Montag, 24. März 2014

Twix heißt wieder Raider - alles geht immer weiter

Er gehörte zum Ersten, was sich Ostdeutsche nach dem Mauerfall an westdeutscher Konsumkultur gönnten - und er gehörte auch zum Ersten, was ihnen wieder weggenommen wurde. "Raider - der Pausensnack", jedem DDR-Bürger aus dem Reklameblock im Westfernsehen bekannt, war kurz nach dem ersten Kauf plötzlich verschwunden. Raider heiße jetzt Twix, sonst aber ändere sich nix, versprach der Hersteller Mars.

Kein Marketing-Gag, sondern Vorbote der nach dem Ende des Kalten Krieges rasant an Geschwindigkeit gewinnenden Globalisierung. In Großbritannien, wo der Riegel aus Keks, Karamell und Milchschokolade bereits 1967 eingeführt worden war, trug er - inspiriert von der Bauart mit zwei Keksen - auf Englisch "twin bisquits" - von Anfang an den Namen Twix, auch in den USA blieb Mars zur Einführung 1979 bei diesem Namen. "Raider", ins Deutsche übersetzt so viel wie "Plünderer", kam nur in Deutschland und Österreich zum Zuge.

Nach der Harmonisierung des deutschen Namens blieb die Erinnerung an die frühere Benennung als geflügeltes Wort. Raider war nun zwar Twix, aber auch nach zwei Jahrzehnten weiß jeder, dass Twix früher Raider hieß. Ein Umstand, den sich die deutsche Tochter der Mars Inc. aus dem US-Bundesstaat Virginia jetzt zunutze macht: Auf einmal liegen im Süßwarenregal wieder richtige Raider-Riegel. Rote Schrift auf goldenem Papier, ein Stück 1990, das in sozialen Netzwerken für einen begeisterten Aufschrei sorgt. Raider ist zurück, feierten tausende Tweets und Facebook-Postings das vermeintliche Comeback eines Teils ihrer Kindheit und Jugend. Das nur ein Marketing-Ggag war, sonst nix: Schon wenige Tage danach wird aus Raider wieder Twix. Sonst nix.

Dienstag, 18. März 2014

Roger Willemsen über den Bundestag: Im hohlen Haus

Ein Experiment mit ungewissem Ausgang, ein Wagnis ohne Wiederkehr und ein Risiko für den eigenen Ruf - das etwa ist es, was den Schriftsteller, Fernsehmoderator und Grimme-Preisträger Roger Willemsen gereizt haben muss. Gereizt an einer Idee, die spannend klingt wie das Geräusch, das die Seiten einer eingestaubten Akte beim Umblättern machen. Wie wäre es denn, fragte sich der 59-jährige Germanist und Philosoph, würde man sich einfach mal für ein Jahr, ein ganzes Jahr, auf die Besuchertribüne des Reichstages setzen und aufschreiben, was so zu sehen und zu hören ist während der Parlamentsdebatten.

Einfacher gedacht als gemacht. Er habe unglaubliche bürokratische Hürden überwinden müssen, um die Genehmigung zu bekommen, wirklich an jedem Sitzungstag im Hohen Haus durchweg zugegen sein zu dürfen, beschreibt Willemsen, der sich in seinen Büchern zuletzt eher mit außenpolitischen Fragen wie die Lage in Afghanistan beschäftigt hatte. Komisch. "Es ist mein Parlament, dachte ich, es verhandelt meine Sache, wird von mir bezahlt", sinniert er, "warum sollte ich es nicht besuchen können, so oft und so lange ich möchte?"

Vielleicht, weil die Dinge anders sind als sie aussehen. Vielleicht, weil auch Institutionen es nicht mögen, wenn ihnen jemand permanent hinterherspitzelt wie die NSA der Kanzlerin. Nicht, dass der Bundestag etwas zu verbergen hätte. Als Roger Willemsen pünktlich zum ersten Beratungstag bereit steht, versehen mit einem Zugangsausweis, den er nun jede Woche wird erneuern müssen, breitet sich vor ihm der Alltag eines Parlamentsbetriebes aus, vor dem ein weniger begnadeter Schreiber hätte kapitulieren müssen. Das Herz der deutschen Demokratie, auf das Willemsen von der Tribüne herabschaut, entpuppt sich als ein allzuoft hohl dröhnender Baukörper, in dem sich die "Organe von Monologikern und der Chor der Jasager" auf eine Art überlagern, dass "man immer gleich weiß, wie die Erregungskurve im Saal ist".

