Samstag, 8. Februar 2014

DDR & BRD: Die bedröhnte Gesellschaft

Er war gesellschaftlich akzeptiert und selbst in der Mangelwirtschaft allgegenwärtig: Ob als "Blauer Würger", Grubenschnaps oder Whiskey-Imitat namens "Falkner" - Alkohol gehörte in der DDR so selbstverständlich zum Alltag, dass die untergegangene Arbeiter- und Bauernrepublik bis heute den Ruf hat, wenigstens beim Alkoholkonsum wirklich und wahrhaftig Weltspitze gewesen zu sein.

Stolze 16,1 Liter Schnaps habe ein DDR-Durchschnittsbürger im Jahr 1988 getrunken, heißt es auch in der Ausstellung "Trinkkultur in der DDR", die seit einigen Jahren mit großem Erfolg durch die Lande tourt und jetzt - ausgerechnet - im Thüringer Schnapsstädtchen Nordhausen zu sehen ist. 16,1 Liter Schnaps? Bei einem durchschnittlichen Alkoholgehalt von 30 Prozent macht das fast fünf Liter reinen Alkohol! Oder umgerechnet 23 Flaschen Nordhäuser Doppelkorn, Kristall-Wodka und Kaffee-Likör. Dazu kam dann noch der Bierverbrauch der DDR-Bürger, der trotz aller Zweifel, ob es sich bei Zeitzer Hell und Sternburg Pils wirklich um Bier handelte, mit 143 Litern nur knapp hinter den 150 Litern der westdeutschen Brüder und Schwestern lag.

Eine herausragende Leistung, an der jetzt aber trotz Traditionspflege per Wanderausstellung Zweifel aufkommen. Denn ein Vergleich der in der DDR erreichten Trinkleistungen mit aktuellen Daten kratzt am Nimbus der Alkohol-Weltmacht DDR: Letztes Jahr meldeten die Statistiker einen jährlichen Konsum von rund zehn Litern reinem Alkohol pro Bundesbürger. Zieht man den inzwischen bundesweit auf 107 Liter pro Kopf und Jahr gesunkenen Bierverbrauch ab, bleiben für den Verzehr in harten Getränken 5,35 Liter reiner Alkohol übrig. Nein, das sind nicht wie damals in der DDR 23, sondern sogar 24,5 Flaschen Schnaps!

Sonntag, 2. Februar 2014

Renft: Aufrecht im Sitzen

Zwar sitzend, aber aufrecht wie immer: Renft im Café Brohmers, diesmal wieder unplugged. Es gibt immer noch alle legendären Hits, dazu jede Menge spontaner Improvisationen von Thomas "Monster" Schoppe am Mikrophon und Giesbert Piatkowski an der Gitarre. Wer heute zu Konzerten der verbotgeadelten DDR-Rocklegende geht, hat meistens graue Haare, häufig einen Bart und alle in der DDR erschienenen Original-Platten zu Haus im Schrank. Von einigen Uralt-Fans abgesehen aber ist das Durchschnittspublikum doch überraschend jung. Diese zweite Generation der Renft-Fans kennt seine Idole nur von alten Amiga-Platten, liebt die Lieder und kommt derentwegen bereitwillig in Konzerte der Kapelle, in der mit Schoppe nominell nur noch ein Originalmitglied steht.

Aber was heißt schon original. Monster spielt seit 44 Jahren in dieser Band, Schlagzeuger Delle Kriese seit 23, Marcus Schloussen auch schon seit 15 und "Pitti" Piatkowski seit immerhin fünf. Für eine Kapelle, die es ihrer klassischen Besetzung nur kurze fünf Jahre gab, ist das eine ganze Menge, zumal Piatkowski mit den Klosterbrüdern damals genauso verboten wurde wie Monster mit Renft, sogar im selben Jahr und aus denselben Gründen.

Das Gemurre ist trotzdem immer da. Delle Kriese, der inzwischen fast fünfmal länger dabei ist als Ur-Trommler Jochen Hohl und zudem schon 1984 mit dem Ex-Renft-Gitarristen Peter "Cäsar" Gläser in dessen Band gespielt hat, ist wie Brian Johnson bei AC/DC bis heute einer der Neuen.

