Donnerstag, 27. August 2015

Pankow 1985: Im Rockpalast des Ostens


Ist es eine Ehre, wenn eine Schriftstellerin einer Rockband Kritik hinterherwirft? „Das Werk, das sich die jungen Künstler vorgenommen haben, krankt daran, daß der Entwurf „Mensch“ zu klein geraten ist und insgesamt nicht einmal durchschimmert. Die Reflexionswelt dieses jungen Mannes, der mir hier an der Peripherie langgeführt wird, läßt mich kalt. Was wäre denn, wenn er „aus dem Arsch“ käme? Was wäre denn dann, wonach würde er streben, wen denn könnte seine Käsigkeit beglücken? Man muss ja noch froh sein, dass dieser chronische Miesmacher, Nörgler und Muffel nicht aktiver ist, sonst wäre er gänzlich unerträglich“, urteilte Gisela Steineckert Anfang der 80er Jahre über die ersten Stücke der Berliner Band Pankow.

Die ist jetzt wieder da, nach langer Zeit, in alter Besetzung und mit alten und neuen Liedern, Steineckert, die ewige Miesmacherin, wurde überlebt. Zeit für einen Blick zurück auf eine Begegnung mit André Herzberg in Zeiten, von denen heute sicher ist, dass sie nicht die allerbesten waren.

"Aufruhr in den Augen" (Plattentitel) hatte die Gruppe um Sänger André Herzberg und respektlose Sprüche im Mund. "Wenn wir in die Städte kamen, standen die Leute hinter den Gardinen", erinnert er sich. Heute bewegt sich kein Fensterladen, wenn Herzberg einreitet. Spärlich besucht die Klubs, wo er die Gitarre einstöpselt, karg die Gagen und der Applaus dünner als das Klimpern der Gläser in der Spültheke.

Seinerzeit hätten sie alles weggeblasen. Mit einem Gemisch aus rauem Rock und Texten in rüdem Alltagsdeutsch setzten sich die fünf Berliner Musiker hörbar ab von der Ost-Konkurrenz. Pankow gaben sich volksnah und unverblümt - Herzberg sang keine Poesiealbum-Verse, sondern lebenspralle Geschichten von gelangweilten Lehrlingen, fiesen Brigadeleitern und verlogenen Eltern.

In den Konzertsälen feierten Herzberg und sein kongenialer Gitarrist Jürgen Ehle so große Triumphe, dass die Monopol-Plattenfirma Amiga, die das Rockmusical "Paule Panke" noch wegen "ideologischer Unklarheiten" abgelehnt hatte, schließlich eine Platte mit ihnen machen musste. Zensiert allerdings: Das Cover wurde in letzter Minute ausgetauscht.

Herzberg, aufgewachsen in einer streng kommunistischen Familie und zum "Urglauben an das System" erzogen, lächelt nur. "Wir glaubten damals wirklich, dass wir gefährlich sind." Und gefährlich hatte er sein wollen, seit er mit 16 anfing zu zweifeln am Sozialismus, auf den zu Hause nichts kommen durfte. "Auf einmal spürst du, der Prinz ist ein stinkendes Monster." 


Die Enttäuschung sei unendlich gewesen: "Man ist gekränkt, wenn Kinderträume nicht wahr werden." Aus dem Jungen, der zwar immer im Mittelpunkt stehen wollte, aber "jahrelang nicht in der Lage war, sich zu artikulieren", wird der Klassenkasper André. Herzberg organisiert sich so das Privileg, sich austoben zu dürfen: Alle Ernsthaftigkeit versteckt hinter der Maske des Clowns.
Mitten durch die Familie läuft die Front, die die ganze DDR durchzieht. 


"Meine Eltern hatten sich in ihrer Welt eingerichtet, wir Kinder haben opponiert." André ist 17, als es im Hause Herzberg zu "heftigen Reaktionen der Ablösung" kommt. Mit 18 ist er entschlossen, in den Westen zu gehen, doch vorher holt ihn die Volksarmee. André, ein kleiner Mann mit freundlichen Locken, trainiert besonders aufmerksam an der Kalaschnikow. "Ich dachte, man braucht das, um die Funktionäre mit der Waffe in der Hand aus dem Land zu jagen."

Herzberg ist damals, das weiß er heute, "ganz hart drauf". Muff und Mangel und Müdigkeit überall! "Ich habe es gehasst." Die Musik erst stoppt die Terroristenkarriere. "Gitarre statt Knarre", strahlt der 43-Jährige mit samtbraunen Mädchenaugen. Der geplante Umzug in den Westen fällt flach. Auch der Idealist Herzberg ist nur ein Mensch: "Erfolg korrumpiert."


Zumal, wenn man sich im tiefen Einverständnis mit seinem Publikum fühlen darf. "Die Beschränkung gab den nötigen Pfeffer, wir fühlten alle dasselbe und verstanden uns blind." Pankow-Lieder wie "Langeweile", das von alten Männern berichtet, die man zu lange verehrt habe, werden so zu geheimen Hymnen. Der Ostrundfunk wagt es selbst im Sommer '89 nicht, den Song zu spielen. "Aus Rücksichtnahme auf den angegriffenen Gesundheitszustand des Generalsekretärs", wie es heißt.


