Freitag, 22. März 2013
Ein Ort schreit Mord
Mehr als ein Ort schreit da ganz laut "Mord!" Leseempfehlung, nicht nur, weil ich mitschreiben und den ersten Mord mittels Sandstrahlgerät begehen durfte...
Kaufen, damit kein Opfer vergebens war!
Dienstag, 5. März 2013
Falkenberg feiert, Halle singt
Zweieinhalb Stunden voller Emotionen, zweieinhalb Stunden voll alter Hits und neuer Hymnen - der Alt-Neu-Hallenser Ralf Schmidt, als IC Falkenberg einer der großen Popstars der DDR, hat zum Auftakt zur Fortsetzung seiner "Freiheit"-Tour ein triumphales Konzert im ausverkauften halleschen Objekt 5 abgeliefert. Am Anfang steht natürlich die Halle-Hymne, die der 51-Jährige nach seiner Rückkehr aus Berlin geschrieben hatte. "Die Stadt, die keiner kennt" porträtiert die Saalestadt aus der Innensicht: Bärbeißig scheinen Hallenser Fremden manchmal, dabei, so heißt es im Lied, werde hier nur das Lächeln nicht verschenkt.
Heute Abend aber wohl. Von ersten Stück bis zur letzten Zugabe geht der Saal begeistert mit, andächtig lauschen die Fans Falkenbergs kleinen Episoden und Erzählungen, hingebungsvoll singen sie mit, wenn er wie beim globalisierungskritischen "Wetter"-Lied dazu einlädt. Es geht um den großen Begriff Freiheit, und die findet Falkenberg an der Seite seiner halleschen Musiker Scotty Gottwald (git), James Dietze (bg) und Friedrich Hentze (dr) musikalisch. Rockiger als noch im letzten Jahr spielt das Quartett neue Songs wie "Die Leute reden" und "Wo alle sind", Gottwald veredelt das epische "Vor den Kathedralen" mit einem gänsehautfiebrigen Solo und Falkenberg selbst wechselt immer mal wieder von der Akustikgitarre zum Piano und zurück.
Der Zorn auf die Leute, die er als Verantwortliche hinter den aktuellen Krisen sieht, ist Falkenberg in jedem Moment anzumerken. Voller Energie wirft er sich in seine Lieder, immer aber drehen deren Texte die einfache Realität eine Windung weiter. "Auf den Wiesen der Kindheit" findet der Mann, der als Junge in der Südstraße aufwuchs, die Freiheit, die heute so schwer zu haben ist, weil sie daraus besteht, nein sagen zu können.
Aber nicht zu müssen. Als das Publikum irgendwann im nicht enden wollenden Zugabenteil den "Mann im Mond" fordert, ein Stück, das mittlerweile ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, hat die Band das zwar nicht geprobt. Gespielt wird es dennoch unter großem Jubel - einer der Höhepunkte eines höchst emotionalen Abends, der nach dem letzten Ton von der Bühne noch lange nicht endet.
Heute Abend aber wohl. Von ersten Stück bis zur letzten Zugabe geht der Saal begeistert mit, andächtig lauschen die Fans Falkenbergs kleinen Episoden und Erzählungen, hingebungsvoll singen sie mit, wenn er wie beim globalisierungskritischen "Wetter"-Lied dazu einlädt. Es geht um den großen Begriff Freiheit, und die findet Falkenberg an der Seite seiner halleschen Musiker Scotty Gottwald (git), James Dietze (bg) und Friedrich Hentze (dr) musikalisch. Rockiger als noch im letzten Jahr spielt das Quartett neue Songs wie "Die Leute reden" und "Wo alle sind", Gottwald veredelt das epische "Vor den Kathedralen" mit einem gänsehautfiebrigen Solo und Falkenberg selbst wechselt immer mal wieder von der Akustikgitarre zum Piano und zurück.
Der Zorn auf die Leute, die er als Verantwortliche hinter den aktuellen Krisen sieht, ist Falkenberg in jedem Moment anzumerken. Voller Energie wirft er sich in seine Lieder, immer aber drehen deren Texte die einfache Realität eine Windung weiter. "Auf den Wiesen der Kindheit" findet der Mann, der als Junge in der Südstraße aufwuchs, die Freiheit, die heute so schwer zu haben ist, weil sie daraus besteht, nein sagen zu können.