Aber wie bei den Australiern stört das nicht, weil die aktuelle Besetzung die alten Songs mit Seele und Groove spielt. Die leisere Form tut den Liedern gut, sie lässt "Als ich wie ein Vogel" strahlen und das bluesige "Ich und der Rock" mit dem Hintern wackeln. Zwei Platten nur hat diese Band damals gemacht, aber heute macht sie dank der Zusatztracks aus der Verbotsphase locker drei Stunden Konzert draus. Am Ende singt das komplette Publikum Klassiker wie "Gänselieschen" und "Wer die Rose ehrt" wieder begeistert mit - 40 Jahre haben Texten und Kompositionen nichts antun können.

Gelungene Premiere 2012: Renft erstmals unplugged

Freitag, 31. Januar 2014

"Böhse Menschen, Böhse Lieder"

Finstere Kerle sind das, die aus schmalen Augen schauen. Tätowiert, kahlrasiert. Mädchen in Militärhosen, Männer mit Stiernacken. Hunderte. Tausende. Zehntausende. Und alle in schwarzen T-Shirts, auf denen vor Gefahr knirschende Sprüche stehen wie "Ach, du willst Streit?" Nein, Türen zu und Fensterläden runter! Das Auto in die Garage und die Kinder von der Straße. Die Böhsen Onkelz sind in der Stadt!

So geht das, wenn Deutschlands gefürchtetste Rockband die Provinz bereist. Zweimal standen die Hessen mit dem patentiert schlechten Ruf am Wochenende auf der Bühne in der Baggerstadt Ferropolis, erschreckte die Invasion von 25 000 Fans aus ganz Deutschland das barocke Oranienbaum und das benachbarte Gräfenhainichen.

"Dabei sind die die Jungs eigentlich alle sehr nett", sagt Verena Felgner, die an einem fliegenden Stand Würstchen verkauft. Ein paar Betrunkene dazwischen, jaja. "Mehr als bei Grönemeyer." Aber das Schwarze, das Schwere, das Harte -eine Macho-Maske. Wie beim Anhang so auch bei der Band, die seit ihrem vor 20 Jahren erschienenen Album "Der nette Mann" als latent rechtsradikal und gewissermaßen gesellschaftsgefährdend gilt. Platten wurden verboten, im Radio laufen Onkelz-Lieder nie, das Fernsehen hält die Türen zu. Trotzdem hat es das Ex-Skinhead-Quartett um Bassist und Bandsprecher Stephan Weidner geschafft, einen Massenmarkt zu erobern, von dessen Existenz zuvor niemand wusste.

Kraftprotzenden Rock versehen die Onkelz mit Texten zwischen philosophierender Weltverachtung und muskulösem Eigensinn. Die Plattenbranche wird verachtet, die Presse ignoriert und die Öffentlichkeit genau so erschreckt, wie die das erwartet: "Böhse Menschen, Böhse Lieder" heißen dann CDs, "Gehasst, verdammt, vergöttert" steht auf Fan-Hemden wie ein religiöses Bekenntnis.
"Hier sind die Onkelz", röhrt Kevin Russell, nachdem die New Yorker Hardcore-Combo Biohazard kurz vor 22 Uhr Platz gemacht hat für die Helden der Heerscharen in Schwarz. "Fahr mit uns in den Himmel / wir ebnen dir den Weg / wir öffnen dir die Augen / zeigen dir wie es geht." Da fliegen die Arme schonmal vorab nach oben, da wird kollektive Inbrunst zum riesigen Chor: "Warum willst du laufen / wenn du fliegen kannst?" Den gebürtigen Iren, der statt Skinhead-Glatze längst Metaller-Mähne trägt, hört man fast nicht mehr. Aber Onkelz-Fans müssen nicht hören, sie können fühlen. Und kennen jede Zeile. Wenn die Band mit Vorurteilen spielt und sich selbstironisch das "Feindbild Nummer Eins" nennt, dann möchten sie auch Feind sein. Randgruppenstolz liegt auf glänzenden Gesichtern, wenn die Band große Vokabeln wie "Lüge" und "Ewigkeit" gegen eine nur diffus beschriebene kalte Karriere-Gesellschaft bemüht. Die draußen werden nie verstehen, gerade darum ist es ja so schön.

