnberger selbst schreiben, es ist bei den beiden Autoren nicht angekommen. Wenn es dann darum geht, zu erklären, dass etwa ARD und ZDF keine "Staatssender" sind, dann arbeitet sich das Autorenduo ausschließlich am ZDF ab. Das Verfassungsgericht hatte dessen Verwaltungsrat 2014 als "zu staatsnah" bezeichnet und gefordert, dass der Anteil von Politikern von 40 Prozent auf ein Drittel reduziert werden müsse. Das sei auch geschehen, führen Gerster und Nürnberger an - seit Juli 2017 seien unter den zwölf Mitgliedern nur noch vier Vertreter von Bundesländern.

So wahr das ist, so richtig ist auch, dass es nebenan bei der ARD ganz anders aussieht. Im MDR-Verwaltungsrat haben zum Beispiel bis heute fünf von sieben Mitgliedern ein Parteiticket. Nur zwei der Frauen und Männer, die den Auftrag haben, die Geschäftsführung der MDR-Intendantin zu überwachen, sind im bürgerlichen Beruf als Professoren an einer Universität unabhängig. Alle anderen sitzen in einem Landtag, waren früher einmal Bürgermeister, Abgeordneter oder im Vorstand ihrer Partei.

Ein Umstand, der Gerster und Nürnberger ebenso entgangen zu sein scheint wie der, dass die unabhängige "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten", die derzeit jährlich rund acht Milliarden Euro an die öffentlich-rechtlichen Anstalten verteilt, alles andere als eine "unabhängige" Institution ist. Die Mitglieder des Gremiums werden nicht öffentlich nominiert oder gewählt. Sondern, so heißt es im Gesetz, von den "Ländern entsandt" - also von den Ministerpräsidenten ausgewählt.

Handverlesen, was am Ende herauskommt. Vom früheren persönlichen Minister-Referenten über einen ehemaligen Fraktionsassistenten im Landtag, dem Ex-Chef einer Senatskanzlei und früheren Staatssekretär bis hin zum einstigen Abteilungsleiter in einem Ministerium und dem früheren Volontär eines der Sender, denen die KEF Geld zuteilt, ist alles vertreten, was nicht direkt ein Parteiamt hat. Aber so nahe dran ist, dass das "unabhängig" im Namen nach Etikettenschwindel riecht.

Nichts, was von Gerster und Nürnberger zu erfahren wäre. Erzählen die beiden alten Nachrichtenkämpen von Machtkonzentrationen im Medienbereich, dann am liebsten über die im Ausland: Die altbekannten Rubert Murdoch und Silvio Berlusconi tauchen da auf, neun Seiten lang. Die deutschen Pressezaren dagegen sind auf drei Seiten abgehandelt. Schließlich seien Hubert Burda und Frank Otto zwar "auch schwer reiche Medienunternehmer", aber beide verstünden sich "eher als Kaufleute denn als politisch agierende Verleger". Das Medienimperium der SPD, die über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH Miteigentümerin von 40 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwa 2,2 Millionen verkauften Exemplaren ist, kommt gar nicht vor.

Es ist natürlich schwer, einem Buch zu trauen, das seine Wahrheiten so offenkundig selektiv auswählt. Wenn Gerster und Nürnberger in der Folge von den Umständen berichten, unter denen Nachrichten entstehen, verarbeitet, verbreitet und am Ende gesendet werden, dann tun sie das faktenreich und anhand von vielen Beispielen auch sehr anschaulich.

Doch auch hier streift das schreibende Paar die wichtigsten Punkte nur wie versehentlich: Eine Klage von Reporter ohne Grenzen gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) wegen dessen Bespitzelung von Journalisten wird erwähnt. Das Urteil Bundesverwaltungsgerichtes, das es dem BND seit Dezember 2017 verbietet, Verbindungsdaten aus Telefongesprächen von Reporter ohne Grenzen zu speichern, nicht.

Noch lässiger fliegen Gerster und Nürnberger über das "im Oktober verabschiedete Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung" (VDS) - gemeint ist wohl der Oktober 2015, vergessen wurde, dass die VDS trotz des Parlamentsbeschlusses zur Wiedereinführung bis heute ruht, weil Gerichte und europäische Institutionen ernsthafte Bedenken wegen ihrer Verfassungsmäßigkeit und ihrer Übereinstimmung mit Europarecht hegen.

Wer solche Fehler macht, muss eigentlich über Fake News schweigen.

Donnerstag, 1. Februar 2018

Donots: Im Gegenwind surfen


Kurz vor dem ersten Vierteljahrhundert der Bandgeschichte setzen die Donots aus dem Münsterland mit dem zweiten deutschsprachigen Album Maßstäbe.


Als der weltenbummelnde Punk Frank Turner ihnen damals vor fünf Jahren beim Album "Wake the Dog" bei einem Song half, war das ein Ritterschlag. Als Rise Against-Gitarrist Tim McIlrath wenig später bei "Das Neue bleibt beim Alten" in die Saiten griff, war klar, dass Anerkennung für schnelle, scharfe Punkmusik nicht von der Sprache abhängt, in der gesungen wird. Mit "Karacho" wechselten die Donots vor drei Jahren dann wirklich und vollständig vom Englischen ins Deutsche.

