Freitag, 2. Dezember 2016

Conny Ochs: Ein Reisender in Sachen großes Gefühl



Mit seiner Band Baby Universal ist der Hallenser Cornelius Ochs seit mehr als einem Jahrzehnt eine der wichtigsten, bekanntesten und erfolgreichsten Figuren der Rockmusik in der Region. Zuletzt legte die Lieblingsband von Kult-Regisseur Quentin Tarantino mit "Slow Shelter" ein Meisterwerk vor, das den Mix aus Brit-Pop und Hard-Rock um Folkelemente erweiterte. Seitdem hält sich die Band bedeckt, Ochs selbst tourt hingegen europaweit mit seinem neuen Solo-Album "Future Fables".

Zwölf Songs hat der Hallenser mit der unverwechselbaren Stimme im Kabumm-Studio in Golzow eingespielt, alle zwölf orientieren sich mehr an seinen gemeinsamen akustischen Alben mit der US-Doom-Legende Scott "Wino" Weinrich (St. Vitus) als am treibenden elektrischen Sound seiner Band.

Lieder mit Herz, Lieder mit Seele sind das, vom Auftakt mit dem auf zwei Gitarren hereinschleichenden "Hole" bis zum Finale mit der dunklen Klavierballade "Make some room". Conny Ochs singt flehentlich, er flüstert, zeigt aber bei "Killer" auch, dass er Nirvana ebensogut kann.

Fantastische Songkunst, der Sachsen-Anhalt, der Osten und ganz Deutschland spätestens seit den gemeinsamen Tourneen mit Scott Weinreich zu klein geworden ist. Seine zwischen Mark Lanegan, Lou Reed und Nick Drake pendelnde Musik, mit dem Debüt "Raw Love Songs" entworfen, mit "Black Happy" vervollkommnet und mit "Future Fables" nun für erste vollendet, wird überall verstanden.

Wie ein moderner Troubadour zieht Ochs durch Europa, um die Welt, er spielt in Quedlinburg und Venedig, in der Schweiz und Tschechien. Und erstmals seit Jahren trat er jetzt auch wieder in seiner Heimatstadt auf, in der kleinen Kneipe "Fliese", die der frühere Baby-Schlagzeiger Carsten Rottweiler betreibt, sang Ochs Lieder aus dem neuen Album, aus seinen früheren Werken und auch einige Stücke von den Babys. Schlecht beleuchtet, gut aufgelegt und am Ende völlig erschöpft. Ein Heimspiel, locker gewonnen.

Direkt zum Künstler:
www.connyochs.com

Sonntag, 27. November 2016

Fidel Castro in Halle: Als der Maximo Lider ins Schwimmbecken sprang


Die Wimpelkette zog sich von Halle-Neustadt bis nach Buna. DDR-Fähnchen und Kuba-Fähnchen, immer abwechselnd, von eigens beauftragten Trupps mit Kranwagen an die Laternen gebunden. So begrüßte der Bezirk Halle im Juni 1972 Kubas Revolutionsführer Fidel Castro. Der selbsternannte "Maximo Lider" kam in Begleitung von Staatschef Erich Honecker, der erst ein Jahr zuvor seinen Vorgänger Walter Ulbricht gestürzt hatte. Honecker wollte Weltoffenheit zeigen, eine eigene Duftmarke setzen und außenpolitisch Lockerheit beweisen.

Castro, ein beinharter Diktator, zugleich aber auch ein sturer Verächter diplomatischer Gepflogenheiten, kam da gerade recht. Seine Visite hatte die DDR-Staatsführung mit großem Pomp inszeniert: So fuhren DDR-Staatschef Erich Honecker und Fidel Castro in einer offenen Limousine von Halle nach Leuna. An den Straßen entlang der Strecke hatten Junge Pioniere, Mitglieder von FDJ und Angestellte der Großbetriebe Aufstellung genommen, um den hohen Besuch jubelnd zu begrüßen. In Leuna marschierten zu Ehren von Castro Kampfgruppenformationen auf und vor den Toren der Leuna-Werke riefen angeblich 80 000 Kundgebungsteilnehmer „Kuba-si“.

Castro wurde zum Kampfgruppen-Bataillonskommandeur ehrenhalber ernannt und bekam ein Gewehr geschenkt, mit dem Leuna-Arbeiter in den 20er Jahren „gegen die Henkersknechte des deutschen Imperialismus gekämpft“ hatten.

Zusammen mit Honecker unternahm Castro eine Rundfahrt durch Halle-Neustadt. Beide ließe sich auch dort von aufmarschierten Arbeitern feiern. „So weit das Auge reicht, ist die Straße dicht von Menschen umlagert“, hieß es danach in der „Freiheit“, „sie alle tragen Spruchbänder und Porträts von Fidel Castro und Erich Honecker, Blumen und viele Tausende Fähnchen“.

