Freitag, 26. Juni 2015
Freitag, 27. März 2015
Der lange Tod des Stefan Diestelmann
Eines Tages haben sie doch noch begonnen, nach ihm zu suchen. Die Kollegen von der Band, mit der er mal gespielt hat. Ein paar Fans von früher. Ein Reporter, der einen Film drehen wollte. Sogar eine Facebook-Gruppe entstand, die alle Informationen sammelte. Nur dass es keine Informationen gab über Stefan Diestelmann, den Blues-König der DDR, der seinen letzten Hit vor 30 Jahren hatte und sich nach seiner Flucht in den Westen in einen kleinen Ort in Bayern zurückzog.
Bei seinem letzten Auftritt war ein kleines Boot die Bühne. Stefan Diestelmann, rotes T-Shirt, knappe Shorts, Basecap und Sonnenbrille, war eigentlich längst untergetaucht. „Ich brauche das alles nicht mehr“, sagt der 56-Jährige, ehe er sich hinter das Steuerrad seines Kahnes schwingt. Es ist das Jahr 2003, Stefan Diestelmann lebt im 20. Jahr seit dem großen Ruhm. Ein neues Leben, sagt er. Die CDs, die er gelegentlich noch für sich selbst einspielt, verkauft die Metzgerfrau im Ort, die ihn irgendwann gebeten hat, doch mal ein paar von den Dingern rauszurücken. „Du machst doch gute Musik“, hat sie ihren Nachbarn gelobt, „die können wir doch dann auch verkaufen.“
Stefan Diestelmann war sich nicht sicher, ob er das wollte. Der Mann, der einmal einer der bekanntesten und originellsten deutschen Bluesmusiker gewesen war, ist nicht frei von Eitelkeiten, keineswegs. „Die CDs waren in kurzer Zeit alle weg“, freut er sich. Man muss dabei bedenken: Diestelmanns Boot schwimmt auf dem Ammersee, mitten in Bayern. Hier war Diestelmann nicht einmal berühmt, als er berühmt war. „Aber es kommen immer Touristen, die staunen, eyho, gucke mal, dor Diestelmann“, lautmalt er auf Sächsisch, „und dann nochn neues Album.“
Das kaufen sie, die alten Fans, die er hinter sich gelassen zu haben glaubte, als er alle Brücken abbrach. Das Datum lässt sich nicht genau bestimmen, es ist irgendwann nach seiner Flucht in den Westen passiert, die eigentlich ein ganz unspektakuläres Drübenbleiben war. Zuerst wohnte Diestelmann noch bei seinem langjährigen Freund und Mitmusiker, dem ehemaligen Lindenberg-Pianisten Gottfried Böttger. Dann zog er nach Unterpfaffenhofen um, ins Haus des Produzenten Ralph Siegel. Aber der habe ihn, sagt, „nicht erzählt, was ich für Scheiße schreiben sollte.“ Er ist dann nicht mher hingegangen. „Und eines Tages war er verschwunden“, erinnert sich Böttger, „und man hat nie mehr von ihm gehört.“
Für einen wie Diestelmann, der Ruhm und Aufmerksamkeit genoss, eine rätselhafte Entscheidung. Doch genau betrachtet war die ganze Karriere, ja, das ganze Leben des gebürtigen Münchners geheimnisumwittert. „Mit 13 hat mich mein Vater in den Osten verschleppt“, erzählt er, während ein Segelboot vorbeikreuzt. Sein vater Jochen Diestelmann ist Defa-Schauspieler, er spielt für Konrad Wolf und Frank Beyer, ein kleiner Star zwar, aber ein Star. Nach dem Mauerbau stellt die DDR dem Mann aus Darmstadt ein Ultimatum: Wer im Osten arbeitet, muss auch im Osten leben. "Da hieß es zack", formuliert Stefan Diestelmann scharf, "ab in den Osten."
Hier ist der kleine Stefan ein Paria, der gemobbt wird. „Ich habe gebayert, sagt er, „und ich wusste, was die uns in der Schule für einen Unsinn erzählen.“ Brot zehn Mark im Westen? Butter fünf? Wenn Lehrer versuchen, klassenkämpferisch korrekten Stoff im Unterricht unterzubringen, schlägt der Wessi dazwischen. „Unsinn“, ruft Diestelmann dann. Nicht nur die Mitschüler mögen ihn nicht, sondern auch die Lehrer.