Aus der Band, die zwei Jahrzehnte lang Punk im Stil von The Clash, Sham 69 und The Jam gemacht hatte, wurde ein Quintett, das auf Augenhöhe mit den Toten Hosen, Sportfreunden Stiller und Tocotronic spielte. Nur dass Sänger Ingo Knollmann, sein Bruder Guido an der Gitarre, der zweite Gitarrist Alex Siedenbiedel, Bassist Jan-Dirk Poggemann und Trommler Eike Herwig ein ganz klein wenig energischer zur Sache gehen. "Lauter als Bomben", das neue Werk der Punkband aus Ibbenbüren, ist ein lautes, rebellisches Album aus donnernden Drums, rotzigen Gitarren und leidenschaftlichem Gesang, das an Vorbilder wie The Offspring, Green Day oder die Dropkick Murphys erinnert.

Auch im politischen Anspruch, der die Münsterländer nicht nur mit Green Day, sondern auch mit den Mecklenburger Kollegen von Feine Sahne Fischfilet und Jennifer Rostock verbindet. Hemdsärmlig rocken die fünf Musiker hier "Geschichten vom Boden" und sie drohen "Keiner kommt hier lebend raus", ehe "Alle Zeit der Welt" und "Das Dorf war LA" ein wenig Tempo herausnehmen. Das Fundament der Musik ist immer klassischer Punk, etwa Marke Social Distortion oder The Alarm. Doch wie viele Bands haben auch die Münsterländer zugleich Heavy Metal und Folk als Einfluss entdeckt. Guido Knollmann spielt hier schon auch mal den Ansatz eines Gitarrensolos und die Rhythmusgruppe wechselt das Tempo vom T.Rex-Shuffle zum schwermetallischen Rumba in "Rauschen".

Bruder Ingo erzählt seine Kleinstadtgeschichten mit großer Inbrunst. "Von genug nie genug, von zu wenig viel zu viel, werden wir jemals reichen?" antwortet er in "Aschesammeln" auf Konstantin Weckers Klassiker "Genug ist nicht genug". "Eine letzte Runde" nimmt dann einen Reggae-Rhythmus, um vom Ende einer langen Kneipennacht zu berichten: "Wenn wir jetzt gehen, dann gemeinsam, und wenn es sein muss vor die Hunde, noch eine letzte letzte Runde."

Ein Stimmungslied mit Hoho-Chor, das den schweren Ton der meisten übrigen Songs ein wenig aufbricht. Davon abgesehen aber geht es hier hauptsächlich darum, im "Gegenwind surfen" zu lernen. Widerstand leisten gegen die Verwertungslogik der Wirtschaft, gegen die Verführbarkeit für populistische Losungen, gegen die Versuchung, alles immer und sofort zu brauchen.

"Man hat die Verantwortung, bei rechter Hetze dagegenzuhalten", hat Ingo Knollmann erklärt, als ihn das Jugendmagazin "Neon" zur Motivation seiner Band befragt hat, sich immer wieder und unumwunden in den Kampf gegen neue Nazis und altes faschistisches Gedankengut zu stürzen. Es gehe darum, Jugendliche nicht mit den falschen Gedanken allein zu lassen, sondern ihnen Orientierung zu geben, so gut man könne. "Wenn man als Band die Kids da draußen wirklich unmittelbar mit Herz und Kopf erreichen kann, dann sollte man das auf jeden Fall tun", glaubt Knollmann.

"Lauter als Bomben" ist denn auch ein politisches Album geworden, ohne in plumpe Propaganda abzustürzen. Die Botschaft der Donots ist dennoch jederzeit klar, aber sie wird nicht mit ermüdender Penetranz gesungen wie bei manchen gutwilligen Kollegen. Im Visier haben Lieder wie "Der Trick mit dem Fliegen" oder "Apollo Creed" zuallererst den Bewegungsapparat, die Refrains schreien nach Hallen, die jedes Wort mitsingen. Aber die werden die fünf Musiker auf der anstehenden Tour zur Genüge zu hören bekommen.

Freitag, 12. Januar 2018

Saudi-Arabien: Ein Bayer im Reich der Ölprinzen

Toni Riethmaier lebte zehn Jahre lang im unzugänglichsten Land der Welt - er lernte eine Gesellschaft kennen, in der die Lüge zum Alltag gehört und Gesetze nur soweit respektiert werden, dass niemand ihre Verletzung bemerkt.



Das Himalaya-Königreich Mustang gilt als schwer erreichbar, Nordkorea sogar als unzugänglich. Doch den Titel als das Land der Welt, in das Touristen überhaupt nicht vordringen können, trägt ein anderer Staat. Saudi-Arabien, das 1932 gegründete Öl-Königreich, das sich im Grunde im Privatbesitz der Familie Saud befindet, kennt keinen Tourismus, keine Touristenvisa und keine Durchreisegenehmigung für westliche Ausländer. Es ist abgekapselter als die frühere Sowjetunion, abgeschiedener als Bhutan und schwerer zu erreichen als die Sperrzone um den havarierten ukrainischen Atomreaktor von Tschernobyl.

Toni Riethmaier hat es dennoch geschafft. Der gebürtige Nürnberger wurde eines Tages gefragt, ob er nicht Lust habe, in der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda ein italienisches Restaurant aufzubauen. Riethmaier, ein abenteuerlustiger Gastronom, dachte nach. Und sagte schließlich zu, diese einzige Möglichkeit zu nutzen, das verschlossene Königreich kennenzulernen: Als ausländischer Arbeitnehmer, ein sogenannter Expat, der von einem saudischen Sponsor ins Land geholt, betreut und ein bisschen auch überwacht wird.

