Montag, 12. Oktober 2015

Borussia als Buch: Literaten begegnen der Lei­den­schaft

Zwei Dutzend Schriftsteller aus der Autoren-Nationalmannschaft haben die desaströse letzte Saison von Borussia Dortmund begleitet.

Dramatisch war sie, historisch einmalig. Mit glimpflichem Ende. Aber alles in allem katastrophal, die letzte Saison des Dortmunder Fußballvereins Borussia. Aber all das konnte Moritz Rinke nicht wissen, als er die Idee hatte, zwei Dutzend Schriftstellerkollegen aus der Autoren-Nationalmannschaft zu bitten, den Fußballbundesligisten über ein Jahr lang zu begleiten. Ziel des Unternehmens sollte es sein, sich dem Phänomen BVB literarisch zu nähern, das gelb-schwarze Emotionszentrum des deutschen Fußballs zu erkunden und zu erklären.

Dass das daraus entstandene 240-Seiten-Buch "Man muss ein Spiel auch lesen können" nun ausgerechnet aus dem Jahr erzählt, in dem die Macht von der Ruhr wackelte und wankte wie lange nicht, ist in der gedachten Konstellation von Vorteil. Keinen aalglatten Siegeszug beschreiben Autoren wie Joachim Król, Monika Marion und Thomas Brussig. Sondern ein verwirrtes Suchen um festen Stand, ein Ringen um Selbstverständlichkeiten, einen Überlebenskampf, den Luxuskicker führen müssen, die für gewöhnlich um Titel und nicht gegen den Abstieg spielen.


Ein Dramolett in 26 Akten hat das Tagebuch des Schreckensjahres so werden müssen - aber wie hübsch haben es die zu den Heimspielen herbeigereisten Autoren aus der ganzen Republik angerichtet! Alle Genre finden sich bedient, von der Reportage über die Reflektion bis hin zum Großgedicht "In der Wand". Und alle Register feiern den BVB als ein Ding, das weit mehr ist als ein Fußballverein.

Familie. Heimat. Krimi. Thriller. Erbe. Ausdruck einer Massenpsychose. Der erliegen auch die Literaten, obgleich sie von Haus aus größtenteils Fans ganz anderer Klubs sind. Doch die Anwesenheit im Westfalenstadion, obschon es heute technokratisch "Iduna-Nova-Park" heißt, verwandelt die argwöhnischen Skeptiker wie die neugierigen Novizen in Gläubigem, deren Notate die Wunderkraft des BVB selbst als wankende Fußball-Supermacht bezeugen.

Ist es so? Oder spielt hier eine Rolle, dass der <>-Sponsor Eon sich seine Unterstützung des Auswärtspieles der Autorenmannschaft sicher nur ungern mit Meckertexten über Fußballmillionäre und Champions-League-Gigantomanie hätte vergelten lassen?
Dahingestellt. Gerade weil die Seuchensaison des <>, die mit dem Abschied von Traineridol Jürgen Klopp enden wird, keinen Platz für eindimensionale Siegeshymnen ließ, wirkt "Man muss das Spiel auch lesen können" alles in allem authentisch, obwohl es naturgemäß Partei ergreift. Der mit dem letzten Spiel geschiedene Spieler Sebastian Kehl, ein Borusse bis ins schwarz-gelbe Knochenmark, lobt denn in seinem Nachwort auch uneingeschränkt: "Es ist keine einfache Chronik, sondern eine kleine Liebeserklärung."


Mittwoch, 7. Oktober 2015

Günthi Krause: Ein Nachmittag im Erinnerungshotel

Nach 50 Jahren im Geschäft dachte der Conférencier schon einige Jahre vor seinem Tod ans Karriereende - aber Aufhören konnte er dann doch nie.

Diese verfluchten Zelte. Wie ein Stadion so groß, weiß wie ein Krankenzimmer, kahl und leer. "Keine Atmosphäre", befindet Günther Krause, "ich muss nur einen Schritt reintun, um zu wissen, dass das nicht schön wird." 20 Leute auf 800 Quadratmetern, Baumarktgestühl, Pappteller und Plastikbecher. Der Hallenser Günther Krause, als Conférencier Günthi Krause fast ein halbes Jahrhundert eine Institution der hohen Kunst der Programmansage, lässt seine Gesichtszüge kurzzeitig entgleisen. "Buhh" blasen die Backen, "uhh" jammern die Mundwinkel.

Doch keine Sause ohne Krause! Entschlossen beißt er in seinen Pfannkuchen. "Da heißt es kämpfen", orgelt die sonore Mikrofonstimme. Aufgabe eines Conférenciers sei es, für andere "den Teppich auszurollen und Spannung" aufzubauen . "Manchmal bleibt da nur ein alter Trick", grient Krause mit goldenem Blinken, "dass man sich an die Damen ranschmeißt oder ein paar Witze rauszaubert."
Keiner kann das besser als der schlanke Herr mit dem weißen Schopf, der einst angetreten war, die großen Heldenfiguren zu spielen. Ein Schmunzeln blitzt: "Und die Liebhaber natürlich."

