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Mittwoch, 14. November 2018

Blockchain: Wie die DSGVO in Europa die Zukunft beendet hat

Datenverarbeitung im Honecker-Bunker.

Blockchain-Anwendungen gelten als Basis für neue Geschäftsmodelle. Eigentlich. Denn mit ihrer neuen Datenschutzverordnung aber macht Europa die breite Nutzung der neuen Technologie dauerhaft unmöglich.

Mit dem Höhenflug der virtuellen Währung Bitcoin Ende vergangenen Jahres rückte der Begriff Blockchain zum ersten Mal in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Das schnelle Geld lockte, der steile Anstieg auf bis zu 20 000 Dollar für einen einzigen Bitcoin verführte viele, auch ein paar Euro auf das zu setzen, was nach Meinung vieler Experten ein Stück Zukunft mitten in der Gegenwart ist.

Allerdings nicht, weil Blockchain-Geld wie Bitcoin, Ethereum, Ripple oder IOTA schnelle Gewinne verspricht. Sondern weil die Technologie, die hinter den sogenannten Kryptowährungen steckt, zahllose andere Anwendungen ermöglicht. Bei jeder Blockchain - zu Deutsch so viel wie „Blockkette“ - handelt es sich um eine Art elektronisches Fahrtenbuch, an dem viele Teilnehmer schreiben. Jeder Nutzer hat Einsicht in alle Transaktionen, die Daten liegen nicht bei einem einzelnen Anbieter wie etwa bei Google, Amazon oder Facebook, sondern auf vielen dezentralen Computern zugleich. Dennoch sind sie nicht manipulierbar, weil jeder später geschriebene Eintrag für die Echtheit aller früheren garantiert: Was einmal in der Blockchain steht, ist nachträglich nicht veränderbar - so wie ein zwei Monate alter Eintrag in einem Fahrtenbuch nicht korrigiert werden kann, weil sich sonst automatisch die Endsumme ändern müsste.

Eine solche Buchhaltung braucht keinen Buchhalter mehr, Überweisungen benötigen keine Bank, die Abrechnung etwa von Stromkosten geschieht automatisch und Mietverträge oder Interneteinkäufe können über sogenannte Smart Contracts geschlossen werden. Die Initiatoren der sozialen Netzwerke minds.com und steemit.com nutzen eine Blockchain, um Facebook Konkurrenz zu machen. Das niederländische Startup Channels dagegen baut einen Messenger auf Blockchainbasis und die Macher von Dtube.com setzen auf ein dezentrales Youtube ohne den Datenhunger des Originals.

Die Blockchain bietet damit die Möglichkeit, das vielkritisierte Datenmonopol der Internetriesen aufzuheben. Zudem: Eine Zensur von Inhalten, die über Blockchain-Netzwerke oder - Messenger verbreitet werden, ist so wenig möglich wie ein Auslesen privater Daten durch Werbenetzwerke oder Behörden.

Ein Ziel, das auch die im März in Kraft getretene neue europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verfolgt. Ausgerechnet das über Jahre entwickelte Projekt aber droht nun, Blockchain-Anwendungen in der EU für die Zukunft rein  rechtlich gesehen unmöglich zu machen.

Schuld daran ist Artikel 17 der DSGVO, der ein „Recht auf Löschung“ festschreibt. Danach kann jeder Mensch verlangen, dass Betreiber von Internetseiten oder soziale Netzwerke von ihm hinterlassene Daten löschen, wenn er das wünscht. Eine Vorgabe, die sich bei einer Blockchain-Anwendung nicht realisieren lässt, weil jede nachträgliche Veränderung der quasi wie die Steine eines Hauses aufeinandergeschichteten Blöcke den gesamten Bau zum Einsturz bringen würde.

Ein Problem, das der grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht „eine besondere Herausforderung für Blockchain-Anwendungen“ nennt, „da hier eine nachträgliche Veränderung von einmal eingegeben Datensätzen nicht mehr möglich ist“. Der 35-jährige Politiker gilt als Vater der DSGVO, er hat die Grundzüge der Verordnung entworfen und sechs Jahre lang für den verschärften Datenschutz gekämpft. Heute verweist er darauf, dass es ja Versuche gebe, „Blockchain-Anwendungen mit anonymisierten Daten oder mit ausdrücklichem Verzicht Betroffener auf nachträgliche Löschungsmöglichkeiten zu entwickeln“. Albrecht gesteht zu, dass das „mit einem besonderen Aufwand verbunden“ wäre, gelänge es denn, eine Lösung zu finden.

Aber bisher gibt es die ohnehin nicht, so dass Albrecht einen Ausweg nur darin sieht, dort, wo nicht gelöscht werden kann, „die Notwendigkeit fortgesetzter Datenverarbeitung zu rechtfertigen“. Die DSGVO lässt es zu, Daten trotz Löschwunsch weiterzuspeichern, wenn eine ausreichende Begründung vorliegt. Damit ließe sich „Recht auf Vergessenwerden“ aushebeln - zumindest, bis Gerichte anders urteilen.

Spätestens dann aber wäre Europa einmal mehr abgekoppelt von einer neuen Entwicklung, die in den nächsten Jahren den Alltag von Millionen verändern wird. Jan Phillip Albrecht allerdings sieht das nicht so dramatisch. Beim Recht auf Vergessenwerden gehe es „ja eigentlich um das De-Indexieren von Suchmaschinenergebnissen“, versichert er.

Personenbezogene Daten, die in einer Blockchain gespeichert werden, seien davon nicht betroffen, liest er aus der DSGVO, was dort nirgendwo steht. Aber besser so, denn bei dezentralen Netzwerken wie Steemit.com fehlt es schon am von der EU-Richtlinie erwähnten „Verantwortlichen“, dem Löschwünsche gemeldet werden müssen.

Montag, 3. September 2018

Horror: Letzte Schlacht mit Happy End


Die Anerkennung von denen, auf deren Anerkennung er nie Wert gelegt hat, ist spät gekommen. Aber Stephen King, inzwischen jenseits der 70, hat sowieso nicht gewartet auf das Lob des Feuilletons, den National Book Award und die Anerkennung der großen Hollywood-Studios. Also zumindest nicht öffentlich.

King, der sein Debüt „Carrie“ mit Mitte 20 in einem ärmlichen Wohnwagen schrieb, wenn ihm der Brotjob als Englischlehrer Zeit ließ, hat einfach geschrieben, immer weiter, Bestseller auf Bestseller, von einer treuen Fangemeinde weggefressen wie von Säure. 77 Bücher hat King in den letzten 44 Jahren produziert, zuletzt sogar in schnellerer Abfolge als Anfang des Jahrtausends. „Der Outsider“, sein neuestes Werk, ist das neunte neue Buch in den letzten fünf Jahren, nicht mitgerechnet allerlei Kurzgeschichten und Kurzgeschichtensammlungen.

Das ist einerseits so viel Stoff, dass auch dem Meister des milden Grusels allmählich die Sujets ausgehen. Andererseits aber führt dieser Mangel an bahnbrechend neuen Ideen King zum Glück genau dorthin zurück, wo er einst mit „Carrie“ startete und auch später immer wieder seine besten Momente hatte: In eine kleine Stadt, zu einfachen Leuten mit überschaubar komplexen Problemen. Menschen, die sich seit Jahren kennen, die einander vertrauen. Bis eines Tages etwas geschieht, das alles auf den Kopf stellt, was alle bis dahin voreinander geglaubt und gewusst haben.

In Flint City im Bundesstaat Oklahoma, den der erbitterte Trump-Gegner King gewählt haben mag, weil sich hier - im Gegensatz zu seinem üblichen Handlungsrevier Maine - eine Mehrzahl der Wähler vor zwei Jahren für Trump entschied, endet die Normalzeit mit einem grausamen Mord an einem kleinen Jungen. Für Detektive Ralph Anderson kein schwerer Fall: Es gibt jede Menge Zeugen, die den Täter gesehen haben, Fingerabdrücke und DNA-Spuren. In einem Akt demonstrativer Staatsgewalt lässt Anderson den Täter Terry Maitland festnehmen, während die Nachwuchs-Baseballmannschaft des allseits beliebten Familienvaters sich gerade müht, das Halbfinale der Meisterschaft zu überstehen.

1 500 Augenzeugen. Eine Vorverurteilung wie ein Fallbeil. Nichts wird mehr gut werden in dieser Geschichte, die sich liest wie ein Kriminalroman von John Grisham. Denn der angebliche Täter hat ein felsenfestes Alibi, er kann es nicht gewesen sein, weil er unter Zeugen ganz woanders war. Was also ist die Wahrheit? Gibt es überhaupt eine? Oder zwei?

Stephen King spielt mit alternativen Fakten, mit abweichenden Wirklichkeiten und der Wahrscheinlichkeit, dass es zwischen Himmel und Erde vielleicht doch mehr Dinge gibt, als Schulweisheit sich erträumen kann.

Sherlock Holmes Satz „Wenn man alle logischen Lösungen eines Problems eliminiert, ist die unlogische, obwohl unmöglich, unweigerlich richtig“ ebnet den Weg in eine zweite Romanrunde, in der aus der Kleinstadtnovelle um die Geschichte eines zu Unrecht beschuldigten Vorzeige-Amerikaners die - lose - Fortsetzung von Kings Trilogie um „Mr Mercedes“ wird. Zwar ist deren Hauptheld Bill Hodges tot, doch in dessen findiger Ex-Assistentin Holly Gibney findet Ralph Anderson eine - im Kampf gegen den Mercedes-Killer Brady Hartsfield übersinnlich gestählte - Mitstreiterin.

Ein Schlüsselroman über amerikanische Verhältnisse in der Ära Trump, in der die Monster sich verwandeln, die Silhouetten, Gesichter, ja, gar Fingerabdrücke von Nachbarn, Freunden und Verwandten annehmen. Und Realität nicht mehr ist, was wirklich ist. Sondern was sein könnte: Der nette Mann von nebenan ein Killer und Kannibale, seine Frau der Komplize, sein ganzes Leben Fassade. Den Mob, der vor dem Gericht auftaucht, nichts wirklich wissend, aber nach sofortigen Konsequenzen verlangend, könnte Stephen King aus der deutschen Gegenwart abgemalt haben.

Aber letzten Endes schreibt King, der kommenden Monat 71 Jahre alt wird und schon zwei Monate später ein neues, wenn auch recht dünnes Buch namens „Erhebung“ herausbringen wird, weder Detektivromane noch Politthriller. „Der Outsider“ wird hier nicht erklärt oder begründet, er braucht keine Motivation als die, eben das sein zu müssen, was Kings Helden nie sind: Böse.