Aber nicht zu müssen. Als das Publikum irgendwann im nicht enden wollenden Zugabenteil den "Mann im Mond" fordert, ein Stück, das mittlerweile ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, hat die Band das zwar nicht geprobt. Gespielt wird es dennoch unter großem Jubel - einer der Höhepunkte eines höchst emotionalen Abends, der nach dem letzten Ton von der Bühne noch lange nicht endet.
Dienstag, 12. Februar 2013
Kreuzworträtselmord: Der Jäger
Siegfried Schwarz leitete die Fahndung nach dem Mörder von Lars B. Doch ein anderer Fall beschäftigt ihn bis heute viel mehr - und der ist bis heute ungelöst. Er hat diesen einen Fall nie vergessen können. Immer wenn der frühere Kripo-Hauptmann Siegfried Schwarz zurückdenkt an seine Zeit als Chef der Morduntersuchungskommission des Bezirkes Halle, hat er dieses Gesicht vor Augen: Ein Junge mit fröhlichem Blick, sieben Jahre alt, das Leben vor sich. Und dann plötzlich nichts mehr. Ende. Schluss. Aus. Der kleine Maik, sieben Jahre alt, verschwindet in jenem Sommer 1981 spurlos. Er ist mit seinem Vater im Freibad, doch als der ihn zum Nachhausegehen ruft, taucht er nicht auf. Der Vater wartet eine Nacht und meldet den Jungen dann als vermisst. Die Kripo fahndet. Wochenlang.
"Wir haben wirklich jeden Stein herumgedreht", sagt Siegfried Schwarz. Eigentlich alles ganz genau so wie bei dem Fall, der die Fahnder damals sowieso schon seit Monaten in Atem hielt. Am 15. Januar um 20.30 Uhr war eine Frau auf dem Polizeirevier in Halle-Neustadt erschienen, um ihren Sohn Lars als vermisst zu melden. Ins Kino hatte der Siebenjährige gewollt. Nun war die Vorstellung längst beendet. Alle Freunde waren wieder daheim. Nur Lars nicht, obwohl der Junge vorher noch nie zu spät gekommen war.
Siegfried Schwarz hat die Zeitabläufe auch drei Jahrzehnte danach noch ganz im Kopf. "Um 20.46 Uhr wurde die Fahndung eingeleitet", sagt der Mann, der wenig später als Leiter der Morduntersuchungskommission mit dem berühmtesten Tötungsverbrechen der DDR-Geschichte betraut werden wird. Denn der kleine Lars bleibt verschwunden, spurlos verschwunden sogar. Niemand hat ihn gesehen, keiner weiß, wo er ist. Die Polizei sucht nach dem Kind, sogar öffentlich, was in der DDR nicht alltäglich ist. Doch das hier ist kein Fall wie die meisten der rund 1 250 Vermisstenfälle, die die Kripo im ehemaligen Bezirk Halle jedes Jahr bearbeitet.
"Wir hatten anfangs nichts in der Hand", beschreibt Schwarz, "also haben wir Lautsprecherdurchsagen gemacht und die Zeitung eingeschaltet." Dennoch dauert es noch lange zehn Tage, bis die Sonderkommission Lars weiß, womit sie es zu tun hat. Ein Streckenläufer der Reichsbahn entdeckt einen herrenlosen Koffer an der Bahnstrecke Halle-Leipzig. Als er die Verschlüsse öffnet, findet er den toten Körper des vermissten Jungen. Siegfried Schwarz, der Mitte der 50er Jahre Polizist geworden war und seit Mitte der 60er als Kriminalist in die tiefsten Abgründe menschlicher Seelen geschaut hatte, muss bei der Erinnerung immer noch schwer schlucken. Die Bilder verblassen wie die alten Kopien von Briefen und Akten, die er bis heute aufgehoben hat. Aber sie gehen nicht weg. "Wir wussten von diesem Moment an, dass wir keinen vermissten Jungen suchen, sondern einen Mörder", sagt der 76-Jährige. Zugleich ist dem erfahrenen Kriminalisten klar, dass die Ermittlungen jetzt Anhaltspunkte haben: Da ist der Koffer aus Hartpappe, da sind drei Plastiksäcke, da eine sechs Millimeter starke Schnur, vor allem aber sind das zerknüllte Zeitungen und Zeitschriften, darunter zwei Exemplare der "Freiheit", Ausgabe Halle-Neustadt. Und in diesen Zeitungen sechs ausgefüllte Kreuzworträtsel.
