Dienstag, 18. August 2015

The Cure, Leipzig 1990, DDR: Robert Smith macht das Licht aus

So sah das damals aus, als in der DDR zum ersten Mal eine richtige Westband zu einem Open Air-Konzert außerhalb Berlins rief. 8. August 1990, Festwiese am Zentralstadion in Leipzig, die englische Band The Cure ist da. Mit dem ersten Lied "Shake dog Shake" geht der wandelnde Mehlbeutel Robert Smith in die Offensive, gedämpft, gedrückter Stimmung.

So soll es sein,. "Let's go to Bed", "Walk", "In between Days", "Head on the Door" und das neue Lied "Pictures of You" klagt Smith mit seiner Ningelstimme, passend zum Besuch in der untergehenden DDR heißt das aktuelle Album "Disintegration".

15 000 Fans stehen vor der Bühne auf der Festwiese vor dem Zentralstadion in Leipzig, alles ist Trauerschwarz, Eyeliner, weißes Puder auf dieser "Prayer"-Tour, die mit Laser, Rauch und viel farbigem Licht sehr schön in den letzten Sommer der DDR passt. Am Ende mögen sich die Engländer dann kaum trennen von ihrem ostdeutschen Anhang. Eine Stunde lang gibt es Zugaben für die DDR-Fans.

Hinter der Bühne sagt Robert Smith dann seine Meinung zu den Ereignissen in der DDR: "Ich kann nicht nachvollziehen, wie das Leben hier vor dem Fall der Mauer war. Aber ich glaube, man merkt, dass die Menschen sich jetzt viel wohler fühlen."

The Cure live in Leipzig 1990 Bildstrecke

Donnerstag, 13. August 2015

Sommerrätsel Cerealogie: Kreise im Korn

Wenn da etwas gewesen wäre, hätte er es eigentlich sehen müssen. "Ich war da gleich gegenüber", sagt Günter Armbrecht, "und es war schließlich Vollmond." Aber da war nichts. Kein Geräusch und kein Leuchten, kein Zittern im Feld und kein Sausen in der Luft. Am nächsten Morgen aber ist er dann trotzdem da, der Kornkreis: Ein paar hundert Schritte hinter der Scheune des Gutes Ellerode, das Armbrecht leitet. Ein Blumenmotiv diesmal, sechzig Meter rund und von der nahen Autobahn wundervoll zu sehen.

Wann und wie die Halme im Feld geknickt worden sind, weiß Günter Armbrecht diesmal sowenig wie die vier, fünf Mal zuvor. "Eines Tages sind die Dinger einfach da", beschreibt er das Unbeschreibliche, "und vorher war immer Vollmond." Scheinen sie zu mögen, die Außerirdischen, lacht der Bauer, dem angesichts des Feldschadens nicht viel anderer Grund zum Lachen bleibt. Dort, wo das Getreide niedergetreten wurde, werden seine Mähdrescher bei der Ernte einen großen Bogen fahren müssen. Allerdings nicht wegen geheimnisvoller Kraftfelder und überirdischer Resonanzen. Sondern um nicht die gesamte Ernte zu verderben: "Das Korn in den niedergedrückten Bereichen ist feucht und treibt aus, wenn wir das ernten, versaut es uns nur noch den Rest."

Hier im Dreiländereck zwischen Thüringen, Hessen und Niedersachsen haben die Menschen Erfahrungen mit dem Außersinnlichen, das sich nachts auf die Felder schleicht und die Halme graphisch exakt zur Ruhe bettet. Seit Jahren schon vergeht kein Sommer, ohne dass die Kreise zwischen Heiligenstadt, Göttingen und Kassel nur so aus dem Korn springen. Die Region an der Werra gilt Kornkreisforschern inzwischen als Zentrum liebevoll in die Felder getretener Groß-Symbole.

Plastische Blumen und ringelnde Schleifen, aufblühende Seifenblasen und dreidimensional wirkende Vexierbilder hat Stefan Rampfel schon gesehen, dazu simple Ringe und kleinkalibrige Bögen, komplizierte Labyrinthe und aufwendige Doppel-Spiralen. "Meist ist es so", erzählt der Chefpilot seiner eigenen Flugfirma Goe-Flug, "dass mich die Kornkreisexperten anrufen." Irgendwo hat es dann eine Sichtung gegeben, die Forscher nunmehr aus der Luft bestätigt sehen wollen.

