Dienstag, 17. Mai 2016

70 Jahre Lindenberg: Der Udonaut als Phönix


Kurz bevor es zu spät war, bemerkte der zuständige Oberleutnant Müller aus der Hauptabteilung XX der Staatssicherheit seinen Fehler doch noch. Es gibt gar kein "Grohnau" in der BRD, in dem der "Orchesterleiter" Udo Lindenberg geboren sein könnte! Müller, offenbar in Eile und ohne Tipp-Ex, strich das überflüssige "h" auf dem Befehl zur Fahndung nach dem Hamburger Musiker kurzerhand durch.

Ja, "Gronau" muss es heißen, das weiß knapp fünf Jahrzehnte später jeder. Gronau, ein Städtchen im münsterländischen Kreis Borken, ist das Graceland der Udo-Verehrung, der Ort, an dem alles begann. Die Rampe, von der der Udonaut, der heute seinen 70. Geburtstag feiern wird, einst in den Pophimmel startete. Das war vor genau 45 Jahren, als Udo Gerhard, der jüngere der zwei Söhne von Hermine und Gustav Lindenberg, nach Jazzexperimenten mit Klaus Doldinger von seinem Schlagzeugstühlchen aufstand und zu singen begann. Schon ein Jahr später hatte er mit "Hoch im Norden" einen Klassiker geschaffen. Und sich die Figur der schnoddrigen Deutschrockdrossel erfunden, als die er seitdem selbst zum Klassiker wurde.

Heute ist Udo überall. Politiker loben, Kollegen schätzen, das Publikum liebt ihn. Udo ist der Mann, auf den man sich einigen kann. Alte Fans klampfen "Cello", jüngere feiern "Mein Ding". Der Rest huldigt ihm durch einen Besuch im Musical "Hinterm Horizont".

Und doch bleibt Lindenberg, der sich seit Jahren in einer Schutzrüstung aus Fliegenbrille und Cowboyhut versteckt, ein Mann, der nicht zu fassen ist. Wenn er spricht, klingt er wie ein Udo-Imitator. Wenn er angetrunken über die "Wetten, dass..."-Bühne wankt, dreht der wahre Lindianer sich betreten zur Seite.



Die Kunstfigur aber, in der der wahre Udo steckt, der auch nicht mehr viel anders tickt, verträgt das. Lindenberg, als Sänger limitiert und als Musiker weder Bach noch Beethoven, war ganz oben und ganz unten und am Ende doch immer wieder da. In den engen Spandexhosen, mit dem Gehrock, das Mikrophon wirbelt an der Schnur herum und der Mund, unverwechselbar wie der von Mick Jagger, nölt etwas von "Neugier-Detektiv" und "Fredies aus der Berufspolitik" und wie er mit seinen "Jungs aus der Phantasterei" da ganz kräftig dagegenhalten werde.

Wer Lindenberg für eine Karikatur hält, unterschätzt den großen alten Mann der deutschen Popmusik. Hinter den flotten Sprüchen im selbstausgedachten Kinderzimmeridiom versteckt der Freizeitmaler und Kräuterzigarettenraucher messerscharfe Analysen der Gegenwart. Er erlebe derzeit eine "Zeit von leichter Ablenkung und großer Müdigkeit, wo das Make Up wichtiger ist als der Song", analysierte Lindenberg vor Jahren. Die Medien hätten da "ein Leichentuch der Unbildung über das Land gezogen, unter dem schon ein deutscher Liedtext im Radio als intellektuelle Zumutung" gelte, nuschelt er, als lasse sich der gallebittere Inhalt leichter schlucken, wenn er ihn beiläufig verabreicht.

Ein Intellektueller im Zwirn des Eckenstehers, ein Philosoph, getarnt als Unterhaltungskünstler. Lindenberg, der bis jetzt jeden Sonntagabend die Titelmelodie des "Tatorts" in die deutschen Wohnzimmer trommelt, hat mit allen zusammengearbeitet, die in der deutschen Rockmusik Rang und Namen haben. Er spielte mit Inga Rumpf, er entdeckte Ulla Meinecke, entwarf mit Peter Zadek die "Dröhnland-Sinfonie", kandidierte mit der Panik-Partei für den Bundestag, vertonte Bert Brecht, protegierte Nena, half den Prinzen, sang mit Nina Hagen und Peter Maffay.