"Damit waren wir nicht mehr auf den Zufall angewiesen", sagt Schwarz, dessen Interesse sich sofort auf die Kreuzworträtsel richtet. Natürlich, die Sonderkommission prüft penibel jeden Gegenstand, den sie im Koffer findet. Doch weder das Etikett einer Plastiktüte noch die Bodenproben aus den Stiefeln des Opfers noch ein Gutachten zur Schnur führen weiter. "Es war absehbar, dass wir den Schriftenverursacher aus den Kreuzworträtseln finden mussten", sagt Schwarz. Doch sein Vorschlag, Schriftproben in der Zeitung abzudrucken oder den gefunden Koffer mit einer Beschreibung der Tat öffentlich auszustellen, um dem Täter mit Hilfe der Bevölkerung auf die Spur zu kommen, wird abgelehnt. Der Koffer wird zwar in einem Schaufenster nahe des vermuteten Tatortes gezeigt. Aber nur mit dem Hinweis, er spiele eine Rolle bei einem schweren Verbrechen. "Darauf springt keiner an."
Bleibt den Ermittlern um Schwarz und seinen Stellvertreter Manfred Löser nur die mühsame Tour. Über Preisausschreiben und aus dem Altpapier, vom Amt für Arbeit und der Deutschen Post, aus Kaderakten und Autoanmeldungen besorgt sich die um zahlreiche Mitarbeiter erweitere Mordkommission mehr als 550 000 Schriftproben, die mit den recht prägnanten Buchstaben in den verdächtigen Kreuzworträtseln verglichen werden. "Es war offensichtlich, dass uns Aufwand und Mühe irgendwann zum Täter führen mussten", beschreibt Siegfried Schwarz, "aber niemand ahnte, wie viel Aufwand und Mühe wir am Ende wirklich brauchen würden." Siegfried Schwarz weiß, dass in jedem Fall, der nicht nach ein, zwei Tagen gelöst ist, der Zeitpunkt kommt, an dem man zu zweifeln beginnt. Hat man etwas übersehen? Ist man zu nah dran? Doch dass er, der junge Polizist, überhaupt bei der Mordkommission gelandet ist, hat mit einem Fahnder zu tun, der genau solche Zweifel nicht zu kennen schien. "Ich war noch ein ganz junger Kriminalist in Merseburg", sagt Schwarz, "und dieser erfahrene Kollege kam in einem Fall von Totschlag aus Halle: Ledermantel, Seidenschal, souverän, ruhig, selbstbewusst, ein Künstler im Vernehmungszimmer und ein Menschenkenner, der genau wusste, was er tat."
Die Männer von Schwarz´ MUK sind nicht anders. Zwischen 98 und 99 Prozent liegt ihre Aufklärungsquote, immer wieder werden sie auch in andere Bezirke geholt, um dort Gewaltverbrechen aufzuklären. "Ich habe der Mutter von Lars versprochen, dass wir den Mörder ihres Sohnes kriegen", sagt er, "und ich war überzeugt, dass wir das schaffen." Selbst als der Sommer kommt, ohne dass ein passender Schriftvergleich auftaucht. Selbst als die Ausweitung der Suche bis in die großen Chemiewerke keinen Durchbruch bringt. Selbst als Schwarz nach Dessau gerufen wird, um Licht in das Verschwinden des kleinen Maik zu bringen. Die Ausgangslage dort ist ganz anders. Der Siebenjährige ist schon mehrmals von zu haue fortgelaufen, allerdings immer schnell wiedergefunden worden. Nur diesmal vernehmen die Kriminalisten vergebens reihenweise zeugen im Waldbad "Freundschaft" und im Wohnumfeld des Jungen. "Der See wurde abgetaucht, eine Schrebergartenanlage abgesucht - nichts" erinnert sich Siegfried Schwarz. Drei Dutzend Mitarbeiter suchen derweil unter Leitung von Schwarz´ Stellvertreter Manfred Löser in Halle weiter nach dem Kreuzworträtsel-Mörder.