Was aber ist das Rezept, um diese Schlacht des Guten gegen das Schlechte zu gewinnen, in dem Krieg, den Stephen King in all seinen Büchern beschreibt? Nun, der von Schuldgefühlen gequälte Polizist Anderson, die von ihrem Vorbild verlassene Privatdetektivin Holly Gibney und ihre bunte Schar Verbündeter finden, was heute kaum noch jemand sucht: Glauben, was wahr ist. Sagen, was klar ist. Einander vertrauen und nicht auf die Einflüsterungen derer hören, die ganz andere Interessen haben. Dann gibt es auch ein Happy End. Mit Tränen zwar. Aber bis zum nächsten Mal.

Donnerstag, 23. August 2018

Gerhard Gundermann: Der tiefe Fall von "Grigori"

Er wollte damals nichts mehr sagen. Gar nichts. Er wollte auch nicht, dass noch etwas geschrieben wird. "Lasst mich doch in Ruhe", meckerte Gerhard Gundermann damals, 1995,, "ich hab' genug am Hals wegen dieser Kiste." Die Kiste, das ist Gundermanns Vergangenheit. Mit elf Jahren Verspätung kehrte sie zurück: "Gundi", der singende Baggerfahrer, der in den neuen Bundesländern als eine Art Sprachrohr ostdeutschen Selbstbewußtseins galt, war zwischen 1976 und 1984 nicht nur Texter und Komponist für den FDJ-Singeklub "Brigade Feuerstein" gewesen. Sondern nebenbei auch noch der "IM Grigori" der Staatssicherheit.

Als Grigori gab Gundermann Briefe von Freunden ans MfS weiter. Er meldete Singeklub-Kollegen, die sich von einer Westtournee Funkgeräte mitbrachten. Und er teilte dem "Organ" alles mit, was er über die intimen Kontakte einer Bekannten zu einem französischen Bauarbeiter wusste. Gundermann war ein guter Spitzel. Der IM sei "ehrlich und zuverlässig", lobte sein Führungsoffizier, seine Berichte wurden als "umfassend und objektiv" geschätzt. Das MfS belobigt den "Kämpfer Grigori" mit der "Arthur-Becker-Medaille" und einer Obstschale, wie in Andreas Dresens neuem Film "Gundermann" zu sehen ist..

Alles wie immer


Und nun steht er da: Im blauweiß gestreiften Fleischerhemd wie immer, die Augen hinter der großen Goldrandbrille versteckt wie immer, und alle paar Minuten mit der Nase schniefend. Wie immer.

Nur die Leute beobachteten ihn seitdem reservierter, schien ihm. Aber das könne Einbildung sein. Viele wüssten es ja noch gar nicht. Denen sagte er es dann selber: "Ich habe mit dem MfS geredet", schnüffelte Gerhard Gundermann im Konzert gleich nach dem ersten Lied ins Mikrophon, "und dazu stehe ich." Jetzt, wo die Akte nun mal "raus" sei, wie Gundermann es nennt, wolle er "offensiv damit umgehen". Die Fans hier in Berlin, wo Gundermann den ersten Auftritt nach der "Kiste" hatte, klatschten solidarisch.

Die Karriere des Sängers aber, der hauptberuflich nach wie vor als Förderbrückenführer in einem Tagebau bei Cottbus arbeitet und in Ostdeutschland nicht zuletzt dieser Tatsache wegen als moralische Institution galt, war zu Ende. Alle Türen, die dem Vierzigjährigen gerade noch weit offenzustehen schienen, waren plötzlich zugeschlagen. Die große Plattenfirma, bei der Gundermann einen lukrativen Vertrag hatte unterschreiben sollen, zog ihr Angebot zurück als brenne es lichterloh.

Alle ziehen sich zurück


Aus einem neuen Verlagsdeal wurde auch nichts. Und Radio Brandenburg, bis dahin so etwas wie Gundis Haussender, richtete ihn genüsslich hin. Sie spielten das Stück "Ich mache meinen Frieden", denn da singt Gundermann: "Wer mich angeschissen hat / will ich nicht mehr wissen." Und  dann "Sieglinde", die Nummer, in der Gundermann einer verräterischen Freundin zu flotten Rockrhythmen verzeiht: "Sie sagen / Du hast mich belauscht / doch außer Dir hat mir nie einer zugehört / und schneller als das Wasser rauscht / hab' ich dir meine paar Geheimnisse diktiert". Dazu zwei, drei Zitate aus der Akte - das gab einen schönen Widerspruch zwischen Poesie und Petzbericht.

Auch Vivi Eikelberg, Chefin des Berliner Managementbüros Eikelberg's, das damals unter anderem Heinz Rudolf Kunze und Hermann van Veen vertrat, konnte für Gundermann nichts mehr tun. "Nach dieser Sache hat Gerhard keine Zukunft mehr im Westen", bedauert die Managerin, die mit dem "hochtalentierten Texter und Komponisten" eigentlich schon handelseinig war. Das mit der Stasi, das hatte Gundermann ihr gleich gesagt. "Aber mehr so nebenbei", erinnert sich Vivi Eikelberg. Es sei auch alles ganz harmlos gewesen.

Inzwischen hat auch die Managerin die Akte "Grigori" gelesen und hat ihre Meinung ändern müssen: "Er hat ja doch Sachen getan, die man kaum entschuldigen kann." Nun ja. Zum Glück war der Vertrag noch nicht unterschrieben, die Platte noch nicht produziert. Anderenfalls, Vivi Eikelberg kennt das Geschäft, wäre es schlimmer gekommen: "Wir machen eine Platte, gehen auf Promoreise, und pünktlich packt irgendwer die Akte auf den Tisch."


Hätte ja geredet


Ein späterer Zeitpunkt wäre noch schlimmer gewesen, dachte auch Klaus Koch. Koch ist Inhaber von Gundermanns Plattenfirma Buschfunk. "Er hätte nicht so lange schweigen dürfen", meint der Produzent. Wenn der Gundi gleich in die Offensive gegangen wäre? Vielleicht hätte das was geändert? Gelegenheiten gab es. Neulich zum Beispiel, als er diesen Auftritt beim ZDF-Talk zum Thema "Stasi-Akten - Deckel drauf?" hatte. Gundi musste bloß singen. Geredet hat er nicht.

Warum auch? "Wenn mich einer gefragt hat", sagt Gundermann, "habe ich's ja immer zugegeben." Im übrigen hat Gerhard Gundermann beim Stichwort "Stasi" stets zuerst an seine Opfergeschichte gedacht. Sechs Jahre unterm Brennglas. Parteiausschluss, Auftrittsverbot, Westreisesperre.

Das abgehörte Telefon. Erst später ist ihm eingefallen, dass da noch was war. Muss etwa zu der Zeit gewesen sein, als die Rundfunkmoderatoren Bertram und Kuttner in dicken Schlagzeilen als "Inoffizielle" geoutet wurden. "Ab dem Moment war der Gundi kein Mensch mehr", erinnert sich seine Frau Conny. "Du musst vor die Leute gehen, du musst das erklären", redete sie ihrem Mann zu. Doch da war der versprochene Verlagsvertrag, der große Plattendeal und die nächste Tour. Und überhaupt. Was erklären? Und wie? "Hätte ich etwa zwischen zwei Stücken sagen sollen: Ich war auch dabei - und nun machen wir mal wieder Musik?"


Akte komplett abgetippt


Mittlerweile hat Gundermann seine Akte Wort für Wort in seinen Computer getippt, "um das mal im Zusammenhang lesen zu können". Er hat nun doch seine Opferakte beantragt, in der Hoffnung, man könne "damit alles ein bisschen relativieren". Die Gauck-Behörde hat ihn bisher bloß vertröstet. Ein, zwei Jahre könne das schon dauern mit der Akteneinsicht. Ein, zwei Jahre, schätzt Vivi Eikelberg vom Managementbüro, werde es wohl auch dauern, bis "ein bißchen Gras drübergewachsen ist" und man es noch mal versuchen könne. Wenn überhaupt.

Bis dahin klappert Gundermann seine "Opfer" ab. Einer hat ihn zwar bei sich zu Hause empfangen, aber dann einfach nicht mit ihm geredet. Ein anderer gestand, die letzten Jahre immer Angst gehabt zu haben, Gundermann könne seinen Namen in seiner Opferakte finden.

Der dritte, vor siebzehn Jahren von seinem Singeklub-Kollegen Grigori bezichtigt, illegal Funkgeräte in die DDR geschmuggelt zu haben, hat bloß gelacht. Der Mann managt heute die Gruppe Keimzeit, Gundermanns Ostrock-Kollegen.

Die Funkgeräte, ist ihm jetzt eingefallen, hat er immer noch. Die haben nie richtig funktioniert.

Gundermann im Maulbeerbaum


Donnerstag, 26. Juli 2018

The Alarm: Ein neues Kapitel


Rory Macdonald und Mike Peters gingen mit ihren Bands Runrig und The Alarm stets eigene Wege. Im vierten Jahrzehnt drehen der Schotte und der Waliser noch einmal auf.

Es ist eine Stimme aus der Vergangenheit, die da zu vorsichtigen Gitarrenakkorden „Ohoho“ ruft. Rockpalast 1984, Markthalle Hamburg, auf der Bühne vier Männer mit hochtoupiertem Haar und akustischen Gitarren. Eine Band wie eine Mischung aus Robert Smith von The Cure und Bob Dylan, im Mittelpunkt ein blonder Schlacks, der vom „Blaze of glory“ singt und von einem Marsch für die Freiheit.

Der Mann heißt Mike Peters, die Band nennt sich The Alarm. Neben den irischen Kollegen von U2 und den Schotten von Big Country sind die vier Mittzwanziger aus dem Örtchen Rhyl in Wales die Spitze einer neuen Generation von Gitarrenbands inmitten eines Heeres aus Gruppen, die eher elektronische Musik machen. The Alarm zeichnet zudem aus, dass die Gruppe, zu der anfangs auch der spätere World Party-Gründer Karl Wallinger gehört, elektrisch verstärkte Akustik-Gitarren verwendet, um ihren hymnischen und immer wieder auf die walisischen Wurzeln verweisenden Folkrock zu spielen. Eine Gemeinsamkeit, die sie mit den schottischen Kollegen von Runrig verbindet, die ein paar Jahre früher als reine Folkband starteten, später Rockelemente einbauten und wenig später mit dem Album „The Cutter and the Clan“ zum ersten Mal in der Hitparade auftauchten.

Dreißig Jahre und zwei gänzlich gegensätzlich verlaufende Karrieren sind die geistesverwandten 80er-Veteranen zurückgekehrt, auch das aber wieder auf ganz verschiedenen Wegen. Während Runrig sich mit einem Doppel-Album namens „Best of Rarities“ von ihrem Anhang aus sogenannten Riggies verabschieden, schlägt Mike Peters mit dem zwölften Alarm-Album „Equals“ nach acht Jahren Studiopause ein neues Kapitel für die legendäre Band auf. Auf die ersten „Ohohos“ in „Two Rivers“, dem Opener des Werkes, folgen plötzlich elektronische Beats, beim nächsten Song „Beautiful“ klingen US-Punkbands an, ehe das Titelstück balladesk beginnt wie der Bandklassiker „Eye of a hurricane“.