Es sei ihm „sowas von egal“ gewesen, erinnert er sich. Es war doch sowieso alles Mist, das ganze Leben eine Qual. „Vater schlug zu, Mutter schlug zu“, sagt er, „ich musste diese blöden Lederhosen tragen und durfte nur die Musik hören, die sich mich hören ließen.“ Vater Diestelmann legt zu diesem Zweck eine Lautsprecherbox ins Zimmer des Juniors, die er von außen beschicken kann. „Da gab es Jazz und Blues“, sagt Diestelmann, der lieber Stones, Beatles und Troggs gehört hätte. „Aber das war ja Drecksmusik, Gülle, das durfte nicht sein.“
Diestelmann und der Blues, das ist so etwas wie eine arrangierte Ehe. Jazz und Blues darf er. Und er beginnt, es zu lieben. „Mich hat der Rhythmus angemacht“, beschreibt er, „das war alles so frei in die Welt gesungen, das gefiel mir.“ Diestelmann hat eine Fünf in Musik, aber er spielt BB King und Muddy Waters nach, auf einer Gitarre, die ihm die Eltern geschenkt haben. Er hat keinen Unterrichht. Aber er ist wie dafür geschaffen. "Es war Rhythmus, den ich brauchte", sagt er später, "das Primitive, in dem alles steckt." Mit der Gitarre ist er nun wer. Wenn er singt, empfängt er Bewunderung. Es ist dies das Hochgefühl, dem Stefan Diestelmann von nun an ein Leben nachjagen wird: im Mittelpunkt stehen, der sein, zu dem alle aufschauen.
Der Osten ist für so einen zu klein. Die Stars, die er anhimmelt, mit denen er entschlossen ist, eines Tages zu spielen, die stehen im Westen auf der Bühne. „Ich wollte einfach rüber, zurück nach Hause“, sagt er. Vorsichtige Erkundigungen nach Fluchtmöglichkeiten enden allerdings im Desaster. Diestelmann, so zumindest berichtet er es später gern und oft, kommt wegen versuchter Republikflucht ins Gefängnis. Drei Jahre habe er in einer Besserungsanstalt bei Regis-Breitingen abgesessen. „Ich habe dort Leute sterben sehen“, behauptete er.
Diestelmann überlebt, doch seine Rückkehr ist kein Triumphzug. Er hat Berlinverbot und darf Potsdam nicht verlassen. „Ich habe beim Obsthandel gearbeitet, erst als Unterkistenstapler, dann als Oberkistenstapler.“ Bluestime, die Welt ist schlecht, selbst der Wechsel zur Post, wo er als Telegrambote unterkommt, tröstet nicht. „Ich konnte meine paar Freunde nicht kontaktieren und die wussten nicht, wo ich bin.“
In diesen Jahren habe er begonnen, ganz für sich allein Songs aufzunehmen. Diestelmann arbeitet bei einer Fotografin im Labor, er hat den Traum von einer Karriere begraben, er spielt wieder nur für sich. Bis es an der Tür läutet und der Gitarrist Axel Stammberger vorsichtig nachfragt, ob Diestelmann nicht vielleicht Lust hätte, bei seiner neuen Band vorzuspielen, die einen Sänger und Gitarristen suche. „Die hatte noch gar keinen Namen, aber das waren alles echte Profis“, betont Diestelmann. Er selbst mit seinem „Geschrubbe“, wie er es nennt, kann da nicht mithalten, glaubt er. Er selbst sieht sich als Autodidakten ohne Anspruch. „Ich wollte mich ja immer nur begleiten können, nie ein Virtuose sein.“
Begleiten aber kann Stefan Diestelmann sich wie kaum ein anderer. Er spielt den Blues auf seine Art, wild und ursprünglich, aber auch deutsch bis ins Mark. Es kommt ihm nicht auf Perfektion an, sondern auf Gefühle. Der Herz muss schlagen in der Musik, und sei es, dass er es kitzelt, in dem er mit einer Hand Gitarre spielt und mit der anderen die Mundharmonika führt. „Das fand ich spannend, das haben die Leute gewollt.“ Auch die Kollegen lieben es. Er wird Frontmann von Vai Hu, feiert Erfolge, spürt, was er sein kann. Und geht.