Wer im Lande Deutschrock wandert, findet allenthalben Wegzeichen, die zu Lindenberg weisen. Die Lederjacke, die er einst Erich Honecker schenkte, liegt im Museum in Rostock. Die Rechte an wunderlichen Kunstfiguren wie "Rudi Ratlos" und "Bodo Ballermann" sprach ihm erst vor einigen Jahren ein Gericht endgültig zu. Und sein Hit "Alles klar auf der Andrea Doria" führt inzwischen, folgt man der Fährte bis ans Ende, direkt nach Sachsen-Anhalt. "Gottfried heißt der Knabe da hinten am Klavier, für jede Nummer Ragtime kriegt er 'nen Korn und 'n Bier", sang Lindenberg 1973. Damals spielte Gottfried Böttger noch das Panik-Klavier im Panik-Orchester. Inzwischen lehrt der gebürtige Hamburger, der sich später dem Jazz verschrieb, als Professor für Informatik in Köthen.

Hinterm Lebenswerk geht's weiter, das hat auch der Jubilar Lindenberg sich und der Welt gerade erst bewiesen. Waren die 90er - abgesehen von der Erfüllung seines alten Traums, einmal in Ostdeutschland spielen zu dürfen - kein gutes Jahrzehnt für ihn gewesen, so ließen sich die 2000er noch schlechter an. Udo Lindenberg schlüpfte nach einer Ära eher chansonlastiger Werke erst in die Rolle des "Exzessors" (Albumtitel). Dann wollte er wieder der "Panikpräsident" sein. Doch das Fanvolk verweigerte die Gefolgschaft.

"Lindi", wie sich Lindenberg ohne Scheu vor Peinlichkeiten selbst nennt, hatte den Kontakt zum Zeitgeist verloren, so schien es. Nicht ihm selbst allerdings. Von tief unten im Karriereloch sah Lindenberg "völlige Verblödung" grassieren. Ringsum nur "Quotenjägerei und Casting-Quatsch". Also nichts, was einen Rock'n'Roller erschüttern könnte. "Ich bin ein alter Optimist, ich habe schon solche Zeiten erlebt." Irgendwann haben die Leute wieder genug, irgendwann kehren sie um.

Das war, als Udo Lindenberg seinen vierten oder fünften Frühling erlebte. 30 Jahre nach dem ersten Alkoholentzug, 21, nachdem ihm Heiner Müller ein Gedicht mit dem Namen "Phönix" gewidmet hat, und 19 Jahre nach dem ersten Herzinfarkt ist Udo wieder da. Stark wie zwei (Plattentitel), ein Hitgigant, der Charts stürmt und die größten Hallen füllt.

Die Stasi hat es immer befürchtet. Lindenberg sei im Grunde ein Künstler, der Gutes wolle und das sogar mit "künstlerischer Meisterschaft" verfolge, bescheinigt ihm ein MfS-Gutachten. Viele seiner Lieder, etwa über Drogenprobleme oder die faschistische Gefahr in der BRD, seien "für unsere Bestrebungen ausnutzbar", heißt es. Alle anderen müssten "für die Popularisierung in der DDR gesperrt werden".

Rein durfte er danach nicht mehr, so sehr er auch bettelte. Am 10. November 1989 aber hat Lindenberg, der gerade in München ist, morgens den ersten Flieger nach Berlin genommen. Er trägt einen falschen Bart, eine Mütze und ist geschminkt, um nicht erkannt zu werden. Er sieht die Stadt, die seit einem Tag keine Mauer mehr hat, nur durch einen Tränenschleier. Es ist vielleicht der Höhepunkt seiner Karriere. "Freudentränen", nuschelt Lindenberg, "so breit war ich noch nie."

Samstag, 30. April 2016

Peißnitzinsel: Hingucker Riesenmauer


Stolze 140 Meter breit, an die fünf Meter hoch, ein Betonungetüm am Rande des Naturschutzgebietes auf der Peißnitzinsel, das gigantisch am Saaleufer thront wie ein havariertes Raumschiff: 1,3 Millionen Euro aus dem Fluthilfefonds der Bundesländer hat sich die Stadt Halle den Neubau einer Stützmauer an der Wilden Saale unterhalb des Leibniz-Instituts kosten lassen. Zwei Jahre dauerten Planung und Bau, einige Tage dann nur das Freischneiden der Sichtachsen auf die graue Zementfläche.

Eine Investition, die sich nun sehen lassen muss. Direkt am künftigen Saaleradwanderweg gelegen, der in den kommenden Monaten auf einer Länge von knapp zwei Kilometern mit rund 880.000 weiteren Euro aus der Fluthilfe standsicher gemacht und für bequemes Fahren asphaltiert werden soll, hat die Riesenmauer gute Chancen, zu einem echten Hingucker für Saaletouristen zu werden.