Mit knapp 60 hat sich Peters, Mitte des vergangenen Jahrzehnts zweimal schwer an Krebs erkrankt, noch einmal neu erfunden. Kritisch wie schon seinerzeit mit „Across the boarder“ oder „Hardland“ vermählen Peters, Gitarrist James Stevenson, Bassmann Craig Adams und Drummer Derek Forbes Springsteen-Attitüde und Folkrock-Gefühl. Schmutzig, handgemacht und immer wieder mit unwiderstehlichen Melodien versehen, ist das sechste Album der Ende der 90er Jahre neuformierten Gruppe deren vorläufiges Meisterwerk. The Alarm, einst wie Runrig Vorreiter auch beim Versuch, Rockmusik mit Texten in gälischer und walisischer Sprache zu machen, klingen geerdet, zugleich aber frisch wie eine Newcomerband, die noch Spaß daran hat, Dinge auszuprobieren und ohne Vorfestlegungen draufloszuspielen.

Runrig, seit den allerersten Anfängen in den 70er Jahren die Familiencombo der Macdonald-Brüder, die zeitweise zu dritt im Lineup vertreten waren, versucht dergleichen gar nicht erst. „Best of Rarities“ ist ein Nachruf aus eigener Feder, eine Zusammenstellung von zum Teil wieder gälisch gesungenen Live-Aufnahmen aus den Jahren 1993 bis 2016, aufgehübscht mit einer Neueinspielung des schwergewichtigen Abschiedsstückes „Somewhere“, das besonders gut passt, weil sich Runrig nach 45 Jahren auf der Bühne in diesem Sommer mit einem letzten gewaltigen Open-Air-Konzert verabschieden wollen. „The Last Dance“ überschrieben, sollte dieses finale Konzert im City Park im schottischen 36 000-Einwohner-Städtchen Stirling die Bandgeschichte mit einem letzten großen Hymnensingen beenden. Die Karten für das Konzert am 18. August waren so schnell vergriffen, dass die Macdonald-Brüder ein zweites Konzert am Vortag planen, um dem Andrang einigermaßen beikommen zu können.

Mike Peters jagt derweil noch anderen Träumen nach: Wie in den großen Tagen, als seine Band versuchte, den US-Markt zu knacken, geht der 59-Jährige diesen Sommer auf US-Tournee. Der „Mann in der Tarnjacke“, wie ihn der Filmemacher Russ Kendall in einer abendfüllenden Dokumentation über den Weg zum Ruhm, den Kampf gegen die schwere Krankheit und die Rückkehr auf die Bühne nannte, will es noch einmal wissen. Mit guten Argumenten: Seit Songs von The Alarm immer öfter als Unterlegmusik in Netflix-Serien wie „„Tote Mädchen lügen nicht“ verwendet werden, entdecken neue, junge Hörer das Schaffen der Waliser.

Die ersten Testkonzerte im Mai in New York waren ausverkauft.

Samstag, 30. Juni 2018

Defa-Filmlegenden: Trompeterlied im Schweinsgalopp

Es beginnt, wie solche Filme immer beginnen. Nur ein bisschen schneller. Der Trompeter hat wohl Jagdwurst gefressen, würde der Hallenser sagen, denn am Anfang des Defa-Filmes „Das Lied vom Trompeter“ eilt das bekannte Trompeterlied im Schweinsgalopp vorüber.

Das ist dennoch der echte, der völlig unverfälschte Konrad-Petzold-Klassiker aus dem Jahr 1964: Im Garten hinter dem Volkspark steht Günther Simon als Ernst „Teddy“ Thälmann, und schickt seinem Freund Fritz Weineck mit bebender Stimme ein paar rührende Worte hinterher. Dann reißen sich alle die Mützen vom Kopf. Fred Delmare als Kleckchen. Jürgen Frohriep. Und Rolf Römer.

Die Trompete weint aus dem Off herein. Der größte hallesche Lokalmythos der Neuzeit, er war jahrzehntelang vergessen, obwohl nicht nur die Trompetergeschichte selbst, sondern auch ihre Übersetzung in Propaganda-Kunst ein ganz und gar hallesches Thema war. Otto Gotsche, Sohn eines Eisleber Bergmannes, Widerstandskämpfer, Künstler und später SED-Funktionär, schrieb die ebenso rührende wie klassenkampftaugliche Tragödie des jungen Fritz Weineck auf, der die Musik liebt, aber im Kugelhagel einer arbeiterfeindlichen Soldateska stirbt, weil er seine Klasse nicht verrät. Vor dem Mauerbau geschrieben, wurde das Buch drei Jahre später zum Drehbuch.

 Die Defa-Gruppe „Konkret“ drehte an den Originalschauplätzen, so dass die 81 Minuten zu einer Zeitreise in ein Halle werden, dessen Hinterhöfe, Straßen und Plätze, Backsteinmauern und Ladeninschriften die 20er Jahre auch in den 60ern noch gut nachzustellen wussten. Horst Jonischkan spielt den Fritz Weineck als Träumer, der durch Glaucha läuft oder am Saaleufer sitzt und Mundharmonika spielt. „Ich möchte so gern Musik machen“, sagt er und schaut verloren über den Fluss.Es wird anders kommen, denn die Zeiten sind so.

 In satten Schwarz-weiß-Tönen mit Hilfe des Totalvision-verfahrens sparsam auf 35-Millimeter-Film, dennoch aber im Kino-Breitbildforma gedreht, benutzt der spätere Indianerfilm-Spezialist Petzold die Biografie des Bürstenbinders, der im Roten Frontkämpferbund seine Klassenwurzeln entdeckt, als Leinwand, auf der ein Zeitpanorama nach SED-Lehre abläuft: Reiche tragen Pelze, horten Würste und sprechen mit keifender stimme. Arme teilen gern, reden nachdenklich und tragen ihr Schicksal mit kämpferischem Mut. „Die Brigade Halle schlägt Dich kurz und klein, Du Arbeiterschwein“, singt die Konterrevolution im Keller, während Fritz Weineck sich schon entschlossen hat. „Ich lenk´ sie auf mich, ihr nehmt die Gewehre“, sagt er.

 Diesmal kriegen sie ihn noch nicht, doch der Kampf geht weiter und am Ende ist Fritz tot. Die Szenen im Volkspark, der viel kleiner scheint als in Wirklichkeit, sind beeindruckend dicht komponiert, doch die Dramaturgie folgt keiner Logik, sondern den Erfordernissen des politischen Kampfes: Der Saalschutz der Arbeiter formiert sich vor Teddy, dem Führer und KPD-Präsidentschaftskandidat. Ein heute nur noch als „Leutnant Pietzger“ bekannter Schutzpolizist schießt dennoch, während Fritz warnend seine Trompete bläst. Frauen schreien. Die Kamera wackelt. Ein Geländer bricht. Panik. Tod. Fritz springt Helga Göring bei, die seine Mutter spielt. Von hinten naht ein Schupomann und schießt ihm in den Rücken.

Eine Legende ist geboren, die auf DVD weitergeht.  Der Agitprop-Film von einst ist der Kultfilm von heute.


Filme aus Halle: „Fritz Weineck“ Horst Jonischkan spielt auch in der Konrad-Wolf-Verfilmung „Der geteilte Himmel“ mit, die auf Basis des gleichnamigen Buches von Christa Wolf entstand, das die Autorin während ihrer Jahre in Halle geschrieben hatte. Deshalb wurde auch in Halle gedreht, unter anderen im Waggonbau Ammendorf. Wolf hatte zuvor schon „Professor Mamlock" in Halle gedreht, vor allem eine Villa zwischen Kirchtor und Neuwerk spielt in dem Film eine große Rolle.

Drehort für den 2005 vom New Yorker Museum of Modern Art in New York gefeierten Film „Das zweite Gleis“ war dagegen der Güterbahnhof in Halle, "Rabenvater" mit Uwe Kickisch entstand im Jahr 1986 dann hauptsächlich in Halle-Neustadt. Die unweit von Halle gelegenen Muschelkalkhänge von Köllme wiederum dienten beim Indianerfilm "Die Söhne der großen Bärin" als Kulisse, während "Das Fahrrad“ Heidemarie Schneider in der Rolle einer alleinerziehenden Mutter Anfang der 80er Jahre zeigt, die in Halles Altstadt mit DDR-typischen Problemen fertigwerden muss.


Samstag, 26. Mai 2018

Michel Birbæk: Heiße Romance mit Prinz


Das Leben ist hart und der Weltstar tot: Der Däne Michel Birbæk beschreibt in "Das schönste Mädchen der Welt", warum es trotzdem schön ist, da zu sein.

Viel ist nicht übrig vom Ruhm der großen Tage. Ein paar Telefonnummern hat Leo Palmer noch, einen guten Ruf in der Branche und einige Erinnerungen. Aber mit Ende 40 ist der Lack ab. Aus der Zeit, als der begnadete Background-Sänger mit seiner Band "Funkbanditen" kurz davor stand, die Welt zu erobern, ist nur noch die Sammlung von CDs des amerikanischen Superstars Prince geblieben. Der ist für Leo Palmer soetwas wie Jesus, Mohammed und Buddha zugleich. Ein Erretter, Erlöser und Idol, Ratgeber, Tröster und Rhythmusgeber, ein Mann, der in ein Leben voller Alltag glitzernde Diamanten streut und mit seiner Person beweist, was ein Mensch alles sein kann, wenn er will.

Leo Palmer will nur noch mal eine Frau kennenlernen, mit der es länger funktioniert. Ruhelos treibt er sich bei der Rendezvous-App Tinder herum, jeden Tag ein Date, immer mal auch eine anschließende Nacht. Aber Michel Birbæk, in Kopenhagen geboren und selbst anderthalb Jahrzehnte als Musiker weltweit unterwegs, gönnt seinem gefallenen Rockhelden in seinem Pop-Roman "Das schönste Mädchen der Welt" kein Happy End. Als Leo Mona trifft und sich unsterblich verliebt, passiert die Katastrophe: Prince stirbt. Für dessen größten Fan wie für die zersprengten Reste der alten Band ist das ein Schicksalsschlag, gegen den die Apokalypse wirkt wie ein lauer Sommerregen.

Auf einmal ist die neue Liebe nur noch nebensächlich. Auf einmal wird dem altgewordenen Jugendlichen von damals klar, dass Dinge im Leben wirklich zu Ende gehen. Niemals mehr Prince auf Tour. Niemals mehr jung. Niemals mehr Zeit, geradezurücken, was vor vielen, vielen Jahren von einem früheren Selbst verpatzt und verdorben wurde.

