Sonntag, 7. April 2024

Peter Sodann: Peter der Große


Er war Arbeiter, Theaterchef und Fernsehkommissar - noch mit 80 begann Peter Sodann in Sachsen mit dem Bau einer Bibliothek - und noch einem neuen Theater.


Morgens ist er immer mit dem Hund gegangen, jeden Morgen. Der Hund war ein Dackel, die Strecke immer ähnlich, die Aufgabe stets die gleiche. Peter Sodann, seit heute 80 Jahre alt, zog los, eine gute Tat zu vollbringen. "Ich mache meine Runde", sagte er, "und wo ich Müll liegen sehe, sammle ich ihn auf."

Sodann wusste natürlich, dass er belächelt wird. Die Gymnasiasten, die ihm entgegenkamen, schüttelten die Köpfe über den älteren Herren, der ihnen den Dreck nachräumte. Peter Sodann ist es egal gewesen. Er tue das ja nicht für die anderen, auch wenn er beharrlich hoffe, sein Beispiel werde irgendwann irgendetwas bewirken. Er tue das für sich, sagt er. "Ich fühle mich danach einfach besser."

Einsatz für sich selbst


Um anderes ist es nie gegangen in der langen, bunten Laufbahn von Halles größtem Prominenten. Sodann, im sächsischen Meißen geboren und früh mit dem DDR-Staat aneinandergeraten, hat schon bald nach Studium, Haft und Parteiausschluss begonnen, die eigene Nase als Kompass zu verwenden.


 Mit dem neuen theater in Halle, das er zusammen mit seinen Schauspielern aus einem alten Kino zimmerte, schuf sich der damals 45-Jährige ein richtiges Leben im falschen Sozialismus. Eine Insel, die Sodann auch so nannte: "Kulturinsel". Hier war er Herz und Seele, Motor und Steuermann, ein Impresario, der die Rollen als Pastor, Manager und Betreuer parallel spielen durfte.

Die gewitterhimmelblauen Augen werden heute noch eine Spur dunkler, wenn Sodann über seinen Abschied aus dem Haus spricht, das am Ende wie sein größerer Körper war. Rausgekantet hat er sich gefühlt, auf Grund gelaufen im Flachwasser der Kulturprovinz, in der ihm Stadtobere übel nahmen, dass er es war, der bei gemeinsamen Rundgängen durch die Straßen alle naselang gegrüßt wurde. "So klein ist manchmal das Denken", lächelte Peter Sodann, ehe er dem nächsten Passanten zunickte.

Ein Sachse in Halle


Er ist hier an der Saale, das sagt er freimütig, heimisch geworden. Aber kein Hallenser. Sodann, dem gelernten Werkzeugmacher aus Weinböhla, der an der Werkbank immer auf einem Fußbänkchen stand, eignet noch immer das sächsisch-verbindliche, die weiche, wortreiche Art des Mannes, dem Fremde im Zug einfach so ihr Leben erzählen und der seine eigenen Geschichten auch selbst gern hört. Vom Hundertsten ins Tausendste plaudert er sich da, sprudelt Gedichte und Lieder, große Namen, Loest, Weigel, Blüm, Geissler. Dazu Texte aus alten Rollen und philosophische Gedanken über die Welt und den Menschen, die Gesellschaft und die Geschichte.


Kein einfacher Mann war er, dieser Sodann. Schlägt Haken. Weicht aus. Provoziert. Verwirrt Feind, Freund und zuweilen sogar sich selbst. So hatte er einmal seine Bundestagskandidatur für die PDS angekündigt. Sie dann aber zurückgezogen, weil der MDR drohte, ihm seine geliebte Rolle als Tatort-Kommissar fortzunehmen, bei der er es geschafft hatte, den Fernsehfahnder nach seinem eigenen Ebenbild zu formen. Später trat er bei der Wahl zum Bundespräsidenten an. Erschreckte die Partei, die ihn nominiert hatte, aber gleich mit der Ansage, dass er den Chef der Deutschen Bank ja doch am liebsten verhaften würde.

Im Schlagzeilenorkan


Peter Sodann schmunzelte dann. Diese "Dinger", wie er sie nannte, die passierten ihm nicht so einfach, die baldowerte er vorher aus. Dann sagte er, dass es in Deutschland keine Demokratie gibt. Oder eben, dass er Herrn Ackermann verhaften möchte. Kann sein, dass ein Schlagzeilenorkan ihm für ein paar Minuten die Luft nimmt. Kann sein, dass man Freunde verliert. Sodann zuckt die Achseln. "Aber von denen hat man am Ende sowieso nur ein paar."