Seine erste Solo-Platte schlägt alle Rekorde. Aus 2000 Exemplaren werden 20.000, aus 20.000 nochmal 75.000 Nachauflage. Die Hallen sind voll. Das Ministerium gewährt ihm „wegen seiner Popularität" den begehrten Berufsausweis. Die zweite LP, „Hofmusik“ genannt, ist dann ein Triumph. Diestelmann ist nun der König des Blues in der DDR, ein vollbärtiger, langhaariger Guru, dem an den Wochenenden hunderte hinterherreisen, wie die Staatssicherheit im Operativen Vorgang „Diestel“ feststellt.
Kein gutes Vorbild für die Jugend, zumal der von sich selbst begeisterte Entertainer längst begonnen hatte, den vermeintlichen Schutz seiner Prominenz zu nutzen, um von der Bühne Witze über die DDR zu machen. Die IMs „Wolfgang Schubert“, „Weiß“ und „Jazz“ schreiben mit. „Und jeden Montag musste ich im Ministerium erscheinen, um mich dort für irgendeinen Spruch zu rechtfertigen.“ Diestelmann ist in Wirklichkeit kein Rebell, kein Dissident. Er ist nur stur und rücksichtslos. Was er dafür hält, ist die Wahrheit. Was andere sagen, interessiert ihn nicht. Er verdient mehr Geld, als er ausgeben kann. Er spielt bis zu 370 Konzerte im Jahr, „manchmal vier an einem Tag“, sagt er. Seine Lieder "Der Alte und die Kneipe" oder der "Reichsbahn-Blues" sind keine Radiohits, aber jeder DDR-Tramper versucht, sie auf seiner Mundharmonika nachzublasen.
Nur er selbst kann sich noch stoppen. Und er tut es. Diestelmann geht ganz an die Grenze, dorthin, wo jeder weitere Schritt das Aus in der DDR bedeutet. Er schmuggelt Gottfried Böttger, den Westdeutschen, in Konzerts. Bundesdeutsche Politiker und ARD-Reporter hängen in seiner Wohnung ab. Er spielt daheim nächtliche Sessions mit dem Amerikaner Harmonica Phil Wiggins, bis die Polizei klingelt. Er diskutiert mit dem neuen Amiga-Chef darüber, ob Blues wirklich eine Musik für die DDR ist. Diestelmann spürt immer nur, was fehlt. Er will im Westen spielen. In den USA mit BB King auftreten. Stattdessen bekommt er Auftrittsverbote, weil er "Jugendliche anzieht, die die Ordnung und Sicherheit gefährden", wie die Stasi schreibt.
Die hat das Idol der herumtrampenden DDR-Jugend allerdings noch nicht ganz abgeschrieben. Während Diestelmann immer fürchtet, „dass sie mit mir die Biermann-Lösung machen“, geht es dem MfS nach Lage der OPK-Akte XV 7032/81 vor allem darum, den unangepassten Sänger auf den Pfad der sozialistischen Tugend zurückzuführen. Man zeigt ihm die Instrumente: Keine Westauftritte, so lange auf der Bühne über die DDR gelästert wird. Diestelmann gibt klein bei. „Ich dachte immer, im Westen spielen, das verdient man, weil man gut ist“, sagt er, „aber die machten einem klar, dass sie das wie einen Preis verleihen, nur an die, wo sie es wollen.“
Als es so aussieht, als hätten sie ihn wieder integriert, ist er in Gedanken schon ausgereist. Jetzt bekommt er den ersehnten Pass, jetzt bekommt er West-Engagements, die er genießt. „Ich war der Star, die Leute haben mich bejubelt“, sagt er über Auftritte in Niedersachsen und Hamburg. Im Westfernsehen trägt Diestelmann eine rote Latzhose, während er mit Gottfried Böttger seinen Boogie Woogie spielt. „An der Garderobe müssen sie noch arbeiten“, sagt danach jemand vom Sender zu ihm.
