Mittwoch, 24. August 2016

Ausbau der Überwachung: Die Codeknacker vom Amt


Whatsapp und Google bieten ihren Nutzern inzwischen Verschlüsselung serienmäßig. Die Bundesregierung reagiert darauf: Eine neue Behörde soll die Sicherheitsalgorithmen entschlüsseln.

Google machte den Anfang, aber der war bescheiden. Als der Suchriese, nebenher auch einer der größten E-Mail-Anbieter weltweit, im Dezember 2013 ankündigte, den Kommunikationsverkehr seiner Kunden künftig standardmäßig zu verschlüsseln, war das mehr Versprechen als Realität. Weil Verschlüsselung nur funktioniert, wenn Sender und Empfänger mitmachen, war letztlich nur rund ein Drittel der Mails keine elektronische Postkarte, in die jeder hineinschauen konnte.

Doch das hat sich geändert. Weil immer mehr E-Mail-Dienste und Messenger auf Verschlüsselung setzen, sind heute im Durchschnitt mehr als 85 Prozent aller E-Mails chiffriert, die Googles G-Mail-Dienst sendet und empfängt. Der Benutzer selbst merkt das nicht, denn bei ihm kommt immer Klartext an, weil nur die Übermittlung verschlüsselt wird.

Doch ein Problem damit haben Ermittlungsbehörden: Greifen sie irgendwo zwischen Sender und Empfänger in einen Mailwechsel ein, können sie zwar die Daten abgreifen. Nur lesbar zusammensetzten können sie sie nicht, weil ihnen der Schlüssel zum Schloss fehlt. Auch bei Whats-app oder der aus Sachsen-Anhalt stammenden Messenger-App Chiffry hat jede Nachricht ihr eigenes Schloss mit einem eigenen Schlüssel, so dass nicht einmal die Anbieter die über ihre Server laufenden Inhalte in Klartext verwandeln können. In den USA verurteilte ein Gericht Apple dazu, chiffrierte Kundendaten - in diesem Fall ein Passwort - an einen Geheimdienst herauszugeben. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Konzern dazu gar nicht in der Lage war.

Gut für die Nutzer, schlecht für Ermittler und Geheimdienste. Die Bundesregierung plant deshalb nach einem Bericht des sogenannten Rechercheverbundes von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR die Einrichtung einer neuen Code-Knacker-Behörde. In dieser„Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“ - abgekürzt Zitis - sollen 400 Mitarbeiter Techniken für die Überwachung des Internets und von Messenger-Diensten entwickeln. Ihre Aufgabe sei es, damit Strafverfolgern und Staatsschützern zu helfen, künftig auch verschlüsselte Botschaften im Netz mitlesen zu können. Entsprechende Pläne sollen zwei Staatssekretäre aus dem Bundesinnenministerium und das Kanzleramt Abgeordneten der Regierungsparteien bereits vor Beginn der Terrorwelle vorgestellt haben, die Deutschland zuletzt erschütterte.

Zumindest beim Selbstmordanschlag von Ansbach spielten verschlüsselte Whatsapp-Chats offenbar eine Rolle, so dass die Pläne zum Start von Zitis im kommenden Jahr nun noch mehr regierungsamtlichen Schub bekommen. Der Bundesinnenminister schließt sich Frankreichs Kampagne gegen verschlüsselte Kommunikation an, bei der die Tatsache allein, dass Menschen unbeobachtet vom Staat kommunizieren, zum Verdachtsmoment erklärt wird. De Maiziere möchte nun für sich "rechtsstaatlich eng begrenzte Möglichkeiten geben, verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln", wobei die enge Begrenzung wie immer nicht lange halten wird.

Gesucht werden für die künftige Bundescodeknackerbehörde derzeitvor allem IT-Spezialisten. Bis zum Jahr 2022 soll das neue Alt bereits 400 Mitarbeiter beschäftigen. Für das kommende Jahr sei ein Budget im niedrigen zweistelligen Millionenbereich geplant.

Der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hat den Aufbau von Zitis inzwischen harsch kritisiert. Die Strafprozessordnung liefere keine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Staatstrojanern. Thomas de Maizière hatte im Stil einer großen Semantikers auf diesen Umstand reagiert: "Die Behörden müssen technisch können, was ihnen rechtlich erlaubt ist", hatte er in Umkehrung seiner Absichten verlautbart, als liege es am technischen Unvermögen, dass der Staat nicht bei allen seiner Bürgern mitlesen darf. Nicht an grundgesetzlichen Regelungen.