Nächtelang sitzen die Fahnder zusammen und versuchen, ein Profil des Täters zu erstellen: Er ist männlich, schließen sie aus der Art der Verletzungen. Er hat kein Auto und musste deshalb den Zug benutzen. Er verfügt über eine Wohnung in Halle-Neustadt, in der er die Tat begehen konnte. Doch näher kommt die Soko in Halle ihrem Mann sowenig wie Siegfried Schwarz der Lösung seines Falles in Dessau. Bis einer der Schriftprobenprüfer in Halle seinen Augen nicht traut. Es ist der 17. November 1981, genau zehn Monate sind seit dem Verschwinden von Lars B. vergangen. Und hier ist sie nun, eine Schriftprobe mit mittelgroßen Buchstaben, sehr gewandt ausgeführt, das A einprägsam "in der gotischen Form dreizügig geschrieben", wie ein Sachverständiger festgestellt hatte. Die identische Vergleichsprobe stammt von einer Mieterin im Halle-Neustädter Wohnblock 398. Sie war all die Monate nicht entdeckt worden, weil sie an der Ostsee arbeitete.
Eine Frau aber, da waren die Profiler der Polizei sicher , kommt als Täter nicht infrage, auch wenn sie schon bei der ersten Befragung zugibt, die Kreuzworträtsel ausgefüllt zu haben. Aber ihrer Tochter kommt der Koffer bekannt vor. Und ja, sagt sie, sie habe einen Freund. Der ist 18, heißt Matthias und, das ist ihr peinlich, er bitte sie beim Sex manchmal, ihm von kleinen Jungen zu erzählen. Die Männer von der Sonderkommission Lars wissen sofort, dass das ihr Mann sein muss. Sofort fahren Fahnder nach Friedrichroda, wo B. in einem Ferienheim arbeitet. Um 14 Uhr beginnt die Vernehmung des Verdächtigen, um 4.30 Uhr hat er gestanden. Er habe an jenem Januar auf Arbeit blaugemacht, den Jungen zufällig in der Stadt gesehen, aus einer Laune heraus angesprochen und in die Wohnung der Mutter seiner Freundin gelockt, von der er wusste, dass sie leer steht. Dort habe er Lars erst missbraucht und dann getötet.
"Ich überlegte mir, dass der Junge zu Hause alles erzählen kann, was ich mit ihm gemacht habe." Siegfried Schwarz; Manfred Löser und ihre Männer sind am Ziel. Sie haben ihn. Die Jagd ist beendet, Erleichterung kehrt ein. "Auch wenn da ein Häufchen Unglück sitzt, dem man die Tat weder ansieht noch zutraut." Es ist Schwarz´ Sternstunde als Kriminalist, später in Büchern besungen, verfilmt und heute längst eine Legende. Doch es ist nicht der Fall, an den der Fahnder, heute längst im Ruhestand , am häufigsten denkt. Nein, sagt er. "Das ist der Fall Maik T." Auch nach 30 Jahren ist nie eine Leiche des Siebenjährigen aufgetaucht. Die Vermisstensache steht immer noch als ungelöst in den Akten
"Wir haben wirklich jeden Stein herumgedreht", sagt Siegfried Schwarz. Eigentlich alles ganz genau so wie bei dem Fall, der die Fahnder damals sowieso schon seit Monaten in Atem hielt. Am 15. Januar um 20.30 Uhr war eine Frau auf dem Polizeirevier in Halle-Neustadt erschienen, um ihren Sohn Lars als vermisst zu melden. Ins Kino hatte der Siebenjährige gewollt. Nun war die Vorstellung längst beendet. Alle Freunde waren wieder daheim. Nur Lars nicht, obwohl der Junge vorher noch nie zu spät gekommen war.