Es ist wie mit dem Papier aufheben und mit dem Müll sammeln. Das ist sein Peter-Prinzip: Er muss das nicht tun, aber er tut es gern. Er weiß, er fühlt sich besser danach. "Wohltun, wo man kann", sagt Sodann, "Freiheit über alles lieben und Wahrheit auch sogar vorm Throne nicht verleugnen." Den Spruch hat er zu Haus an der Wand hängen, noch nicht mal so ganz lange. "Aber das war auch schon vorher genau das, was ich leben wollte", sagte er.

Es ist ein Leben inmitten von Klassikersprüchen, tapeziert mit Zitaten, Gedichten, uralten Liedzeilen, das Peter Sodann führt. Schon zu DDR-Zeiten hat er an "der Dummheit der Herrschenden" gelitten, wie er sagt. Damals aber konnte er sich noch zurückziehen in das kleine, grenzenlose Theater in der eng umgrenzten Republik. Heute muss das Land die Bühne sein, auf der er für Gerechtigkeit und eine bessere Welt streitet, ohne direkt sagen zu können, wie die sein müsste. Klar, gerechter. Ohne Arm und Reich. Und ohne Dummheit am besten. Gegen die habe sein Theater ja immer angespielt.

Der "betende Kommunist"


Mit Zitaten kittet Sodann zusammen, was nicht zusammen geht: Einen betenden Kommunisten nennt er sich dann und er ist "im Nachhinein nicht böse, dass ich zu DDR-Zeiten eingesperrt war". Das habe ihm Gelegenheit verschafft, über sich und die Welt nachzudenken. Weggehen in den Westen? Nie ein Gedanke. "Ein Arzt verlässt seine Patienten nicht." Lange hat er sein Helfersyndrom an einen drogensüchtigen Jungen ausprobiert. Lars, blond, kindlich und zumindest optisch unschuldig, bekam von Sodann Essen und einen Job und Geld, das ihm stets mit der Ermahnung "aber nicht für Drogen" übergeben wurde. Lars hat seinen Beschützer immer wieder enttäuscht. Aber Peter Sodann gab nicht auf.


Es gehe ja gar nicht um das große Ganze. Es geht um den Einzelnen, rief Peter Sodann und die Blauaugen blitzten. Während seine Frau immer mal sage, er solle ein bisschen ruhiger machen, auch mal was auslassen, ziehe es ihn immer weiter. "Ich bin immer gefragt worden", beschrieb er, "willst Du in den Kindergarten, willst Du Werkzeugmacher lernen, willst Du Theaterchef werden, willst Du als Präsident kandidieren." Warum nicht, habe er jedes Mal gedacht. Was auch immer passiert, dümmer werde man nicht davon.


Das Leben ein Experiment


Das Leben ein Experiment, das immer wunderbar beginnt und öfter mal im Zwist endet. Peter Sodann weiß Bescheid. "Das erste Mal haben sie mich ja schon im Kindergarten rausgeschmissen."
Kein Grund, sich nicht immer wieder auf Dinge und Leute einzulassen. Peter bleibt bei seinem Prinzip. Hat er seinem neuen theater nach der Wende eine Bibliothek der bedrohten DDR-Bücher bauen wollen, so baut er seiner Bibliothek, die jetzt im sächsischen Staucha entsteht, nun ein Theater. 


Es sei so viel Platz da, schwärmte Peter Sodann, genug für Leseräume, Studierzimmer, eine Kneipe und vielleicht sogar für einen Golfplatz für die Armen. "Ich träume gern", sagte Peter Sodann, "träumen ist ja auch nicht gefährlich." Das Elternhaus in Meißen hatte er eingetauscht gegen ein neues Heim gleich neben der Bibliothek. 

Peter Sodann geriet mit 80 noch ins Schwärmen angesichts der Aussichten, die sich ihm boten. 

Ja, wenn alles fertig sein würde, wäre es fast wieder wie auf einer Insel.

Jetzt ist Peter Sodann mit 87 Jahren gestorben.