Fein säuberlich werden Fotos gemacht, ins Internet gestellt und mit großem Ernst analysiert. Nach Mustern und Machart unterscheiden Kenner zwischen echten Kornkreisen und menschengemachten Fälschungen, die abfällig als "angelegt" bezeichnet werden. Stefan Rampfel allerdings bleibt skeptisch, ob das so stimmt. "Mir haben schon Leute erzählt, es gehe um übersinnliche Kräfte", sagt er, "und andere sind überzeugt, dass Erdkräfte das Getreide so runterziehen." Eiskristalle, habe ihm einmal ein mitfliegender Forscher anvertraut, entwickelten ja schließlich auch Strukturen und Muster, die denen von Kornkreisen verblüffend glichen.

Näher ist die weltweite Kornkreis-Forschungsbewegung der Lösung um die ominösen Feldzeichen nicht gekommen, seit der südenglische Landwirt Ian Stevens anno 1978 ein bizarres Muster aus niedergedrückten Halmen auf einem seiner Felder entdeckte. Obwohl einige Filme, die im Netz zu sehen sind, anderes zu zeigen vorgeben: Noch nie ist ein Ufo beim Malen eines Kornkreises gefilmt worden. Genausowenig ist es aber der Polizei gelungen, einen der fleißigen Kornkreis-Künstler aus dem Werra-Kreis zu ertappen. "Da müsste wohl erst einer seinen Personalausweis mitten im Kreis verlieren", unkt Günter Armbrecht, der bisher immer vergeblich Anzeige erstattet hat. Auch der Kirschverkäufer an der Straße zwischen Ellerode und Groß Schneen, wo Stefan Rampfel gerade erst ein besonders großes und schickes Exemplar aus einem 16-fach überlagerten Kreis entdeckt hat, ist steinernst: "Die Alien kommen und legen das Getreide mit Magnetkraft flach".

Dabei halten sich die geheimnisvollen Urheber der unverständlichen Botschaften strikt an die ungeschriebene Regel, dass es mehr Kornkreise gibt, wenn es mehr Kornkreise gibt. Nachdem Zeitungen und Fernsehen Anfang der 80er Jahre begannen, sich des Themas anzunehmen, explodierte die Zahl der entdeckten Kornkreise. Allein in England, dem Kornkreis-Mutterland, werden jährlich bis zu 300 Neuentdeckungen gemeldet, in Deutschland gibt es zwei, drei Dutzend Sichtungen durch "Cerealogen", wie sich die Kornkreiskundler selbst nennen. Mehr als 6 000 Kornkreise aus 50 Ländern hat das International Crop Circle Archive seit 1995 gesammelt und ausgewertet - wobei die Zahlen seit 2003, dem Jahr nach Mel Gibsons Kornkreis-Kinohit "Signs", durchweg rückläufig sind.

Doch die Kornkreisforschung hat schon Schlimmeres überstanden. 1991 etwa präsentierte eine britische Zeitung zwei Rentner aus Southhampton, die von sich behaupteten, sie hätten die meisten Kornkreise in England selbst gemacht. Seit 1978, schworen Doug Bower und Dave Corley, seien sie immer wieder ausgezogen, um mit Stricken und Brettern immer komplexere Gebilde in das Getreide zu treten.

Die bis dahin durchaus salonfähige Vermutung, fremde Wesen von fernen Welten könnten Kornkreise nutzen, um mit dem Menschen in Verbindung zu treten, schien erledigt. Cerealogen, die eben noch Kraftfelder auf kornbekreisten Äckern gemessen und "fühlbaren Frieden" in den Grafittis im Grünen entdeckt haben wollten, waren blamiert durch einen Scherz.

Das Phänomen aber hat dann doch überlebt. Mittlerweile geht die ernsthafte Kornkreisforschung davon aus, dass eine große Zahl von entdeckten Kreisen von Menschenhand stammt. Dabei aber handele es sich um "Fälschungen", die von Kennern leicht zu erkennen seien: Mal enttarnen sich die Urheber durch die luschige Umsetzung geometrischer Formen ins Feld. Mal bleiben Hilfsmarkierungen zurück oder Fußspuren künden vom äußerst irdischen Tun der Gelegenheits-Aliens.

Echte Kornkreise hingegen bestünden aus Halmen, die umgelegt, aber nicht geknickt seien. Zudem, sind Kornkreisforscher wie der Radiästhesie-Rutengänger Horst Grünfelder sicher, ließen sich "morphologische Felder" in ihnen nachweisen. Und noch viel, viel mehr, wie Nancy Talbott von der amerikanischen Kornkreis-Forschungsorganisation BLT Research kürzlich erst verkündet hat. Pflanzen und Böden in echten Kornkreisen wiesen "Spuren einer mikrowellenartigen Strahlung" auf, die auf eine "Plasma-Entladung" deute. Immer wieder berichten zufällige Beobachter von Feldern, auf denen später Kornkreise entdeckt werden, von schwebenden Lichtbällen und seltsamen Geräuschen, die durch menschliche Tätigkeit nicht erklärt werden könnten.