Montag, 22. August 2016

Bioo Lite: Handy-Strom aus dem Blumentopf

Eine ganz normale Grünpflanze lädt das Smartphone auf? Beim Bioo Lite geht das:
Grün ist der Grundgedanke, grün auch die Umsetzung. Das spanische Unternehmen Arkyne Technologies hat wirklich einen Blumentopf entwickelt, der Handys auflädt.

Was im ersten Moment etwas seltsam klingt, ist weder Spinnerei noch Schwindel: Der Bioo Lite-Topf verfügt unter dem Platz, den Erde und Blattpflanze benötigen, über eine zweite Etage, in der in einem Substrat Bakterien leben, die mit Wasser reagieren, wenn die Pflanze beginnt, Kohlendioxid in Sauerstoff umzuwandeln und der in den Boden gelangt, wo ihn das Wasser aufnimmt.

In einem Video erklärt Arkyne genau, wie der grüne Strom in der ebenfalls in der Tiefe des Topfes verborgenen Batterie landet. Ehe er von dort aus über ein einfaches USB-Kabel zu einem - hübsch in einem Steinchen versteckten - USB-Anschluss gelangt, an den man Handy oder Tablet zum Aufladen hängen kann.

Von da an funktioniert alles wie an jeder anderen Steckdose: Laut den Erfindern kann eine Pflanze genug Energie liefern, um ein Smartphone bis zu dreimal pro Tag aufzuladen. Dabei wird sowohl nachts als auch tagsüber Strom produziert. Es wird von rund 3,5 Volt und 500 Milliampere gesprochen, abhängig sei das davon, welche Art Pflanze im Topf steckt. Um die nachzuladen, braucht Bioo Lite nichts Besonderes: Regelmäßiges Gießen reicht völlig aus.

Mehr zum Elektrotopf:
www.bioo.tech

Samstag, 20. August 2016

Das letzte Konzert des Rio Reiser: Ein König dankt ab

Rio Reiser im Jahr 1990 in der Schorre in Halle. Damals waren die Hallen noch ausverkauft.

Er weiß es an diesem Tag im Mai 1996 noch nicht, aber der Mann, der sich Rio Reiser nennt, wird heute sein letztes richtiges Konzert spielen. Einmal noch all die Lieder, wobei er seine größten Hits weglässt. Einmal noch alles geben, auch wenn die Halle längst nicht mehr ausverkauft ist. Ein paar Tage später wird er ein Konzert nicht mehr zu Ende spielen können. Alle anderen sagt er ab. Drei Monate später wird Reiser tot sein. Aber das Konzert war gut, und zwar so gut:


Erstmal zieht er immer die Schuhe aus. Kann kommen, was will – Rio Reiser setzt sich, schlüpft aus den Slippern und zerrt die blauen Frotteesocken von den Füßen. Ein Ritual. Ralf Möbius, wie Rio eigentlich heißt, tritt barfuß auf, egal, ob Mitte der 70er im Hinterhof eines besetzten Hauses, Mitte der 80er in der ausverkauften Seelenbinderhalle in Berlin oder Mitte der 90er in der kaum halb gefüllten Schorre in Halle. Danach geht er zum Mikro und singt: "Alles was ich sagen kann / ist schon längst gesagt".

Sechs lange Jahre hat Rio nicht mehr auf der Bühne gestanden. "Irgendwie keine Lust" habe er gehabt, und außerdem jede Menge anderes zu tun. Rio Reiser, der als Sänger der Anarcho-Polit-Combo Ton Steine Scherben ein Kapitel deutscher Rockgeschichte schrieb, komponierte die Musik zu einem Theaterstück, er spielte die Hauptrolle in einem "Tatort", machte ein Musical, verfaßte ein Buch und produzierte daheim auf seinem Bauernhof im verträumten Fresenhagen Platten von Freunden wie Lutz Kerschowski, der ihn jetzt als Gitarrist begleitet. Die Welt draußen hat ihn darüber ein bißchen vergessen, den einstigen "König von Deutschland". Vorbei die Zeiten, als ihn tausende Fans für Hits wie "Blinder Passagier" feierten, als ihn die versammelte deutsche Rockprominenz zum besten Texter kürte und Alt-68er, Popfans und Punks ihn gleichermaßen liebten. Heute ziehen die Jungen zu Green Day oder den Boyzone, die Mittleren treffen sich bei den Toten Hosen und die 68er pilgern zu Pur.

