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Samstag, 23. Januar 2021

Gerd Weber: Der verratene Verräter



Der Dresdner Fußballer Gerd Weber galt als die große Mittelfeld-Hoffnung des DDR-Fußballs, bis er kurz vor einem Flug nach Südamerika für immer aus der Öffentlichkeit verschwand. Die DDR-Staatsführungen vertuschten die genauen Umstände des Falles. Einer der talentiertesten Fußballer verlor die Chance auf eine Weltkarriere.

Diesmal ist die Stasi völlig ahnungslos. Erst Anfang September 1989 verfasst Oberst Tzscheutschler vom Dresdner MfS einen "Sofortbericht": Gerd Weber, ein Jahrzehnt zuvor die große Mittelfeld-Hoffnung des DDR-Fußballs, ist gemeinsam mit seiner Frau Steffi und der sechsjährigen Tochter Franziska während einer Urlaubsreise nach Ungarn über die Grenze nach Österreich geflohen. Ein allerletztes Mal wird der frühere Nationalspieler, der Star von Dynamo Dresden und spätere Staatsfeind Thema im MfS. Ein paar karge Seiten Akte. Eine Notiz, dass er weg ist.

Ende einer Flucht


Es ist das Ende einer langen Flucht, die eigentlich bereits acht Jahre zuvor begonnen hat. Weber, das größte Talent des DDR-Fußballs seit Bernd Bransch, Dixie Dörner und Hansi Kreische, sehnt sich eigentlich nach einer internationalen Karriere. Der 24-Jährige plant seine Flucht - während einer Südamerikareise der DDR-Nationalelf will er sich absetzen. 


Doch Weber wird verraten, ein Stasi-Kommando nimmt ihn vier Stunden vor dem Abflug fest. Es folgen Verhöre, Verurteilung, Verbannung. Der begnadete Kicker darf nicht mehr Fußball spielen. Er stellt einen Ausreiseantrag, doch der wird abgelehnt. Weber bleibt nur die Flucht. Noch nach Bekanntwerden seines Abgangs erweitert das MfS seinen "Ratte" genannten Aktenvorgang zu Weber um eine Anzeige wegen Republikflucht. Die sogenannte Operative Personenkontrolle wird erst am 28. Oktober 1989 eingestellt. Auch da, nur wenige Tage vor dem Ende der Mauer und der deutschen Teilung, heißt es noch: "Die eingeleiteten Kontrollmaßnahmen werden aufrechterhalten." 

Die Geschichte des Dynamo-Kickers Gerd Weber ist die einer zerstörten Karriere, betrieben von einem Staat, der vernichtete, was ihm verdächtig erschien. Aber es ist aber auch die Geschichte eines Verräters, der selbst verraten wird, nachdem er jahrelang einem Ministerium zu Diensten war, dass ihn für seine Zwecke missbrauchte.

Eine Entscheidung


Dreieinhalb Stunden hatten Leutnant Andreas Claus und Major Helmut Dinter vor der Tür gewartet, an jenem vorletzten Tag des Jahres 1980. Claus klingelte mehrmals. Dinter blieb gedeckt im Wartburg. "Aber der IM", berichteten die MfS-Offiziere in die Dresdner Stasi-Zentrale, "öffnete uns nicht." Kein Wunder, denn der IM, der sich selbst fünf Jahre zuvor den Namen "Wiehland" ausgesucht hatte, hockte zur selben Zeit in einem Hotelzimmer in Oberhof. Er war in die stille Idylle geflüchtet, um eine Entscheidung zu treffen - und er hatte sie getroffen. 

Am Silvesterabend war Gerd Weber, von seinen Fans als genialster DDR-Fußballer seiner Zeit gerühmt, in Gedanken bereits über alle Berge: Vier Wochen nur trennten den 24-jährigen Mittelfeldspieler des Traditionsvereines Dynamo Dresden von der Flucht in den Westen. Zu der es dann aber nie kam. Statt ein Flugzeug nach Argentinien zu besteigen, musste Weber am 23. Januar 1981 in einen Stasi-Barkas klettern. Und statt wie erhofft in der Bundesliga zu spielen, putzte er nach der Beendigung seines falles durch die DDR-Behörden Kurbelwellen und Getriebe. 