Ein Pop-Roman, der in der Sprache lässig ist wie Tommy Jauds Idiotenbücher, damit aber eine tiefere Ebene verbirgt, die weniger zum Lächeln und Lachen ist. Leo Palmer, der eine feste Bindung sucht, seit seine Ehe mit Schlagzeugerin Stella gescheitert ist, geht festen Bindungen aus dem Weg. Nicht noch einmal verletzt werden, nicht noch einmal verletzen können, was man eigentlich liebt - das ist der Plan, nach dem er lebt, ohne ihn selbst zu kennen. Auch die anderen von früher, die sich alle nach Jahren wiedertreffen, um Prince zu betrauern, haben ihre Macken: Der eine kokst und ist selbstmordgefährdet, die andere pleite, der dritte so beziehungsunfähig, dass er mit elf Hunden zusammenlebt. Die Vergangenheit steht zwischen allen und zugleich bindet sie alle aneinander - gemeinsame Erlebnisse sind auf einmal wieder so nah, dass sich auch die Menschen, die aus den Freunden von früher geworden sind, wieder nahekommen.

Keine Romanze, keinen lustigen Bericht von einer bizarren Reise, sondern ein ebenso unterhaltsamer wie nachdenklicher Roman über das, was immer bleibt, hat der seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Birbaek geschrieben. Zugleich ist das Buch eine Liebeserklärung an einen der größten Stars, den die Popwelt jemals hatte. Den vor zwei Jahren nach einer versehentlich eingenommenen Medikamentenüberdosis verstorbenen Prince Rogers Nelson hat Buchautor Birbaek selbst zu seinem absoluten Säulenheiligen erklärt, hier steht sein Name für eine Zeit, in der Musik noch handgemacht war, Bands noch auf der Bühne beweisen mussten, was sie können. Und alle, die das taten, jung, schön und voller Energie waren.

Ein Abgesang an eine verschollene Zeit ohne DJs, Computerprogramme und Streamingdienste, verpackt in eine Hymne an die gute alte Liebe. Michel Birbaek gelingt es in seinem fünften Großstadtroman, den Gefühlen und oft komischen Gebrechen einer Generation nachzuspüren, die als erste ganz selbstverständlich mit Rock und Pop und Teenagerliebe aufwuchs, bis heute aber ganz eigene Geister aus dieser so unbeschwert und offen wirkenden wunderbaren Vergangenheit mit sich schleppt. Zwischen Prince-Gottesdienst und zynischem Humor muss das Heimkind Leo Palmer, längst erfolgreicher Tonstudiobetreiber, zurück an den ersten Anfang, um die Chance auf einen zweiten mit dem "schönsten Mädchen der Welt" zu bekommen.

Mittwoch, 23. Mai 2018

DSGVO: Europa kontra Internet

Mit neuen Regeln zum Datenschutz schickt sich die EU an, kleine Firmen und privater Blogger aus dem Netz zu vertreiben. Kurz vor dem Inkrafttreten der neuen, umfassenden Regelungen herrscht Unklarheit über Begriffe und Definitionen und die einzigen, die sich freuen, sind Fachexperten und Berater,  die eigentlich aber auch nicht besser wissen, wie ein rechtssicheres Angebot künftig aussehen muss.

Der wichtigste und sichtbarste Beitrag Europas zum Internet war über Jahre hinweg das fürchterlich nervende Banner, das vor jedem Besucher aufploppte, der sich zum ersten Mal auf eine Internetseite verirrt hatte, auf der er vorher noch nie war. Die Cookie-Richtlinie der EU zwang Seitenbetreiber, ihm mitzuteilen, dass auch ihre Seite tut, was alle Seiten im Internet tun: Cookies auf dem Rechner des Besuchers hinterlegen. Dabei handelt es sich um kleine Codestückchen, die dem Seitenbetreiber beim nächsten Besuch etwas über den Besucher verraten - etwa, dass er schon mal da war. Beim Besucher wiederum dafür sorgen, dass er sich nicht neu einloggen oder die Cookie-Warnung erneut mit einem Mausklick wegdrücken muss.

Autofahrer, die Verkehrsschilder bestätigen


Die war etwa so sinnvoll wie der Versuch, Autofahrer vor jedem Verkehrsschild zu zwingen, mit einem Klick zu bestätigen, dass sie das Schild gesehen haben. Aber seit die EU im Jahr 2009 eine neue Richtlinie über "die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation" beschlossen hatte, blieb niemand verschont. Zwar kritisierten Digitalverbände die nutzerfeindliche Regelung harsch. Aber nun legen EU-Parlament und EU-Rat mit der sogenannten "General Data Protection Regulation" - zu deutsch "Datenschutz-Grundverordnung" oder kurz DSGVO - noch einmal nach. Und das so, dass vor dem Inkrafttreten der Regelung bei Bloggern und kleinen Seitenbetreibern im Netz Panik herrscht: Die elf Kapitel der neuen Richtlinie, aufgeteilt in stolze 99 Artikel, machen aus dem Betreiben einer Internetseite für Katzenfotos, Kochrezepte oder selbstgeschriebene Kurzgeschichten ein Unternehmen, das von einem privaten Hobby-Webmaster kaum zu managen ist.

Denn die DSGVO, bereits 2016 beschlossen, legt ihr ganzes Augenmerk auf den Schutz von Daten - und weil im Netz alles irgendwie aus Daten besteht, muss nach der Logik der EU-Kommission eben alles geschützt werden. Als "personenbezogene Daten" bezeichnet die Regelung "alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person" beziehen. Und als identifizierbar wird eine natürliche Person schon angesehen, wenn sie "die direkt oder indirekt mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, einer Kennnummer, Standortdaten oder einer Online-Kennung identifiziert" werden kann. Eine IP-Adresse hat so denselben Stellenwert wie ein Passfoto, ein Cookie, eigentlich ein anonymes Stückchen Code, das keinen Nutzer, sondern einen bestimmten Browser identifiziert, wird plötzlich zu einem personenbezogenen und damit schutzbedürftigen Gut.


IP-Adressen als geschütztes Gut


Für kleine Firmen und Vereine aber auch für Blogger und Betreiber von privaten Internetseiten ändert das alles. Es reicht nun nicht mehr, Besucher über das Hinterlegen von Cookies auf ihrem Rechner und die Absicht, diese später auszulesen, zu informieren. Nein, sie müssen aktiv zustimmen, zuvor aber erst einmal umfassend belehrt werden. Dazu muss der Inhalt von zwölf Artikeln der DSGVO ihnen "in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache" übermittelt werden. Immerhin darf diese Übermittlung "gegebenenfalls auch elektronisch" erfolgen. Doch "falls verlangt", muss die Information auch mündlich erteilt werden, heißt es in der Verordnung.

Die mit dieser Vorgabe, die künftig hohe Hürden vor den ersten Besuch jeder Internetseite türmt, allerdings noch lange nicht am Ende ist. Die EU sieht auch weitgehende Informationspflichten für Seitenbetreiber vor: Jeder Besucher hat künftig ein Auskunftsrecht darüber, was über ihn gespeichert wurde, wie lange es gespeichert werden soll und wohin die Information noch gelangt sein könnte - hier sind vor allem Werbeanbieter wie Google Adsense gemeint, die auf Partnerseiten ebenfalls Cookies hinterlegen. Und natürlich auch Links zu sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook, auf denen Besucher Beiträge liken oder teilen können.

Viele Nutzer von Internetseiten wissen das derzeit gar nicht und glauben, dass ihre Seite zu klein ist, um von der Neuregelung betroffen zu sein. Doch das ist ein Irrtum: Schon ein einziges Werbebanner auf einer Seite verwandelt die für den Gesetzgeber in ein Unternehmen mit kommerzieller Absicht, für das die verzwickten Maßgaben der DSGVO umfassend gelten. Ganz nebenbei sorgt die neue, undurchsichtige Richtlinie dafür, dass Großkonzerne wie Facebook, Twitter und Google noch mächtiger werden: Künftig wird es sicherer sein, auf einer Seite bei den Giganten zu posten als eine eigene Internetseite zu unterhalten, denn die mächtigen Netzriesen haben hunderte Anwälte über Monate durchleuchten lassen, wie sie ihre geschäftsmodelle an der DSGVO vorbeifädeln können.


Ein Bärendienst für das freie Netz


Ein Bärendienst, den die EU der Internetnutzung damit geleistet hat. Schon jetzt - also noch ehe die ersten Abmahnanwälte losgezogen sind, um aus Unkenntnis oder Missachtung der DSVGO-Regeln Kapital zu schlagen - sind kleine Anbieter verunsichert, Blogger schließen ihre Weblogs und Hobbyfotografen diskutieren im Netz, ob mal wohl in Zukunft noch einfach so fotografieren könne. Nach den Buchstaben der EU-Verordnung wohl nicht, denn digitale Aufnahmen sind zweifellos ein Fall von Datenverarbeitung, so dass jede irgendwo auf einem Foto abgebildete Person ihre Einwilligung zur Verarbeitung der sie betreffenden Daten geben müsste.

Österreich gräbt der Abmahnindustrie, die aufgrund der komplizierten Anforderungen der EU-Richtlinie schon in den Startlöchern stand, damit einer weiteren nationalen Vorgabe das Wasser ab. Abmahnanwälte und darauf spezialisierte Organisationen, die Datenschutzverletzungen im Auftrag von Nutzern zur Anzeige bringen, können das weiter tun, sie haben allerdings kein Recht, von den Tätern Schadenersatz zu verlangen. Das macht das Geschäftsmodell deutlich weniger attraktiv, denn um Schadenersatz zu erhalten, müssen einzelne Betroffene ihre Ansprüche nun individuell geltend machen. Da auf diese Weise weniger Geld für einen viel höheren Aufwand fließt, dürften Firmen, die Prozesse vorfinanzieren, kaum ein Interesse haben, in diesem Bereich zu investieren.


Österreich entschärft die Regeln


Ergänzt wird die europäische Datenschutzvorgabe im Nachbarland auch um ein sogenanntes Journalisten-Privileg: Medien dürfen personenbezogene Daten für journalistische Zwecke verarbeiten, ohne wie in der DSGVO eigentlich vorgeschrieben, umfassende Belehrungspflichten und Transparenzregeln zu befolgen. Ein ähnliches, wenn auch nicht so weit gehendes Privileg soll für Daten gelten, die zu wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Zwecken gespeichert werden. Ausgewählte Teile der DSGVO finden dabei keine Anwendung, "soweit dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen".