Reiser allerdings stört das nicht im mindesten. Die geschwollenen Augenlider fest zugekniffen, die Hände um die Gitarre geklammert, steht er da und singt. Für sein Comeback hat sich der 46jährige immerhin etwas ganz besonderes ausgedacht. Im Vorprogramm bietet er Deutschlands einzigen Minnesänger Nikolai von Treskow auf, im Abspann läßt er die Berliner Klamauk-Kapelle Knorkator lärmen.

Nichts paßt zusammen, und das ist beabsichtigt. Rio Reiser, immer für Überraschungen gut, tut weiterhin alles, Erwartungen nicht zu befriedigen. Jahrelang riefen sie in Konzerten nach alten Scherben-Stücken wie "Macht kaputt was Euch kaputt macht", aber Rio war das bald "zu blöd". Heute schreien sie nach seinen eigenen Hits -und er spielt sie nicht. Kein "König von Deutschland", kein "Alles Lüge", kein "Geld". Einer wie Reiser macht es sich selber schwer, bleibt so weitgehend unfaßbar für die Pop-Industrie und also integer immerdar.

Reiser hat gekokst und gespritzt, er qualmt wie ein Schlot und stürzt Alkoholika hinunter, als gäbe es kein Morgen mehr. Aber allen Verlockungen, den Pop-Clown zu machen und einmal im Leben richtig Geld zu verdienen, hat er widerstanden. "Ich will ich sein / anders will ich nicht sein", singt er, und das großartige "Laß" uns ein Wunder sein", bei dem seine nach den Griffen tastenden Finger den Kampf mit den Saiten aufgeben. Reisers neue Lieder, letztes Jahr erschienen auf einer Platte namens "Himmel & Hölle", sind zarter, zornloser, zurückgenommener denn je.

Der Mann, der einst jugendliches Revoluzzertum und Unangepaßtheit personifizierte, ist jenseits der 40 zum stillen Beobachter der Zeitläufte geworden. Rio rockt nicht mehr, er singt, als balanciere er barfuß über Glasscherben, und wenn er schon mal aufschaut zur staunenden Menge, dann zielt sein Blick weit über die Köpfe ins Dunkel, wo er "Licht, Liebe und Hoffnung" (Rio) sieht. "Wann, wenn nicht jetzt?, wo, wenn nicht hier, wie, wenn ohne Liebe, wer, wenn nicht wir?", fragt er tapfer, obwohl er die Antworten kennt. Und als einzige Zugabe gibt es das Liebeslied "Junimond": "Es ist vorbei, bye, Junimond, es ist vorbei".


Mittwoch, 17. August 2016

Olaf Schubert: Der Spaßvogel in der Ostbaracke

Sein Kapital ist das Gesicht, aus dem er so fassungslos und entsetzt, so gleichgültig und ernsthaft zugleich gucken kann. Olaf Schubert, hoher Scheitel, Fusselhaar und über dem schmächtigen Brustkorb den unerlässlichen Pullunder, staunt dann in die Runde, die meist gerade brüllend lacht. Lacht über etwas, das Schubert gerade gesagt hat. Aber kann das sein? Dass Menschen sich vor Vergnügen ausschütten wollen, nur weil er einen durch ein Delta an Nebensätzen mäandernden Monstersatz nach viermal durchatmen und dreimal neu ansetzen zu einem glücklichen Ende gebracht hat?

Es hat eine ganze Weile gebraucht, bis Olaf Schubert, der eigentlich Michael Haubold heißt, es geglaubt hat. Bis dahin tourte der gebürtige Plauener, der heute neben Cindy aus Marzahn, dem Eisleber Duo Elsterglanz und dem Dresdner Uwe Steimle zu Ostdeutschlands Comedy-Elite gehört, mit seiner Band DekaDance durch die Lande. Schon diese Kapelle war nicht gänzlich ernst gemeint. Zum Programm gehörten Ausschweifungen über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus, die Musiker trugen wundersame Verkleidungen und es wurde viel Unsinn erzählt. „Women back in the Kitchen“ sangen sie damals oder auch „Döbeln in the Sky“ und eine Bläsertruppe stieß dazu ins Horn, dass die Wände wackelten.