Zur Peter-Sodann-Bibliothek


Sonntag, 24. März 2024

Ende einer Ära: Die Geburt eines Zukunftsortes

Es ist nur selten möglich, einen Lost Place wirklich beim Entstehen beobachten zu können. Meist werden die Gebäude, aus denen sich der Mensch zurückzieht, eher unbemerkt aufgegeben. Fabriken geben auf, Labors oder Schulen, Kasernen und Kirchen schließen ihre Pforten, ohne dass es jemand bemerkt. 

Doch in Deutschland gab es nun schon zum zweiten Mal die Gelegenheit, einen großen Konzern beim Sterben zuzuschauen die letzten Tage seiner viele Jahrzehnte währenden Existenz direkt vor Ort mitzuerleben.
Nach dem langsamen Sterben der letzten und größten deutschen Kaufhauskette Kaufhof war es diesmal der Einzelhandelsriese Real, der seine Pforten mit Ansage schloss. Die gewaltigen Verkaufshallen leerten sich langsam, dann immer schneller. Die Regale gähnten ohne Waren, die Reste des Bestandes gingen aus Kisten und Boxen in den Verkauf, aber meist immer noch zu stolzen Preisen. 

Die Bilder, die am Ende einer ganzen Ära entstanden, erzählen vom leisen Tod eines Unternehmens, das über viele Jahre hinweg stets zur falschen Zeit das falsche tat, das aber mit einem untrüglichen Gefühl fütr den richtigen Moment. Für nachwachsende Generationen bleiben noch ein paar stadiongroße Hallen mehr, vielleicht dann bald für eine Cannabis-Zucht oder als bloße, aber sehr stabile Träger für die Paneele eines neuen Solarparks.


Samstag, 11. November 2023

Acht Jahre: Romantiker und Menschenmagnet


Ich bin nicht hier, um zu gewinnen,
ich bin am Leben, um es zu verlieren.
Wo nichts verloren wird, ist nichts zu finden,
wer sich wärmen will, muss erstmal frieren.

Gerhard Gundermann

Beim Fußball hat er immer im Sturm gestanden. Natürlich im Sturm, ganz vorn, wo die Tore gemacht werden. Steffen Drenkelfuß war kein fleißiger Läufer, keiner, der das Spiel lenken wollte. Hier nicht. Hier, auf dem Platz, war er der, der seinen wuchtigen Körper mit ein paar schnellen Schritten in Position brachte und abschloss. Er war zielsicher, er war zur Verwunderung seiner Gegenspieler sogar schnell. Er war genau der, der er sein wollte. Ein Macher, ein Vollender. Ein Mann, der seinen Platz hatte und ihn ausfüllte.


Im Leben hat Steffen Drenkelfuß nach diesem Platz gesucht. Er liebte die lauten Runden, in denen über Gott und die Welt geredet wurde, die Abende am Lagerfeuer, an denen immer noch ein letztes Bier getrunken wurde, ehe es ins Zelt ging. Begann er zu erzählen, von den wilden Zeiten im Café Fusch, von seinen Reisen nach Afghanistan und Russland, von den Geschichten aus der Geschichte, die er liebte wie vielleicht kaum etwas sonst, dann wurden die Runden leise und alle hörten zu. Steffen Drenkelfuß war dann ein Menschenmagnet, ein wortgewandter Welterklärer, der allen einfachen Wahrheiten misstraute, weil er aus der Geschichte, die für ihn immer auch die Lebensgeschichte seiner geliebten Großmutter war, wusste, dass die Dinge nie einfach sind.

Steffen Drenkelfuß hielt es weniger mit den Gewinnern, die die Geschichte schreiben. Sein Herz schlug für die Verlierer, für die, die es versucht hatten und gescheitert waren.

Für sich selbst sah er das nicht vor. Meister seines Lebens zu sein, ein Mann, der seinen Weg geht, das war das Bild, das er von sich selbst hatte. Steffen Drenkelfuß war der Mann auf dem Kapitänsplatz hinten im Paddelboot, wenn es nach Schweden oder Polen ging. Tagsüber fuhr er ganz vorn im ersten Boot und abends war er der, der die Härten des Outdoorlebens bei jedem Wetter in vollen Zügen genoss – am liebsten nur in eine Plane gewickelt, der er seit der Armeezeit die Treue hielt. Er war ein Romantiker, er schlief auf einer Matte, die dreimal geflickt war, denn er hing an Dingen, die gelebt hatten.