Wie ein Ufo hockt sie da, gewunden wie das große chinesische Vorbild und gekerbt, als sei sie zur Verteidigung bereit. Schwer soll es gewesen sein, das von der 2013er Flut unterspülte Altgemäuer zu erhalten, das sich jetzt unsichtbar hinter der wuchtigen Kulisse aus Stahlbeton befinden soll. Was vorher aussah, wie es heißt - Weinbergufer -, wirkt jetzt wie die Rückseite der Großbaustelle Berliner Flughafen.

Bilder können den Eindruck von epochaler Architektur aber nur unzureichend wiedergeben. Ein Spaziergang zum Schauplatz wirkt wirklich. Verheerend.




Samstag, 23. April 2016

Meine lange Jagd nach dem supergeheimen Geheimdienstbrief

"Manchmal ist es so, wenn bestimmte Schreiben an (zu) viele Leute geschickt werden, dass sich dann jeder auf den anderen verlässt und die Sache am Ende liegenbleibt", schreibt ein Bundestagsabgeordneter der Linken. Nein, er meint nicht den Brief, der Gegenstand der ursprünglichen Anfrage war. Sondern seine eigene Antwort, die ausblieb.

Dabei war die Frage ganz einfach: Ist das Schreiben, in dem ein Gregory J. Broecker, seines Zeichens Verteidigungsattache der US-Botschaft in Berlin, Angela Merkels Sicherheitsberater Christoph Heusgen Dank für das deutsche Engagement für eine vereinte EU in der Ukraine-Krise ausspricht und gleichzeitig weiteres Partizipieren an den "technischen Möglichkeiten spezieller US-Dienste in Deutschland" verspricht, echt oder nicht?

Der Brief kursierte im Herbst 2014 im Internet, verbunden mit gewagten Deutungen: Spezieller Service, das klingt nach Abhörpraktiken. Technische Kapazitäten in Deutschland deuten auf einen möglichen Verfassungsbruch.

Also fragen wir doch einfach mal nach, am besten dort, wo man es wissen muss. Im Bundeskanzleramt gibt es eine große Presseabteilung, schon nach der dritten Nachfrage gibt die auch eine Antwort: Zitiert werden darf „eine Regierungssprecherin“, die "dazu Folgendes mitteilen kann": „Dem Bundeskanzleramt ist ein solches Schreiben nicht bekannt.“

Eine offenkundige Lüge, denn spätestens mit dem Eingang der Frage in der Pressestelle des Bundeskanzleramtes, ob das Schreiben echt ist, war es natürlich bekannt, denn es lag bei. Bekannt ist nun, dass das Bundeskanzleramt die Frage nicht beantworten will.

Unbekannt bleibt aber, ob der Brief echt ist.

Hans-Christian Ströbele jedoch wird es wissen, denn der Grüne scheut bekanntermaßen vor keinem Konflikt zurück, wenn es um die Wahrheit und gegen mutmaßlich grenzwertige Geheimdienstpraktiken geht. Und richtig, sofort meldet sich der in Halle geborene Politiker durch einen Mitarbeiter, und lässt Dank dafür ausrichten, "dass Sie – gerade ihm – den Hinweis auf diesen Brief sandten".

Allerdings sieht Ströbele keine Smoking Gun schmauchen. Sondern lässt seinen Mitarbeiter ausrichten, dass hier "einstweilen noch skeptisch eher an einen russische Desinformations-Versuch" zu denken sei, "auch weil der Brief seine ‚Aufreger-Aussage‘ so unvermittelt direkt vermittele: "Für Ukraine-Einigkeit gibt’s NSA-Infos.". Das scheint den Grünen denn doch "etwas arg simpel".

Zwei Monate - und sechs Nachfragen bei Ströbele - später ist die Prüfung weiter gediehen. In Gesprächen mit "mehreren Menschen", die nicht näher bezeichnet werden, hätten alle die Echtheit "für höchst unwahrscheinlich und die Gefahr einer bloßen Erfindung /“Fake“ für sehr hoch" gehalten.

Aha. Schlauer ist nun niemand, aber zum Glück gibt es ja neben Christian Ströbele noch andere Parlamentarier, die ebenso kritisch zu mutmaßlich fragwürdigen Geheimdienstpraktiken stehen und der Regierung hier gar nichts durchgehen lassen. 