Aus für den Profi


Professionell Fußball gespielt hat Weber nie wieder. Dokumente, die später bei der Gauck-Behörde aufgetaucht sind, erzählen die Geschichte des Gerd Weber aber auch als die Geschichte eines Mannes, der im Zwiespalt zwischen kleinen Erfolgen und großen Träumen die Träume wählte - und so vom Täter zum Opfer wurde. 

Ins Visier der Staatssicherheit war Weber schon früh geraten. 1971 kommt der talentierte Junge an die Dresdner Kinder- und Jugendsportschule, dort spielt er sich in allen Altersklassen unter die Besten. Das fällt auf, auch der Stasi, die den Jungen auf Reisen nach Kuba und Italien im Auge behält. Weber ist 19 Jahre alt, als das MfS sicher ist: Hier läuft ein künftiger Weltklassespieler. 

Ein "Perspektivkader", wie es im IM-Vorlaufbericht heißt. Einer also, der gute Dienste nicht nur auf dem Feld leisten wird, zum Ruhm der DDR-Sportnation. Sondern auch bei der Sicherung künftiger Auslandsreisen des Nationalteams, aus dem immer wieder einzelne Spieler den Weg in den Westen gefunden haben. Das MfS irrt nicht. Weber ist bald nicht mehr wegzudenken aus der Elf der Dynamos, schnell gelingt ihm auch der Sprung in die Nationalelf. 

Berichte aus dem Innenleben


Vier Jahre berichtet Weber als "Wiehland" aus dem Innenleben beider Teams, er liefert Interna und bringt Zettel mit Aufstellungen mit in den konspirativen Treff "Puck". Gerd Weber spielt doppelt: Auf dem Platz rückt der "Fan moderner Tanzmusik" (MfS-Akte) schnell zu einer der bestimmenden Figuren auf. Und nach dem Spiel ist er der Stasi ein unersetzlicher Informant. Denn die Angst geht um in der Sport-DDR. 

Mit den halleschen Fußballern Pahl und Nachtweih, dem Berliner Eigendorf und dem Leipziger Berger haben eben vier Fußball-Stars das Land verlassen. "Es darf keine Wiederholung geben", fordert Stasi-Chef Mielke. Weber ist so längst selbst Gegenstand von Sicherungsmaßnahmen. Schon im Mai 1979 bringt sich ein MfS-Kommando in den Besitz seiner Schlüssel. Gedeckt von Posten, die als Handwerker verkleidet sind, durchwühlt die Einheit die Weber-Wohnung auf der Suche nach "Beweisen für Kontaktaufnahme zu Verrätern". Die Stasi findet nichts. Weber bemerkt nichts. 

Erst als Dynamo im Oktober 1980 zum Uefa-Cup-Spiel im holländischen Enschede im Hotel "Memphis" eincheckt, gelingt es zwei in den Westen geflüchteten Dynamo-Fans, Weber und seine Kollegen Matthias Müller und Peter Kotte zu kontaktieren. 200 000 Mark und ein Vertrag beim 1. FC Köln lautet das zugeflüsterte Angebot. "Draußen steht ein Benz, steigt ein!" 

Wie im Agentenfilm


Gerd Weber fühlt sich wie in einen Agentenfilm versetzt. Mit Kotte und Müller kommt er überein, dass jeder für sich entscheiden soll. Er selbst, der seine Fähigkeiten in Dresden nicht genügend geschätzt sieht, fühlt sich zu sehr geschmeichelt vom Vergleich mit Größen wie Overath und Netzer, als dass er hätte ablehnen können - Weber kehrt zurück in die DDR, um bei nächster Gelegenheit zu fliehen.

Doch ausgerechnet über einen Stasi-IM, den sie aus alten Zeiten in der Dresdner Fankurve kennen, nehmen die Kölner Dynamo-Fans wieder Kontakt zu ihm auf. Ein Steilpaß für die Stasi: Der Hotel-Koch Michael Juraske alias IM Klaus Ihle, locker befreundet mit Weber, soll mit dem Fußballer einen Treff-Termin ausmachen. 

Er tut das - und informiert das MfS. Von diesem Moment an ist Gerd Weber verloren. Während er noch verhandelt, um auch seine Freundin außer Landes schmuggeln zu lassen, ist sein eigene Flucht gescheitert, ehe sie begonnen hat. So weiß das MfS vor der Argentinien-Reise genau, dass Weber nicht zurückkehren will. "Mannschaft fliegt, drei heraus", bestimmt Erich Mielke, und wie befohlen fängt ein Festnahme-Trupp die Fußballer auf dem Flughafen Schönefeld ab. 