14 ist Günther Krause, als ihm aufgeht, dass er Schauspieler werden will, ja, werden muss. "Wenn ich ins Kino ging, habe ich immer gedacht, das kannste auch." Vorerst verhindern Krieg und Einberufung den Karrierestart des gebürtigen Erfurters. "Ich kam nach Italien, wurde verwundet, die Franzosen nahmen uns gefangen und brachten uns rüber nach Afrika." Schwere Zeiten für Oberfähnrich Frohnatur. Das linke Bein ist kaputt, der Unterarm zerschossen. Es gibt kaum etwas zu essen, der einzige Trost sind die Proben der Häftlings-Theatertruppe. "In Tunis habe ich abends oft wach gelegen und gedacht, das war's, hier kommst du nicht mehr lebend weg."

Drei Jahre dauert das Martyrium, und erst als Krause schon glaubt, der Krieg würde nie mehr enden für ihn, bringt ihn ein Schiff zurück nach Hause. Hurra, wir leben noch! "Das erste, was ich gemacht habe, war die Aufnahmeprüfung." Talent bescheinigen ihm alle auf der Schauspielschule. "Und ich habe dann auch ganz manierliche Rollen gespielt", sagt der Mime stolz.

Bei 350 Mark Gage aber musste man sehen, dass die Butter zum Brot anderswo verdient wird. Günther Krause, der gemeinsam mit Rolf Hoppe am Theater der Jungen Garde in Halle engagiert ist, beginnt zu tingeln und in Dorfsälen und Stadthallen bunte Programme anzusagen. Der Solo-Erfolg kitzelt das Selbstbewusstsein. "Ich habe schnell gemerkt, das ist meine wahre Bestimmung."
Gelacht und mitgemacht

Ein Dampfplauderer ist Krause, eine Quasselstrippe, ein schnatternder Sonnenschein in jedem trüben Saal der DDR. "Günthi" nennen sie ihn und schon der Name kommt daher wie ein festgebügeltes Lachen. "Gelacht und mitgemacht" oder "Scharfe Blitze - dufte Witze" heißen die Programme, mit denen der Charmeur über Land zieht, begleitet von Sängern, die sich "Die 3 singenden Optimisten" nennen. "500 Mal sind wir damit aufgetreten", schwärmt er, "dann kamen die Einladungen an große Häuser."

Die Karriere des Quasselkrause, der 180 Silben in der Minute ins Publikum sprudeln kann, nimmt einen steilen Aufschwung. Lindenhof, Steintor, Friedrichstadtpalast - die Beweise hütet Krause sorgsam in Mappen und Klemmheftern, ganze Stapel Programme, Fotos und Zeitungsausschnitte erzählen in der kleinen Altneubauwohnung von der großen Zeit des Varieté. "Die Menschen standen oft stundenlang an, um uns zu sehen", schwärmt Krause beim Durchblättern mit verhangenem Blick. Zeiten waren das. Zeiten! "Der Günthi" ist in jenen Tagen ein Star, ein Mann, den die Frauen anhimmeln und die Kollegen mögen.

Er ist Stammgast im Fernsehen und auf den großen Pressefesten, er plaudert mit SED-Größen wie Achim Böhme und Horst Sindermann, und mit dem DDR-Staatszirkus darf er sogar mal eine richtige BRD-Tournee absolvieren. Krause fügt sich leicht in die Spielregeln der sozialistischen Unterhaltungskunst. Aufmucken und Ducken, Protestieren und Funktionieren. Humor ist, wenn man trotzdem lacht - Günthi Krause gleicht so dem ultimativen Gesamt-DDR-Bürger. Er tritt in die Nationaldemokratische Partei ein, um den Werbern der SED "den Wind aus den Segeln zu nehmen". Bei Großereignissen ist er unschlagbar im spontanen Vorlesen von Conférence-Texten, die sicherheitshalber anderenorts verfasst wurden. Hier und da kassiert er ein Auftrittsverbot, "weil meine Witze zu scharf waren". Und entschlüpft am Ende unbeschädigt, denn "wenn es gar nicht ging, hat der Sindermann die schon zurückgepfiffen".

Richtige Privilegien aber habe er nie gehabt, sagt er heute, mit 78 ein straffer Kerl mit präsidialen Gesichtszügen. "Wir haben immer zur Miete gewohnt, und als ich einen Volvo kaufen sollte, hat meine Frau gesagt, den wollen wir nicht." Günthi, die Conférence-Legende, gurkt weiter mit seinem VW Käfer durchs Land, 65 000 Kilometer im Jahr und jeder davon "selbst gefahren". Nur als der treue Volkswagen es nicht mehr macht, nutzt Krause seine Beziehungen. "Ein Bekannter ist mit einem Käfer in die DDR gekommen, wir haben die Nummernschilder getauscht, und er hat meine alte Karre mitgenommen."