André Hahn etwa kümmert sich für die Linke um die Geheimdienstaufsicht. Er antwortet nach mehreren Anfragen prompt. Kann aber auch nichts zu dem ominösen Schreiben sagen. Und auch nichts machen, wie sich noch einige Nachfragen später herausstellt. "Ich bin bislang davon ausgegangen, dass es sich um ein Dokument handelt, das über kurz oder lang auch in den Unterlagen des Untersuchungsausschusses auftauchen und dann dort debattiert wird. Das ist bislang offenbar nicht geschehen", teilt Hahn mit. Gibt es denn gar keine Möglichkeit, herauszufinden, ob eine Verschwörungstheorie eine Verschwörungstheorie ist - oder doch wahr?

André Hahn will helfen. "Deshalb werde ich das Sekretariat des Parlamentarischen Kontrollgremiums bitten, die Angelegenheit auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung, setzen zu lassen und dazu einen Bericht der Bundesregierung abzufordern."

Die nächste Sitzung war dann im September, auf der geheimen Tagesordnung stand der Brief dann doch nicht, auch über Antwort der Bundesregierung hat Hahn nie etwas verlauten lassen.

Gehen wir eben zur SPD, deren Abgeordneter Burkhard Lischka seinerzeit zwar noch nicht Landesvorsitzender der Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt war, aber in jedem Fall ein Mann, der interessiert daran ist, gegen falsche Gerüchte vorzugehen. Lischka ist zudem Fachmann, er sitzt im Bundestags-Innenausschusses, ist innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und außerdem gerade im Urlaub, wie sein Mitarbeiter Nicolas Geiger nach einigen Erinnerungsmails schreibt.

"Wir mussten den Sachverhalt selbst erst prüfen", heißt es weiter. Und nun tut es alles leid, denn "kurzfristig können wir Ihnen bei Ihrem Anliegen leider nicht weiterhelfen". Herrn Lischka sei das Schreiben bislang zumindest nicht bekannt gewesen. Das muss dann so stehenbleiben, weil auch langfristig nie mehr eine Antwort kommt.

Christoph Bergner von der CDU hält es übrigens ähnlich, nur dass er persönlich anruft, um mitzuteilen, dass sich da insgesamt wohl wenig machen lasse. Er werde sich aber umhören, verspricht er. Das klingt schon richtig geheimdiensthaft. Bringt aber auch nichts.

Der Brief bleibt ein Brief, der alles sein kann. Und die Abgeordneten sehen aus wie etwas, was sie nie sein sollten: Leute, die nicht einmal im Fall eines einseitigen Schriftstücks in der Lage sind, die parlamentarische Kontrolle der Regierung auszuüben, die eigentlich ihres Amtes ist.



Freitag, 22. April 2016

Conny Ochs: Ein Reisender in großem Gefühl



Das neue Album des Hallensers Conny Ochs heißt „Future Fables“. Es will mehr als die Region.

Mit seiner Band Baby Universal ist der Hallenser Cornelius Ochs seit mehr als einem Jahrzehnt eine der wichtigsten, bekanntesten und erfolgreichsten Figuren des Rocks in der Region. Zuletzt legte die Lieblingsband von Kult-Regisseur Quentin Tarantino mit „Slow Shelter“ ein Meisterwerk vor, das den Mix aus Brit-Pop und Hard-Rock um Folkelemente erweiterte.

Eine Mischung, die Conny Ochs nun auch auf seinem neuen Solo-Album „Future Fables“ pflegt. Zwölf Songs hat der Hallenser mit der unverwechselbaren Stimme im Kabumm-Studio in Golzow eingespielt, alle zwölf orientieren sich mehr an seinen gemeinsamen akustischen Alben mit der US-Doom-Legende Scott „Wino“ Weinrich (St. Vitus) als am treibenden elektrischen Sound seiner Band.

Lieder mit Herz, Lieder mit Seele sind das, vom Auftakt mit dem auf zwei Gitarren hereinschleichenden „Hole“ bis zum Finale mit der dunklen Klavierballade „Make some room“. Conny Ochs singt flehentlich, er flüstert, zeigt aber bei „Killer“ auch, dass er Nirvana ebensogut kann.
Songkunst, der Sachsen-Anhalt, der Osten und ganz Deutschland spätestens seit den gemeinsamen Tourneen mit Scott Weinreich zu klein geworden ist.

Wie ein moderner Troubadour zieht Ochs durch Europa, um die Welt, er spielt in Quedlinburg und Venedig, in der Schweiz und Tschechien. Seine zwischen Mark Lanegan, Lou Reed und Nick Drake pendelnde Musik, mit dem Debüt „Raw Love Songs“ entworfen, mit „Black Happy“ vervollkommnet und mit „Future Fables“ nun für erste vollendet, wird überall verstanden werden.

Direkt zum Künstler:
connyochs.com