Diestelmann ist dazu bereit. Er will nicht mehr Ossi sein. „Ich wollte aber vor allem nicht mehr darum bangen müssen, wann sie mir die Genehmigung, in den Westen zu fahren, wieder wegnehmen.“ Vor einem Festival in Hildesheim sagt er niemandem Bescheid, nicht einmal in Andeutungen. 5000 Fans feiern ihn beim Open-Air-Jazz-Festival. Er ist beseelt. Und fährt einfach nicht mehr zurück. Die Stasi löst eine Fahndung nach ihm aus. Stellt sie aber wenig später wieder ein. Begründung: Es sei bekannt, dass der Gesuchte sich nicht mehr in der DDR aufhalte.
Dort, wo Stefan Diestelmann nun ist, wird er nicht glücklicher werden. Die ersten Jahre tingelt er noch, hoffnungsvoll und mit Freunden. „ich wusste, dass ich auf einem anderen Niveau weitermachen muss“, sagt er, „aber ich hatte keinen Zweifel, dass ich weitermachen kann.“ Doch nach Anfängen mit Auftritten in Köln und München hadert der begnadete Improvisationskünstler mit sich. Der Westen bietet ihm Cafés statt Konzerthallen. Er ist Vorprogramm statt Hauptperson. Der wichtigste Blues-Mann der DDR wird zum Freizeitkapitän, der sein Boot über den Ammersee steuert und behauptet, die Musik gar nicht zu vermissen.
Er habe dann lieber Werbefilme für Hotels gedreht, sagt er. Ägypten, Teneriffa, die feinsten Adressen. „Und immer das modernstes Equipment“, schwört Diestelmann, der einmal sogar von Ägyptens Diktator Mubarak berufen worden sein will, eine zweiwöchige Landbereisung zu dokumentieren. „Leider musste ich das Rohmaterial anschließend komplett abgeben.“
Diestelmann behauptet in jenen späten Tagen am Ammersee, sehr glücklich zu sein. Er ist immer noch ein großer Geschichtenerzähler, ein Mann, der abendliche Runden ganz allein unterhalten kann. Er hat ein Mündchen für Dialekte, er hat ein Ohr für Dynamik, ein Gefühl für Pointen. Er erzählt, wie er Mariah Carey und Bruce Willis kennengelernt habe, wie er für Antonio Banderas Lieder schrieb und „viel Geld“ verdiente. Die Giesing zieht vorbei, ein großer, neuer Dampfer. „Der ist dauernd kaputt“, sagt der Freizeitskipper.
Diestelmann spricht viel von früher. Er macht Witze. Er macht keine Musik mehr. Oder nur noch manchmal, so ganz klar ist das nicht. Gelegentlich, sagt er, spiele er schon noch. Aber nicht mehr als Beruf, nur noch als Berufung. Wenn Touristen aus dem Osten ihn erkennen und fragen, warum er denn nicht mehr auftrete und wo eine neue Platte bleibe, lässt er sie wissen, dass die Musik ihm zu wichtig sei, "dass ich sie als Broterwerb betreiben will".Sein Blick auf die Ex-Kollegen ist ein harscher, fast böser: Die machen immer alle immer weiter, die ahben keine Würde, abzutreten, ätzt er: „Selbst wenn es längst nötig wäre.“
Er selber ist weg, weg von der Bühne, weg aus der Öffentlichkeit. Hinter dem Dreitage-Bart, der vom einstigen Kinngestrüpp geblieben ist, pflegt Diestelmann den Nimbus des Total-Aussteigers. Kein Blues mehr, kein Applaus und keinerlei Kontakte. „Er hat sich auch der Familie entzogen", erinnert sich sein Onkel Jürgen Diestelmann später.
Eine Nachbarin, die nicht weiß, wer er ist, hört ihn in diesen Tagen manchmal Saxophon spielen. "Aber das ist auch schon lange her", wird sie später erzählen. Sein Vermieter ist der letzte Mensch, der weiß, dass da der Blues-König des Ostens zu hören ist. Stefan Diestelmann stirbt an einem Tag im März des Jahres 2007. Sein Arzt, der gleichzeitig sein Nachbar und letzter Freund war, bittet um Respekt für den Wunsch des Toten, dass weder bekannt werden soll, woran er gestorben ist, noch, wo der König des Blues begraben liegt.