Lau zumeist, wie der Autor bemerkt. "Ich hatte mich darauf eingestellt, eine Institution im Verblassen ihrer Bedeutung zu erleben", gesteht er. Im Krisenmodus sitzt die Exekutive am längeren Hebel: Wo Alternativlosigkeit regiert, braucht es keinen Meinungsstreit mehr, nur Handeln. Und im Erfolgsfall ist die nachträgliche Zustimmung reine Formsache.

Doch was dann im Plenarsaal auf den wortgewaltigen Protokollanten wartet, ist eine Mischung aus Rederoutine, Improvisationstheater und einigen großen wie seltenen Momenten, in denen die Parlamentarier ohne Masken voreinanderstehen und ohne Kalkül debattieren wie einst, als, so Willemsen, das Parlament noch der Raum war, in dem "Handeln durch Sprechen simuliert oder vollzogen wurde".

Lange her. Heute diene das Parlament nicht mehr dem Meinungsstreit, sondern der "Veröffentlichung von Politik", befindet er. Positionen werden gegeneinandergestellt, doch oft hört ein Redner dem nächsten nicht mal mehr zu. Doch nein, faul seien sie nicht, die Abgeordneten, denen das mit Blick auf den meist mehr leeren als vollen Sitzungssaal gern vorgeworfen wird. "Sie sind mit Verpflichtungen so befrachtet, dass sie oft bis an die Grenze der Belastbarkeit arbeiten." 1 000 Seiten zu diesem, 1 000 zu jenem. Abstimmen, Themenwechsel. Lesen. 1 000 Seiten. Abstimmen. Alles und immer aus einer Position nahe der Überforderung. Willemsen verurteilt nicht, er ordnet ein. Die Baugeschichte in die des Grundgesetzes, den Tagesschaubericht in das erlebte Plattitüdenbombardement einer Mammutsitzung. Und die eigenen, dezidiert linken Ansichten zu Armut und Rüstungsexporten in einen weiteren Blickwinkel, der nicht der eines emotionslosen Beobachters, sondern der eines Beurteilers ist.

Ein "Buch aus Bürger-Perspektive" nennt Willemsen seine 400 Seiten, wobei er zugesteht, dass er in seinem Jahr im Parlament Vorurteile in Sachen Arbeitsbelastung und Sachverstand gegenüber den Abgeordneten korrigieren musste. Dass "Das Hohe Haus" dennoch kein fröhliches, sondern ein überaus kritisches, in Teilen galliges Buch geworden ist, sieht er am Ende im Licht seiner Erfahrungen: "Keine Kritik kann härter sein als jene, mit der die Parlamentarier einander überziehen."

Montag, 17. März 2014

Rio Reiser: Königshof unter dem Hammer

Es war der Ort, an den der König von Deutschland flüchtete, als er genug von der Revolution und vom Aufstand gegen die Verhältnisse hatte. In Fresenhagen, einem Dorf an der dänischen Grenze, fand Rio Reiser vor 40 Jahren Exil. Zuvor hatte seine Band Ton Steine Scherben entschieden, die Nase voll davon zu haben, als Karnevalskapelle der Hausbesetzerszene immerzu "Keine Macht für Niemand" singen zu müssen.

Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1996 hat Rio Reiser dann hier gewohnt und sich vom flachen Friesenland inspirieren lassen zu Songs wie "Junimond" und "König von Deutschland", die mal traurig waren und mal witzig, aber nie zum Lachen. Rio Reiser war zwar auch als Landmann nicht gerade ein vor Humor berstender Herrscher. Aber zu Hause fühlte er sich hier so sehr, dass er sich auf seinem Grundstück begraben ließ, auf dass sein Geist andere Musiker inspirieren könne.

Allerdings reichte das Geld bald nicht mehr, das Rio-Reiser-Haus zu betreiben. Vor drei Jahren zogen die sterblichen Überreste des Musik-Monarchen nach Berlin. Haus und Hof wurden verkauft - aber Glück brachten sie auch dem neuen Besitzer nicht. Als "18-Zimmer-Bauernhaus" sucht der Königshof nun per Zwangsversteigerung wieder einen neuen Herren. Das Haus sei renovierungsbedürftig, aber naturnah, heißt es. Thronfolger kann werden, wer 299 000 Euro für das Mindestgebot übrig hat.

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