Beim Besuch der Schwimmhalle in Halle-Neustadt sprang Castro protokollwidrig ins Becken und schwamm ein paar Bahnen. Das war dann aber doch zu locker für die DDR: Der Vorfall wurde öffentlich totgeschwiegen.

Nachruf auf Fidel Castro

Sonntag, 20. November 2016

Russlands Kampf gegen die Raucher


Flughäfen sind weltweit längst schon keine Orte für Raucher mehr. In Katar werden sie in tiefe Katakomben verbannt, in denen sich das Anstecken einer eigenen Kippe wegen der herrschenden Luftqualität völlig erübrigt. In Peking liegen die Raucherinseln so versteckt, dass die Zeit zwischen Landung und Weiterflug leicht auf der Suche verbracht werden kann. Alle Feuerzeuge werden bei der Einreise konfisziert, Reisende können ihre Kippen anschließend nur noch mit Hilfe bizarrer Anzündautomaten anstecken, die an die Wände der gut versteckten Raucherverschläge montiert sind.

Nur Russland ist noch konsequenter. Wie einst Michael Gorbatschow, der den alkoholverliebten Sowjetmenschen zu abstinenter Tugend erziehen wollte, hat sich auch Wladimir Putin der Bekämpfung aller bei Russen beliebten Drogen verschrieben. Moskaus Flughafen Scheremetjewo hat deshalb weder nahöstliche Qualmkeller noch ist er ein chinesisches Raucherratelabyrinth. Hier herrscht vielmehr ein knallhartes Rauchverbot: Keine Kabinen. Keine Verschläge, nichts.

Nur ist der Russe von heute ist nicht mehr der folgsame Genosse von früher. Er nimmt die obrigkeitliche Vorgabe zu seiner Gesundhaltung deshalb unbekümmert wie einst Gorbatschows Wodkaverbot. Und begibt sich zum Rauchen kurzerhand dorthin, wo die meisten Raucher ihre erste Kippe inhaliert haben: Aufs Klo.

Hier, wo der Architekt die Rauchmelder vergessen hat, bildet er dann mit Leidensgenossen aus aller Welt Notgemeinschaften, die sich spontan selbst organisieren. Der Franzose steht Schmiere, der Deutsche, der Italiener und der Russe qualmen um die Wette.

Wegweisend für die Welt.

Dienstag, 15. November 2016

Neues vom System Magdeburg

Ein dominanter Bau am besten Platz der Stadt erfüllte den Wunsch der halleschen Stadtväter nach einer endlich gefüllten Baugrube. 

Auf einmal ist der Wirtschaftsminister weg. Jörg Felgner, ehemals rechte Hand des langjährigen Finanzministers Jens Bullerjahn, stürzt am Ende über einen Vertrag über 80.000 Euro, die irgendwie und vielleicht ohne Grund über die Investitionsbank des Landes beim halleschen Wirtschaftsforschungsinstitut ISW gelandet sein sollen. 80.000 Euro. Ein Taschengeld angesichts der Summen, die in der Ära Bullerjahn unter den Augen der Öffentlichkeit ganz öffentlich über den Tisch geschoben wurden.

Aber Felgner, der Mann ohne Hausmacht in der SPD, ist nicht Bullerjahn, der in seiner Amtszeit nicht nur sein Ministerium, sondern auch die Partei im Stil eines absoluten Herrschers führte. Mit Widerspruch oder gar öffentlicher Kritik musste der Mann aus dem Mansfeld nie leben, auch, weil auf der anderen Seite beim Koalitionspartner CDU ähnliche Verhältnisse herrschten. Man tat sich nichts und man tat sich schon gar nicht weh, denn das gemeinsame Interesse war, im Amt zu bleiben.

Da mochte von außen auch Kritik kommen - etwa am irrwitzigen Bau eines Finanzamtes in bester Innenstadtlage in Halle. Dort, wo sich kein Privatunternehmen einen Neubau leisten konnte, pflanzte das Land, das Zeit seiner Existenz nie mehr als 70 Prozent seiner Ausgaben aus eigenen Einnahmen hat bestreiten können, einen "feinen Neubau" (Steuerzahlerbund) hin.

Für insgesamt 66,9 Millionen Euro gibt es 8.590 Quadratmeter Nutzfläche mit Platz für 440 Mitarbeiter, verglaste Lichthöfe, Empfangsfoyer, Konferenz-und Schulungsräume, Tiefgarage und vier Aufzugsanlagen, deren Finanzierung über die nächsten 25 Jahre gestreckt wird, auf dass der Prachtbau den derzeit rund 21 Milliarden Euro betragenden Schuldenberg des Landes nicht allzu auffällig erhöhe. Das ganze Unternehmen als Teil eines Plans, der die Anzahl der Standorte der Finanzämter reduziert und den Landeshaushalt während der Laufzeit der Rückzahlung der Baukosten um 50 Millionen Euro entlasten soll.

