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Mittwoch, 24. Januar 2018

Vor 25 Jahren: Dynamo Dresdner Drunter und Drüber

Vor 25 Jahren stand Dynamo Dresden vor Aus. Die Bilanz des Dresdner Fußballs nach anderthalb Jahren Bundesliga war ernüchternd: Die Klasse zwar gehalten, aber die Kassen waren leer. Die besten Spieler sind verkauft, doch die Millionen verschwunden. 16,4 Millionen Mark Schulden hatten die damals letzten Ost-Vertreter im Reigen der besten deutschen Kicker aufgehäuft. Gründe dafür gab es so viele, wie es Interessen im Gerangel um die Macht im maroden Klub gab. Dynamo war ein Verein der Widersprüche und Widersinnigkeiten, ein Objekt für Liebe und Geschäfte. Und auch die Rettung durch den hessischen Bauunternehmer Rolf-Jürgen Otto würde nicht die letzte bleiben.


Ein Krimi aus dem Jahr 1992.



Pascale, der Wirt der Dynamo-Schenke, hat schon gewaltige Schlachten erlebt. "Aber was uns heute Abend bevorsteht", poltert er, "hat ein anderes Kaliber." Heute Abend geht es nicht um Fußball. Heute Abend geht es um Glauben. "Wenn wir nämlich nicht mehr an uns selber glauben", wird Rolf Hekker, der in den Fünfzigern "ein knochenharter halblinker Läufer der Dynamo-Oberligaelf" gewesen sein will, später prophezeien, "dann wählen wir heute Abend den Otto und beten zu. Gott, dass er uns nicht belogen hat."


Um das Selbstbewußtsein der Dynamos ist es schlecht bestellt. Trotz achtbarem Platz 10 in der laufenden Saison steht es böse um den letzten ostdeutschen Fußballverein in der ersten Bundesliga, der von sich selbst sagt, er spiele nicht nur für Sachsen, sondern für die Fußballfans in allen fünf neuen Ländern.


Schalke auf sächsisch



Dynamo Dresden war in der alten DDR ein "Polizeisportverein", was Vereinsmitglieder vorsorglich immer erwähnen, um den Verdacht auszuräumen, Dynamo Dresden sei - wie die verabscheute Konkurrenz vom Berliner FC Dynamo - eine "Stasimannschaft" gewesen. "Dynamo - das ist unsere Show" hieß es damals in der Dresdner Vereinshymne - doch nie war der Spruch wahrer als heute. Gruppen und Grüppchen streiten beharrlich um die Macht, Rücktritte, Abtritte und verbale Tritte gegen gegnerische Schienbeine haben Dynamo den Ruf eines Skandalvereins eingebracht. 


Dynamo Dresden, das ist Schalke auf sächsisch. Hier gibt es Männer, die sich "Freunde" nennen, einander aber spinnefeind sind. "Retter" konkurrieren mit "Helfern"; "Geldgeber" und "Vertragspartner" entpuppen sich in schöner Regelmäßigkeit als Beutelschneider, Journalisten gruben im Vorleben von Präsidenten, Präsidenten wiederum setzten, so erzählen Eingeweihte, Detektive auf Journalisten an. Der einst gefürchtete "Dynamo-Kreisel" dreht sich denn auch nicht mehr auf unten auf dem Platz, wo die Mannschaft um Kapitän Müller gegen den Abstieg kickt, sondern in der Geschäftsstelle, die in einem angegrauten Betonflachbau neben dem Rudolf-Harbig-Stadion residiert.


Bei Dynamo, sagen die Dynamo-Fans, gibt es so viele Meinungen wie Mitglieder. Die sich daraus ergebenden Konflikte werden mit Verbissenheit ausgetragen: Staatsanwälte beschäftigen sich mit dem Geschäftsgebahren des Klubs, Stasivorwürfe wurden erhoben und widerlegt, Anzeigen erstattet und zurückgezogen. Paragraphen, Verträge und diverse "Formfehler" in ihnen sind längst so wichtig wie Spiele, Tore und Punkte. Gleich eine Handvoll Anwälte verdient nicht schlecht an dem Verein, dessen letzter Präsident nicht zu sagen wusste, "wie ich den Bus zum nächsten Auswärtsspiel bezahlen soll."