Es wird ein Trip in eine andere Welt, eine Reise, die am Ende zehn Jahre dauert und den heute 34-Jährigen zum intimen Kenner einer Gesellschaft macht, die von außen betrachtet fremd und rätselhaft, intolerant und stockkonservativ wirkt. Riethmaier, der zuvor schon in Singapur, Dubai, auf den Malediven und in China gelebt und gearbeitet hatte, erfährt das Land der Scheichs allerdings ganz anders: Saudi-Arabien, lernt er, spielt nach anderen, oft schwer verständlichen Regeln. Doch hinter der streng muslimischen Fassade und unter den Verschleierungen, die dank der wahhabistischen Staatsreligion ganz besonders kleine Sichtfenster haben, finden wilde Partys statt, wird auch Alkohol getrunken und selbst des strenge Sex-Verbot für Unverheiratete wird von jüngeren Saudis allenfalls symbolisch ernstgenommen.

Die wildesten Feten seines Lebens habe er in Saudi-Arabien erlebt, schreibt Riethmaier in seinem Buch "Inside <>", das einen pragmatischen Blick in eine fremde Kultur wirft, die zwischen Tradition und Zukunftssehnsucht schwankt. Die Macht der Sauds, ausgeübt von einem Königshaus, das seine Basis in rund 7 000 Prinzen hat, ruht auf der strengen Koranauslegung, die westliche Einflüsse strikt draußen hält. Doch im Land, das aus westlicher Sicht ununterbrochen Menschenrechte verletzt, hinrichtet, steinigt und auspeitscht, gärt es. Junge Leute wollen mehr Freiheit, Frauen wollen Autofahren, die Bevölkerung möchte ein Wort mitreden über die grundlegende Politik des Landes.

Ein wenig werden die Zügel gelockert, zumal manche Regel nach Riethmaiers Beobachtungen ohnehin nur formal eingehalten wird. Frauen dürfen nicht etwa nicht Autofahren, weil sie das nicht können, sondern weil sie eine Panne haben könnten. Dann ständen sie allein auf der Straße und ein fremder Mann könnte sich ihnen nähern - eine Katastrophe. Allerdings wohl vermeidbar, denn von fremden Autofahrern mitgenommen zuwerden - selbst von Taxen - ist im Grunde auch verboten, das Verbot aber wird umgangen, indem Fahrer und Mitfahrerin stillschweigend davon ausgehen, dass man sich kennt, weil man ja schließlich in einem Auto fährt.


Freitag, 15. Dezember 2017

Rag'n'Bone Man: Bis auf die Knochen


Ohne Stromlinienform und Reißtisch-Repertoire hat Rory Graham alias Rag'n'Bone Man Karriere gemacht. Jetzt gibt es sein Erfolgsalbum "Human" neu.


Rory Graham hat immer an seine Chance geglaubt, auch als es ganz schlecht aussah. Damals arbeitete der Mann, der unter dem Namen Rag'n'Bone Man auf dem Weg ist, ein Weltstar zu werden, als Heilerzieher für autistische Kinder. Bis auf eine selbstproduzierte CD mit ein paar bluesigen Stücken, einen Auftritt im Vorprogramm der Legende Joan Armatrading und einen erfolglos abgewickelten Plattenvertrag hatte Rory Graham mit Ende 20 künstlerisch noch nicht viel vorzuweisen.

Dann allerdings wendete sich das Blatt, obwohl Graham London schon wieder verlassen hatte, um daheim in East Sussex im Südosten Englands weiter an seiner hoffnungslosen Karriere zu basteln. Die sieht im Nachhinein aus wie gemalt: Bei der BBC entdeckte jemand den groß gewachsenen, voluminösen Kerl mit dem langen Bart, der so gar nicht dem Klischeebild eines Popstars der 2000er Jahre entspricht. Es folgen ein Auftritt beim Glastonbury-Festival und ein Angebot der Plattenfirma Columbia.

Die zieht mit Rag'n'Bone Man das große Los: Als im vergangenen Jahr die erste Single "Human" veröffentlicht wird, verwandelt sich der ungelenk wirkende Riese mit der dunklen Stimme in eines jener unergründlichen Phänomene, die das Internetzeitalter immer wieder neu gebiert. Mehr als 400 Millionen Mal ist das vielgesichtige Video zu Grahams simpel gestricktem Lied aus Weltschmerz und Verzweiflung bis heute angeschaut worden.

Zeitweise musste der Song im Fernsehen als Soundtrack zu allem herhalten, weil er zu allem passte. "Ich bin nur ein Mensch, ich hab' keine Lösungen, ich bin kein Prophet und kein Messias", singt Rory Graham, gewandet wie ein Priester, tätowiert wie ein Hooligan, mit einem Bart wie ein Hipster. Gegen Ende hin jauchzen Geigen, Chöre werden angestimmt und eine Keyboardwand fährt ein. Über allem thront diese Stimme, die Menschen erreichen kann, weil sie gerade nicht sauber singt, sondern sich in der fehlenden Perfektion als echt mitteilt. "Wenn dir nicht passt, wie ich aussehe, ist das dein Problem", hat Graham dazu einmal gesagt.