Am Ende herausgekommen sind - Stand jetzt - 16,9 Millionen Mehrkosten. Ein Sparplan nach Magdeburger Zuschnitt.

Laute Kritik aber, die den im September 2010 recht plötzlich geborenen Neubauplan - zuvor hatten ein Umzug in ein anderes Gebäude für 20 Millionen Euro und eine Sanierung des bisherigen Behördensitzes für 15 Millionen als Alternativen gegolten - hätte ins Wackeln bringen können, gab es nicht. Auch nicht an der "europaweiten Ausschreibung", deren Bedingungen nach Angaben des Steuerzahlerbundes "so gesetzt waren, dass nur ein Bewerber die Anforderungen auch erfüllen konnte".

Es war die Baufirma, die häufig baut, wenn zwischen Stendal und Zeitz Großprojekte zu stemmen sind. Sachsen-Anhalt ist ein kleines Land mit kurzen Drähten, über die ein Interessenausgleich schnell und informell stattfindet. Hat der Norden sich gegen allerlei rechtliche Widerstände ein neues Stadion besorgt, dann darf der Süden auch eins haben, auch wenn der damalige Rechnungshof-Chef Ralf Seibicke kleinteilig kritisierte, dass eine Anweisung des Innenministerium an das Landesverwaltungsamt, jegliche Bedenken gegen eine Genehmigung des Stadionneubaus fallen zu lassen, rechtlich zweifelhaft war. Dass Halles strukturelles Defizit von 50 Millionen Euro einen teilweise städtisch finanzierten Neubau rechtlich eigentlich unmöglich mache. Dass das Sozialministerium als damals zuständige Aufsichtsbehörde für Fördermittel im Sportbereich die Fördermittelvergabe ohne Wirtschaftlichkeitsprüfung an die Investitionsbank übertragen und diese wiederum einen Zuwendungsbescheid ausgereicht habe, obwohl die Finanzierung des Gesamtprojekts "nicht gesichert" war.

Recht ist biegsam, wo niemand auf seine strikte Einhaltung pocht. SPD-Innenstaatssekretär Rüdiger Erben, heute Mitglied der SPD-Landtagsfraktion, ging seinerzeit auf die Bedenken der Beamten in der Stadionsache ein. Und er schrieb dem Chef des Landesverwaltungsamtes: "Sehr geehrter Herr Leimbach, zu der offenen Frage des Einflusses der Genehmigungsfähigkeit des Haushaltes 2010 der Stadt Halle auf die noch abzugebende kommunalaufsichtliche Stellungnahme informiere ich sie dahingehend, dass eine Verbindung nicht herzustellen ist."

Das war nie geheim. Doch es hat sich immer versendet. Finanzminister Bullerjahn stand mit breiter Brust vor seinem Projekt. Und sagte: "Die Kritik muss die Politik jetzt aushalten." Sein Ministerpräsident Reiner Haseloff mischte sich gar nicht ein. In der leidigen Dessauer Fördermittelaffäre, unter der die CDU zu leiden hatte, hatte sich sein Finanzminister schließlich auch nie zu Wort gemeldet.

So funktionierte Sachsen-Anhalt über Jahrzehnte. CDU und SPD regierten miteinander, sie schufen sich mit der Investitionsbank ein Vehikel, das half, Förderrichtlinien kreativ zu interpretieren. Würden später Probleme auftreten, wäre die Investitionsbank in der Pflicht, die zwar dem Land gehört, aber längst nicht so viel Auskunft geben muss wie eine Landesbehörde. Kein System Bullerjahn, wie es jetzt überall heißt. Sondern ein System Magdeburg.

Erst mit dem Abgang Bullerjahns und der SPD-Landeschefin Katrin Budde geriet die betonierte Stabilität dieses Magdeburger Systems ins Wanken. Auf einmal ploppten Skandale wie die Wahlfälscheraffäre um den Landtagschef Hardy Peter Güssau nicht mehr nur einfach auf, sondern sie führten zu personellen Konsequenzen. Auf einmal ließ sich die im Sommer aufploppende Gutachtenaffäre nicht mehr durch langgestreckte Untersuchungsausschusstätigkeit beilegen. Die Regierungsparteien der letzten Legislaturperiode wirkten irritiert, konsterniert, innerlich noch auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht.

Das haben sie bisher noch nicht gefunden, denn die neue Realität, in der die AfD jedes Moment der Schwäche nutzt, um öffentlich auf Punktejagd zu gehen, hat nur noch wenig zu tun mit dem gemütlichen Staatswesen, das bis zum Frühjahr im Stil eines fröhlichen Fürstentumes regiert wurde.

Aber viel Zeit bleibt nicht mehr.

MZ-Kommentar: Die Regierung soll endlich tun, wofür sie gewählt wurde