"Aber eigentlich haben die uns ja gelobt", zweifelt der Sänger und Komponist aus der Distanz eines Jahrzehnts am Wirkungsgrad der eigenen Widerständigkeit. Von wegen aufgemuckt, von wegen zuviel riskiert. Kopfschüttelnd nur hat Herzberg seine Stasi-Akte lesen können: "Wir glaubten, wir machen Aufruhr, und die lachten sich kaputt." Viel zu harmlos sei er gewesen, viel zu versteckt seine Kritik. "Genau genommen müssten wir uns alle schämen."


Noch schlimmer war nur das Erwachen danach. Beim Versuch, den neuen Markt zu erobern, entdeckt eine West-Plattenfirma André Herzberg als "Westernhagen des Ostens" und offeriert einen hochdotierten Vertrag. Pankow, plötzlich ohne Feinde, sind ohnehin am Ende. Beinahe gleichzeitig mit der DDR löst sich die DDR-kritischste der großen Ostrock-Kapellen auf. Der Solokünstler Herzberg aber, die "Kiefer im märkischen Sand" (Liedtitel), ist kein Westernhagen. Das neue Publikum in den alten Ländern mag seinen schnoddrigen Humor nicht. Für die alten Fans in den neuen Ländern aber mag er nicht die alten Hits repetieren. "Sing' noch mal ,Rock 'n' Roll im Stadtpark'", rufen die Leute. André Herzberg spuckt Verachtung. "Mein Gott, mehr wollten die nicht."

Der Mann in der überstrapazierten Jacke ist biestig geworden auf die Welt da draußen vor seinem Prenzelberg-Bau, den er mit Sohn Max (18) bewohnt. Der Beruf des Künstlers sterbe aus, um Erfolg zu haben, müsse man den Idioten spielen oder sein Publikum verachten. "Ich kann beides nicht", erzählt er und rollt sich eine dünne Zigarette zum Tee. Der ist bezahlt, auch den morgen wird er bezahlen können. "Was will ich mehr?"


Seine Ziele stecke er neuerdings in kürzerer Entfernung, das Publikum, das ihn verlassen hat, vermisse er kaum. "Ich mache jetzt viel fürs Theater: ein Musical in Leipzig, ein Volksliederabend in Magdeburg, eine Revue in Saarbrücken." Auch dass sein Freund und Gitarrist Ehle ihn eine ganze Karriere lang als IM Peters an die Stasi verriet, hat der Sänger weggesteckt in ein kleines Kummer-Kästchen, das geschlossen bleibt. Viel schlimmer, lenkt er ab, habe ihn die Tatsache getroffen, dass Ehle nicht von selbst die Kraft fand, darüber zu sprechen. "Doch das passt ja ins Klima."


Alles Lüge, überall Falschheit. "Zuerst belügen dich die Eltern, dann der Lehrer, dann die Regierung, dann deine Frau." Besser lässt er sich nicht beschreiben, der Kosmos des André Herzberg, von dem sein Eigentümer nicht weiß, "wie viele Leute hier drin noch Platz haben". Viele können es nicht sein. Die öffentliche Spur des André Herzberg verliert sich so zwischen Pankow-Comeback-Versuchen, einem beeindruckend unverbogen absolvierten MDR-Moderatorenjob, gelegentlichen Stadtfest-Gastspielen und langen Israel-Reisen.


Schwere Zeiten, in denen der störrische Einzelgänger jeden Tag versucht, den Kopf oben zu behalten. Herzberg hat angefangen, Geschichten zu schreiben. Geschichten zwischen Wohnzimmertherapie und Selbstautopsie, die zu Zeiten spielen, als der Mülleimer runtergebracht sein musste, ehe Mutti kam, und Vati abends noch mal wegging zur Parteiversammlung.


"Ich webe mir ein eigenes Bild, um mich zu erkennen", spricht er ohne Pathos von einer "Reise ins Ich". Demnächst sollen seine Erzählungen als Buch erscheinen - und vor Vorfreude leuchten die dunklen Pupillen. Doch doll ändern wird das nichts, da ist Herzberg Realist. Auch die "gesunde Portion Pessimismus", mit der sich der Künstler im Alltag bewaffnet, als ersehne er, positiv überrascht zu werden, führt nicht vorbei an der Erkenntnis: "Alles fliegt auseinander."

André Herzberg hat sich den Clown aus dem Gesicht geschminkt und den Rebellen in Rente geschickt, der Amiga-Chef Büttner irgendwann nach der Wende noch eine Torte ins Gesicht geballert hatte. Zu den Pankow-Kollegen hat er kaum noch Kontakt, die Erfolgsaussichten eines Comebacks hält er für bescheiden, "wenn ich nicht gerade sterbe wie die Danz und Gundermann". Für ein fertiges Solo-Album jedenfalls, "mit richtigen Liedern, die nicht nur wie so ein trockener Husten durchs Ohr rollen", hat André Herzberg bisher keine Firma gefunden. Vielleicht hat er aber auch gar nicht richtig gesucht.




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