Freitag, 30. Dezember 2016

Zehn-Jahres-Gedenken: Micha Rösch - ein bunter Hund im Os­t­rock-​Uni­ver­sum

Micha Rösch mit einem seiner Idole, dem Chef der Walkabouts Chris Eckman.
Er war immer schon früher da. Wenn die Techniker noch auspackten, die Musiker ihre Instrumente stimmten und nur eine Handvoll Fans sich an der Bar herumdrückten, ging Michael Rösch bereits um: Leicht gebeugt schlenderte er durch den Saal, eine große Brille auf der Nase und einen Packen Flugblätter in der Hand, die für seine auf Ostrock spezialisierten Internetseiten warben.

Doch nicht erst durch die wurde Michael Rösch zum bunten Hund im Ostrock-Universum. Wer in den letzten zwei Jahrzehnten auch nur hin oder wieder zu Rockkonzerten in Halle, Leipzig oder Landsberg ging, lernte den begeisterten Musikliebhaber beinahe zwangsläufig kennen. Wo immer eine Gitarre eingestöpselt wurde, war Micha Rösch, in der Szene nur "der Micha" genannt, nicht weit. Ob Karat oder Renft, Puhdys und Gundermann, Silly oder Die Sieben Leben - der Micha liebte sie alle, er liebte sie unbedingt und abgöttisch.

Und er wusste alles von ihnen. Wer wann mit wem spielte, welcher Titel auf welcher CD zu finden ist - der studierte Bauingenieur, der nach der Wende zum Steuerberater umschulte, vermochte jede noch so komplizierte Frage wie im Vorbeigehen zu beantworten.


Glühender Fan jeder Art von handgemachter Musik war der gebürtige Dessauer früh geworden. Schon zu DDR-Zeiten sammelte Micha Rösch Amiga-Platten, las "Melodie&Rhythmus", fuhr zu Konzerten und suchte Kontakt zu Musikern wie dem Renft-Mann Peter "Cäsar" Gläser, Komponist seines Lieblingsliedes "Wer die Rose ehrt", oder der Leipziger Sängerin Susanne Grütz, die er ganz besonders verehrte. Nach dem Ende der DDR dann wurde er zum Archivar ihres musikalischen Nachlasses: Tausende und Abertausende CDs, Platten und Bücher füllten zimmerhohe Regalwände in seiner Wohnung hoch über dem halleschen Riebeckplatz.

Als ihm sein Chef schließlich kündigt, weil der Micha im wahren Leben keiner ist, der sich widerspruchsfrei in die marktwirtschaftliche Vermarktungslogik einpasst, wird das Hobby dem glühenden Lokalpatrioten zu Halt und Lebensinhalt zugleich. 


Micha Rösch frickelt nun Tag und Nacht an seinen Internetseiten, er entwirft Logos, bastelt Aufkleber, versucht, die Szene zu vernetzen. Bei Radio Corax in Halle moderiert er die Sendung "Rocktrabant", er verfasst Plattenkritiken und Konzertrezensionen, organisiert Fantreffen und hofft Jahr für Jahr mit nie erlahmender Zuversicht, dass es diesmal wirklich ein Künstler aus seiner Wahlheimatstadt Halle bis in die Hitparaden schafft.

Er ist immer enttäuscht worden, und war doch nie enttäuscht. Michael Rösch saß weiter jeden Sonntag in seiner Lieblingskneipe und schwärmte glühenden Auges von neuen Songs seiner alten Helden. Er plante eine Radiosendung, die trotzig "Halle rockt" heißen sollte. Und er freute sich darauf, seinen Helden Mitch Ryder und die bei ihm noch höheren Rang genießende Band Engerling wie jedes Jahr wieder gemeinsam zu erleben.


Die Ostrocker und der Reibeisen-Ami haben dann ohne ihn feiern müssen. Micha Rösch wurde einen Tag vor dem Silvesterfest des Jahres 2006 tot in seiner Wohnung gefunden, gestorben nach einem Zuckerschock. 


Ostdeutschlands Rock-Papst, der auf eine sehr leise Weise unüberhörbar gewesen ist, wurde nur 43 Jahre alt.

Die Internetadresse seiner Seite halle-rockt.de hat sich inzwischen eine Rechtsanwaltskanzlei gesichert. In seinem geliebten Ostrockforum aber erinnert sich hin und wieder noch jemand an ihn.


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