Dynamos Schicksal sind die Umstände. Und Dynamos Schicksal sind die Menschen, die sich vom ersten Spieltag in der 1. Liga mühten, mit den Umständen klarzukommen. Warum das nicht gelang? Reinhard Hafner, einst begnadeter Mittelfeldspieler, erklärt es mit allgegenwärtigen "Fallstricken, über die jeder Neuling in diesem Geschäft gestolpert wäre."

Dieter Burmester dagegen, von Haus aus Autohändler, ist Anhänger der "Anschluss-Theorie." "Dynamo hat dieselben Probleme gehabt wie all die Ost-Betriebe, die sich auf einmal mit der westlichen Konkurrenz auseinandersetzen mussten", referiert er. Es habe "keine Schonzeit" für die Sachsen gegeben, "wir sind ins Wasser geworfen worden und mussten sofort losrudern." Burmester, gebürtiger Bremer und letzter Dynamo-Interimspräsident, muss es wissen. Hat er doch seine Zelte gleich nach der Einheit an die Elbe verlegt und sich den eben aus der Oberliga in die 1. Bundesliga beförderten Dynamos als Sponsor angedient. 

"Damals", erzählt der "Wahlsachse" mit dem nasal gesnackten "R" der Norddeutschen, "hatten wir hier 84 hauptamtliche Klubmitarbeiter, 84!" Ahnung von Buchhaltung, Vertragsgestaltung und Management hatte keiner - folglich schlug die Stunde der "Berater." Im Ergebnis wurde*da mal eine Vertragsklausel "vergessen" wie beim Matthias-Sammer-Verkauf an Stuttgart. Dort mal Geld zum Fenster herausgeworfen, wie beim Stadionumbau, für den Dynamo Millionen blechte, obwohl das Stadion der Stadt gehört. 

Schlechte Spieler

Schlechte Spieler wie der Leverkusener Page wurden für gutes Geld teuer gekauft, worüber sich die Insider bei den Westklubs vor Lachen immer noch die Bäuche halten. Das Sagen im Verein hatte die Gruppe um den schütterhaarigen Wolf-Rüdiger Ziegenbalg, einen in Radeberg beheimateten Rundfunkhändler, der "immer den besten Willen" hatte, aber schon mal mit der Einsicht kokettiert, dass "ich wohl ein bisschen zur Selbstdarstellung neige." Unter Selbstdarsteller Ziegenbalg, einem eifrigen Amateur im Profi-Geschäft, war der große Wurf gelungen: Spielen in der Bundesliga. Aber Bundesliga, die Ernüchterung folgte auf dem Fuße, ist kein Spiel.


Schon kurz nach Saisonbeginn '91 steht "Boards & Sports", die Hamburger Werbeagentur, die alle Vermarktungsrechte an Dynamo hält, vor dem Konkurs. Fieberhaft macht sich das Präsidium auf die Suche nach neuen Geldgebern. Fündig allerdings wird ein anderer. Dynamo-Geschäftsführer Manfred Kluge, ein fülliger, gamsbärtiger Mensch mit Geschäftssinn und dem Blick für Gelegenheiten, nimmt Kontakt zum Saarbrücker Werbemann Georg Rebmann auf und überredet diesen, mit seiner Firma "Sorad" neuer Partner von Dynamo zu werden. Wolf-Rüdiger Ziegenbalg, seitdem nach eigener Ansicht "um etliche Illusionen ärmer geworden", unterschreibt die Verträge 14 Tage später, "weil die Frage stand: Sorad oder Pleite." Sorad hilft Dynamo mit einem 2,5 Millionen-Darlehen aus dem Gröbsten, der Klub scheint gerettet. Der Preis dafür ist die knebelvertraglich besiegelte Umarmung Rebmanns, der nur "das Beste für beide Seiten" will. Und fortan 40 Prozent aller Dynamo-Einnahmen einstreicht.


"Belege in Kartons gestapelt"



Das Loch in der Kasse des letzten ostdeutschen Erstligisten wird nun täglich um rund 30 000 Mark größer, "ganz einfach weil", erklärt Ziegenbalg, "mehr Geld 'rausging, als 'reinkam." "Aber die Zustände in der Buchführung", schimpft Dieter Burmester, "waren so katastrophal, daß das gar keiner gemerkt hat." Solange Geld da war, wurde auch welches ausgegeben. 