Ausschluss aus dem Sportverband


Mehrere Tage wird Gerd Weber verhört. Noch ehe Anfang Februar eine vom MfS formulierte Pressemeldung die Fans über seinen Ausschluss aus dem Sportverband wegen "Verstoß gegen die Statuten des DTSB" informiert, ist der Sportler zu zwei Jahren und drei Monaten wegen "landesverräterischer Agententätigkeit" verurteilt. Während Dynamo Dresden ohne seine drei Stars nach unten durchgereicht wird in der DDR-Oberligatabelle, beginnt ein Vernichtungsfeldzug gegen den Sportler. 

Er wird aus der SED ausgeschlossen, verliert die Stellung als "Sportinstrukteur", seinen VP-Dienstgrad und alle Rentenansprüche. Nach der Haftentlassung wartet eine Stelle als Schlosser auf den Hoffnungsträger des DDR-Fußballs, der jetzt als "OPK Schlosser" von sieben IM überwacht wird. Es gibt keine Gnade für den "Verräter". Kotte und Müller hat man zwar für die obersten Ligen gesperrt, und als Torjäger Kotte seinen neuen Verein Meißen sofort in die 2. Liga schießt, muss er die Mannschaft verlassen. 

Doch Rädelsführer Weber, Träger des Vaterländischen Verdienstordens, darf überhaupt nicht mehr Fußball spielen. Angst um Gesundheit "Eine Belastung, die mich fast umbringt", diktiert der Kicker der Stasi, die sich weiter mit ihm trifft, um ihn unter Kontrolle zu behalten. Man habe ihn nicht abtrainieren lassen, ihm drohten dadurch gesundheitliche Schäden, befürchtet er. Fürsorglich rät die Stasi, Weber solle doch Tennisspielen gehen. 

Nur noch im Park


Doch das ist kein Ersatz. Gerd Weber, der begnadete Mittelfeldregisseur, beginnt, Freizeitfußball in Dresdner Parks zu spielen. "Ich mache mich da gegen Bierbäuche und Holzhacker zum Äppel", scherzt er - bis das MfS ihm auch den Freizeitkick im Park untersagt. Der Kontakt zu den ehemaligen Mitspielern ist da längst abgerissen, auch Kotte und Müller hat Weber nicht wieder gesehen. Er wolle ja "nur noch in Ruhe gelassen werden", bittet er seinen Führungsoffizier. 

Aber einmal gefährlich, immer Gefahr: Als die Uefa in Dresden tagt, schafft ihn die Stasi vorher aus der Stadt, um "Störungen zu vermeiden". So zwingt die Staatsmacht ihren Zuträger in die Opposition. Zuerst sagt Weber bei den Treffen wenig, dann nichts mehr. Schließlich warten die Offiziere vergebens auf ihn. Zur Wahl 1986 fällt Weber als "Nichtwähler" auf, 1987 stellt er mit seiner Frau Steffi und Tochter Franziska einen Ausreiseantrag. Nun erst bietet die Stasi dem verbitterten Mann im Zentrum des OPK-Vorgangs "Ratte" eine Rückkehr in den Sport an. Weber lehnt ab. 

Über Ungarn weg


Zu spät, sagt er, "das hättet ihr euch früher überlegen müssen". Zwei Jahre vergehen noch, ehe Gerd Weber am 31. August 1989 mit seiner Familie in Ungarn durch einen zerschnittenen Grenzzaun in den Westen kriecht. Der Fußballer ist 33 Jahre alt. Zu alt für die Bundesliga, von der er geträumt hat. Der begnadete DDR-Fußballer im Visier der Staatssicherheit: Heute arbeitet Gerd Weber als Schadensexperte für eine Versicherung in Freiburg. "Von den alten Geschichten will er nichts mehr hören", sagt sein früherer Mannschaftskamerad und langjähriger Freund Dieter Riedel später: "Gerd hat zu böse bezahlt für alles."

Dienstag, 30. Januar 2018

Meister aus Halle: Der leise Tod einer Fussball-Legende

Werner Stricksner (Mitte) bei einem Spiel gegen Lok Leipzig im Jahr 1955, das am Ende 2:2 ausging.