Der Mann trägt kein Kostüm. So ist er, der sein Erfolgsalbum "Human" nun nach anderthalb Jahren noch einmal weihnachtsgeschäftstauglich als "Luxus"-Edition aufpoliert und neu veröffentlicht hat. Zu den originalen zwölf Stücken sind fünf weitere Studioaufnahmen gekommen, die zum Teil von der noch weit vor dem großen Erfolg veröffentlichten "Wolves"-EP stammen, als Graham auch schon singen konnte, ihm nur niemand zuhören wollte. Obendrauf gibt es dann noch drei akustisch eingespielte Tracks und eine beigelegte DVD mit der Aufzeichnung eines Konzertes beim SWR3-New-Pop-Festival, die ergänzt wird von den drei millionenfach geschauten ikonischen Videos zu den Singles "Human", "Skin" und "As you are".

Ausverkauf oder Service für die Fans, die all das noch nicht haben? Der Zwiespalt zwischen der Künstlerfigur, die es nicht wegen der Industrie, sondern ihr zum Trotz geschafft hat, und dem Musiker, der seine Umsätze bringen muss, wird deutlich. In "Bitter End" singt Graham mit seiner Handwerkerstimme so herzerweichend vom Ende einer Beziehung, dass jeder Verdacht entfällt, dieser Mann könne seine eigenen Ideale verraten. Doch gibt es da auch die Zeile "je höher wir steigen, desto tiefer werden wir fallen" - im Fall von Rag'n'Bone Man würde das bedeuten, dort zu landen, wo alle die Biebers, Pinks und Styles schon sind: im Land des schönen Scheins und der von Soundprofis am Reißbrett entworfenen Lieder.

Aber auch auf Hochglanz poliert ist hier alles authentisch, Funk und Soul, wie es Graham auf seine Finger tätowiert hat, sparsame Instrumentierung, gleich weit weg vom zeitgeistigen Elektronikgeblubbel und vom Retro-Sound einer Amy Winehouse.

Rory Graham findet seine Vorbilder bei Klassikern wie Tom Waits und Leonhard Cohen, er findet Gleichgesinnte im Amerikaner Jakob A. Smith, der sich The White Buffalo nennt, und die dunkle, melancholische Klangorientierung bei Ohio-Band The National. Wie die Kollegen, verzichtet auch Grahams Luxuspaket seines Erfolgsalbums auf jeden Versuch, den Rag'n'Bone Man breiter im Markt zu platzieren. Stattdessen gibt es mehr Tiefe mit mehr Liedern.

Ein Weihnachtsalbum der anderen Art.


Montag, 23. Oktober 2017

Billy Corgan: Was vom Ruhme übrig blieb


Billy Corgan von den Smashing Pumpkins lässt ab vom Pomp und singt akustisch.


Rick Rubin hat die Zauberformel. Schon Giganten wie Johnny Cash und Neil Diamond verdankten dem zauselbärtigen Produzenten ein zweites Leben in der Hitparade. Rubins Methode ist einfach: Er setzt die Künstler mit seiner Gitarre vor ein Mikrofon. Und lässt sie machen, was sie am besten können.

William Patrick "Billy" Corgan, in seinem früheren Leben als Chef und Sänger der Grunge-Ikonen The Smashing Pumpkins bekannt, dachte immer, es sei sein Talent, Rockmusik von voluminöser Größe zu schaffen. Die Alben "Siamese Dream" und "Mellon Collie and the Infinite Sadness" entstanden vor mehr als 20 Jahren, definierten die damals gerade weltweit erfolgreiche Grunge-Musik anders als das Kurt Cobain mit Nirvana tat.

Statt atemlosem Drauflosgebolze bevorzugte Corgan, Sohn eines Gitarristen aus Chicago, opulente Klänge, vielschichtige Arrangements und ausufernd lange Lieder. Spätestens nach dem "Mellon Collie"-Album hatte er das Sgt. Pepper-Zeitalter des Grunge eingeläutet. Er sang nun gern von Gott, zerstritt sich mit Kollegen und Plattenfirmen und löste die Pumpkins schließlich sogar auf, um unter dem Bandnamen Zwan noch einmal neu aufzufangen.

Was damals und auch mit dem ersten Solo-Album im Jahr 2005 nicht gelang, weil die neue Band allein schon durch Corgans patentierten Sound zu sehr nach Smashing Pumpkins klang, könnte jetzt mit dem "Ogilala" genannten Soloalbum des 50-Jährigen klappen. Das hat Corgan unter dem Künstlernamen WPC - für William Patrick Corgan - veröffentlicht, als wolle er nicht wiedererkannt werden.

Das aber fällt nicht schwer. Zwar sind die elf Stücke hier nicht mehr vom pompösen Rock der Vergangenheit geprägt, sondern nähern sich der stillen Phase an, die die Pumpkins rund um das 1998 erschienene Album "Adore" hatten.

Doch so sanft Corgan klingt, begleitet fast ausschließlich von akustischer Gitarre und Klavier, so nachdrücklich schiebt sich ins Bewusstsein zurück, welch unglaubliche Ausstrahlung der glatzköpfige Riese haben kann. Gerade, wenn er wie hier auf große Effekte verzichtet.

Samstag, 14. Oktober 2017

Ex-Stasi-Vizechef Werner Großmann: Keinen Millimeter zurückweichen


Ex-Stasi-Vizechef Werner Großmann beharrt auf seiner Sicht der Dinge. Denn am Ende geht es darum, Geschichte zu schreiben.