Das ist fünf Jahre später, als zum ersten Mal jemand fragt.
Freitag, 13. Februar 2015
Gundermann: Immer wieder wächst das Gras
Sonntag, 18. Januar 2015
Return to Peeze: Großes Comeback im kleinen Saal
Sie sind die großen Unbekannten unter Halles Rockbands, die vier Jungs von Return to Peeze. Eine einzige Studio-EP haben sie in 16 Jahren Bandexistenz veröffentlicht, Konzerte gibt es nur aller Jubeljahre, auch die vier Musiker treten abseits der Bühne allenfalls mal als Mitmusikanten einer Hardcore-Combo auf. 18 Monate ließ die Band, deren Mitglieder sich in der Öffentlichkeit nur Kretze (git, voc), Nose (git), Rappsen (dr) und Pademmer (bg) nennen, diesmal verstreichen, ehe sie wieder eine Bünhe betraten. Das langerwartete erste Studioalbum hatten sie dann beim Comeback-Auftritt im Objekt 5 zwar immer noch nicht im Gepäck. Aber der Klub in der Seebener Straße war dennoch binnen kürzester Zeit ausverkauft.
Was beim Vorprogramm des halleschen Singer/Songwriters Kahler noch wie ein Klassentreffen der einheimischen Szene wirkt, weil mit Cornelius Ochs von Baby Universal, Christian Sorge und Felix Hecklau von Cocoon Fire alles angetreten ist, was in Halles Rock Rang und Namen hat, wird mit dem ersten Ton von Return to Peeze zu einer echten Rock-Messe. Schwermetallische Gitarrenriffs treffen auf Kretzes Filigrangesang, der an Gruppen wie Muse, Placebo oder auch an Jeff Buckley erinnert. Return to Peeze sind keine Hymnenband, die nach dem einfachsten Weg zu einer einprägsamen Melodie suchen. Stattdessen stricken sie komplexe Soundgebilde zusammen, rhythmisch ist vieles im Fluss, Strukturen verändern sich, ein Song kann als Ballade beginnen und als tobendes Klangmonster endet.
Begleitet von einer beeindruckenden Lichtshow spielen sich die vier Musiker im Objekt in einen Rausch. Sänger Kretze verzichtet durchweg auf Ansagen, ein Song ergibt sich automatisch aus dem vorigen. Zwischen eigenen Dampfhammerstücken wie "Somebody somewhere" und dem Rolling-Stones-Cover "Gimme Shelter" entwickelt sich so ein hochemotionaler Konzertabend mit verschüttetem Bier, verschwitzten Tänzern vor der Bühne und begeistertem Applaus am Ende. Sänger Kretze kommt schließlich noch einmal ganz allein zurück und singt solo zur Gitarre das leise, langsame Lied "Take back the rainy days". Ein perfekter Abschluss.
Zur Seite der Band
Mittwoch, 7. Januar 2015
Neil Young präsentiert den Pono-Player
Anfangs hatte Neil Young noch auf Einsicht bei Apple und Co. gehofft. Doch als die Hightech-Konzerne begannen, lieber mit Hilfe teurer Kopfhörer nachträglich am Klang zu bauen als die Ausgangsdateien so aufzubohren, dass Klanggenießer nicht weinen davonlaufen, griff Young zur Selbsthilfe. Im März startete er eine Geldsammel-Kampagne, um ein Abspielgerät mit hoher Audio-Qualität zu entwickeln.
Zusammen mit einem eigenen Download-Dienst will er damit die Musikbranche revolutionieren. Der Prototyp des Pono-
Inzwischen kann der Walkman 5.0 vorbestellt werden - Kostenpunkt: stolze 399 US-Dollar.
Neil Youngs Ausritt auf E-Gitarren
Neil Youngs Flirt mit dem großen Orchester
Neil Youngs Besuch in der Telefonzelle
Mittwoch, 26. November 2014
Das späte Glück der Queen of Rock
Begonnen hatte alles Anfang der 60er Jahre, als die bei dem Bandleader Ike Turner angestellte Background-Sängerin für den Song „A Fool in Love“ kurzfristig am Hauptmikrophon einsprang. Das Lied wurde ein Hit, aus Anna wurde Tina und aus Tina und Ike ein Paar.