Ausnahmen von der DSGVO sieht die Regierung in Wien zudem ausdrücklich auch für Geheimdienste vor. Die Mehrzahl ist richtig: Gemeint ist nicht nur der österreichische Dienst.

Donnerstag, 29. März 2018

Kabinett de Maiziére: Die Abwickler der DDR


Die Minister der ersten und letzten demokratisch gewählten DDR-Regierung schauen in einem umfangreichen Interview-Band zurück auf die kurze Zeit an der Spitze eines untergehenden Staates.

Nicht viel mehr als 100, 130 und für manche auch 175 Tage dauerte  dieses letzte, allerletzte Kapitel der  40-jährigen DDR-Geschichte.  Die  im März 1990 eilig gewählte  Regierung des früheren Kirchenmusikers Lothar de Maiziere trat ihr Amt im April an. Und sie hatte eigentlich nur eine Aufgabe: Die Arbeiter- und Bauernrepublik besenrein übergeben, wenn das große Ziel der deutschen Einheit endlich erreicht ist.

Eine Selbstmordmission, wie die  17 Frauen und Männer beschreiben, die  als  Volkskammerpräsidentin, Ministerpräsident oder Ministerinnen  für immer die Letzten ihrer Art bleiben werden. Sie alle waren Amateure, manche wie der spätere SPD-Außenminister Markus Meckel oder DSU-Innenminister Peter-Michael Diestel durchaus machtwillig. Andere dagegen - wie der aus Magdeburg stammende Landwirtschaftsminister Peter Pollack oder Jugendministerin Cordula Schubert - blieben in ihrer Amtszeit durchgehend höchst verwundert über das Amt, das ihnen die Geschichte da plötzlich zugespielt hatte.

Politiker, die keine sind, regieren einen Staat, der keiner mehr sein will - die Einblicke, die der vom Leipziger Filmproduzenten Olaf Jacobs herausgegebene Interviewband  „Die Staatsmacht, die sich selbst abschaffte“ gibt, zeigen einen in der Historie einmaligen Vorgang aus der Innensicht. Während es draußen auf den Straßen brodelt, die Menschen politisiert sind wie nie, Unsicherheit grassiert und kaum noch staatliche Institutionen anerkannt werden, sitzen die letzten DDR-Minister vor einem Berg Abwicklungsarbeit.

Unter normalen Umständen wäre das alles überhaupt nicht zu schaffen gewesen, das sagen sie alle, von Sabine Bergmann-Pohl, einer  aus Eisenach stammenden Ärztin , über  den  wehrdienstverweigernden Pfarrer Rainer Eppelmann, der Verteidigungsminister wird und sein Amt sofort in „Abrüstungsminister“ umtauft, bis hin zum Merseburger Karl-Hermann Steinberg, der als Umweltminister eher ein Industrieabschaltminister sein wird. Aber es sind eben keine normalen Umstände mehr, wenn   ein   Staatsfeind plötzlich die Sicherheitsbehörden führt und eine Fachschuldozentin  aus Wengelsdorf auf einmal als Handelsministerin dafür sorgen muss, dass 16 Millionen Bürgerinnen und Bürger trotz Wirtschaftskrise, Freiheitseuphorie und Einheitssehnsucht etwas zu essen auf dem Tisch haben.

Mehr als ein Vierteljahrhundert Abstand tun den Berichten der Protagonisten dieser letztlich 174 Tage langen Zwischenzeit gut. Ohne noch Rücksicht auf Empfindlichkeiten von Parteien und früheren Kollegen nehmen zu müssen, sprechen die Ministerinnen und Minister a.D., die sich nach bundesdeutschem Recht nicht einmal so nennen dürfen, Klartext. Überfordert sind sie gewesen, anfangs oft allein beim Versuch, den übernommen SED-treuen Verwaltungsapparat auf die die neue Linie zu bringen.

Es war immer zu viel Arbeit und immer zu wenig Zeit, die Hilfe aus dem Westen blieb undurchsichtig und die Spielregeln mussten mitten in der laufenden Partie gelernt werden: Als Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl per Fax mit einer Ablehnung des Einigungsvertrages im Parlament droht, wenn nicht eine Übergangsregelung zur Versorgung der Abgeordneten nach dem Einigungsakt vereinbart werden, sticht das Büro ihrer Bundestagskollegin Rita Süssmuth das Papier an die Presse durch.

Es sind diese Details, die die Berichte interessant machen. Wenn Lothar de Maiziére seinen Anspruch beschreibt, in den Einheitsverhandlungen mit Helmut Kohl keinen „Kaufvertrag, sondern einen Gesellschaftsvertrag“ zustandebringen zu wollen, schwingt die leise Ahnung mit, dass die andere Seite auch mit einem einfachen Kauf zufriedengewesen wäre. de Maiziéres Amateurtruppe kämpft dagegen an, während sie gleichzeitig mit Stasivorwürfen umgehen muss, LPG-Bauern demonstrieren und die riesigen Industriekombinate immer mehr Mitarbeiter auf die Straße setzen.

„Nicht vergnügungssteuerpflichtig“, nennt Lothar de Maiziére seinen Posten als Ministerpräsident und aus heutiger Sicht würde er sich und seine Minister doch mit  „zwei bis drei“ benoten. „Wir waren unendlich fleißig und haben vieles auch richtig eingeschätzt.“

Vieles auch nicht, aber es gab keine Vorbilder, keine Muster und immer nur einen Versuch, wie Peter Michael-Diestel sich erinnert, der den Deutschen aus heutiger Sicht ein „Defizit in Dankbarkeit“ attestiert. Diestels Ministerkollege Markus Meckel, der zuletzt als Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge  amtierte, ist weit weniger zufrieden. Der Sozialdemokrat sieht im Rückblick viel Unseriosität am Werke. Auch schmerzen den im Sommer 1990 im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes von seinem Amt zurückgetretenen Ex-Außenminister bis heute spürbar persönliche Verletzungen.

Dass ihm die Entwürfe der DDR-Seite zum Einigungsvertrag nicht von seinem Ministerpräsidenten und Koalitionspartner zur Einsicht gegeben wurden, sondern er sie informell aus dem Bonner Kanzleramt bekam, das hat Meckel nie verwunden.

Samstag, 10. März 2018

Medien: Die Angst vor der 5. Gewalt



Das Journalisten-Ehepaar Petra Gerster und Christian Nürnberger hat ein Buch zur Verteidigung der vielkritisierten "Lügenpresse" geschrieben. Aber der Plan der beiden Insider geht nicht richtig auf.


Man tut eigentlich nur, was man immer getan hat. Und auf einmal ist alles anders. Petra Gerster ist irgendwann eine Wandlung aufgefallen, die sie nicht verstanden hat. Die Chefmoderatorin der "heute"-Nachrichten im ZDF empfing Signale eines Vertrauensverlustes, die Leute vor dem Schirm schimpften häufiger, "Lügenpresse" hieß es plötzlich auch in Richtung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders, bei dessen Frauenmagazin "Mona Lisa" Gerster einst ihre Karriere begonnen hatte.

Damals in den 90ern, so erinnert sie sich, sei ein Grundvertrauen dagewesen zwischen Zuschauern und Journalisten, zwischen Sender und Empfänger. Die Bürger könnten sich nicht zu jeder Detailfrage eine eigene Meinung und ein sicheres Urteil bilden, meint Gerster, sie müssten denen vertrauen, die Experten auf ihrem Gebiet seien. "Erodiert dieses Vertrauen, erodiert die Demokratie", glaubt Petra Gerster, die zusammen mit ihrem Ehemann, dem Journalisten Christian Nürnberger, ein Buch geschrieben hat, das nach den Ursachen des Vertrauensverlustes sucht und vor seinen Folgen warnt.

Es ist ein Buch aus der Innenperspektive, das sich bemüht, denen draußen zu erklären, wie das Nachrichtengeschäft läuft. Dass das überhaupt nötig ist, analysieren Gerster und Nürnberger, liege überhaupt nur an jener fünften Gewalt, die sich den drei verfassungsmäßigen Legislative, Judikative und Exekutive und jener aus sich selbst heraus wirksamen 4. Gewalt der Medien ungebeten angeschlossen habe. Soziale Netzwerke, "ohne deren Existenz der Vertrauensverlust marginal geblieben wäre", wie die Autoren vermuten.

Das ist auch schon das ganze Problem. Nicht eine Berichterstattung, die zumindest von Teilen der Zuschauer als bevormundend oder manipulativ empfunden wird, sehen Petra Gerster und Christian Nürnberger als Ursache des angespannten Verhältnisses zwischen den etablierten Medien und ihrem Publikum. Sondern die sozialen Netzwerke: Anfangs nur vereinzelt vorgetragene Kritik von Laien an den journalistischen Profis habe durch Facebook, Twitter und Co. zu einer "nie dagewesenen Gegenöffentlichkeit" geführt. Die nicht ernst genommen, sondern von den Kritisierten als unsinnig weggewischt worden sei. "Woraus die Kritiker ableiteten, dass sie recht hatten."

Es ist nun, wo das Kind im Brunnen liegt, ein ehrenwertes, aber mühseliges Unterfangen, die "Verunsicherten, die Fragen und Zweifel haben, aber noch empfänglich sind für Argumente", davon zu überzeugen, dass dem nicht so ist. Zumal, wenn sich beide Autoren entschließen, ihre Argumentation mit den üblichen Beweisen zu begründen. So sind Facebook und Twitter natürlich auch hier wieder "Medien, die tagtäglich eine Überdosis Gift aus Lügen, Gerüchten, Verschwörungstheorien, Aberglauben und Fake News verspritzen". Eine Behauptung, die die täglich allein bei Facebook eingestellten zwei Milliarden neuen Kommentare, die überwiegend weder Gift noch Lüge noch Aberglauben enthalten, einfach für unwichtig erklärt, um in der "Überdosis Gift" einen bequemen Schuldigen an der wachsenden Kritik an der eigenen Arbeit zu finden.

Das "Misstrauensvotum", von dem Gerster und Nürnberger selbst schreiben, es ist bei den beiden Autoren nicht angekommen. Wenn es dann darum geht, zu erklären, dass etwa ARD und ZDF keine "Staatssender" sind, dann arbeitet sich das Autorenduo ausschließlich am ZDF ab. Das Verfassungsgericht hatte dessen Verwaltungsrat 2014 als "zu staatsnah" bezeichnet und gefordert, dass der Anteil von Politikern von 40 Prozent auf ein Drittel reduziert werden müsse. Das sei auch geschehen, führen Gerster und Nürnberger an - seit Juli 2017 seien unter den zwölf Mitgliedern nur noch vier Vertreter von Bundesländern.