Geschehen ist sie schon längst, unverrückbar stehen die Ereignisse in der Historie. Aber wie sie zu deuten sind, das wird gerade festgelegt, von heute aus für immer, das weiß auch Werner Großmann, bis 1989 der Vize-Chef des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Und aus genau dem Grund lässt der 88-Jährige auch nicht nach: Mit "Der Überzeugungstäter" (edition ost) hat der einstige Generaloberst gerade noch einmal ein Buch vorgelegt, in dem er seine Sicht auf die Staatssicherheit vor dem Hintergrund seiner Biografie schildert.

Nicht der erste Versuch des aus der Nähe von Pirna stammenden Sohnes eines Zimmermanns, aber vielleicht der letzte. Großmann gehört wie sein Vorgänger als Chef der Auslandsspionage Markus Wolf, wie Günter Schabowski und der letzte NVA-Vize Fritz Streletz zur Zwischengeneration der DDR-Führungsriege. Im Dritten Reich zur Schule gegangen, landet Großmann noch beim Volkssturm, von dem er umgehend abhaut, als sich die Gelegenheit ergibt. Großmanns sind eine Handwerkerfamilie, aber als der Vater aus der Gefangenschaft zurückkehrt, schließt er sich der KPD an. Am selben Tag tritt auch Sohn Werner bei, er ist gerade 17, aber auf der Suche nach einem Neuanfang für Deutschland und für sich selbst. Über die SED-Jugendorganisation FDJ landet er in einer Funktionärslaufbahn, die Führung entdeckt ihn als vielversprechenden „Kader“ und wählt ihn schließlich aus, die im Aufbau befindlichen „bewaffneten Organe“ zu verstärken.

Für Großmann, bis Oktober 1990 einer der ganz großen Unbekannten des ostdeutschen Geheimdienstes, ein Lebensweg, den er bis heute mit aller Überzeugung vertritt. Bei der FDJ verkehrten nicht nur Gleichaltrige, sondern auch Gleichgesinnte, begründet er seine Begeisterung für den Aufbruch in eine neue Zeit. Bauingenieur oder Lehrer habe er werden wollen, doch als dann jemand aus der Zentrale in Berlin auftaucht und ihn für eine nicht näher bezeichnete Schule werben will, lockt die Hauptstadt.

Großmann sagt Ja und ist auf einmal Mitarbeiter des „Außenpolitischen Nachrichtendienstes“ wie die spätere Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) anfangs noch heißt. Aus der Sicht des Mannes, der der letzte Chef des vor allem in den 70er und 80er Jahren weltweit gefürchteten Spionagedienstes von Markus Wolf sein wird, ist das ein Job wie viele andere auch. Großmann, alten Fotos zufolge schon in seinen jungen Jahren ein fleischiger, robust wirkender Typ, hat nie etwas mitbekommen von illegalen Methoden, von der Erpressung von Zuträgern, von Machtkämpfen im Parteiapparat oder Mordplänen, die gegen Abtrünnige wie den MfS-Oberleutnant Werner Stiller oder den Fußballer Lutz Eigendorf geschmiedet worden sein sollen. „Gerüchte, mehr nicht“, sagt er. Es habe weder ein Mordkommando aus Offizieren gegeben, noch Pläne, den „Verräter“ Stiller mit Gewalt zurück in die DDR zu holen.

Überhaupt stellt Werner Großmann das MfS als ziemlich normale Behörde dar, etwas neurotisch, weil unentwegt in Angst, unterwandert zu werden. Aber selbst die Auslandsabenteuer seiner HVA erklärt der gebürtige Sachse mit der großen Systemauseinandersetzung. Die andere Seite sei nie besser gewesen, man selbst aber immer in besserer Absicht. Warum sich also Asche aufs Haupt streuen? Es geht schließlich darum Geschichte zu schreiben.

Sonntag, 1. Oktober 2017

Freddie Mercury: Wiedergeboren in Vincenza



Als Freddie Mercury im Jahr 1991 in London starb, zumindest für seine Fans plötzlich und unerwartet, wurde im italienischen Vincenza Giuseppe Malinconico geboren. Ein Zufall nur, natürlich. Aber wenn Malinconico heute mit seiner Band Break Free auf der Bühne steht, dann ist der Italiener mehr als einer der unzähligen anderen Sänger, die sich mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg mühen, so auszusehen und zu klingen wie Farrokh Bulsara alias Freddie Mercury, zu Lebzeiten einer der besten wenn nicht, alles in allem der beste Sänger aller Rockbands.

Giuseppe Malinconico ist Freddie Mercury. Er geht so. Er steht so. Er trägt die gelbe Uniformjacke. Den Schnauzer. Das Unterhemd. Und er singt so. Zusammen mit Drummer Kim Marino, Bassist Sebastiano Zanotta und Gitarrist Paul Brigante übertrifft die Queen-Show der vier Italiener sogar das, was Brian May und Roger Taylor gerade als großen Queen-Film "Bohemian Rhapsody" mit Rami Malek in der Titelrolle inszenieren.

Bis ins Detail stimmt, was und wie Malinconico singt und spielt. Der 26-Jährige, ein kleiner Mann, der im Gespräch sehr bescheiden wirkt, macht aus den unsterblichen Queen-Hymnen kein Karaoke-Festival mit Blitz und Donner wie andere Queen-Cover-Formationen. Er klingt bis in die Stimmfärbung und ins Timbre wie das große Vorbild, dessen Lieder er schon mit fünf Jahren nachsang - zu einer Zeit also, als Queen für Hitparaden und Hipster kein Thema war.

