Mit der "Digitalen Agenda" wollte Sachsen-Anhalt einen großen Sprung in die Zukunft wagen. Zwei Jahre später liegt ein Papier vor, das Plattitüden bündelt und den Ereignishorizont um ein weiteres Jahr nach hinten verschiebt. Bis 2030 soll nun eine "Gigabit-Gesellschaft" entstehen - wenn die wolkigen Versprechen irgendeinen Praxiseffekt zeitigen.
Es begab sich im Jahre 2015, 25 Jahre nach der Geburt des World Wide Web, zehn Jahre nach der flächendeckenden Einführung von DSL und fünf Jahre nach Inbetriebnahme des ersten LTE-Funkmastes, dass die Landesregierung beschloss, ernst zu machen mit der Zukunft. Ein Vorhaben, das mit großer Geste gestartet wurde: Ein "digitaler Thesenanschlag" gab 108 Stichpunkte vor, die Sachsen-Anhalts Bürgerinnen und Bürger diskutieren sollten, um einen Fahrplan aufzustellen, nach dem das bisher weit hinten in der Hightech-Hitparade rangierende Land durchstarten sollte.
Kaum eine Resonanz
Schon die Resonanz auf den Thesenanschlag zeigte, dass daraus nicht viel werden würde. In zwei Jahren liefen 103 Wortmeldungen ein, nicht mal ein Kommentar pro These. Über Facebook, wo jedes Katzenbild massenhaft Reaktionen provoziert, meldete sich ein einziger Hinweisgeber. Und zu Themen wie digitale Infrastruktur betraf die Mehrzahl der Einträge Hinweise auf die schlechte Versorgung mit schnellem Internet im eigenen Ort.
Beim Thema "Verwaltung als Service" fanden die Initiatoren in ihrem Abschlussbericht selbst heraus, dass es "keine öffentlichen Kommentare der Landesministerien" zu irgendwelchen Vorschlägen oder Hinweisen gegeben habe. Das angekündigte Zwiegespräch mit dem Bürger, es fand nicht statt. Kein Wunder, denn die Hürden, sich einzubringen, waren hoch: Statt einer Kommentarfunktion gab es nur die Möglichkeit, eine E-Mail zu schreiben. Die landete in der Staatskanzlei und die stellte sie "nach Prüfung so schnell wie möglich online".
Hitparade der Plattitüden
Und so liest sich das Abschlussdokument der großen Plandiskussion um den digitalen Neustart des virtuell abgehängten Landes wie eine Hitparade an virtuellen Plattitüden. Ein Berg kreiste. Und gebar eine Multimedia-Maus: "Wir bauen unsere digitale Infrastruktur aus", heißt es da, "wir helfen Unternehmen, den digitalen Wandel voranzutreiben" und "wir lassen niemanden im digitalen Wandel zurück". Ganz am Ende findet sich ein Versprechen, bei dem das Land sich selbst konkret in die Pflicht nimmt: "Wir bauen die öffentliche Verwaltung zu einem digitalen Dienstleister um."
Zehn Jahre nach Einführung des elektronischen Personalausweises hört sich das nach einem Scherz an, es ist aber völlig ernst gemeint. Sachsen-Anhalt bietet derzeit genau vier Anwendungen für den e-Perso, neben der bundesweiten Möglichkeit der elektronischen Abgabe der Steuererklärung kann man sich bei der Hochschule Harz elektronisch anmelden und in zwei Landkreisen Autos elektronisch abmelden. Nun ist der E-Perso bundesweit ein Rohrkrepierer - doch vier Anwendungen sind selbst im Vergleich mit Mecklenburg wenig. Zumal Landesbehörden selbst keine einzige Anwendung anbieten.
Das soll nun besser werden, verspricht die Digitale Agenda. Allerdings bleibt sie bei Einzelheiten wolkig. In den "kommenden Jahren" solle "die öffentliche Verwaltung zu einem digitalen Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen unseres Landes weiterentwickelt" werden, heißt es seltsam datumslos. Und auch inhaltlich fehlt den Bandwurmsätzen jede Festlegung: Als "Grundprinzip" bei der Umsetzung diene "dabei die enge Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen" und "ausgehend von der Strategie Sachsen-Anhalt digital 2020, dem 2017 beschlossenen Onlinezugangsgesetz, dem 2018 zu verabschiedenden E-Government-Gesetz sowie befördert durch die Entwicklungen auf Bundes- und europäischer Ebene" werde das Land "eine neue E-Government-Strategie verabschieden".
Estland macht vor, Sachsen-Anhalt nicht nach
Wo Länder wie Estland - mit 1,3 Millionen Einwohnern halb so groß wie Sachsen-Anhalt - seit Jahren von der Geburt über die Wahl bis zur Sterbeurkunde hunderte elektronische Dienstleistungen anbieten, schickt sich Sachsen-Anhalt an, eine neue Strategie für das sogenannte E-Government zu verabschieden. Basis dafür ist der Plan, bis 2030 "Kurs auf die Gigabit-Gesellschaft" zu nehmen. Daten sollen dann landesweit in einer Geschwindigkeit von einem Gigabit pro Sekunde ausgetauscht werden - 20-mal schneller als die 50 Mbit, die bis 2010 erreicht werden sollten und heute vielerorts noch Zukunftsmusik sind.
Ein neuer Plan, denn neun Jahre nach der ersten Landesinitiative zum Anschluss ländlicher Regionen ans schnelle Internet und sechs nach der von der Landesregierung verabschiedeten Strategie "Sachsen-Anhalt digital 2020" liegt das Land bei der Internet-Nutzung noch immer auf dem vorletzten Platz aller Bundesländer und bei der Breitbandverfügbarkeit in weiten Flächen unter 50 Prozent.
Zum Thesenanschlag:
www.digital.sachsen-anhalt.de
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