Turbine Halle ist der letzte DDR-Fußballmeister, den Halle hatte. Und auch wenn Werner Stricksner damals im historischen Jahr 1952 nur ein einziges Spiel an der Seite von Legenden wie Herbert Rappsilver, Heinz Schleif, Horst Ebert I, Walter Schmidt, Otto Knefler und Erich Haase machte, war der 1926 geborene Hallenser doch Teil der legendären Meistermannschaft. Stricksner erlebte den histroischen 2:1-Auswärtssieg bei Turbine Erfurt, der die Meisterschaft perfekt machte, nicht auf dem Platz. Doch tausende mitgereiste Anhänger feierten auch den 25-Jährigen als Teil der bis heute letzten Fußballelf aus Halle, die eine Spielzeit einer höchsten Liga als Tabellenführer abschloss.




Deren Ende kam allerdings schneller als gedacht. Turbine rutschte erst ins Mittelmaß, dann kam aus der Parteibürokratie die Anweisung, dass die Oberligamannschaft zum neugegründeten Sportclub Chemie Halle-Leuna wechseln müsse. Es brauchte angeblich 34 Sitzungen, bis die widerstrebenden Spieler mit Druck und guten Worten und der Drohung, sonst nie wieder Oberligafußball spielen zu dürfen, bereit waren, Turbine zu verlassen und künftig für Chemie Halle-Leuna aufzulaufen. Auch Stricksner, der nach seinem Debüt noch weitere sieben Spiele für Turbine machte, spielte nun für Chemie. Er kam auf weitere 18 Oberligapartien - weniger als seine Namensvettern Diethart und Lothar, denn es lag von Anfang an kein Segen auf der von oben herbeigepressten Neugründung, die schon ein Jahrzehnt später erneut umgebaut und zum bis heute existierenden Halleschen FC wurde.

Schon am 24. April 1955 machte Chemie nach einer verheerenden Debütsaison sein letztes Oberliga-Spiel. Die Hallenser gewannen zwar mit 2:1 gegen den Armeeverein ZSK Vorwärts Berlin. Aber der Abstieg war amtlich. Auch in der Liga, in der Werner Stricksner zum Stamm gehörte, der den sofortigen Wiederaufstieg schaffen sollte, rangierte die junge Sockoll-Elf lange nur auf Platz 2 hinter dem Favoriten aus Jena.

Erst als der vor 25000 Zuschauern mit 4:2 aus dem halleschen Kurt-Wabbel-Stadion geschossen wurde, durften die Heuer, Klaus Hoffmann, Oelze; Bierbäum, Imhof; Lehrmann, Lehmann, Schmidt und Stricksner vom Aufstieg träumen. Im Dezember 1956 holten sich die Chemie-Fußballer dann durch einen 2:1-Sieg über Vorwärts Berlin vor 25 000 Zuschauern in Magdeburg dann auch noch sensationell den FDGB-Pokal. Unter Trainer Horst Sockoll lief neben Spielerlegenden wie Klaus Hoffmann, Robert Heyer, Wolfgang Knust, Werner Lehrmann, Walter Schmidt, Dieter Rauschenbach und Günter Imhoff auch Stricksner auf.

Der Abwehrrecke, der damit Meister und Pokalsieger war, beendete wenig später seine seine Spielerkarriere und wechselte auf die Trainerbank der Bezirks-Juniorenauswahl, der Nachwuchsabteilung des SC Chemie und der DDR-Juniorenauswahlmannschaft. Hauptberuflich als Sportlehrer tätig, trainierte Stricksner nebenher die Bezirksligaelf der BSG Motor Ammendorf. Mit der schnupperte der blonde Hallenser noch einmal Oberligaluft: Vor 1500 Zuschauern unterlag seine Elf 1962 im FDGB-Pokalspiel gegen den hochfavorisierten Meisterschaftsanwärter SC Empor Rostock.


Jetzt ist Werner Stricksner im Alter von 91 Jahren gestorben.


