Sonntag, 18. Mai 2014

Wie aus einem Werbebild ein Nachrichtenfoto wird

Im Auftrag von Google fotografierte die Fotografin Connie Zhou vor zwei Jahren in Google-Serverfarmen in Oregon und Iowa. Heraus kamen wunderbar äthetische Bilder, die das Internet von innen zeigten, und das nicht etwa kalt und eintönig, sondern in bunten Farben und bauhaus-artigen Strukturen. Google und die Fotografin mussten sich wenig später allerdings herber Kritik erwehren, weil das Projekt “Where the Internet lives” ganz offenkundig nicht die Realität abbildete, sondern eine am Fototisch nachbearbeitete idealisierte Variante davon.

Zwei Jahre danach ist das immerhin soweit vergessen, dass renommierte Blätter wie die Süddeutsche Zeitung sich einen Teufel darum scheren, dass Zhous Bilder so real sind wie Gemälde des eben verstorbenen H.R. Giger. Zur Illustration eines Beitrages im Rahmen der aktuellen Kampagne für mehr Datenschutz durch die Löschung von Suchergebnissen nutzt das Blatt eines der im Auftrag von Google erstellten und mit allen Kunstgriffen schicker gemachten Fotos.

Und im Unterschied zu Spiegel und Zeit, die wenigstens im Kleingedruckten noch auf den einstigen Auftraggeber verweisen, zeichnet die Süddeutsche das Bild dann auch noch mit der Quelle "dpa" aus.

Naheliegend, dass es der Redaktion lieber wäre, gäbe es keine Suchmaschinen, die verraten, wie schnell aus Propaganda Information wird.

Mittwoch, 7. Mai 2014

"Mass Customization": Individualität für die Masse

Je konformer die Menge, desto ausgeprägter ist der Hang, sich zu unterscheiden.

Noch in den 90er Jahren gehörte es zum guten Ton in Jugendszenen, sich nicht so zu kleiden und nicht dieselben Bands zu hören wie der gesamte Freundeskreis. Individualität wurde großgeschrieben: Jugendliche stylten sich als Punks, Slacker oder Grufties, jede Nische hatte ihren Sound, ihre Frisuren, ihre Kneipen, ihre Festivals und Rituale.

Zwei Jahrzehnte später ist die Welt der Nische zusammengeschnurrt auf eine einzige, die allerdings groß genug ist, um nahezu die gesamte Gesellschaft aufzunehmen. Angetrieben durch die neuen Medien sind die einst so strengen Geschmacksgrenzen gefallen, aus Individualität ist ein von wenigen Bekleidungsmarken und Technikfirmen bestimmter Konformismus geworden, der sich nur noch in Nuancen unterscheidet. Apple oder Samsung, Undercut oder Seitenscheitel, Hollister oder Camp David und Lady Gaga oder Miley Cyrus - viel mehr Unterscheidungsspielraum bleibt denen kaum noch, die sich nicht außerhalb des Angesagten stellen wollen.

Allerdings halten die Zeiten der Massenproduktion für den Massenkonsum auch für den unstillbaren Wunsch nach Individualität einen Ausweg bereit. "Mass Customization" nennt sich ein neues Phänomen, mit dem große Firmen und kleine Start-Ups versprechen, die unstillbare Sehnsucht nach etwas wirklich Eigenem inmitten der Flut aus gleichförmigen T-Shirts, Hosen, Jacken, Schuhen und sogar Nahrungsmitteln zu befrieden. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten Massenproduktion und Maßfertigung und er meint nichts anderes als die Anpassung eines beliebigen Gegenstands aus einer Großfabrikation an die speziellen Wünsche eines einzigen Kunden.

Das Zurück zu den Zeiten, als sich DDR-Punks mit Wäschefarbe "Sex Pistols" auf ein geripptes Opa-Unterhemd malten oder Mädchen aus Fensterleder Miniröcke nähten, funktioniert auf höchstem technischen und logistischen Niveau.

Bei Firmen wie "Spread-shirt" aus Leipzig können individuell gestaltete T-Shirts etwa zum Nachmachen für andere Kunden hinterlegt werden. Beim Sport-schuhmulti Nike lassen sich Schuhmodelle von der Stange ebenso wie bei Puma und Converse nach eigenem Gusto umstylen und während das Portal Chokri.de das Mixen der eigenen Schokolade erlaubt, bietet palupas.de die Gestaltung von Badelatschen mit Hilfe eigener Fotos. 2 000 Anbieter tummeln sich inzwischen weltweit im Ego-Markt.

Die Massengesellschaft als Individualitätsmaschine, angetrieben von Hightech-Lösungen, deren Erfinder von den seit Jahren flexiblen großen Autoherstellern gelernt haben, das gleiche Produkt in unzähligen Abwandlungen zu verkaufen. Das ist Einzigartigkeit von der Stange, eine industriell hergestellte Individualität für die Massen des Zeitalters der Geschmackskonformität.

Dienstag, 22. April 2014

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Eigentlich hat Gareth Hudson eine recht kurze Anreise nach Halle. Seit einigen Jahren schon lebt der gebürtige Australier mit seiner Frau Tadijana Ilicic in Berlin, einem idealen Ausgangspunkt, „um ein Land wirklich kennenzulernen, weil man schnell dorthin fährt, wo die Menschen leben“, wie er sagt. Hudson, Gründer und Sänger der Band Hudson Arc, ist von daheim anderes gewohnt: „Man fährt ewig, ehe man wieder wo ist, wo man ein Konzert spielen kann.“ In Deutschland dagegen „alles ist kürzer als bei uns daheim - du fährst anderthalb Stunden und bist da“.

Wenn man nicht gerade beinahe direkt die 16000 Kilometer vom anderen Ende der Welt anreist wie das Ehepaar Hudson, das gerade erst daheim auf dem fünften Kontinent war, um ein neues Album einzuspielen. Die Rückreise in die wahlHeimat Deutschland lief nicht ganz nach Plan, wie Gareth Hudson klagt: Obwohl er einen großen „Vorsicht, zerbrechlich“-Aufkleber auf seine geliebte Cole-Clark-Gitarre geklebt hatte, war das von einem australischen Gitarrenbauer hergestellte Instrument nach der Landung in Deutschland zerbrochen.

Allerdings lässt sich Hudson dadurch nicht bremsen, nicht umsonst heißt die neue Platte ja „The Motive of Hope“. Zur Feier der Veröffentlichung wird der Mann aus New South Wales diesmal nicht nur von der studierten Violinistin Tadijana, sondern auch von Jamie Pollock an der Viola und Rachel Pogson am Cello begleitet. In Halle ist Hudson Arc am kommenden Montag in der Goldenen Rose zu erleben - Eintritt ist frei, aber eine Spende für eine neue Gitarre nimmt Hudson sicher gern an.

Video von Hudson Arc: Hudson Arc im Video