Sie ist blutjung, wunderhübsch, reich und aus bestem Hause. Dann aber verliebt sich die englische Adelstochter Unity Mitford in Deutschland, den Führerstaat und vor allem in Adolf Hitler, den sie liebt, vergöttert und über Jahre begleitet. Der Anfang eines tragischen Endes für eine Frau, deren Rebellentum bis heute ein Rätsel ist.
Die Frau mit den strahlenden Augen, dem dunkelblonden Haar und den rot angemalten Lippen wartet vergebens im Münchner Café „Osteria Bavaria“. Doch immer wieder findet sie sich ein, liest in der „Vogue“, schaut aus dem Fenster und trinkt Tee. Unity Valkyrie Mitford ist geduldig, denn sie ist auf der Jagd. Auf der Jagd nach ihrem Idol, ihrer großen Liebe. Auf der Jagd nach Adolf Hitler.
Der geht in jenem Jahr 1935 ein und aus im In-Restaurant der Münchner Schickeria. Nur erwischen muss man ihn. Unity Mitford, eines der sieben Kinder von David Bertram Ogilvy Freeman-Mitford, 2. Baron Redesdale, und seiner Ehefrau Sydney Bowles, ist zudem die Cousine von Clementine Churchill, der Ehefrau von Winston Churchill, und die Tante des späteren Formel-1-Funktionärs Max Mosley. Sie wartet wochenlang.
Manchmal sieht sie ihren geliebten Führer vorübergehen. Gelegentlich nickt er ihr sogar erkennend zu. Doch erst am 9. Februar 1935 gegen 15 Uhr bittet Hitler Unity Mitford an seinen Tisch. Am nächsten Morgen schreibt die 21-Jährige übersprudelnd vor Gefühl an ihre Schwester Diana: „Gestern war der wundervollste und schönste Tag in meinem Leben.“
Sonderbare Affäre
Es ist der Beginn einer sonderbaren Affäre zwischen der jungen Engländerin aus bestem Hause und dem verhinderten Kunstmaler aus Österreich, der es bis zum deutschen Reichskanzler bringt und die Welt anschließend in die tiefsten Abgründe stürzt, die die Straubinger Schriftstellerin Michaela Karl in ihrem Buch „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“ beschreibt.
Unity Mitford, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu Hitlers Girl werden wird, vereint zwei Welten in sich. Hier ist die wohlerzogene Adlige aus gutem Haus, die sich zu benehmen weiß. Und dort die Rebellin, die sich nicht benehmen will, wie es ihre Umgebung von ihr erwartet. Unity ist ebenso schön wie romantisch veranlagt, sie kennt keinen Respekt vor Traditionen und glaubt mit großer Selbstverständlichkeit an übernatürliche Erscheinungen. Mehr als zu Menschen fühlt sie sich zu Tieren hingezogen. Mehr als nach einer Lebensaufgabe für sich selbst sucht sie nach dem künftigen Weg für die Gesellschaft.
Als ihre Schwester Diana den englischen Faschistenführer Oswald Mosley kennenlernt und seine Geliebte wird, fühlt sich Unity Mitford angesprochen von dessen Parolen. Ihr gefallen die Uniformen, das Strenge, Disziplinierte, die Märsche, Stiefel und Ledergürtel. Zwischen ihren Besuchen bei den großen Bällen der Londoner Gesellschaft ist Unity Mitford bald vor allem damit beschäftigt, Hitler anzuhimmeln. Seit dessen früher Förderer Ernst „Putzi“ Hanfstaengel sie zum ersten Mal nach Deutschland eingeladen hat, ist Unity vom Führerstaat fasziniert. Ein Besuch beim Reichsparteitag in Nürnberg macht die britische Adlige endgültig zum Führer-Girl.
Auch die Nazis sind beeindruckt, selbst wenn Göring und Goebbels das offensive Make Up von Unity und ihrer Schwester Diana kritisieren. Hitlers Rassehetzer Julius Streicher zeigt sich begeistert von den „Mustern nordischer Schönheiten“. Und Unity vom Nazi-Chic: Mit 304 Führerpostkarten im Gepäck tritt sie die Heimreise an. Nach Hause ins alte England aber gelangt sie nie wieder.
