Freitag, 10. Januar 2014

Halle grüßt Hitzlsberger

Acht an die Macht

Sie waren zu acht, sie verbarrikadierten sich für acht Tage in einer einsamen Villa im Nirgendwo. Und kamen schließlich wie geplant mit einem fertigen Kriminalroman nach Hause, erdacht von acht Köpfen, geschrieben zu 16 Händen. Entsprechend heißt das Werk auch „8“ und die Autoren Tatjana Kruse, Carsten-Sebastian Henn, Sabine Trinkaus, Kathrin Heinrichs, Sandra Lüpkes, Peter Godazgar, Jürgen Kehrer und Ralf Kramp zeigen hier auf 295 Seiten erstmals weltweit, dass auch Literatur kollektiv erstehen kann.

Was da im Krimi-Camp erdacht und aufgeschrieben wurde, hat sogar Züge von einen der neuerdigs so angesagten Thriller. Ein Serienmörder geht um, ein argloser Unbeteiligter wird zur Zielscheibe des Unbekannten und rückt zugleich als Hauptverdächtiger ins Visier der Polizei. Atemlos hetzt jener frischgefönte Radiomoderator Andreas Otto durch eine Handlung, von der sich kaum vorstellen lässt, dass ihre einzelnen Bestandteile gleichzeitig entstandensind. Der Ton der von den acht Autoren verfassten Kapitel findet eine Harmonie, trotz all der – zeitgenössisch schick auf höchstbrutal getrimmten – Morde bleibt immer Raum für ein mögliches Lächeln, einen Seitenhieb auf die Gegenwart und einen Subtext, der suggeriert, dass all dies hier nicht nur ein lesenswerter Skandinavian-Thriller ist, der ganz zufällig in Deutschland spielt. Sondern nebenher auch noch ein literarisches Experiment, das Krimifans, konsequent zuende gedacht, künftig pro Jahr um die 50 Bücher der Achterbande bescheren könnte.

Wird nicht passieren, aber zumindest geht Peter Godazgar demnächst mit dem ersten und einzigen Achterbuch auf die Lesebühne. Am 14. Januar tritt der hallesche Autor im Mojo zum Heimspiel an.


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Donnerstag, 19. Dezember 2013

Das schwierige Geschäft mit der Geschichte

Es ist immer wieder wunderbar und höchst beeindruckend, wie die Geschichte über Bande spielt, um augenzwinkernd darauf aufmerksam zu machen, dass Schwarz und Weiß keine Farben sind. Den jüngsten Beleg für den subtilen Humor, den die Zeitläufte zu entwickeln vermögen, lieferte die Tagesordnung des halleschen Stadtrates. Dort folgten zwei Anträge aufeinander, die schöner nicht hätten illustrieren können, wie schwierig das Geschäft mit der Bewältigung der Geschichte ist: In Antrag eins verlangte die grüne Fraktion die Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße, weil der frühere Präsident der Leopoldina zum „Establishment des Dritten Reiches“ gehört habe. Antrag zwei kam vom „Mitbürger“ Martin Bauersfeld, und er forderte die Beseitigung eines Denkmals des halleschen Bildhauers Gerhard Geyer, das vor der ehemaligen Stasi-Bezirksbehörde steht.

Er wisse nicht viel über die Plastik, so der Antragsteller, doch sie zeige seiner Ansicht "drei Rotarmisten“ und habe somit eine „kritische politische Ausrichtung“. “Was sie darstellen ist eine Aussage, die nicht für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit steht”, sagte der gescheiterte Bundestagskandidat bei der Vorstellung seines Vorhabens.