Freitag, 13. Juni 2014

Imperium der Bälle: Die Weltmacht hinter der WM

Vor der Halbzeit noch da, nach der Halbzeit auf Fifa-Anweisung abgehängt: Die Halle/S.-Fahne kollidiert mit dem Anspruch des Weltverbandes auf exklusive Sichtbarkeit für zahlende Sponsoren.
Zahlt kaum Steuern, beherrscht ihren Markt weltweit monopolistisch, agiert verdeckt und bekommt aller vier Jahre dennoch die Aufwartung von Regierungschefs und Staatsoberhäuptern gemacht - die Fédération Internationale de Football Association ist eine Supermacht, die ihr Hauptprodukt Weltmeisterschaft für Milliarden vermarktet.

Alles hat im Hinterhaus der Rue Saint Honoré 229 angefangen, damals, am 21. Mai vor 110 Jahren. Die Franzosen waren natürlich da, auch die Belgier, die Dänen, Schweden, Holländer und Schweizer. Aus Spanien kamen nur die Männer von Real Madrid, die Deutschen schickten am Nachmittag ein Telegramm, in dem sie ihren Beitritt erklärten. Die Fédération Internationale de Football Association, kurz Fifa, war gegründet, ein eingetragener Verein, der als Dachverband der nationalen Fußballorganisationen den internationalen Spielbetrieb koordinieren sollte.

So schlicht die Idee, so mühsam war die Umsetzung. Die Engländer, immerhin Erfinder des Fußballspiels, wollten sich nicht unterordnen. Große Turniere fanden allenfalls im Schatten der Olympischen Spiele statt. Der 1. Weltkrieg unterbrach alles. Erst nach dem Tod des Gründungspräsidenten Daniel Burley Woolfall gelang es dessen Nachfolger Jules Rimet, mit finanzieller Hilfe des uruguayischen Rinderzüchters Enrique Buero, eine erste Weltmeisterschaft auszurichten.

Ein Geschäft war mit dem Treffen der weltbesten Kicker auch in den folgenden Jahrzehnten nicht zu machen. 1974, als die Weltmeisterschaft in Deutschland gastierte, blieben am Ende nicht einmal fünf Millionen Mark Gewinn für den Weltverband hängen.

Eine Summe, die Fifa-Chef Joseph Blatter heute in der Woche einnimmt, ohne dass ein WM-Turnier stattfindet. Denn so bettelarm der Weltverband in seiner Frühzeit war, so vermögend ist er heute. 1990, als Deutschland zum dritten Mal Weltmeister wurde, verzeichnete der im Schweizer Zürich residierende Dachverband von 204 nationalen Verbänden einen Jahresumsatz von rund elf Millionen Dollar. 2009 überschritt der Umsatz erstmals die Milliarden-Dollar-Grenze und der Gewinn kratzte an der Marke von 200 Millionen Dollar.

Rund um die WM in Südafrika ging es weiter rasant nach oben: Allein der Verkauf der Fernsehrechte und der Sponsorenpakete spülten dem Verband 3,2 Milliarden Euro in die Kassen. Aus dem Turnier in Brasilien nun erwartet die Fifa nach Angaben ihres Generalsekretärs Jérôme Valcke eine weitere Steigerung: Einnahmen in Höhe von vier Milliarden US-Dollar stehen im Plan. Nach Schätzungen der Beraterfirma BDO könnte die Fußballweltmeisterschaft der Fifa sogar bis zu fünf Milliarden US-Dollar einbringen - eine satte Steigerung von rund 36 Prozent in vier Jahren seit der letzten Weltmeisterschaft in Südafrika. Und mehr als eine Verdopplung gegenüber den 2,3 Milliarden US-Dollar, die 2006 in Deutschland heraussprangen.

Eine Erfolgsgeschichte, die sich nicht nur der in Zeiten wachsender Freizeit natürlich zunehmenden Popularität des Fußballsports bei immer größeren Bevölkerungsgruppen verdankt, sondern vor allem der konsequenten Vermarktungsstrategie, die die Fifa in eigenem Auftrag betreibt.