So wahr das ist, so richtig ist auch, dass es nebenan bei der ARD ganz anders aussieht. Im MDR-Verwaltungsrat haben zum Beispiel bis heute fünf von sieben Mitgliedern ein Parteiticket. Nur zwei der Frauen und Männer, die den Auftrag haben, die Geschäftsführung der MDR-Intendantin zu überwachen, sind im bürgerlichen Beruf als Professoren an einer Universität unabhängig. Alle anderen sitzen in einem Landtag, waren früher einmal Bürgermeister, Abgeordneter oder im Vorstand ihrer Partei.

Ein Umstand, der Gerster und Nürnberger ebenso entgangen zu sein scheint wie der, dass die unabhängige "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten", die derzeit jährlich rund acht Milliarden Euro an die öffentlich-rechtlichen Anstalten verteilt, alles andere als eine "unabhängige" Institution ist. Die Mitglieder des Gremiums werden nicht öffentlich nominiert oder gewählt. Sondern, so heißt es im Gesetz, von den "Ländern entsandt" - also von den Ministerpräsidenten ausgewählt.

Handverlesen, was am Ende herauskommt. Vom früheren persönlichen Minister-Referenten über einen ehemaligen Fraktionsassistenten im Landtag, dem Ex-Chef einer Senatskanzlei und früheren Staatssekretär bis hin zum einstigen Abteilungsleiter in einem Ministerium und dem früheren Volontär eines der Sender, denen die KEF Geld zuteilt, ist alles vertreten, was nicht direkt ein Parteiamt hat. Aber so nahe dran ist, dass das "unabhängig" im Namen nach Etikettenschwindel riecht.

Nichts, was von Gerster und Nürnberger zu erfahren wäre. Erzählen die beiden alten Nachrichtenkämpen von Machtkonzentrationen im Medienbereich, dann am liebsten über die im Ausland: Die altbekannten Rubert Murdoch und Silvio Berlusconi tauchen da auf, neun Seiten lang. Die deutschen Pressezaren dagegen sind auf drei Seiten abgehandelt. Schließlich seien Hubert Burda und Frank Otto zwar "auch schwer reiche Medienunternehmer", aber beide verstünden sich "eher als Kaufleute denn als politisch agierende Verleger". Das Medienimperium der SPD, die über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH Miteigentümerin von 40 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwa 2,2 Millionen verkauften Exemplaren ist, kommt gar nicht vor.

Es ist natürlich schwer, einem Buch zu trauen, das seine Wahrheiten so offenkundig selektiv auswählt. Wenn Gerster und Nürnberger in der Folge von den Umständen berichten, unter denen Nachrichten entstehen, verarbeitet, verbreitet und am Ende gesendet werden, dann tun sie das faktenreich und anhand von vielen Beispielen auch sehr anschaulich.

Doch auch hier streift das schreibende Paar die wichtigsten Punkte nur wie versehentlich: Eine Klage von Reporter ohne Grenzen gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) wegen dessen Bespitzelung von Journalisten wird erwähnt. Das Urteil Bundesverwaltungsgerichtes, das es dem BND seit Dezember 2017 verbietet, Verbindungsdaten aus Telefongesprächen von Reporter ohne Grenzen zu speichern, nicht.

Noch lässiger fliegen Gerster und Nürnberger über das "im Oktober verabschiedete Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung" (VDS) - gemeint ist wohl der Oktober 2015, vergessen wurde, dass die VDS trotz des Parlamentsbeschlusses zur Wiedereinführung bis heute ruht, weil Gerichte und europäische Institutionen ernsthafte Bedenken wegen ihrer Verfassungsmäßigkeit und ihrer Übereinstimmung mit Europarecht hegen.

Wer solche Fehler macht, muss eigentlich über Fake News schweigen.

Montag, 5. März 2018

NetzDG: Die Schlinge um die Freiheit zieht sich zu

Nie zuvor blockierte der Kurznachrichtendienst Twitter so viele deutsche Nutzer wie im Moment. Erschreckender aber noch ist die Geschwindigkeit, mit der Deutschland zu einer Nation wurde, die mehr Accounts blockiert als die Erdogan-Türkei.



Im ersten Halbjahr 2017 war noch alles ganz normal. Nach dem sogenannten Transparenz-Bericht des US-Unternehmens Twitter wurden seinerzeit knapp 200 Twitternutzer zumindest teilweise blockiert - Accounts blieben offen, doch Tweets wurden teilweise öffentlich nicht mehr angezeigt. Verglichen etwa mit der Türkei eine überschaubare Zahl: In der Türkei wurden rund 20 mal soviele Accounts gemeldet und rund zehnmal so viele gesperrt.

Doch es dauerte nur ein halbes Jahr und Deutschland hat den Rückstand aufgeholt. Wie neue Zahlen zeigen, die das Internetportal Buzzfeed durch Hochrechnungen ermittelt hat, waren es ausgerechnet Deutschland und Frankreich, in denen Twitter zuletzt eine noch nie dagewesene Anzahl von Accounts blockiert. Noch vor Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes lasse der Anstieg vermuten, dass Deutschland mit 751 für Nutzer im Inland unsichtbaren Accounts inzwischen vor der Türkei liegen könnte, die nach Angaben von BuzzFeed derzeit 721 Twitterer blockiert.

Ursache des sprunghaften Anstiegs sei eine steigende Zahl von Anträgen von Regierungen, NGOs und anderen Organisationen, denen Twitter offenbar immer öfter folge. 2013 gab es nur ein entsprechendes Gesuch aus Deutschland, das Twitter damals ablehnte. Im ersten Halbjahr 2017 lag die Zahl der Anfragen dann bei 443, das ist Platz 4 weltweit, von denen ein Viertel befolgt wurde. Nur für Russland und Australien lag der Wert noch höher.

Twitter nennt den Prozess der Sperrung von Accounts oder Tweets in bestimmten Ländern nicht "Blockieren" sondern "Zurückhalten". Inhalte von in Deutschland zurückgehaltenen Accounts sind für Twitter-Nutzer in Deutschland nicht mehr sichtbar, bleiben das aber für Nutzer in allen anderen Ländern - selbst wenn diese sich nicht in einem anderen Land befinden, sondern nur in ihren Accounteinstellungen ein anderes Heimat- oder Aufenthaltsland angegeben haben.

Sowohl Twitter als auch die deutsche Agentur, die für Anfragen zur Löschung von Inhalten verantwortlich ist, hat es ablehnt, die BuzzFeed-Zahlen zu kommentieren.

Medienfreiheit: Wie deutsche Behörden US-Firmen nutzen, um InternetiInhalte sperren zu lassen

Samstag, 24. Februar 2018

Goitzsche Front: Der Bitterfelder Weg


Zum ersten Mal seit Tokio Hotel vor knapp zehn Jahren hat es wieder eine Band aus Sachsen-Anhalt an die Spitze der deutschen Albumcharts geschafft. Diesmal steht kein Masterplan und kein Großkonzern hinter dem Phänomen.

Erstmals seit 2009 steht wieder eine Band aus Sachsen-Anhalt auf dem Spitzenplatz der deutschen Albumcharts. Goitzsche Front aus Bitterfeld, vor zwei Jahren mit ihrem Album "Mon(u)ment" schon wie aus Nichts auf Platz 6 gelandet, sitzen mit ihrem neuen Werk "Deines Glückes Schmied" auf dem Hitparadenthron. Vor knapp zehn Jahren war es die Magdeburger Teenie-Gruppe Tokio Hotel, die mit einem solchen Erfolg Furore machte für ein Bundesland, dessen Rockmusikszene kaum je für überregionales Aufsehen sorgt. Und nun jetzt sind es vier junge Männer aus Bitterfeld: Christian Schulze, Maxi Beuster, Pascal Bock und Tom Neubauer, die ihre Band vor zehn Jahren eigentlich nur als Spaßkapelle gegründet hatten, dann aber immer deutlicher merkten, dass da mehr geht.

Der Unterschied zu Tokio Hotel könnte nicht größer sein. Kamen die schon mit ihrer Debütsingle überall ins Fernsehen, weil ein großes Teenie-Magazin den Hype gezielt anheizte, sind es bei ihren Nachfolgern die sozialen Netzwerke, die den Erfolg tragen. Videos wie „Der Osten rockt“, „Menschlich“ oder „Männer aus Stahl“ kommen auf Millionen Abrufe und lassen damit etablierte Ostbands der alten Garde wie Silly, Karat und die Puhdys um Längen hinter sich. Inzwischen spielen die vier Musiker regelmäßig vor ausverkauftem Haus, jedes Konzert wird angegangen wie ein Endlauf bei Olympia, höchste Konzentration, dann alles geben, was da ist.

Das sei alles nicht geplant gewesen, beschreibt Gitarrist Maxi Beuster, der als letzter zur Band stieß, die der heute seine Familie nennt. Irgendwie aber funktionierte es, irgendwann bemerkten die vier Bitterfelder, dass sie zusammen etwas zustandebringen können, was in vielen Menschen eine Saite zum Schwingen bringt. Niemand hier hatte die Absicht, Größen wie Ed Sheeran, Justin Timberlake, Helene Fischer oder Peter Maffay in den Charts hinter sich zu lassen. Aber nun ist es passiert: „Deines Glückes Schmied“, ein handfestes, gefühlsseliges und erdigen Album, angefüllt mit 16 Hymnen an das Leben, die Liebe und das Leid, katapultiert Beuster, Schulze, Bock und Neubauer in Sphären, von denen sie nicht einmal geträumt haben.

Aber darauf hingearbeitet, das haben sie, ohne Kompromisse zu machen. Echt sein, sich nicht anpassen und machen, was man selbst für richtig hält - seit der 29-jährige Bock und seine Kindergartenkumpel Schulze und Neubauer ihre Band vor neun Jahren mit wenig Können und viel Euphorie gründeten, sind die Musiker aus Bitterfeld diesem Grundsatz treu geblieben. Es ging nie um Image, Stromlinienform und Mode. „Sondern darum, zu machen, was man glaubt, tun zu müssen“, wie Bock sagt. Maximilian Beuster, mit 23 der Jüngste der Band, bestätigt das. „Wir sind wirklich nicht nur Bandkollegen, sondern die allerbesten Freunde.“

Immer noch müssen die Bandmitglieder Urlaub nehmen, um auf Tour gehen zu können. Demnächst geht es los - erst solo, dann als Anheizer für die Kollegen von Frei.Wild. Eine neue Herausforderung. "Vor so vielen Leuten haben wir noch nie gespielt", sagt Maximilian Beuster und es klingt nach Respekt und Vorfreude. Der legendäre Bitterfelder Weg, er  führt weiter, immer weiter. Mal sehen, bis wohin, sagen sie selbst.