Unity Mitford ist jetzt mehr Nationalsozialistin als Britin. Lässt sie sich von Hitler anfangs noch beglückt Autogramme geben, hat sie den Führer bald so weit, sie in seinen innersten Kreis vorzulassen. Unity Mitford ist 1,80 groß, kräftig und ihr zweiter Vorname ist Valkyrie, also Walküre, der Titel einer Oper des von Hitler so geschätzten Richard Wagner, mit dem Unitys Großvater Bertie persönlich befreundet war. Adolf Hitler ist hingerissen, er sieht in Unity den Vorboten eines Siegeszuges des Nationalsozialismus auf der Insel. Danach werde sein Wunsch, mit Großbritannien auf Augenhöhe über eine Aufteilung der Welt zu verhandeln - Deutschland bekommt Europa, England den Rest -, nur noch Formsache sein, glaubt er.
Dank ihres britischen Passes lebt Unity Mitford das globalisierte Leben des Jet Set. Im schnittigen Kleinwagen braust sie durch Europa. Hitler nimmt sie mit zur Hochzeitsfeier von Göring und sie ist zum Diner mit Ribbentrop und Goebbels verabredet. Sie gibt dem Nazi-Regime Weltläufigkeit und internationalen Anschein. Sie selbst sei wohl „irgendwie hingerissen von dem Glanz und dem Auftreten der nationalsozialistischen Bewegung und der Massenbewunderung für Hitler“, notiert der britische Nazi-Führer Mosley nach einem Abendessen in Hitlers Münchner Wohnung, an dem neben Winifred Wagner auch Unity teilnehmen darf.
Die 21-Jährige ist jetzt das It-Girl des Dritten Reiches. Während die Nazis ihre ersten Feinde in Lager bringen, wirft sie Knallerbsen aus ihrem Fenster in der Kaulbachstraße. Sie macht nackt Frühsport und liegt ebenso nackt im Englischen Garten. „Good Girl“, nennt sie eine Mitbewohnerin ironisch. Daheim auf der Insel kann darüber niemand lachen. Unity Mitford gilt in den späteren 30er Jahren nicht mehr nur als Oberklassenmädchen mit verschrobenen Vorlieben, sondern als Staatsfeindin.
Doch Unity lässt sich nicht beeindrucken. Viel zu sehr ist sie eingenommen von der Hingabe, die der Mann, den sie in Briefen als „den süßen Führer“ bezeichnet, ihr widmet. Selbst Eva Braun wirkt ungehalten über beider Nähe, wie ein Tagebucheintrag verrät. „Er“ habe jetzt einen Ersatz für sie, schreibt Hitlers Geliebte: „Sie heißt Walküre und sieht so aus, die Beine miteingeschlossen.“
Dass Hitler mit der jungen Britin Gespräche über Politik führt und ihr sogar gestattet, ihm zu widersprechen, erstaunt unter anderem Hitlers Architekten Albert Speer. Dass sie 1936 als Hitlers Ehrengast bei den Olympischen Spielen weilt, überrascht niemanden mehr. Das Mädchen von der Insel gehört zum festen Nazi-Inventar.
Kugel in den Kopf
Eine Stellung, die Mitford mit Kriegsausbruch in eine Zwangslage bringt. Unter nie geklärten Umständen trifft eine Kugel sie am 3. September 1939 mitten in München in den Kopf. Es ist der Tag der britischen Kriegserklärung an Deutschland - und Unity hat wohl selbst abgedrückt. Von den Hirnschäden, die die 25-Jährige durch das Geschoss erleidet, erholt sie sich nie wieder. Unity Mitford wird schwer verletzt nach England zurückgeholt, hier lebt sie halb gelähmt und angefeindet bis zum Mai 1948, als sie an den Folgen einer Meningitis stirbt. Sie ist gerade 33 Jahre alt. Und hat Hitler nie abgeschworen.
„Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“, Hoffmann und Campe, 400 Seiten, 22 Euro
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