Wer sehen will, der sieht, und wer genauer hinschaut, sieht sogar, was er nicht sehen soll. "Ich staune ja oft, woher die Kornkreisforscher immer so schnell wissen, wo ein neuer Kreis ausgetaucht ist", sagt Stefan Rampfel, der seit 2006 über dem Werratal fliegt und doch erst vor drei Wochen erstmals einen Kreis als Erster entdeckt hat - aus der Luft. "Der war wunderschön", sagt er, "aber vom Boden überhaupt nicht zu sehen."

Welchen Sinn eine Botschaft haben soll, die niemand sehen und auf jeden Fall keiner verstehen kann, fragt sich Günter Armbrecht schon lange nicht mehr. "Natürlich sind es immer die da oben", grient der Landwirt und wedelt mit der Hand gen Himmel. Immer zu Vollmond kommen sie, die Aliens. "Da braucht man dann keine Taschenlampe", schmunzelt Armbrecht, der die geheime Botschaft der Kreise längst entschlüsselt hat: Die fremden Botschafter von fernen Welten gehen lieber in Weizen als in Gerste. "Die juckt nämlich so."

Kleiner Grenzverkehr: Auf ein Bier zum Klas­sen­feind

Es wurde immerzu gerufen. Gerufen und gewunken. "Manche haben provoziert, aber die meisten Leute waren doch ganz freundlich zu uns", sagt Gerd Voigt. Nette Menschen, da hinter dem Dreifach-Zaun aus Stacheldraht, an dem der Westen begann. "Da konnten die uns im Politunterricht noch so viel Quatsch erzählen, wir haben das nicht geglaubt." Gerd Voigt, seinerzeit Unteroffizier bei den Grenztruppen der DDR, war "nicht gerade ein Vorzeige-Soldat", wie er selbst sagt. Statt die Posten zu kontrollieren, legt der 21-Jährige sich schon mal im Wald aufs Ohr.

Und passiert ist sowieso nie etwas. Einen Steinwurf weit weg von der am besten bewachten Grenze der Welt können Voigt und seine Freunde Joachim Gaum, Peter Dahte und Peter Kertzscher auch am Himmelfahrtstag 1965 keine Bedrohung ausmachen. Drüben, hinter dem Todesstreifen, stehen ein paar Jungs und brüllen: "Kommt doch mal rüber, wir haben ein Bier für euch!" Auch das nichts Besonderes. Aber diesmal beratschlagt das Quartett aus Leipzig ernsthaft: "Sollen wir oder nicht?"

Zwischen dem hessischen Wanfried und dem thüringischen Diedorf zerschneidet der Grenzzaun die ehemalige Verbindungsstraße. Am tiefsten Punkt einer Senke spannt sich der Draht über einen Abwassergraben. "Minen konnten da nicht sein", erinnert sich Gerd Voigt, "denn die hätte der Regen rausgespült." Die vier jungen Männer kommen überein, dass das Risiko so groß nicht sein kann. Kurz entschlossen schieben sich Voigt und Gaum unter dem dreifachen Zaun hindurch, gedeckt von einem kleinen Wald.

"Die erste Enttäuschung über den Westen", so Voigt, wartet direkt hinter dem Todesstreifen: "Die hatten kein Bier." Allerdings ist der Klassenfeind mit Motorrädern ausgestattet und bereit, nach Wanfried zu fahren, um ein paar Flaschen zu kaufen. "Also haben wir gesagt, wir kommen nachher wieder rüber und holen uns die Pullen ab."

Eines der wunderlichsten Kapitel der deutsch-deutschen Grenzgeschichte nimmt so seinen Anfang. Das Bier wird geliefert und abgeholt. Ost-Grenzer und West-Rocker schwatzen noch ein bisschen. "Dann sind wir wieder zurück, haben uns im Wald verkrümelt und die Flaschen leer gemacht."

Am Tag danach fallen Zugführer und stellvertretender Zugführer krankheitsbedingt aus. "Plötzlich musste ich die Wachen einteilen", grinst Gerd Voigt. Er nutzt seine Chance und schickt die Teilnehmer des kleinen Grenzverkehrs gemeinsam auf Patrouille. Die wiederum nutzen ihre Chance und wagen anfangs hin und wieder, später regelmäßig Ausflüge ins Feindesland. Dort können bald Zigaretten bestellt und Romanhefte geordert werden. Der West-Zollbeamte Rolf Beckmann ist immer für einen Schwatz gut, und die Frage, ob man nicht lieber im Westen bleiben wolle, wird nach kurzer Zeit auch nicht mehr gestellt.