Aus dem Hauptsitz des Weltverbandes in Zürich-Hottingen gesehen, an dem derzeit rund 400 Mitarbeiter aus über 40 Ländern beschäftigt sind, ist der Fußball, wie ihn Milliarden Menschen lieben, kein Sport, sondern ein Milliardengeschäft. Und eine Finalrunde der WM ist kein Fußballturnier, sondern ein einzigartiges Produkt, das sich auf tausenderlei Arten vermarkten, lizensieren und monetarisieren lässt. Nichts hier passiert zufällig, nirgendwo sind Lücken und Hintertürchen. Die Fußballweltmeisterschaft ist nicht nur ein riesiges Volksfest, sondern ein Markenprodukt, dessen Nutzung sich die Fifa bezahlen lässt. Der Weltverband ist Inhaber vom Namen „Fifa-World-Cup“, vom offiziellen Emblem, dem offiziellen Maskottchen Fuleco und dem Pokal, selbst der Slogan „All in one rhythm“ genießt Markenschutz. Zudem hat die Fifa-Zentrale sich eine Vielzahl von Einzelbegriffen und Wortkombinationen markenrechtlich schützen lassen, darunter „Football World Cup“, „Fan-Fest“ , „Brazil 2014“ und „WM 2014“.

Wer immer diese Logos und Marken nutzen möchte, benötigt eine Erlaubnis der Fifa. Die es nur gegen Zahlung von Lizenzgebühren gibt. Der Versuch, diese harten Regelungen zu umgehen, kann teuer werden: Einerseits ist es verboten, mit offiziellen Fifa-Artikeln und Logos zu werben. Andererseits ist es ebenso verboten, eigene ähnliche Artikel herzustellen oder zu vertreiben, warnt Svenja Harmann von der Industrie- und Handelskammer in München, die eigens einen WM-Ratgeber erarbeitet hat. Ein Bäcker darf kein „WM-Brot“ backen, eine Modeboutique keine echten Fifa-Fußbälle als Deko ins Schaufenster legen.

Wer Spiele der WM öffentlich zeigen will, muss dem „Fifa-Reglement für Public-Viewing-Veranstaltungen“ zustimmen, selbst wenn er nur ein paar Freunde in seinen Garten geladen hat. Dazu gehört dann zum Beispiel, dass er sich bereiterklärt, darauf zu achten, dass „Werbesendungselemente, die in der Übertragung des Wettbewerbs enthalten sind, in keiner Phase der Übertragung verdeckt werden“.

Eifersüchtig wacht das Imperium der Bälle über sein Premiumprodukt. Die Fifa-Division TV organisiert die Vergabe der Übertragungsrechte. Die Fifa Marketing AG besorgt die „kreative Entwicklung und effiziente Umsetzung innovativer Sponsoring-Formen“. Die Fifa-Tochter Match besorgt den Kartenverkauf für das Turnier, eine Spezialabteilung der Tochter den Weiterverkauf von zurückgegebenen Karten. Das Fifa-Unternehmen Early Warning System überwacht Sportwettenanbieter und die Fifa-Tochterfirma Transfer Matching System registriert weltweit Spielerwechsel und Transferzahlungen.

Der Riesenkonzern, der sich so ein Monopol auf die beliebteste Sportart der Welt aufgebaut hat, wird dabei von keiner Kartellbehörde überwacht, von keinem Wettbewerbshüter verfolgt und von keinem Steuerfahnder beargwöhnt. Auch wenn die Fifa in Brasilien, Deutschland oder Italien Milliarden einnimmt, wird sie in der Schweiz behandelt wie ein Kegelklub mit 15 Mitgliedern: Ihren Reingewinn versteuert die Fifa mit 4,25 Prozent. Die Steuersumme lag in den vergangenen Jahren bei rund 17 Millionen Dollar. Knapp doppelt soviel gab die Fifa für ihre Unternehmungsführung aus.

Kritik aber prallt ab. Das Imperium der Bälle hat sich ein eigenes Recht geschaffen, das hilft, seine Privilegien zu verteidigen. Einfluss auf die Führungsspitze, an der der heute 78-jährige Joseph Blatter seit 1998 unumschränkt regiert, könnten nur die Landesverbände nehmen. Die aber müssen mit Sanktionen des Weltverbandes rechnen, geben sie politischem Druck in ihren Heimatländern nach, um Licht in fragwürdige Vorgänge wie etwa die Vergabe der übernächsten WM an das Scheichtum Katar, Bestechungsvorwürfe und Korruptionsaffären zu bringen. Der schöne Schein überstrahlt alles, die Politik gibt ihren Segen durch Anwesenheit, direkt neben den Potentaten der totalen Vermarktung nehmen sie dann Platz, die Merkel und Hollande, Cameron und Gauck.