Lange suchte er auch nach dem Ort, an dem er seine Fähigkeiten zeigen und verwenden konnte. Zum Glück für alle, die er auf seine Reise von der Universität zur Zeitungsredaktion, zum MDR und in die Stelle als Sprecher eines italienischen Hightech-Unternehmens mitnahm. Legende ist seines raue Imitation eines früheren MDR-Chefs, den er mit blitzenden Augen nachahmte. Auch seine absurden Anekdoten aus dem halleschen Rathaus hätten es verdient gehabt, ein Buch zu füllen. Und nie ließ er einen Zweifel daran, wie sehr er Falschheit und Größenwahn verachtete, wie sehr es ihn traf, wenn Aufschneider und Heuchler das Sagen hatten.

Steffen Drenkelfuß hätte es nie zugegeben, weil er sich für einen Realisten hielt. Doch er träumte von einer Welt, in der Leistungen zählen und nicht Bürokratie, Falschheit und das, was er Geschwätz nannte. Er selbst hat auf sich nie Rücksicht genommen, um seinem eigenen Anspruch an Leistung gerecht zu werden. Er arbeitete, akribisch, ausdauernd. Und wenn Freunde ihn brauchten, als Computerexperten, als Zuhörer, als Freund, war er da. So sehr, dass er oft den Vorwurf hörte, dass er nicht vergessen solle, dass da noch ein anderes Leben im Leben sein müsse.

Aber auch das hatte er, etwa wenn er am Pool bei seinen Eltern auf der Sonnenliege saß und bei einem Bier Gespräche mit seinem Vater  führte. Wenn er in Oebisfelde auf Fotopirsch zur Grenzerbank ging, aus der er mit seinen Bildern ein Kultmotiv machte. Oder wenn er abends zu Hause saß und über Max Höltz, Ernst Ottwalt oder Nestor Machno las. Bücher, die ihn beeindruckten, konnte er kapitelweise auswendig nachsprechen. Mit Gesten und ganzem Körpereinsatz holte er die Vergangenheit dann ins Heute. Er war begeistert und begeisterte andere. Er war lebendig. Er war glücklich.

Auch in der Musik. Er war dann melancholisch, romantisch, still. Gerhard Gundermann, Christian Haase, Natalie Merchant waren seine Säulenheiligen, immer wieder fand er aber auch zurück zum Punk seiner Jugendjahre. Den zornigen jungen Mann, der er damals gewesen war, trug Steffen  auch jenseits der 40 noch irgendwo in sich. Milde können andere sein, sagte er. Steffen urteilte präzise und schnell, sein moralischer Kompass schlug sicher aus, und wenn er eine Position gefunden hatte, dann verteidigte er sie vehement. Bis das letzte Bier ausgetrunken und das Feuer zu kalter Asche heruntergebrannt war.

Steffen Drenkelfuß ist am 11. November 2015 gestorben.
Er ist nur 45 Jahre alt geworden.

Steffen Drenkelfuß bei Facebook

Samstag, 21. Oktober 2023

Popstar der Politik: Audienz bei Wagenknecht

Sie tut erst gar nicht so, als gehe es um eine Buchlesung. Sahra Wagenknecht weiß, dass die Leute ihretwegen kommen. Das Buch haben die meisten schon, auch wenn sie an diesem Abend noch eins kaufen werden. "Ist ja bald Weihnachten", sagt der Einpeitscher, der vorher auftritt wie früher bei "rund" im DDR-Fernsehen. Stimmung machen, den Saal einschwören.

Heute Abend ist das einfach, denn die, die hier sind, sind Fans der Frau im hellblauen Blazer, die mit frenetischem Applaus begrüsst wird. Wagenknecht lächelt schmal und macht es kurz: "Ich lese jetzt aus meinem Buch, das wird etwa 40 Minuten dauern." Sie lese nur das Vorwort, das sei am aktuellesten. "Obwohl auch der Rest nach wie vor aktuell ist."

39 Minuten offizieller Teil


Nach genau 39 Minuten ist der offizielle Teil rum. Jetzt kommt die Fragerunde, absolviert unter Zuhildenahme zweier mitgebrachter Stichwortgeber, die wissen, was sie fragen sollen. Sahra Wagenknecht bekommt Gelegenheit, alle Register zu ziehen. Es ist so leicht im Augenblick, den Leuten zu sagen, was sie hören wollen.