"Das war ja für uns nie der Punkt", erinnert sich Gerd Voigt, "wir haben immer gesagt, wenn einer abhauen will, dann im Ausgang, da bekommen die anderen wenigstens keine Probleme." An diese Übereinkunft halten sich alle Eingeweihten - obwohl es immer mehr werden, die sich den Ausflügen anschließen. Nach sechs Monaten ist ein kompletter Grenzzug im Bilde, abgesehen von zwei Soldaten, die als unsichere Kantonisten gelten.

Kurz vor ihrer Entlassung werden die Grenzgänger vorsichtiger. "Wir haben einfach Schluss gemacht." Das Schweigekartell hält. Die Grenzgänger werden entlassen. Es ist Oktober 1965. Nur einen Tag später trommelt die Stasi bei Voigts an die Tür. "Klärung eines Sachverhaltes", heißt es. Nun folgen tagelange Verhöre, Haussuchungen und Gegenüberstellungen, schließlich das Geständnis, denn "die wussten alles". Es gab einen Kronzeugen: Ein DDR-Grenzer war kurz zuvor in den Westen geflüchtet, hatte es sich aber nach einer Woche anders überlegt. "Der hat uns verpfiffen, um Straffreiheit zu kriegen."

Es kommen die schlimmsten Wochen. Sechs Monate sitzen die vier aus der Kompanie Katharinenberg in Einzelhaft. Drei Tage dauert der Schauprozess wegen "Verbindungsaufnahme zu verbrecherischen Organisationen" und Militärspionage. Für ein paar Zigaretten hätten die Angeklagten ihr Vaterland verraten, heißt es, und als Beweis legt der Militärstaatsanwalt ein Bieretikett der Marke "Binding" vor, auf dem alle Beteiligten unterschrieben haben.

Das Ende ist ausgemacht: Zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Jahren Zuchthaus lautet das Urteil gegen die vier Hauptbeschuldigten. Das Wäldchen, in dessen Schutz "das Grenzregime permanent verletzt" worden war, ist längst gerodet, als die Delinquenten ihre Zellen im Stasi-Knast Pankow beziehen.

Diese Sache hat die vier Männer fürs Leben zusammengeschweißt. Gemeinsam saßen sie ihre Jahre ab, gemeinsam schafften sie den Neuanfang. Gemeinsam kämpften sie nach dem Mauerfall um eine Aufhebung ihrer Verurteilung. Und gemeinsam mussten sie sich nach sieben Jahren Hoffen auf vollständige Rehabilitation belehren lassen, dass ihre Verurteilung nach DDR-Recht gerechtfertigt war. "Gemeinsam sind wir folglich noch immer vorbestraft", sagt Gerd Voigt bissig.

Einmal im Jahr fahren die vier Militärspione nach Diedorf, besuchen ihre alte Stammkneipe und treffen Rolf Beckmann von der "verbrecherischen Organisation" Zoll. Sie trinken ein Bier Marke Binding und pflanzen dann einen Baum. Genau dort, wo nach ihrer Verhaftung das kleine Wäldchen gerodet worden war.


Dienstag, 11. August 2015

Sky White Tiger: Mantras in Tennissocken



Louis Schwadron nennt sich Sky White Tiger und trägt auf der Bühne immer weiß, abgesehen von schwarzen Tennissocken, wie er bei der Songwriternacht am halleschen Peißnitzhaus zeigte. Auch sonst ist der Multiinstrumentalist, der früher mit den Chor-Rockern von The Polyphonic Spree unterwegs war, ein lupenreiner Sonderling, der aus Einflüssen von Genesis bis Radiohead eine verstiegene Musik macht, der die ganze Welt als Last auf den Schultern zu liegen scheint.

"Cars fly, Televisions are Telephone Screens and Remote Controls Rule the School", klagt er ach über die neuen Zeiten, denen das aktuelle Album "Child of Fire" gewidmet ist. Ein Großwerk wie "Tommy" von The Who, nur mehr Marillion als Hardrock und mehr Abhandlung über Leviationstheorie als Flipperkönig-Bio. Musik, die eigentlich nach großen Hallen, großen Bühnen und millionenteurer Lichtshow schreit. Sky White Tiger schaffen es, sie auch im kleinen Rahmen groß klingen zu lassen.

Doch Schwadron kann auch noch anders, wie er in "It flows" zeigt, einem halbakustischen Stück, das an die Red Hot Chili Peppers erinnert. Das Motiv aus deren Hits "Under the Bridge" wird hier nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich belehnt. "Found myself alone / can’t recall why I call this home / surely there’s a shadow on the rise", heißt es, ehe der Song am Ende zum Mantra wird: "When you find your road it goes, it grows".