So ist die Welt prima eingerichtet für den Sauna-Fan und Ausdauerschwimmer, der bis heute regelmäßig um seinen Ruf als Frauentyp krault. In der kleinen DDR ist er der Ansager für alle Fälle, ein Name mit Klang, wenn auch manchem unklar bleibt, was da klingt. Aber keine Sause ohne Krause!

"Das Angebot aus Bayern hat uns über die Wende gerettet", umschreibt der Allgegenwärtige zwischen zwei Schlucken Gesundheitstee. Im Osten ist 1990 nämlich plötzlich Pause auch für Krause. Keine Angebote, keine Auftritte, alle Verbindungen gekappt. Ein Fangschuss für die Eitelkeit des Entertainers. Drei Jahre überwintert der Possenreißer aus der Provinz als Anheizer in einem Freizeitpark, "sechs Vorstellungen am Tag, meine Frau musste die Kasse machen". Nein, er wird sich nicht beklagen: "Denn dann ging es ja zum Glück wieder los."

Er kann nicht anders, er gibt es zu. "Als meine Frau gestorben war, dachte ich, ich kann nie mehr auf eine Bühne steigen." In Zeitlupe nur stolpern die Worte jetzt, und die Augenwinkel schimmern. "Aber nach ein paar Monaten wusste ich, dass ich wieder vor die Leute muss." Es ist eine Sucht, eine Droge, das Witze-Erzählen und Plaudern, den Leuten nahe sein und ihren Applaus prasseln zu hören, egal ob bei der Gala im Altenheim oder auf der Baumarktschaffe. "Ohne das gehe ich ein."
Sollen sie doch ihre neumodische Comedy machen. Sollen sie seine Späße schal und seinen Witze von vorgestern nennen. Sein Publikum frisst ihm immer noch aus der Hand, oder? Die Anfragen stapeln sich! Damen strahlen, wenn er einmarschiert. Und Kollegen von früher staunen: "Mensch, bist du jung geblieben!"

Keine Sause ohne Krause, sagt er dann, weil die alten Kalauer doch die besten sind. Er fühlt sich toll in Schuss, Bombenform, kein bisschen müde. Aber nur noch ein Jahr, schwört der Conférencier, dann ist Schluss. Kein Witz! Günthi Krause schmunzelt golden. Er hat gerade erst begonnen, seinen eigenen Abgang anzusagen. Der Teppich liegt, die Spannung steigt.

Mittwoch, 30. September 2015

Dave Rawlings: Musik aus einer Holz-Maschine



Er ist einer dieser Querköpfe, die von Musikerkollegen gerühmt werden, beim großen Publikum aber nur Eingeweihten bekannt sind. Der Amerikaner Dave Rawlings, ursprünglich aus Rhode Island stammend, macht es Liebhabern fein ziselierter Folk-Musik aber auch nicht leicht. Eine ganze Karriere lang blieb er im Schatten seiner Lebenspartnerin Gillian Welch. Wenn er Freunden wie Ryan Adams oder Conor Oberst (Bright Eyes) mit seinem unverwechselbaren Gitarrenspiel half, hängte er das nie an die große Glocke.

Dass Rawlings mit seiner Vorliebe für eine Epiphone Olympic-Gitarre aus dem Jahr 1935 unter seinesgleichen eine große Nummer ist, konnte allerdings sehen, wer den Led-Zeppelin-Bassisten John Paul Jones begeistert Mandoline für ihn spielen sah.

Bei Nashville Obsolete, seinem zweiten Album, verzichtet der bereits mit dem Lifetime-Award der Americana Music Association ausgezeichnete große Unbekannte des Americana-Rock dennoch auf prominente Hilfe. Stattdessen hat er die sieben Songs gemeinsam mit Paul Kowert (Punch Brothers) am Bass, Willie Watson an der zweiten Gitarre und den Gästen Brittany Haas an der Geige und Jordan Tice an der Mandoline eingespielt. Dazu kommen Violinen, Banjos, ein wenig Schlagwerk und viel Satzgesang.

Das reicht allerdings völlig, um aus dem an Neil Young erinnernden „The Weekend“ oder dem flotten Picking-Stück „The Last Pharao“ Lieder zu machen, die die ganze Weite der Prärie zu atmen scheinen. Spätestens wenn Rawlings dann „Pilgrim“ anstimmt, wünscht man sich nur noch ein Auto, einen Highway und fünfzig Jahre Urlaub.

daverawlingsmachine.com