Burmester schildert die Zustände in der Geschäftsstelle: "Keine Nachweisführung, dafür Belege in Kartons gestapelt; marode Finanzen, über die aber keine konkrete Übersicht." Der Sessel von Wolf-Rüdiger Ziegenbalg wackelt nun bereits beträchtlich. Aber noch einmal setzt sich der "Ursachse" durch: "Wir Sachsen brauchen keine Wessi-Hilfe", kreiert er einen neuen Dynamo-Leitspruch, der den selbstverliebten sächsischen Fans, die sich ohnehin beständig von West-Schiedsrichtern und West-Funktionären benachteiligt fühlen, runtergeht wie Öl. 

Statt des importierten Helmut Schulte, dem das "Dresdner Umfeld nicht gefällt", entert Ex-Trainer und Ex-Manager Klaus Sammer die Bank. Reinhard Hafner, der die Dynamos in die Bundesliga trainiert hatte, dann aber für den Hamburger Schulte Platz machen musste, "weil wir jetzt einen erfahrenen Mann auf der Bank brauchen" (Ziegenbalg), besteigt den Managerstuhl. Die "sächsische Lösung", der Not gehorchend von Ziegenbalg in "schlaflosen Nächten" ausgebrütet, findet den Beifall der Fans. Und die Fußballwelt in Dresden ist wieder in Ordnung, auch wenn keines der wirklichen Probleme gelöst ist.


Otto heizt den Ofen



Rolf-Jürgen Otto, von humorig veranlagten Sachsen in Umkehrung seiner Initialien auch zynisch "J. R." genannt wie das Ekel aus der Fernsehserie "Dallas", hat Dynamo Dresden seitdem immer mal wieder gerettet. "Hätte der nicht dann und wann mal was in die Tüte gepackt", bestätigt Burmester, "wäre der Ofen lange aus." Rolf-Jürgen Otto ist in Dresden dennoch so unbeliebt wie kein zweiter. Ein kleiner, feister Mann mit Doppelkinn und beginnender Wirbelglatze ist der Frankfurter Bauunternehmer, der das "Hauptaugenmerk meiner Geschäftstätigkeit" vor zwei Jahren nach Sachsen verlegt hat und dort "Millionen investiert."


Otto, der in Dresden den Architekten Walter Hoff kennenlernt, hat ein "großes Fußballherz." Früher sponsorte er Tischtennisvereine und hielt Rennpferde, versuchte sich auch mal beim hessischen Oberligisten Neu-Isenburg, als aber der Aufstieg nicht gelang, gab Rolf Otto, damals noch ohne "Jürgen", sein Mäzenatentum auf. Erst in Dresden kam die Liebe zur schönsten Nebensache der Welt wieder über den 52-Jährigen. Mit ihm, dem millionenschweren Unternehmer, tritt Mitte vergangenen Jahres ein neuer, schwergewichtiger Mitspieler auf die umkämpfte Dynamo-Bühne.


Umkämpfte Bühne


Ziegenbalg ist als Schuldiger am Schlamassel um die Klubfinanzen ausgemacht. Der Radeberger soll gehen. An seine Stelle soll Walter Hoff, Ottos Busenund Geschäftsfreund, treten. Aber obgleich Hoff, ein langhaariger Playboytyp, als Morgengabe für den Fall seiner Wahl einen auf anderthalb Millionen dotierten Otto-Scheck vorweisen kann, fällt der Ludwigsburger Präsidentenimport bei den Sachsen durch. Der geschickte Taktierer Ziegenbalg, ganz auf seinen Ost-Bonus setzend, bleibt Chef im Verein, in dem die wahre Macht allerdings längst Sorad-Chef Rebmann in Händen hält.


Burmester und der aus Süddeutschland stammende Georg Schauz rücken nunmehr fest ins Präsidium. Unter diesem Trio wird der Verein, der nach dem Versuch, die Sorad-Verträge einseitig zu kündigen, "nahezu handlungsunfähig" ist, mehrmals vom ehemals für Sorad tätigen Wirtschaftsprüfer Walter Knief durchleuchtet. Dessen Fazit: "Der Stand des Vereines ist in höchstem Maße gefährdet, der Konkurs droht." Im Streit zwischen Ziegenbalg, dem "Totengräber des Vereins" (Freundeskreis), und Sorad-Chef Rebmann schlägt sich Otto im Dezember dennoch überraschend auf die Seite des Dynamo-Präsidenten. 