Inzwischen ist das wieder anders. „Ich will kein Rockstar sein“, hat Mercury einmal gesagt, „ich will eine Legende werden!“ Bands wie Break Free zeigen, dass er es geschafft hat. Die von der ernsthaften Rock-Kritik selbst in den Tagen ihrer größten Erfolge nie anerkannte Band mit ihrem hedonistischen Sänger ist aufgerückt in die Ahnengalerie der Gegenkultur. Beatles, Stones, Led Zeppelin, Queen. Mercury, der von sich sagte „Exzess ist Teil meiner Natur. Langeweile ist eine Krankheit“, wäre stolz auf sich.

Und auf Giuseppe Malinconico, der mit Break Free nicht nur nachmacht, was Queen vorgegeben haben, sondern mit einem sinfonischen Queen-Programm sogar dorthin gehen, wo die echten Queen nie gewesen sind.

Mittwoch, 6. September 2017

American War: Erst wird es immer schlimmer

Gedenken an den ersten Bürgerkrieg: Auf dem Schlachtfeld von Gettysburg finden die Familien von Tausenden gefallenen Soldaten des Nordens und des Südens bis heute einen Ort, an dem sie ihrer Toten gedenken können.

Der in Ägypten geborene Omar El Akkad hat die aktuellen Weltkonflikte in die USA verlegt und mit „American War“ ein packendes Buch über den Untergang geschrieben.


Das kleine Mädchen lebt am Rande dessen, was vom Amerika unserer Tage übriggeblieben ist. Der Süden Louisianas ist klein geworden. Die wegen der Klimakatastrophe steigenden Ozeane haben Land weggeknabbert, der Einmarsch der Mexikaner hat die einstige USA Fläche gekostet. Und dann ist da natürlich der wie unter Quarantäne dahinsiechende Bruderkrieg mit dem Norden, ausgebrochen, als die Bundesregierung ein allgemeines Verbot von Verbrennungsmotoren verfügt hatte, gegen das die Südstaaten aufstanden wie damals, als Washington ihnen die Sklaverei untersagte.

Wir schreiben das Jahr 2074 und wie folgerichtig bricht in Omar El Akkads gefeiertem Bestseller „American War“ ein zweiter amerikanischer Bürgerkrieg aus. Noch ungleicher sind die Kräfte verteilt als beim ersten Mal zwischen 1861 und 1865, und nach ein paar Monaten schon stehen nur noch Mississippi, Alabama und Georgia zur Fahne der Roten. Sie beharren auf ihrem Selbstbestimmungsrecht, und koste es die ganze Welt das Leben.

Sarat Chestnut weiß von all dem wenig, denn sie ist mitten in den Konflikt hineingeboren worden, Die USA sind nicht mehr Führungsnation der freien Welt, sondern ein Ort aus Trümmern. Fern im Norden könnten noch Reste von Zivilisation sein. Doch hier unten im Süden gibt es nur Flüchtlingslager, halbwüchsige Selbstmordattentäter und die Angst vor Strafaktionen der verhassten Blauen, die die rebellische Bevölkerung von South Carolina bereits komplett ausgerottet haben.

Akkad, in Ägypten geboren und als kleiner Junge mit seinen Eltern nach Kanada geflüchtet, hat keinen „Roman für alle, die die Trump-Ära umtreibt“, geschrieben, wie die „Washington Post“ behauptet hat. Sein Buch geht tiefer und viel weiter, denn es funktioniert wie ein Gedankenspiel vor dem Spiegel. In der Welt, die er entwirft, ist alles seitenverkehrt, die Moral steht Kopf und aus dem kleinen Mädchen Sarat, das im Zusammenbruch aller Werte nach und nach fast ihre gesamte Familie verliert, wird über ein Jahrzehnt eine gefährliche Terroristin.

Es ist ein Zaunpfahl, mit dem der als Auslandskorrespondent im Jemen und in Pakistan erfahrene Omar El Akkad winkt. Unverkennbar sind die Parallelen seiner Geschichte zu den großen Weltkonflikten, die seit 2001 immer deutlicher fühlbar auch für die westlichen Demokratien toben. Camp Patience („Geduld“), wie Akkad das Flüchtlingslager nennt, in dem Sarat ihre Kindheit verbringt, gleicht den Lagern im Libanon und Jordanien.

Das von offiziellen Stellen des Nordens geduldete Massaker des selbsternannten 21. Indiana-Regiments an den Lagerinsassen ähnelt der Abschlachtung palästinensischer Zivilisten in den Lagern Sabra und Schatila Anfang der 80er Jahre.

Es hat dieselben Folgen. Unter der fürsorglichen Anleitung des ebenso weltgewandten wie undurchsichtigen Terroranwerbers Albert Gaines wird aus dem kleinen, verzweifelten Mädchen eine mit schierem Hass geladene Waffe. Der sich Joe, ein Außenagent des nahöstlichen Bouazzi-Reiches, das in Umkehr aller heutigen Umstände als Hort der Demokratie gilt, nur noch bedienen muss.