Siegfried Schwarz hat die Zeitabläufe auch drei Jahrzehnte danach noch ganz im Kopf. "Um 20.46 Uhr wurde die Fahndung eingeleitet", sagt der Mann, der wenig später als Leiter der Morduntersuchungskommission mit dem berühmtesten Tötungsverbrechen der DDR-Geschichte betraut werden wird. Denn der kleine Lars bleibt verschwunden, spurlos verschwunden sogar. Niemand hat ihn gesehen, keiner weiß, wo er ist. Die Polizei sucht nach dem Kind, sogar öffentlich, was in der DDR nicht alltäglich ist. Doch das hier ist kein Fall wie die meisten der rund 1 250 Vermisstenfälle, die die Kripo im ehemaligen Bezirk Halle jedes Jahr bearbeitet.
"Wir hatten anfangs nichts in der Hand", beschreibt Schwarz, "also haben wir Lautsprecherdurchsagen gemacht und die Zeitung eingeschaltet." Dennoch dauert es noch lange zehn Tage, bis die Sonderkommission Lars weiß, womit sie es zu tun hat. Ein Streckenläufer der Reichsbahn entdeckt einen herrenlosen Koffer an der Bahnstrecke Halle-Leipzig. Als er die Verschlüsse öffnet, findet er den toten Körper des vermissten Jungen. Siegfried Schwarz, der Mitte der 50er Jahre Polizist geworden war und seit Mitte der 60er als Kriminalist in die tiefsten Abgründe menschlicher Seelen geschaut hatte, muss bei der Erinnerung immer noch schwer schlucken. Die Bilder verblassen wie die alten Kopien von Briefen und Akten, die er bis heute aufgehoben hat. Aber sie gehen nicht weg. "Wir wussten von diesem Moment an, dass wir keinen vermissten Jungen suchen, sondern einen Mörder", sagt der 76-Jährige. Zugleich ist dem erfahrenen Kriminalisten klar, dass die Ermittlungen jetzt Anhaltspunkte haben: Da ist der Koffer aus Hartpappe, da sind drei Plastiksäcke, da eine sechs Millimeter starke Schnur, vor allem aber sind das zerknüllte Zeitungen und Zeitschriften, darunter zwei Exemplare der "Freiheit", Ausgabe Halle-Neustadt. Und in diesen Zeitungen sechs ausgefüllte Kreuzworträtsel.
"Damit waren wir nicht mehr auf den Zufall angewiesen", sagt Schwarz, dessen Interesse sich sofort auf die Kreuzworträtsel richtet. Natürlich, die Sonderkommission prüft penibel jeden Gegenstand, den sie im Koffer findet. Doch weder das Etikett einer Plastiktüte noch die Bodenproben aus den Stiefeln des Opfers noch ein Gutachten zur Schnur führen weiter. "Es war absehbar, dass wir den Schriftenverursacher aus den Kreuzworträtseln finden mussten", sagt Schwarz. Doch sein Vorschlag, Schriftproben in der Zeitung abzudrucken oder den gefunden Koffer mit einer Beschreibung der Tat öffentlich auszustellen, um dem Täter mit Hilfe der Bevölkerung auf die Spur zu kommen, wird abgelehnt. Der Koffer wird zwar in einem Schaufenster nahe des vermuteten Tatortes gezeigt. Aber nur mit dem Hinweis, er spiele eine Rolle bei einem schweren Verbrechen. "Darauf springt keiner an."
Bleibt den Ermittlern um Schwarz und seinen Stellvertreter Manfred Löser nur die mühsame Tour. Über Preisausschreiben und aus dem Altpapier, vom Amt für Arbeit und der Deutschen Post, aus Kaderakten und Autoanmeldungen besorgt sich die um zahlreiche Mitarbeiter erweitere Mordkommission mehr als 550 000 Schriftproben, die mit den recht prägnanten Buchstaben in den verdächtigen Kreuzworträtseln verglichen werden. "Es war offensichtlich, dass uns Aufwand und Mühe irgendwann zum Täter führen mussten", beschreibt Siegfried Schwarz, "aber niemand ahnte, wie viel Aufwand und Mühe wir am Ende wirklich brauchen würden." Siegfried Schwarz weiß, dass in jedem Fall, der nicht nach ein, zwei Tagen gelöst ist, der Zeitpunkt kommt, an dem man zu zweifeln beginnt. Hat man etwas übersehen? Ist man zu nah dran? Doch dass er, der junge Polizist, überhaupt bei der Mordkommission gelandet ist, hat mit einem Fahnder zu tun, der genau solche Zweifel nicht zu kennen schien. "Ich war noch ein ganz junger Kriminalist in Merseburg", sagt Schwarz, "und dieser erfahrene Kollege kam in einem Fall von Totschlag aus Halle: Ledermantel, Seidenschal, souverän, ruhig, selbstbewusst, ein Künstler im Vernehmungszimmer und ein Menschenkenner, der genau wusste, was er tat."