Das allerdings nur, um die Brocken acht Tage später mit dem Hinweis, Dynamo sei "ein Faß ohne Boden", wieder hinzuschmeißen. Erst solle Ziegenbalg gehen, dann wolle er, Otto, auch wieder Geld lockermachen. Ziegenbalg weigert sich. Nun überschlagen sich die Ereignisse. Rebmann droht mit Schadenersatzforderungen in Höhe von 15 Millionen und Pfändung der Vereinskasse. Otto winkt mit Millionen, rückt aber keinen Pfennig heraus. Erst ein neues Gutachten von Knief gibt den Ausschlag - Silvester tritt der gestresste Ziegenbalg, der sich "nach wie vor unschuldig" fühlt und verschlungenen Verschwörungstheorien nachhängt, ab. Burmester übernimmt kommissarisch, aber, wie er sagt "ohne weitere Ambitionen." Eine Provinzposse.


Da Geschichte sich, wenn überhaupt, dann als Farce wiederholt, findet der vorerst letzte Akt im Dresdner Drunter und Drüber passenderweise im großen Saal des Hygienemuseum statt. Nach dem Rücktritt von Wolf-Rüdiger Ziegenbalg hat sich eine neue Koalition gebildet: Die Otto-Gruppe geht jetzt mit dem Rumpfpräsidium Burmester zusammen.


Der "Freundeskreis", die ehemalige "offizielle" Opposition im Verein, hat sich nach Herzattacken und Kreislaufschwächen ihrer Führungspersönlichkeiten aufgelöst. Neugegründet dagegen hat sich das "Rettungsgremium", dessen Mitglieder - darunter Opernsänger Gunter Emmerlich, Sachsens Innenminister Eggert und andere Prominente - eine "sächsische Lösung" für Dynamo suchen, aber lange nichts als kämpferische Parolen vorzubringen imstande sind.


Die Gegenseite


Dagegen ist die Aufgabenverteilung auf der Gegenseite klar: Autohändler Burmester und sein Copilot Georg Schauz, ein Elan versprühender Endzwanziger, der mit Vorliebe bayrische Trachtenjakketts trägt, bereiten die Wahlversammlung vor, auf der Rolf-Jürgen Otto zum neuen Dynamo-Präsidenten gekürt werden soll. Otto revanciert sich dafür mit zwei Plätzen in seiner "Regierungsmannschaft." Weitere Rollen sind mit Dynamo; Anwalt Christoph Schickhardt, wie Hoff aus Ludwigsburg stammend und dem Otto/Hoff-Imperium verbunden, und Peter Knief, dem Hamburger Wirtschaftsprüfer, besetzt. Schickhardt ist von der Regie als Veranstaltungsleiter vorgesehen, Knief hält den Bericht des unabhängigen Wirtschaftsprüfers, in dem gesagt wird, daß es schlechter als schlecht steht und „der Verein Montag morgen zum Konkursrichter gehen muß, wenn die Mitglieder nicht jemanden wählen, der für die dringendsten Verbindlichkeiten in Höhe von rund fünf Millionen Mark geradesteht."

Für's Geradestehen kommt nurmehr einer in Frage: Otto, von seinem Clan umlagert, hockt pausbäckig in der ersten Reihe und beobachtet zufrieden, wie Burmester, Schickhardt und Knief für ihn Wahlkampf machen. Für Burmester ist er der „einzige akzeptable Kandidat, der das mitbringt, was wir brauchen: Geld und Abmachungen mit Herrn Rebmann, um die Knebelverträge zu lösen oder nachzubessern." Burmester warnt die knapp 600 Dynamo-Mitglieder im Saal: „Jeder, der sich hier heute abend versündigt, macht sich zum Totengräber des Klubs."


Totengräber des Klubs


Knief bekräftigt die Worte des Interimspräsidenten: „Heute ist nicht der Tag, über die Vergangenheit zu diskutieren, heute ist der Tag, über die Zukunft zu entscheiden." Und Zukunft, soviel hat unterdessen auch der letzte im Saal begriffen, heißt bei Dynamo Otto.