Eine frustrierende Welt ohne Lichtblicke, in der jeder Sieg über kurze Umwege in eine weitere Eskalation führt. Sarat tötet einen General des Nordens, der Norden verschärft die Strafmaßnahmen gegen den Süden. Die Terroristin landet in einem außergesetzlichen Gefängnis, das wie ein künftiger Bruder des vor 15 Jahren von den US-Streitkräften auf Kuba gegründeten Gefangenenlagers Guantanamo anmutet.

Isolation, psychischer Druck und körperliche Folter durch Waterboarding brechen sie schließlich, während draußen die Triebe eines möglichen Friedens sprießen: Auch der Süden, der nicht für Freiheit, Gleichheit oder Demokratie, sondern nur noch für sein Recht kämpft, nach eigenen Maßstäben starrsinnig sein zu dürfen, ist des ewigen Sterbens, des Mordens und Dahinvegetierens müde. Omar El Akkad hätte hier den Bogen bekommen können. Weg von der düsteren Dystopie, wie sie Michel Houellebecq in „Unterwerfung“ bis zum Exzess gemalt hat. Hin zu einem freundlichen Ende in Versöhnung.

Doch das wäre unrealistisch gewesen. Das Blut steckt denen in den Knochen, die es vergossen haben. Der Verrat, die Enttäuschung, das Wissen darum, dass alles von Anfang an vergebens war. Die Massaker von Sabra und Schatila, ausgelöst durch die Ermordung des libanesischen Präsidenten wenige Tage zuvor, waren für den Milizführer Elie Hobeika damals die Gelegenheit, seine Jahre zuvor durch die PLO ermordete Familie zu rächen. Die komplette Niederlage des Südens ist für Sarat Chestnut der letzte Anstoß, ihren eigenen Krieg mit einer letzten Attacke doch noch zu gewinnen.

Ehe es besser werden kann, muss es immer erst schlimmer werden, viel schlimmer.

Omar El Akkad: American War.
S. Fischer, 448 Seiten, 24 Euro,

Freitag, 18. August 2017

Jason Isbell: Der Letzte seiner Art


Vor zehn Jahren stand Jason Isbell aus Alabama vor den Trümmern seiner Karriere mit der Band Drive-by Truckers. Heute ist er der König des Countryrock.

Den ersten Gipfel ersteigt Jason Isbell, da ist er noch keine 25. Auf alten Videos seiner Band Drive-by Truckers sieht man einen etwas aufgeschwemmten jungen Mann, der hemdsärmlig, aber zugleich mit einer betörend durchscheinenden Stimme über den alten Süden singt, der sich niemals ändern werde. Isbell, ein Arbeitersohn ohne Allüren, ist ein Star im handfesten Southern-Rock-Gewerbe, mit all den Nebengeräuschen: Whiskey. Kokain. Frauen.

Ein Männertraum, der im Chaos endet. Als sich die Band-Bassistin von ihm trennt, wird die Sauferei hart, wie er später erzählt. Manche vertragen es. Er nicht. Der begnadete Songschreiber landet im Gefängnis, die Band feuert ihn. Er macht ein Soloalbum, aber der Erfolg ist bescheiden. Erst als die Musikerin Amanda Shires in sein Leben tritt und sein Freund, der Sänger Ryan Adams, es schafft, von den Drogen wegzukommen, geht der 33-Jährige bepackt mit einer Gitarre in eine Entzugsklinik. "Das war meine Rettung", sagt er heute.

Und ein bisschen war es auch die Rettung der Countrymusik, dieses lange verlachten, zuletzt aber so gern ausgeschlachteten Multimilliardengeschäftes. Hier, wo in Deutschland kaum bekannte Künstler wie Tim McGraw, Luke Bryan und George Strait ein Millionenpublikum zählen, findet Jason Isbell ein künstlerisches Zuhause: Ein bisschen Neil Young klingt mit, ein wenig Bruce Springsteen, dazu die jüngeren Sons of Bill und Tom Petty.


Mit dem Album "Southeastern" verarbeitet er seinen Entzug, ein Seelenstriptease, der ebenso schmerzhaft wie heilsam wirkt. Der Nachfolger "Something More Than Free" etabliert Isbell, inzwischen mit Amanda Shires verheiratet und Vater einer Tochter, als die vielleicht wichtigste Stimme im alternativen Countryrock der Gegenwart. Der neue "König der Americana" steht plötzlich auf Platz 6 der offiziellen Albumcharts und sein Song "24 Frames" gewinnt gleich zwei Grammys.

Jason Isbell, längst ein ranker, schlanker Mittdreißiger mit Undercut und strenger Stirntolle, verzaubert das erwachsene Publikum der Country-Serie "Nashville" mit gesungenen Dramen zu herzerwärmenden Melodien. Und das schafft er auch auf "The Nashville Sound", seinem sechsten Solo-Album, das zugleich das dritte ist, das ohne Dope und Koks entstand. Zehn Songs, die Hälfte der Lieder rockig, die andere akustisch, viel Countryfeeling, etwas Folk und kräftige Dosen Southern Rock etwa in "Hope the high road" und "White Man's World" - Isbell zeigt in der klassischen Laufzeit von 40 Minuten alle seine überragenden Talente.

Unterstützt von seiner Band The 400 Unit, zu der nun auch Ehefrau Amanda Shires gehört, arbeitet der Mann aus Alabama sich nicht an den amerikanischen Mythen ab, sondern an einer Gegenwart aus brummender Wirtschaft und steigenden Vermögen, in der zugleich immer mehr Menschen abgehängt vom allgemeinen Wohlstand zurückbleiben.