Doch kein glückliches. Ike trank und misshandelte seine Frau, beruflichen Erfolgen folgten private Fehden, in denen der drogensüchtige Pianist und Gitarrist seine Frau schlug. 1976 hatte Tina Turner genug: Noch blutend von einer Auseinandersetzung mit ihrem Mann verließ sie das gemeinsame Haus, um nie zurückzukehren. Acht Jahre lang schlug sie sich dann durch, mit mittelprächtigen Bands und nachgesungenen Hits. Erst mit dem Album „Private Dancer“ gelang ihr 1984 der ganz große Durchbruch. Mark Knopfler von den Dire Straits hatte ihr den Titelsong geschrieben, Terry Britten lieferte „What’s Love Got to Do with It“ und mit Mel Gibson stand sie im Hollywood-Reißer „Mad Max“ vor der Kamera - das Mädchen aus Nutbush war nun die „Queen of Rock“.
Ihre Erfolge hat Tina Turner danach klug verwaltet, eine neue Liebe fand sie im deutschen Musikmanager Erwin Bach, eine neue Heimat in der Schweiz. 2010 war sie sogar noch einmal Platz 1: Mit „The Best“ schaffte sie es in Schottland an die Spitze der Charts, 44 Jahre nach ihrem Hit-Debüt. Heute wird Tina Turner 75 Jahre alt.
Montag, 4. August 2014
Songwriterfestival: Finale zu dritt
War als Finale gedacht. Zündete aber so heftig, dass Dunlop danach weitersingen musste. Eigene Songs waren alle, also lieferte er unter anderen Coverversionen von Charly Simon und Tom Waits.
Montag, 31. März 2014
Seth Lakeman: Wanderer in Klangwelten
Lakeman, daheim in Großbritannien seit einer Nominierung für den Mercury Prize als Retter des Folkrock gehandelt, hat lange auf Anerkennung gewartet. Schon vor 20 Jahren veröffentlichte der damals gerade 17-Jährige zusammen mit seinen Brüdern ein Album, danach arbeitete er beharrlich weiter an seiner musikalischen Vision.
Die wird auf „Word of Mouth“ noch deutlicher als auf dem Vorgänger „Tales From The Barrel House“, der auch schon Anklänge an mittelalterliche Weisen mit Jethro Tull- Sound und amerikanischem Folk mischte.
Lakemans Vorteil: Er spielt nicht nur Gitarre, sondern auch Geige, Bratsche und Banjo, so dass er neue Stücke wie das balladeske „Another Long Night“ oder das hoppelnde „Last Rider“ ebenso zurückhaltend wie abwechslungsreich instrumentieren kann.
Seth Lakeman setzt damit auf seine Weise fort, was schon seine großen englischen Kollegen von Mumford & Sons weltweit erfolgreich gemacht hat. Seine Lyrics sind meist dunkel, der Akzent ist Dartmoor nicht Pennsylvania, die Melodien haben hymnische Momente, ohne durchweg zum Mitsingen aufzufordern.
Ein Konzeptalbum, das seine Spannung vom ersten Ton an hält und über zahllose weitere Höhepunkte wie „The Saddest Crowd“ und „Bal Maiden“ zum finalen „Portrait of my wife“ findet. Alles in allem: Große Musik, die sich auch live zu entdecken lohnt.Am 3. April ist Seth Lakeman live im Objekt 5 in Halle zu erleben
Kartenvorbestellungen:
Objekt 5
Samstag, 22. März 2014
Montag, 17. März 2014
Rio Reiser: Königshof unter dem Hammer
Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1996 hat Rio Reiser dann hier gewohnt und sich vom flachen Friesenland inspirieren lassen zu Songs wie "Junimond" und "König von Deutschland", die mal traurig waren und mal witzig, aber nie zum Lachen. Rio Reiser war zwar auch als Landmann nicht gerade ein vor Humor berstender Herrscher. Aber zu Hause fühlte er sich hier so sehr, dass er sich auf seinem Grundstück begraben ließ, auf dass sein Geist andere Musiker inspirieren könne.