Nicht mehr Sekretärin, Bauarbeiter, Anwalt sein. Sondern "leben ohne Konventionen", wie Kevin Russell singt, ein Mann mit tätowierten Armen und einem Gesicht, das so wenig nach Rockstar aussieht wie die Ferropolis-Bagger nach Schichtbeginn. Alles echt! "Finde die Wahrheit", empfiehlt der Sänger, "hab keine Angst / finde die Wahrheit / so lange du noch kannst". Eingebettet ist die Suche in eine perfekte Live-Show aus Haley-Gitarren, Großleinwänden und Ohoho-Gesang, mit der die Onkelz sich in der Baggerstadt als letztes Identifikations-Angebot für einsame Individualisten inszenieren. Rechts? Links? Dort die, hier wir! Das große Gruppengefühl, es lebt unten im Gewühl, wo Männerkörper schwitzen und Mädchen für die Großbildschirme bereitwillig ihre Leibchen lüften. So warm kann's werden in karrierekalter Zeit.

Donnerstag, 30. Januar 2014

Seeger: Das Banjo im Anschlag


John Mellencamp, Willie Nelson, Dave Matthews und Neil Young schauen wie Schüler zu dem Mann am Mikrofon, der steiffingrig an seinem Banjo zupft, aber den Text von "This Land is Your Land" noch besser intus hat als die gesammelte Rockprominenz neben ihm. Pete <> ist sagenhafte 94 Jahre alt, als er im letzten Sommer bei Neil Young Festival "Farm Aid" auftritt. Es wird sein letzter großer öffentlicher Auftritt und er zeigt, welche Spuren der Mann aus New York bei nachfolgenden Musiker-Generationen hinterlassen hat.

Dabei war Seeger, Sohn eines Musikwissenschaftlers und einer Geigenlehrerin, sein langes Leben lang weder ein großer Virtuose noch ein besondern kreativer Liedschreiber. Seeger, der seine erste Band im Alter von 22 Jahren gemeinsam mit dem gleichgesinnten und später gleich legendär gewordenen Woody Guthrie gründet, sieht sich mehr als Musikorganisator, als einen Mann, der die Kunst nutzt, Menschen in Bewegung zu bringen, damit die Verhältnisse das Tanzen lernen. "Peoples Song" nennt Seeger seine Gesangsorganisation, mit der er als erklärter Linker mitten im Kalten Krieg Völkerfreundschaft befördern will.


Pete Seeger, zeitweise Mitglied der Kommunistischen Partei, landet vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe, er landete für ein Jahr hinter Gittern und für zwei Jahrzehnte auf der Schwarzen Liste der US-Radiostationen, die sich weigern, Seeger-Hits wie "Where have all the Flowers gone" ("Sag mir, wo die Blumen sind") und "If I had a Hammer" zu spielen.


Notgedrungen strickt sich Seeger eine der ersten Independent-Karrieren der Popgeschichte: Unabhängig von der Plattenindustrie und Verkaufszahlen tourt er unablässig, früh entdeckt ihn auch die DDR-Kulturbürokratie als möglichen Verbündeten im Kampf gegen den US-Kulturimperialismus. Seeger spielt hier schon in der 60er Jahren live, die staatliche Monopolfirma Amiga veröffentlicht eine Schallplatte, Seeger inspiriert damit auch die Hootenanny-Bewegung, die später wegen amerikanischer Umtriebe allerdings von Staats wegen in "Singebewegung" umbenannt wird.


Daheim hat der schmale, hinter einem schütteren Vollbart versteckte Sänger im Amerika der Vietnam-Kriegs-Gegner seine besten Jahre. Vom Außenseiter wird Seeger zum Vorbild für Bob Dylan, Bruce Springsteen und Joni Mitchell, obwohl er doch bei Dylans legendärem ersten Konzert mit E-Gitarre derjenige gewesen war, der dem vermeintlichen Verräter an den hehren Werten des Folk hatte den Strom abdrehen wollen.

Joan Baez sang damals seine Lieder, Marlene Dietrich auch. Pete Seeger lässt auch nach dem Zusammenbruch des Sozialismus nicht von seinen Idealen, störrisch, träumerisch und eisenhart zugleich. Mit 89 veröffentlicht er noch einmal ein Studioalbum, die Stimme schon wacklig, der Wille aber fest. Mit 92 ist er bei einem Geburtstagsalbum für Amnesty International dabei, er intoniert augenzwinkernd Bob Dylans Song "Forever young". Vorgestern nun ist Peter Seeger, den alle nur Pete nannten, in einem New Yorker Krankenhaus gestorben.