Die Männer von Schwarz´ MUK sind nicht anders. Zwischen 98 und 99 Prozent liegt ihre Aufklärungsquote, immer wieder werden sie auch in andere Bezirke geholt, um dort Gewaltverbrechen aufzuklären. "Ich habe der Mutter von Lars versprochen, dass wir den Mörder ihres Sohnes kriegen", sagt er, "und ich war überzeugt, dass wir das schaffen." Selbst als der Sommer kommt, ohne dass ein passender Schriftvergleich auftaucht. Selbst als die Ausweitung der Suche bis in die großen Chemiewerke keinen Durchbruch bringt. Selbst als Schwarz nach Dessau gerufen wird, um Licht in das Verschwinden des kleinen Maik zu bringen. Die Ausgangslage dort ist ganz anders. Der Siebenjährige ist schon mehrmals von zu haue fortgelaufen, allerdings immer schnell wiedergefunden worden. Nur diesmal vernehmen die Kriminalisten vergebens reihenweise zeugen im Waldbad "Freundschaft" und im Wohnumfeld des Jungen. "Der See wurde abgetaucht, eine Schrebergartenanlage abgesucht - nichts" erinnert sich Siegfried Schwarz. Drei Dutzend Mitarbeiter suchen derweil unter Leitung von Schwarz´ Stellvertreter Manfred Löser in Halle weiter nach dem Kreuzworträtsel-Mörder.
Nächtelang sitzen die Fahnder zusammen und versuchen, ein Profil des Täters zu erstellen: Er ist männlich, schließen sie aus der Art der Verletzungen. Er hat kein Auto und musste deshalb den Zug benutzen. Er verfügt über eine Wohnung in Halle-Neustadt, in der er die Tat begehen konnte. Doch näher kommt die Soko in Halle ihrem Mann sowenig wie Siegfried Schwarz der Lösung seines Falles in Dessau. Bis einer der Schriftprobenprüfer in Halle seinen Augen nicht traut. Es ist der 17. November 1981, genau zehn Monate sind seit dem Verschwinden von Lars B. vergangen. Und hier ist sie nun, eine Schriftprobe mit mittelgroßen Buchstaben, sehr gewandt ausgeführt, das A einprägsam "in der gotischen Form dreizügig geschrieben", wie ein Sachverständiger festgestellt hatte. Die identische Vergleichsprobe stammt von einer Mieterin im Halle-Neustädter Wohnblock 398. Sie war all die Monate nicht entdeckt worden, weil sie an der Ostsee arbeitete.
Eine Frau aber, da waren die Profiler der Polizei sicher , kommt als Täter nicht infrage, auch wenn sie schon bei der ersten Befragung zugibt, die Kreuzworträtsel ausgefüllt zu haben. Aber ihrer Tochter kommt der Koffer bekannt vor. Und ja, sagt sie, sie habe einen Freund. Der ist 18, heißt Matthias und, das ist ihr peinlich, er bitte sie beim Sex manchmal, ihm von kleinen Jungen zu erzählen. Die Männer von der Sonderkommission Lars wissen sofort, dass das ihr Mann sein muss. Sofort fahren Fahnder nach Friedrichroda, wo B. in einem Ferienheim arbeitet. Um 14 Uhr beginnt die Vernehmung des Verdächtigen, um 4.30 Uhr hat er gestanden. Er habe an jenem Januar auf Arbeit blaugemacht, den Jungen zufällig in der Stadt gesehen, aus einer Laune heraus angesprochen und in die Wohnung der Mutter seiner Freundin gelockt, von der er wusste, dass sie leer steht. Dort habe er Lars erst missbraucht und dann getötet.