Allerdings reichte das Geld bald nicht mehr, das Rio-Reiser-Haus zu betreiben. Vor drei Jahren zogen die sterblichen Überreste des Musik-Monarchen nach Berlin. Haus und Hof wurden verkauft - aber Glück brachten sie auch dem neuen Besitzer nicht. Als "18-Zimmer-Bauernhaus" sucht der Königshof nun per Zwangsversteigerung wieder einen neuen Herren. Das Haus sei renovierungsbedürftig, aber naturnah, heißt es. Thronfolger kann werden, wer 299 000 Euro für das Mindestgebot übrig hat.
Zum Gebot
Sonntag, 2. Februar 2014
Renft: Aufrecht im Sitzen
Aber was heißt schon original. Monster spielt seit 44 Jahren in dieser Band, Schlagzeuger Delle Kriese seit 23, Marcus Schloussen auch schon seit 15 und "Pitti" Piatkowski seit immerhin fünf. Für eine Kapelle, die es ihrer klassischen Besetzung nur kurze fünf Jahre gab, ist das eine ganze Menge, zumal Piatkowski mit den Klosterbrüdern damals genauso verboten wurde wie Monster mit Renft, sogar im selben Jahr und aus denselben Gründen.
Das Gemurre ist trotzdem immer da. Delle Kriese, der inzwischen fast fünfmal länger dabei ist als Ur-Trommler Jochen Hohl und zudem schon 1984 mit dem Ex-Renft-Gitarristen Peter "Cäsar" Gläser in dessen Band gespielt hat, ist wie Brian Johnson bei AC/DC bis heute einer der Neuen.
Aber wie bei den Australiern stört das nicht, weil die aktuelle Besetzung die alten Songs mit Seele und Groove spielt. Die leisere Form tut den Liedern gut, sie lässt "Als ich wie ein Vogel" strahlen und das bluesige "Ich und der Rock" mit dem Hintern wackeln. Zwei Platten nur hat diese Band damals gemacht, aber heute macht sie dank der Zusatztracks aus der Verbotsphase locker drei Stunden Konzert draus. Am Ende singt das komplette Publikum Klassiker wie "Gänselieschen" und "Wer die Rose ehrt" wieder begeistert mit - 40 Jahre haben Texten und Kompositionen nichts antun können.
Gelungene Premiere 2012: Renft erstmals unplugged
Freitag, 31. Januar 2014
"Böhse Menschen, Böhse Lieder"
So geht das, wenn Deutschlands gefürchtetste Rockband die Provinz bereist. Zweimal standen die Hessen mit dem patentiert schlechten Ruf am Wochenende auf der Bühne in der Baggerstadt Ferropolis, erschreckte die Invasion von 25 000 Fans aus ganz Deutschland das barocke Oranienbaum und das benachbarte Gräfenhainichen.
"Dabei sind die die Jungs eigentlich alle sehr nett", sagt Verena Felgner, die an einem fliegenden Stand Würstchen verkauft. Ein paar Betrunkene dazwischen, jaja. "Mehr als bei Grönemeyer." Aber das Schwarze, das Schwere, das Harte -eine Macho-Maske. Wie beim Anhang so auch bei der Band, die seit ihrem vor 20 Jahren erschienenen Album "Der nette Mann" als latent rechtsradikal und gewissermaßen gesellschaftsgefährdend gilt. Platten wurden verboten, im Radio laufen Onkelz-Lieder nie, das Fernsehen hält die Türen zu. Trotzdem hat es das Ex-Skinhead-Quartett um Bassist und Bandsprecher Stephan Weidner geschafft, einen Massenmarkt zu erobern, von dessen Existenz zuvor niemand wusste.
Kraftprotzenden Rock versehen die Onkelz mit Texten zwischen philosophierender Weltverachtung und muskulösem Eigensinn. Die Plattenbranche wird verachtet, die Presse ignoriert und die Öffentlichkeit genau so erschreckt, wie die das erwartet: "Böhse Menschen, Böhse Lieder" heißen dann CDs, "Gehasst, verdammt, vergöttert" steht auf Fan-Hemden wie ein religiöses Bekenntnis.