Konzerttrermine in diesem Jahr

Sonntag, 21. Januar 2018

Digitale Agenda Sachsen-Anhalt: Im Land Über­mor­gen

Mit der "Digitalen Agenda" wollte Sachsen-Anhalt einen großen Sprung in die Zukunft wagen. Zwei Jahre später liegt ein Papier vor, das Plattitüden bündelt und den Ereignishorizont um ein weiteres Jahr nach hinten verschiebt. Bis 2030 soll nun eine "Gigabit-Gesellschaft" entstehen - wenn die wolkigen Versprechen irgendeinen Praxiseffekt zeitigen. 



Es begab sich im Jahre 2015, 25 Jahre nach der Geburt des World Wide Web, zehn Jahre nach der flächendeckenden Einführung von DSL und fünf Jahre nach Inbetriebnahme des ersten LTE-Funkmastes, dass die Landesregierung beschloss, ernst zu machen mit der Zukunft. Ein Vorhaben, das mit großer Geste gestartet wurde: Ein "digitaler Thesenanschlag" gab 108 Stichpunkte vor, die Sachsen-Anhalts Bürgerinnen und Bürger diskutieren sollten, um einen Fahrplan aufzustellen, nach dem das bisher weit hinten in der Hightech-Hitparade rangierende Land durchstarten sollte.

Kaum eine Resonanz


Schon die Resonanz auf den Thesenanschlag zeigte, dass daraus nicht viel werden würde. In zwei Jahren liefen 103 Wortmeldungen ein, nicht mal ein Kommentar pro These. Über Facebook, wo jedes Katzenbild massenhaft Reaktionen provoziert, meldete sich ein einziger Hinweisgeber. Und zu Themen wie digitale Infrastruktur betraf die Mehrzahl der Einträge Hinweise auf die schlechte Versorgung mit schnellem Internet im eigenen Ort.

Beim Thema "Verwaltung als Service" fanden die Initiatoren in ihrem Abschlussbericht selbst heraus, dass es "keine öffentlichen Kommentare der Landesministerien" zu irgendwelchen Vorschlägen oder Hinweisen gegeben habe. Das angekündigte Zwiegespräch mit dem Bürger, es fand nicht statt. Kein Wunder, denn die Hürden, sich einzubringen, waren hoch: Statt einer Kommentarfunktion gab es nur die Möglichkeit, eine E-Mail zu schreiben. Die landete in der Staatskanzlei und die stellte sie "nach Prüfung so schnell wie möglich online".


Hitparade der Plattitüden


Und so liest sich das Abschlussdokument der großen Plandiskussion um den digitalen Neustart des virtuell abgehängten Landes wie eine Hitparade an virtuellen Plattitüden. Ein Berg kreiste. Und gebar eine Multimedia-Maus: "Wir bauen unsere digitale Infrastruktur aus", heißt es da, "wir helfen Unternehmen, den digitalen Wandel voranzutreiben" und "wir lassen niemanden im digitalen Wandel zurück". Ganz am Ende findet sich ein Versprechen, bei dem das Land sich selbst konkret in die Pflicht nimmt: "Wir bauen die öffentliche Verwaltung zu einem digitalen Dienstleister um."

Zehn Jahre nach Einführung des elektronischen Personalausweises hört sich das nach einem Scherz an, es ist aber völlig ernst gemeint. Sachsen-Anhalt bietet derzeit genau vier Anwendungen für den e-Perso, neben der bundesweiten Möglichkeit der elektronischen Abgabe der Steuererklärung kann man sich bei der Hochschule Harz elektronisch anmelden und in zwei Landkreisen Autos elektronisch abmelden. Nun ist der E-Perso bundesweit ein Rohrkrepierer - doch vier Anwendungen sind selbst im Vergleich mit Mecklenburg wenig. Zumal Landesbehörden selbst keine einzige Anwendung anbieten.

Das soll nun besser werden, verspricht die Digitale Agenda. Allerdings bleibt sie bei Einzelheiten wolkig. In den "kommenden Jahren" solle "die öffentliche Verwaltung zu einem digitalen Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen unseres Landes weiterentwickelt" werden, heißt es seltsam datumslos. Und auch inhaltlich fehlt den Bandwurmsätzen jede Festlegung: Als "Grundprinzip" bei der Umsetzung diene "dabei die enge Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen" und "ausgehend von der Strategie Sachsen-Anhalt digital 2020, dem 2017 beschlossenen Onlinezugangsgesetz, dem 2018 zu verabschiedenden E-Government-Gesetz sowie befördert durch die Entwicklungen auf Bundes- und europäischer Ebene" werde das Land "eine neue E-Government-Strategie verabschieden".

Estland macht vor, Sachsen-Anhalt nicht nach


Wo Länder wie Estland - mit 1,3 Millionen Einwohnern halb so groß wie Sachsen-Anhalt - seit Jahren von der Geburt über die Wahl bis zur Sterbeurkunde hunderte elektronische Dienstleistungen anbieten, schickt sich Sachsen-Anhalt an, eine neue Strategie für das sogenannte E-Government zu verabschieden. Basis dafür ist der Plan, bis 2030 "Kurs auf die Gigabit-Gesellschaft" zu nehmen. Daten sollen dann landesweit in einer Geschwindigkeit von einem Gigabit pro Sekunde ausgetauscht werden - 20-mal schneller als die 50 Mbit, die bis 2010 erreicht werden sollten und heute vielerorts noch Zukunftsmusik sind.

Ein neuer Plan, denn neun Jahre nach der ersten Landesinitiative zum Anschluss ländlicher Regionen ans schnelle Internet und sechs nach der von der Landesregierung verabschiedeten Strategie "Sachsen-Anhalt digital 2020" liegt das Land bei der Internet-Nutzung noch immer auf dem vorletzten Platz aller Bundesländer und bei der Breitbandverfügbarkeit in weiten Flächen unter 50 Prozent.

Zum Thesenanschlag:
www.digital.sachsen-anhalt.de

Donnerstag, 4. Januar 2018

Digedags: Familie Duck der DDR

Hannes Hegens Comiczeitschrift "Mosaik" war zwei Jahrzehnte lang die realsozialistische Antwort auf Mickey Mouse - nur noch viel erfolgreicher. Nach dem plötzlichen Ende der Heftserie übernahmen die Abrafaxe, doch für echte Fans blieben die immer bloße Kopie.

Unvermittelt pflegten sie aufzutauchen, unangekündigt sowieso. Der Schuldirektor,- im Schlepptau ein, zwei Lehrer. "Ranzenkontrolle", blökte einer durch den Raum. Die Deutschstunde jedenfalls war gelaufen. Wenn nicht sogar der ganze Tag. Wurden die gnadenlosen Suchtrupps nämlich fündig, brach das Donnerwetter über den betreffenden Schüler herein. "Schundund Schmutzliteratur" in der Schultasche verwahrt zu haben, zog regelmäßig regelrechte Verhöre nach sich: Woher stammt die Konterbande? An wen wurde das inkriminierte Groschenheft bereits verliehen? Wer besitzt ähnliches "gedrucktes Gift" (NBI)? Wo sind Mickey Mouse, Lucky Luke, Donald Duck und die anderen versteckt? Und warum gab sich der Ertappte mit solchem "geistigen Müll" ab?


Der verderbliche Einfluss, den "westlich-dekadente" Bildgeschichten auf den kindlichen Charakter haben, war in der DDR unumstritten. Dagobert Duck galt als die Inkarnation des bösen, geldgierigen Kapitalisten, Lucky Luke als indianermordender Cowboy. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West tobte und die fröhliche Unverkrampftheit der bunten Heftchen konnte so nur eine ganz besonders perfide Masche sein, um den Sozialismus, von dem man felsenfest meinte, er "erstarke" unablässig, zu zerschmettern. 
Walt Disney war ein Handlanger beim Angriff des Klassenfeindes auf die Jugend, die doch eben im Begriff war, die Zukunft zu bauen.


Doch alle Kämpfe an der ideologischen Front, alle Ranzenkontrollen nebst harter Bestrafung erwischter Delinquenten nützen nichts. Die Seuche Comics, ausgebrochen in den USA der vierziger Jahre und von den siegreichen amerikanischen GIs nach Deutschland verschleppt, hatte zum Ärger der SED-Führung auch die halstuchbeschlipste DDR-Jugend angesteckt. 



Irgendwie kam Johannes Hegenbarth da genau richtig. Der Ostberliner Grafiker und Zeichner hatte schon seit Anfang der Fünfziger die Idee einer eigenen DDR-Comiczeitschrift, denn, so meinte er im Unterschied zur damals herrschenden Schulmeinung nicht nur im Osten Deutschlands, nicht die Form der Comics an sich ist schlecht - die Inhalte sind entscheidend. Was also lag näher, als die Comicsform mit dem Erziehungsanspruch des sozialistischen Bildungswesens zu verbinden? Im Dezember 1955 war es soweit. Alle Widerstände glücklich überwunden, die erste Nummer gedruckt. Johannes Hegenbarth, der sich als Herausgeber amerikanisch verknappt "Hannes Hegen" nannte, präsentierte im FDJ-Verlag "Junge Welt" das "Mosaik". Die Folge 1 - "Auf der Jagd nach dem Golde" genannt - war der erste einer einzigartigen Serie von DDR-Comics.


Dig, Dag und Digedag hießen Hegens knollennasige Helden, die in den nachfolgenden 21 Jahren und insgesamt 229 Heftnummern Abenteuer auf Mars, Mond und Erde, im Amerika der Gründerzeit, im Mittelalter, und Gott weiß noch wo erleben sollten. Anfangs von misstrauischen Beobachtern unter Generalverdacht der Jugendverblödung gestellt, gelang es den Digedags genannten Dreikäsehochs mit ihren einfachen und "sauberen" moralischen Ansichten und Ansprüchen schnell zu wahren Kultfiguren zu werden.


Obgleich die Druckauflage seit Anfang der sechziger Jahre beständig - wenn auch stets nur "im Rahmen der ökonomischen Möglichkeiten" - gestiegen war, reichte das Angebot hinten und vorn nicht, um die Nachfrage auch nur annähernd zu befriedigen. Das "Mosaik", sechzig Pfennig teuer und zu seinen Hochzeiten mehr als eine Million Mal im Monat verkauft, avancierte zur gefragtesten Bückware an den Zeitungskiosken zwischen Ahrenshoop und Zittau. Im Abonnement hatte Hegens bahnbrechende Neuerfindung des- Comic als sogenannte Bilderzeitschrift eigentlich von Anfang an eines dieser Sternchen, die besagten: "Neu-Abo nur möglich, wenn Alt-Abonnent stirbt."