Eigentlich also zwei Anträge, die sich blind ergänzen. Bilderstürmerei als Mittel der Auseinandersetzung mit der Geschichte, der Radiergummi als Waffe im Kampf gegen unliebsame Erinnerungen. Doch ausgerechnet hier offenbart sich bei genauerer Betrachtung ein tieferer Zusammenhang, der mehr über die Verfasstheit der Gesellschaft im Jahr 2013 erzählt als auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Denn die Abderhalden-Straße soll nach dem Willen von Oberbürgermeister Bernd Wiegand demnächst Anton Wilhelm Amo benannt werden, dem ersten aus Afrika stammenden Studenten, der je eine deutsche Uni besucht hat. In der Stadt, in der er das tat, aber auch 23 Jahre nach dem Mauerfall mit keinem Straßennamen geehrt wird. Und ausgerechnet der am 9. April 1989 verstorbene Händel-Preisträger Gerhard Geyer war es, der eine Amo-Plastik schuf, die bis heute am Universitätsring der Saalestadt steht, wenn auch völlig unbeachtet und halb überwuchert.

Geyers Plastik vor der früheren MfS-Zentrale soll geschliffen werden, Geyers Amo-Bildnis nicht. Natürlich, geht es nach den Anhängern der These, dass Geschichte immer mal wieder von authentischen Zeugnissen der Vergangenheit bereinigt werden muss, ist das Amo-Denkmal zweifellos Kunst. Die Bronze mit den drei angeblichen “Rotarmisten“, von denen einer seltsamerweise unbewaffnet, mit offener Jacke und Pullover bekleidet Dienst tut, hingegen nicht. Die Kunst des Weidanz-Schülers Geyer wäre insgesamt gesehen also nur noch dann Kunst, wenn ihre Absicht bis heute auf Zustimmung trifft. Ein Gedanke, den weiterzudenken sich lohnt.

Dem Stadtrat, der vorerst beide Anträge abgelehnt hat, ist für die Anregung dazu zu danken.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

5 vor 12: Geplante Obsoleszenz

So sieht das aus, wenn das Bürgertum aufsteht. Die Leute sitzen um ein Feuer, das selbstverständlich in einer ordentlichen Schale prasselt. Ein Sponsor hat Glühwein spendiert, Freiwillige tragen Matratzen zusammen für die, die nicht länger wach bleiben wollen, wie das Motto der 48-Stunden-Protestaktion am neuen theater lautet. Auf der Bühne singen ein paar junge Menschen den Rauchhaus-Song von Ton Steine Scherben in staunende Gesichter: Wer sind diese Schmidt und Press und Mosch, von denen da immerfort gesungen wird? Und wo sind die Bullen, von denen die Rede ist?

Hier allerhöchstens im Publikum, zivil, aber rein privat, als Kunstfreunde, die sich wehren wollen gegen die von der Landesregierung geplanten Millionenkürzungen der Zuschüsse für die Theater. Kommen die, geht die Kultur, dieser Überzeugung sind alle, die sich im Innenhof versammelt haben. Dann wäre Halle keine Kulturhauptstadt mehr.

Ist es aber eine? Mehr als 200.000 Einwohner hat die Stadt, immer noch, vergleichbar viele Menschen wohnen im näheren Umkreis. Dennoch sind es nicht  endlose Heerscharen, die sich in den diesen letzten Kampf für ihre Kultureinrichtungen stürzen. Der OB ist da, die Ex-OB, viele Kulturarbeiter, viel von dem, was in einer Stadt wie Halle Geschmackselite darstellt. Aber das gemeine Volk? Die Leute, die zu "Wetten, dass..." tausendfach auf den Markt strömen? Die zu zehntausenden Laternenfeste feiern oder das Fußballstadion bevölkern? Liegt es an der späten Stunde, dass kaum Studenten unter den Protestierenden sind? An schlechten Bahnverbindungen, dass kaum jemand aus Halle-Neustadt angereist ist?

Nein, die von der Landesregierung geplante Obdoleszenz der städtischen Kultur trifft offenkundig auf ein bereitwilliges Desinteresse an derselben bei der Mehrheit der Bürger, für die sie angefertigt wird. 5 vor 12? In Halle gehen die Uhren anders.