"Hier sind die Onkelz", röhrt Kevin Russell, nachdem die New Yorker Hardcore-Combo Biohazard kurz vor 22 Uhr Platz gemacht hat für die Helden der Heerscharen in Schwarz. "Fahr mit uns in den Himmel / wir ebnen dir den Weg / wir öffnen dir die Augen / zeigen dir wie es geht." Da fliegen die Arme schonmal vorab nach oben, da wird kollektive Inbrunst zum riesigen Chor: "Warum willst du laufen / wenn du fliegen kannst?" Den gebürtigen Iren, der statt Skinhead-Glatze längst Metaller-Mähne trägt, hört man fast nicht mehr. Aber Onkelz-Fans müssen nicht hören, sie können fühlen. Und kennen jede Zeile. Wenn die Band mit Vorurteilen spielt und sich selbstironisch das "Feindbild Nummer Eins" nennt, dann möchten sie auch Feind sein. Randgruppenstolz liegt auf glänzenden Gesichtern, wenn die Band große Vokabeln wie "Lüge" und "Ewigkeit" gegen eine nur diffus beschriebene kalte Karriere-Gesellschaft bemüht. Die draußen werden nie verstehen, gerade darum ist es ja so schön.
Nicht mehr Sekretärin, Bauarbeiter, Anwalt sein. Sondern "leben ohne Konventionen", wie Kevin Russell singt, ein Mann mit tätowierten Armen und einem Gesicht, das so wenig nach Rockstar aussieht wie die Ferropolis-Bagger nach Schichtbeginn. Alles echt! "Finde die Wahrheit", empfiehlt der Sänger, "hab keine Angst / finde die Wahrheit / so lange du noch kannst". Eingebettet ist die Suche in eine perfekte Live-Show aus Haley-Gitarren, Großleinwänden und Ohoho-Gesang, mit der die Onkelz sich in der Baggerstadt als letztes Identifikations-Angebot für einsame Individualisten inszenieren. Rechts? Links? Dort die, hier wir! Das große Gruppengefühl, es lebt unten im Gewühl, wo Männerkörper schwitzen und Mädchen für die Großbildschirme bereitwillig ihre Leibchen lüften. So warm kann's werden in karrierekalter Zeit.
Donnerstag, 14. November 2013
Der Lindividualist in Leipzig
Eine qualmende Zigarre in der Hand, den Hut tief ins Gesicht gezogen, fit und in aufgeräumter Stimmung, so hat Deutschrock-Idol Udo Lindenberg in Leipzig Werbung für seine im kommenden Jahr anstehenden Open-Air-Konzerte in der Red-Bull-Arena gemacht. Werbung, die der 67-Jährige eigentlich gar nicht nötig hätte: Der erste der beiden Auftritte, die Lindenberg zum ersten Mal in seiner mehr als 40-jährigen Karriere überhaupt in große Stadien führen, war bereits drei Stunden nach Vorverkaufsstart ausverkauft. Insgesamt wird Lindenberg vor rund 100.000 Fans spielen. "Ein großes Treffen der Lindianer", sagte der Star, der 2008 mit seinem Album "Stark wie zwei" ein überaus erfolgreiches Comeback gefeiert hatte...
Der ganze Text hier
Freitag, 1. November 2013
Great Elk: Große kleine Band
Paul Basile leidet wie ein Hund, wenn er von "Beverly" singt. Aber es klingt gut! Zum dritten Mal war der Mann aus New York jetzt in der Mojo-Bluesbar, nach zwei Soloauftritten hatte er diesmal seine Band Great Elk mit. Aus den verhuschten Balladen wurde so zum Teil deftiger Rock - und aus dem Songwriter ein Frontmann, der manchmal sogar die Kurzhaarfrisur schüttelte. Als Zugabe lieferte Basile allerdings einen seiner Klassiker, vorgetragen allein zur Gitarre: "Grab your Guns" hatte er vor Jahren geschrieben, um seiner Wut auf George W. Bush Ausdruck zu verleihen. Nach dem Konzert aber nickt er ernsthaft. Ja, irgendwie passt der Ruf zu den Waffen auch heute noch.