Trotz oder gerade wegen dieser, alle Parteitagsbeschlüsse und Republikgeburtstagsverpflichtungen hartnäckig überlebenden Erschwernisse wuchsen glatte drei Generationen von DDR-Kindern mit Dig, Dag, Digedag; dem gutmütig-doofen Ritter Runkel, mit dem lächerlichen Bösewicht Coffins und all den anderen '. freundlichen, skurrilen Gestalten auf. Reisten die von ihren Fans liebevoll "Digis" genannten Gnome in die Zukunft, in der ihnen von glücklichen sozialistischen Menschen nur so wimmelnde gigantische Flughäfen und natürlich gemeinschaftliche genutzte Elektro-Autos begegneten, reisten zumindest alle DDR-Bürger zwischen acht und sechzehn mit. Ging der Ausflug in die ferne Vergangenheit der Kreuzzüge, wartete man nicht weniger gespannt auf die' nächste Folge.


Wie das Abenteuer ausgehen würden, war natürlich immer vorher klar. Die  stets adenauergesichtigen Knurrgestalten des Bösen durften kämpfen. Aber am Ende gelang es den Digedags doch immer,  mit List und Klugheit und durch die Hilfe eines ganzen Haufens sich stets wie von Wunderhand um sie versammelnder guter Menschen zu obsiegen.


Im Unterschied zu "kapitalistischen Comics" hatte Hegens "sozialistische Bilderzeitschrift" vor allem in den ersten Jahren erklärtermaßen eine erzieherische Funktion neben der rein unterhaltenden. Abenteuer, Flüge, ferne Welten und fremde Gestade dienten vorzugshalber als Kulisse für naturwissenschaftliche Kurzvorträge eines Koerzählers namens "Lexi , der es sich bei passender Gelegenheit auch nicht nehmen ließ, vorsichtige Agitation mit chemisch-physikalischen Neuigkeiten zu verbinden. 


Mit den Jahren aber änderte sich das - "Lexi" verschwand ohne Spuren zu hinterlassen.und aus dem "technic strip" wurde mehr und mehr eine Spielwiese des Allgemeinmenschlichen. Ob im alten Rom oder im Wilden Westen, ob im Orient oder auf dem Mond, die Digedags - irgendwie immer unschwer zu erkennen als die DDR-Bürger, die sie ja in Wirklichkeit auch waren - hatten nur noch eine Botschaft: Wo die Bösen regieren, muss das Gute sich einmischen. Dann geht es um das große Ganze, und dann hat der eigene, kleine, persönliche Vorteil nichts zu suchen.


Die Parallelen zur Wirklichkeit ist so unübersehbar wie beabsichtigt: Die Digedags kämpften immer wieder die Kämpfe der Realität nach, siegten als putzige Karikaturen ihrer verhinderten Herren; nicht zuletzt jedoch erlebten sie dabei stellvertretend die große, weite Welt, die ihren Lesern verschlossen blieb. Und ihre Abenteuer begründeten zugleich bis Mitte der siebziger Jahre, warum zum Teufel das so sein muss. Den Garaus machte den drolligen kleinen Kerlen schließlich ein Streit zwischen ihrem Erfinder Hannes Hegen und dem Verlag Junge Welt im Jahr 1976, der mit dem Bruch zwischen beiden und der nachfolgenden Erfindung der "Abrafaxe" endete, die den Digedags zwar bis hin zu Charakteren, Gesten und Verhaltensweisen täuschend echt nachempfunden waren, deren Kultstatus jedoch nie erreichten.

Seit Anfang Dezember gibt es die Digedags in einer eigenen Dauerausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu erleben.

Samstag, 9. Dezember 2017

HDR-Fotos und Filter-Apps: Wenn alle Bilder schöner werden


Smartphones haben das Fotografieren zum Hobby von Millionen gemacht. Die meisten von ihnen wissen nur noch nicht, wie sich die eigenen Aufnahmen mit ein paar Handgriffen zu Kunstwerken machen lassen.

Wenn das Motiv stimmt, wird abgedrückt. Bei Partys, Spaziergängen, Konzerten klicken die Auslöser. Die erste Frühlingsblume, der letzte Schnee, der schöne Sonnenuntergang - immer und überall sind sie heute dabei, die Kameras, die in Wirklichkeit aufgebohrte Telefone sind. Nahm Vati einst noch ganze drei Filme mit in den zweiwöchigen Urlaub, knipst ein begeisterter Hobby-Fotograf dieselbe Menge von 108 Fotos heute an einem Nachmittag. Zu Tausenden und Hunderttausenden landen sie dann bei sozialen Netzwerken wie Flickr, Instagram oder Facebook.

Nur wundert sich dort mancher dann doch, dass seine Werke nicht die gebührende Aufmerksamkeit finden. Und eigentlich auch mit dem Auge des Künstlers selbst betrachtet nicht so toll aussehen wie manches Foto der Konkurrenz. Das hat mehr Farbe. Mehr Brillanz. Mehr Tiefe, Räumlichkeit, eine fast schon gemäldeartige Struktur. Wie machen die das nur?, fragt der Neueinsteiger sich unweigerlich. Und: Wie bekomme ich das auch hin?

Kein Problem, denn was vor einigen Jahren noch eine kostspielige Software und einen aufwendigen Bearbeitungsvorgang erforderte, erledigen heute sogar schon kostenlose Smartphone-Apps. Kleine Programme wie Pixlr, Polarr, Pho.to, Lightroom oder Camera MX verschaffen Fotografen fast unbegrenzte Möglichkeiten, ihre Bilder aufzubessern, zu verfremden, Stärken zu betonen, Schwächen wegzuretuschieren und eine besondere Atmosphäre durch die Verwendung von Filtern zu schaffen.

Die hat der Dienst Instagram einst als Erfolgsmodell entdeckt, die hat inzwischen jede halbwegs brauchbare Foto-App zu Dutzenden an Bord. Selbst einfache Kamera-Apps wie Kamera, Open-Kamera oder das universelle Bildprogramm Google Fotos erlauben es mit ein, zwei Klicks, einem Bild das gewisse Etwas mitzugeben, das vorher nicht da war. Spezialisierte Programme dienen hingegen zum Herauskitzeln besonderer Effekte: Color Splash erlaubt die Farbverschiebung innerhalb eines Bildes, das danach vielleicht nur noch schwarz-weiß ist, aber alle Rottöne beibehalten hat. Andere Apps sorgen für Comic- oder Zeichenstift-Effekte, machen Zeitlupenaufnahmen oder schaffen Platz für Sprechblasen.

An Fotokünstler und die, die sich als solche verstehen, richten sich speziellere Apps, die einen weit größeren Funktionsumfang haben als die Standardfilter von Google Fotos und Instagram. Programme wie Adobe Lightroom, Snapseed, Pixlr Express, Polarr und Camera MX verfügen über einen nahezu unüberschaubaren Bestand an Filtern, Reglern, Auto-Korrektur-Einstellungen und Effekten, die sich beliebig miteinander kombinieren lassen.

Weil alle Programme kostenlos sind und auf allen Smartphones mit halbwegs aktueller Android-Software laufen, ist die Entscheidung, welches man benutzt, nur eine Frage eines ausgiebigen Tests. Adobe Lightroom etwa ist das professionellste Programm, es hat den größten Funktionsumfang und keine übermäßig komplizierte Bedienung. Gerade das absolut Ernsthafte an der App aber wird manchen Gelegenheitsfotografen abschrecken, denn ohne etwas Beschäftigung mit der App werden die eigenen Bilder eher zufällig besser. Pixlr Express dagegen ist einfach, schnell durchschaut und kompakt, es fehlt der App aber ebenso wie denen von Polarr, Magix und Aurora am Überraschungseffekt.

Mit dem geizt dafür die App Snapseed nicht, die vom kalifornischen Unternehmen Nik Software entwickelt wurde - weshalb Google wenig später zuschlug und die Firma aufkaufte. Snapseed wird über neun Werkzeuge und elf Filtergruppen gesteuert, unter jedem einzelnen Punkt warten dann klug sortierte weitere Einstellungsmöglichkeiten, die kombiniert oder nacheinander angewendet werden können. Schon nach kurzer Einarbeitungszeit erzielen auch Anfänger erstaunliche Resultate. Googlenutzer haben zudem den Vorteil, dass Snapseed zumindest teilintegriert in Googles Bildprogramm Fotos ist. Dadurch wird jeder einzelne Arbeitsschritt an einem Bild als neues Foto gespeichert. Wem die Arbeit am Handydisplay zu mühsam ist, der kann auch auf eine Desktop-Variante des Programms zurückgreifen.


Sonntag, 29. Oktober 2017

Stephen King: Horror-König triumphiert mit 70


Stephen King musste erst 70 Jahre alt werden, um seinen Kritikern endlich als echter Autor zu gelten.

Es hat Jahrzehnte gedauert und es hat Stephen King, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, immer gewurmt. So viele Bücher der Mann aus Maine auch schrieb, in so vielen Stilarten er sich erprobte, so viele Millionen Exemplare er auch verkaufte. Dieses Vorurteil, es ging nicht weg: Stephen King schreibt „Horrorromane“, er ist ein besserer Groschenheftautor, talentiert im Umgang mit Sprache. Aber uninteressiert an allem, was tiefer dringt als Reißzahn, Schwert und tödliches Virengift.

King, aufgewachsen als Sohn einer Alleinerziehenden, die sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen musste, hat die Zeit gut ausgehalten. Seit er mit Ende 20 „Carrie“ veröffentlicht hatte, geschrieben in einem ärmlichen Wohnwagen, während der Autor tagsüber als Englischlehrer jobbte, blieb der kommerzielle Erfolg dem begeisterten Freizeitgitarristen treu. King wurde erst zum Bestsellerautor, dann zum Schriftsteller mit den höchsten Auflagen weltweit. Mit Büchern wie „The Stand“, „Es“ und der opulenten Reihe „Der Dunkle Turm“ entwarf er düstere Welten, in die ihn Millionen Leser begleiteten.

Nur ernstgenommen wurde der Vielschreiber nicht, der bis heute mehr als 70 Romane und Geschichtensammlungen veröffentlicht hat. Im Zwiespalt zwischen Erfolg und Selbstzweifeln suchte King Zuflucht in Drogen und im noch eifrigeren Schreiben. Bis ein schwerer Unfall ihn so außer Gefecht setzte, dass er Jahre brauchte, um wieder der Alte zu werden.

Seitdem aber läuft es für King. Er erhielt den National Book Award und endlich wurden seine Bücher, die immer auch die Geschichte von Kleinstadtamerika erzählen, auch im seriösen Feuilleton besprochen. Und wichtiger noch: Hollywood, mit dem King seit Stanley Kubricks „Shining“-Verfilmung von 1980 eher ernüchternde Erfahrungen gemacht hatte, entdeckte seine Bücher neu. Mit „Puls“, „der Dunkle Turm“ und „Es“ kamen und kommen in den letzten beiden Jahren gleich drei King-Bücher ins Kino. Die Neuverfilmung seines Klassikers „Es“ schaffte dabei einen Start wie noch nie zuvor ein Horrorfilm.