Jason Isbell macht Hymnen daraus. "If we were vampires" ist ein Liebeslied in Gegenwart des Gedankens an den Tod. "Last of my kind" lässt einen Mann zu Wort kommen, ohne Studium, ohne Hoffnung, die Familienfarm ein Parkplatz. "Bin ich der Letzte meiner Art?", fragt er. In "Cumberland Gap" singt ein Junge aus den Appalachen darüber, wie es sich lebt, jetzt, wo niemand mehr die Kohle haben will, die Vater noch aus dem Boden geholte. "Saufen bis zum Umfallen."

Rollensongs, in denen der erklärte Trump-Gegner Isbell sich denen nähert, die anders denken als er. Country, verrufen als Klischee-Musik, gewinnt hier eine Tiefe und Klarheit, die derzeit in der gesamten Rockmusik einzigartig ist. Zum Schluss singen Isbell und Shires dann auch noch "Something to Love", ein Liebeslied an Lieder, an Musik und das eine Ding, was dir hilft, weiterzumachen, wenn alles dunkel wird.

Ein Duett, zum Weinen schön.

Donnerstag, 6. Juli 2017

Styx: Reise in die Ewigkeit


Im 45. Jahr nach ihrer Gründung kehrt die US-Band Styx mit dem Album „The Mission“ aus einer Jahrzehnte währenden Pause zurück.

Styx, das ist der Todesfluss, der an der Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich Hades fließt. Styx, das ist aber auch eine Rockband, die eben den Beweis antritt, dass ewiges Leben möglich ist: „The Mission“ ist nach 14 Jahren Pause das erste neue Album der Band, die Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahre weltweit riesige Erfolge feierte. Und es ist ein Album, an dem mit James Young nur noch eines der Gründungs- oder langjährigen Originalmitglieder mitgewirkt hat.

Natürlich, auch Tommy Shaw ist da, der Gitarrist, der in den erfolgreichsten Jahren zwischen 1975 und 1984 an heute längst klassischen Alben wie „The Grand Illusion“ und „Paradise Theater“ mitgewirkt hatte. Und Bassist Chuck Panozzo spielt auch wieder mit. Aber weder Sänger und Mitgründer Dennis DeYoung noch Chucks Bruder John Panozzo zählen noch zur 1990 von James Young wiedergegründeten Truppe, zu der Tommy Shaw erst zurückkehrte, als DeYoung und Chuck Panozzo sie erneut verlassen hatten.

Rock’n’Roll-Zirkus der Superstar-Art, für die die Band aus Chicago schon immer stand. Als in England schon die Punk-Revolution kochte, spielten die fünf Musiker aus Illinois zusammen mit Supertramp, Saga, dem Electric Light Orchestra und Fleetwood Mac die Lordsiegelbewahrer der großen Rockkunst. Songs wie das Folk-Stück „Boat On A River“ vom Album „Cornerstone“ aus dem Jahr 1979 und die 1983 zum dauerpräsenten Hit avancierende Single „Mr. Roboto“ etablierten Styx in der Liga der Arena-Bands jener Tage, die mit hoher musikalischer Könnerschaft eine perfekte Rockmusik ohne Leidenschaft und Seele spielten.

Theatralisch, fantasiebegabt, immer auf der Suche nach der großen Pose und dem Lied, das das ganze Leben erklärt und die Hörer tief in der Seele packt, so klingen Styx auch heute noch. James Young, der inzwischen auch Sänger der Band ist, wird vom alten Kollegen Tommy Shaw unterstützt, dazu kommen mit Bassist Ricky Phillips, Schlagzeuger Todd Sucherman und Keyboarder Lawrence Gowan drei Mitmusiker, die den klassischen Styx-Sound täuschend echt nachzustellen verstehen.

Alles da, was das Fanherz begehrt: Die Hardrock-Gitarren, die dreistimmigen Chöre, zu denen Tommy Shaw, Lawrence Gowan und James Young immer wieder zusammenfinden, der Synthesizer-Schaum, der über allem liegt, aber auch Boogie-Woogie-Strecken wie in „Hundred Million Miles from Home“. Und wie damals auf „Paradise Theater“, das auch von der DDR-Plattenfirma Amiga veröffentlicht wurde, gibt es wieder eine durchgehende Geschichte, die die 14 meist überraschend kurzen Lieder miteinander verbindet.

Eine Reise zum Mars bildet die Kulisse für das späte musikalische Abenteuer, in das sich Young & Co. gewohnt fingerfertig und fantasiebegabt stürzen: An Bord des Raumschiffs Khedive schlüpfen Shaw, Young und Gowan in die Rollen der Crew, die im Auftrag des - von Tommy Shaw ausgedachten - Global Space Exploration Program unterwegs durch die Weiten des Weltalls ist.

Eine harmonische Reise, auf der die Band zeigt, dass sie in allen Stilrichtungen beschlagen ist. Ein wenig Prog-Rock wird mit Anleihen bei Yes-Psychedelika gemischt, „The Greater Good“ hört sich an wie eine verschollene Queen-Hymne und „Time may bend“ erinnert an das unvergessene „Snowblind“ vom „Paradise Theater“-Album. Klänge, so blank und glänzend wie eine echte Marsrakete, bereit zum Flug in die Ewigkeit.