Nickende Köpfe im Saal bestätigen, dass Wagenknecht so ziemlich alles richtig macht, wenn sie auf das Heizungsgesetz schimpft, auf Bevormundung, Sprechverbote, das Gendern, die grenzenlose Einwanderung, die Waffenlieferungen, die Benachteilung der Ostdeutschen, die niedrigen Löhne und niedrigen Renten, die hohen Preise und die verrückte Energiepolitik, aber auch darauf, wie der Krieg im Osten von Deutschland aus betrachtet werde. "Man kann eine Atommacht nicht besiegen", warnt sie und zitiert John F. Kennedy, der mal gesagt habe, man dürfe eine Atommacht nie vor die Wahl stellen, eine demütigende Niederlage zu akzeptieren oder auf den Knopf zu drücken. Da nicken alle. Kann man sich vorstellen. Genau so ist das.



Jubel überall im Saal


Sahra Wagenknecht sieht sich als Stimme der Vernunft inmitten von "Verrückten", wie sie die politischen Mitbewerber nennt. Die einen zu grün, die anderen zu rechts, die SPD eine Partei für Staatsbeamte, die Linke eine für die Avantgarde der Lastenradfahrer in Berlin Mitte, die keinen Schimmer davon haben, was draußen im Lande los ist, wo keine U-Bahn fährt und keine Inflationsprämie bezahlt wird. Da nicken geht weiter.

Die Frau, die angetreten ist, die Linkspartei in einem tiefen, tiefen Loch zu begraben, sitzt hinter ihrem Tischchen wie festgefroren. Die Runde mit den bestellten Fragen absolviert sie ohne Regung, souverän wie Eis. Was sie sagt, stimmt alles. Und wenn es mal nicht stimmt, etwa als Wagenknecht beklagt, dass die Deutsche Bahn die Kapazitäten im Güterverkehr halbiert habe, glauben es ihr die Zuhörer trotzdem. 

Im Saal sitzen Fans, Menschen, die auf eine Wagenknecht-Partei warten, weil sie sonst nicht mehr wissen, was sie wählen sollen. Sie sehe eine "Repräsentationslücke", sagt Sahra Wagenknecht, und in die wolle sie mit ihrem "Bündnis Sahra Wagenknecht -  für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW) stoßen. Die ehemalige Internationalistin sorgt sich ums Vaterland. So könne es nicht weitergehen. "Irgendwann schaut man ja mal auf sen Leben zurück und ich will mir dann nicht sagen müssen, dass ich etwas hätte tun können." Pilzesammeln mit ihrem Mann Oskar Lafontaine sei in jedem Fall entspannender. Aber im Saarland sehe es derzeit ohnehin noch schlecht aus mit Steinpilzen im Wald.

Fragerunde wie geschmiert


In der zweiten Fragerunde, bei der das Publikum das Mikrophon bekommt - "aber bitte nur kurze Fragen!", fordert der Einpeitscher - gibt es Solidaritätserklärungen und Schwüre, dass das nun endlich eine echte Alternative für Deutschland sei. Fragen danach, wie Wagenknecht ihre Vorstellung von  vernünftiger Politik um setzen will, wie und mit wem, kommen nicht. Dafür aber aus dem Oberrang die Bitte, zu erklären, warum sich das ehemals als beinharte Kommunistin auftretende neben Gregor Gysi bekannteste Gesicht der Linken nicht dafür einsetzen wolle, den Kommunismus aufzubauen. 


Der Fragesteller bezeichnet sich selbst mit einem Wagenknecht-Zitat als "Angehörigen einer skurrilen Randgruppe", ein Begleiter rollt eine Regenbogenfahne aus. Später wird bei Facebook behauptet werden, dass er "niedergebrüllt" worden sei. Aber das muss an einem anderen Abend in einem anderen Saal gewesen sein. Hier im altehrwürdigen Steintor folgt der Frage ein unterdrücktes Lachen aus den Sitzreihen und Wagenknechts Geständnis, dass sie schon lange nicht mehr glaube, dass eine Art DDR-Planwirtschaft Wohlstand schaffen könne. "Nein, das halte ich für ausgeschlossen."

Die Fahne wird ohne weitere Diskussionen eingerollt. Der Saal applaudiert. Es folgt nun der für viele wichtigste Teil: Lange Schlangestehen vor der Bühne, um ein Buch signiert zu bekommen. Ein ruhiger, mechanischer Prozess, überwacht von drei locker aufgestellten Personenschützern. Die meisten, die nach vorn drängen, kennen das noch von früher.