"Ich überlegte mir, dass der Junge zu Hause alles erzählen kann, was ich mit ihm gemacht habe." Siegfried Schwarz; Manfred Löser und ihre Männer sind am Ziel. Sie haben ihn. Die Jagd ist beendet, Erleichterung kehrt ein. "Auch wenn da ein Häufchen Unglück sitzt, dem man die Tat weder ansieht noch zutraut." Es ist Schwarz´ Sternstunde als Kriminalist, später in Büchern besungen, verfilmt und heute längst eine Legende. Doch es ist nicht der Fall, an den der Fahnder, heute längst im Ruhestand , am häufigsten denkt. Nein, sagt er. "Das ist der Fall Maik T." Auch nach 30 Jahren ist nie eine Leiche des Siebenjährigen aufgetaucht. Die Vermisstensache steht immer noch als ungelöst in den Akten
Freitag, 25. Januar 2013
Verloren im Empire
Wie viele Nackenschläge kann eine Band vertragen? Wie viele dumme Zufälle können sich zwischen den großen Erfolg und die Knochentour durch kleine Säle stellen? Tim Brownlow, Bassist Duff Battye und Drummer Bill Cartledge wären geeignete Kandidaten für eine brauchbare Antwort. Die drei Engländer, die vor elf Jahren die Band Belasco gründeten, hatten auf dem langen Weg seitdem alles, was das Rock-Leben bietet: grandiose Alben und schlechte Verträge, Auftritte in angesagten Hollywood-Filmen und Gastspiele auf verregneten Kleinstadt-Festivals.
Offenbar eine Mischung, die zu gesteigerter musikalischer Überzeugungskraft führt. Denn "Transmuting", Album Nummer vier seit dem famosen Debüt "Simplicity", zeigt das Trio auf einem neuen Höhepunkt: Elf Songs spannen den Bogen vom muskulösen Alternativ-Rock bis zu fein ziselierten Balladen wie sie Coldplay oder Snow Patrol nicht schöner hinbekämen.
War das Vorgängeralbum "61" noch geprägt von geraden, flotten Stücken wie "On The Wire" und ehrgeizigen Hymnen wie "The Earth", ergänzen sich die Teile im neuen Werk zu einem perfekten Bild. Gitarre, Bass und Schlagzeug spielen mit unglaublicher Dynamik zusammen, Tim Brownlow singt sich die Seele aus dem Leib und die stürmischen Melodien von Stücken wie "Moves Like Water" oder "Home" setzen sich schon mit dem ersten Hören unwiderstehlich im Ohr fest.
Es ist beileibe kein fröhliches Album, das die drei Mittdreißiger da mit Richie Kayan (Oasis, Supergrass) in den Chapel-Studios in Lincolnshire eingespielt haben. Es geht um Enttäuschungen, um verlorene Liebesmüh' und um das Gefühl, verloren zu sein in einer Welt, die sich immer schneller dreht. Das sechs Minuten lange "Empire" beginnt wie vor zehn Jahren das erfolgreichste Belasco-Stück "15 Seconds" mit einem pumpenden Gitarrenriff und steigert sich ganz allmählich in einen Wirbel aus Akkorden, Rhythmen und Bassläufen, wie sie im aktuellen Rock-Geschäft nur Duff Battye spielen kann.
Geht es in diesem Mammutstück fast schon in Richtung Led Zeppelin, schleicht sich das folgende "Who do you love" auf Samtpfötchen an wie ein Lied von Mumford & Sons. Nur dass Tim Brownlow besser singt als sein angesagter Landsmann Marcus Mumford.
Noch besser ist das zu hören, wenn sie die Lautstärke dimmen und aus dem Tempo-Rock von "Open up" und "Home" ins Akustische schwenken. "Rosa" zeigt einen Tim Brownlow, der zu einer scheppernden E-Gitarre ironisch den Billy Bragg macht: Rosa ist die Chefin, aber das ist völlig okay.
Brownlow, Battye und Cartledge, die vor einigen Jahren Geld spendeten, um die Abraumhalde von Klobikau im Saalekreis begrünen zu helfen, sind nicht mehr unterwegs, um Coldplay vom Thron zu stoßen oder Muse zu beerben. "Time is running out", stellt Brownlow in "What it is" fest, klingt aber gar nicht traurig dabei. Alle drei bei Belasco haben Frauen, Kinder und machen Musik, nicht weil die Plattenfirma auf das nächste Album drängt - sondern aus Freude daran, sie machen zu können.
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