Bilder von damals zeigen Olaf Schubert in komischen Kittelschürzen, Lederjacken und Lindenberg-Hosen. Ein linkischer Kerl, dem der Schalk im Nacken sitzt. Es dauert denn auch ein halbes Jahrzehnt, bis das humorige Talent des selbst ernannten „Mittlers zwischen Kunst und Sozialabbau“ auch außerhalb der kleinen Säle entdeckt wird, in denen DekaDance auftreten. Hatte der Künstler seine ersten Jahre noch als ruhelos Reisender zwischen kleinen Klubs verbracht, in denen er seine abstrusen Protestgedichte und Aktionshörspiele mit hohem Einsatz, aber gegen ein geringes Salär vortrug, öffneten sich mit Beginn des neuen Jahrtausends die großen Tempel des deutschen Humors bis weit hinüber in den humortechnisch immer noch abgeschirmten Westen.

Schubert, der seine Hörspiele traditionell im halleschen Überschall-Tonstudio von „Zorn“-Autor Stephan Ludwig einspielt, gastiert seitdem im „Quatsch Comedy Club“ und bei „Night Wash“, er heimst Kleinkunstpreise und anno 2008 schließlich sogar den Deutschen Comedypreis als „Bester Newcomer“ ein. Dazwischen bespielt der Sachse Open-Air-Arenen wie die Pferderennbahn in Halle.

Ungeachtet des Umstandes, dass der Wahldresdner eine hochartifizielle Art von Humor pflegt, die von Anspielungen, unerwarteten Wendungen und gezielten Schlägen unter die Gürtellinie lebt, werden seine Bühnenprogramme nun zur besten Sendezeit im Fernsehen gezeigt. Zuletzt erst übernahm die ARD die vom MDR produzierte Fernsehshow „Olaf verbessert die Welt“, weil die überaus erfolgreich bei jungen Zuschauern ist.


Ebenso unverdrossen wie prinzipiell unverstanden steht Schubert nun dort auf der großen Bühne, im Scheinwerferlicht, immer noch begleitet von Bert Stephan, seinem alten DekaDance-Kollegen, und immer noch im Rauten-Pullunder, den, so will es die Legende, seine Oma ihm einst gestrickt hat. Olaf Schubert ist ein Star, ein Comedian, er spielt in der Liga von Dieter Nuhr, Mario Barth und Atze Schröder. Aber auf seine Art: Schubert sucht nach dem Tabu, um es grob zu verletzen, er ist politisch unkorrekt, beleidigend und unterwürfig zugleich und er verballhornt Begriffe und Bedeutungen, bis sie ganz neu erkennbar werden. Sich selbst nennt er deshalb stolz den „Rufer in der Wüste, Gegner der Finsternis und Vergewaltiger des Bösen“.

Der Spaßvogel in der Ostbaracke singt mit Gießkannenstimme und verhaspelt sich. Dann sattelt er den nächsten halben Satz und reitet ins Klischee, während die stets leicht verstellte Stimme in einem selbsterdachten weich dahinfließenden Bildungssächsisch Floskeln so lange aufbläst, bis sie begleitet von einem erstaunten „Oh!“ vor aller Augen platzen. Eine Kunstfigur, die noch mehr mit dem Mann dahinter verschmolzen ist als im Fall von Gilbert Rödiger und Sven Wittek, die nur alsDuo Elsterglanz wahrgenommen werden, und Ilka Bessin, die ihre erfolgreiche Kunstfigur „Cindy aus Marzahn“ erst vor wenigen Wochen aus Überdruss am Verwechseltwerden beerdigt hat.

Schubert, der kürzlich erst einen Feuerwehrschlauchfetischisten im neuen Film der Elsterglanz-Kollegen gespielt hat, wird für Schubert gehalten, die Erfindung. Nicht für Haubold, den Lenker, Denker und Texter hinter den Grammatik-Gebirgen und bizarren Zeitformverzerrungen, der öffentlich nie aus dem Schatten des „Wunders im Pullunder“ (Schubert über Schubert) tritt.


Nur so kann das Kunstkonzept Olaf Schubert funktionieren: Wenn die Person auf der Bühne das zu sein scheint, was sie zu sein vorgibt - ein an Selbstüberschätzung leidender Besserwisser, von nichts eine Ahnung, aber zu allem aussagebereit. Schubert schwätzt vom „erweiterten Infinitiv mit Kapuze“, von einer „Durchsetzung der deutschen Sprache mit Anglizismen, vor allem mit englischen“ und er erzählt von bizarren Begebenheiten aus seinem Alltagsleben als freischaffender „Betroffenheitslyriker“ (Schubert). Mit dem Lachen über ihn, der so verzweifelt versucht, so zu tun, als habe er alles im Griff, lachen die Leute immer auch über sich selbst.


www.olaf-schubert.de
www.objekt5.de