Die alten Männer auf der Seitentribüne aber zürnen. „Sturmreif schießen nenne ich sowas", nörgelt der schmerbäuchige Ex-Halblinke Rolf Hecker verachtungsvoll. Man könne seinetwegen auch „Erpressung" dazu sagen. Falk Reinhardt, Dynamo-Nachwuchsschiedsrichter und „Mitglied seit Anfang der Siebziger", ärgert sich, „daß nur Hanseaten, Hessen und Bayern da unten 'rumsitzen, als Sachse verstehst Du ja kein Wort von derem Gequatsche!"


Die Sachsen sind eigen


Ausgerechnet da sind die Sachsen eigen: Einerseits tragen sie ihrem Premier Biedenkopf ausdauernd nach, daß er „sich noch nie auf dem Platz hat blicken lassen" (Reinhard), andererseits ist ihnen Otto, der auch nach zwei Jahren Ostengagement noch im Hotel lebende Hesse mit dem zum „Seh" umgeschliffenen „S" und der Liebe zu Dynamo, auch bloß suspekt. Daß der letzte Ostverein künftig von „zwielichtigen Zugereisten" (Fankneipier Wolfgang Bellmann) geführt werden könnte, berührt die sensibelsten Empfindlichkeiten der Alteingesessenen. Darauf angesprochen, fallen sie ins Philosophieren. Dynamo, das sei ein Stück sächsische Lebensart. 


Ein Glaube. Eine Lebenseinstellung. "Eine Religion. Hekker und seine Freunde sitzen seit 30 Jahren jedes Wochenende auf der Tribüne - Einmischung „von Leud'n, die uns goar ni' verstehn gönn, gönn mir hier goar ni' gebrauch'n", schimpfen sie. Otto hat zwar die Millionen und dazu die Stirn, sich in einer von Wutanfällen unterbrochenen Rede als „verliebt in den hiesigen Menschenschlag" und als „einer von euch Sachsen" zu bezeichnen."

Aber die wachsamen Dynamo-Fans hören doch nur heraus, „dass da eener unseren Verein koofen will, dem jedes Mittel recht ist." Das wird klar, als sich Ex-Präsident Ziegenbalg zu Wort meldet. Er, so der Ex-Präsident, wolle zu den Ursachen der jetzigen Situation sprechen, „um die künftige Vereinsführung zu warnen". Unruhe im Präsidium. Schickhardt, dem jede Abweichung von der Tagungsregie körperliche Schmerzen zu bereiten scheint, lehnt ab.

Ziegenbalgs Antrag wird nicht abgestimmt. Ziegenbalg, beantragt Otto-Intimus Hoff, solle nach erfolgter Wahl unter Punkt 10/Sonstiges, zu Wort kommen. Darüber läßt Schickhardt eilig abstimmen. Hoffs Antrag wird abgelehnt. Im Saal wird vielstimmig gebrüllt: ,;Antrag! Antrag! Ziegenbalg soll reden!" Die Szenerie erinnert an die letzten Tage im Parlament der verendenden DDR. Schickhardt schafft es irgendwie, diesmal nicht abstimmen zu lassen. „Fünf Minuten gebe ich Ihnen, Herr Ziegenbalg", sagt er stattdessen. Der Expräsidenten jedoch sieht sich außerstande „drei Jahre Präsidentenzeit in fünf Minuten abzuhandeln."

Das wiederum tut Schickhardt leid. Aufatmen im Präsidium. Ziegenbalg geht. Tumult im Saal. Eine Traube von Mitgliedern folgt dem Ex-Präsidenten. Nur links vorn wird die Rückkehr zur Tagesordnung beklatscht. „Da sitzt die KKH", klärt Theo Stahlschmid, ein nach der Wende aus Stuttgart zurückgekehrter gebürtiger Sachse, die zahlreichen Journalisten beim Bier in der nun restlos überfüllten Pausenbar bereitwillig auf, „weil ich es unmöglich finde, wie hier 500 Ostler von fünf Westlern über den Tisch gezogen werden."

350 neue Mitglieder hat das Präsidium Dynamo Dresdens seit dem Rücktritt von Ziegenbalg aufgenommen - darunter auch „fast die komplette KKH-Belegschaft", wie Ziegenbalg weiß.

Schwelende Liebe entdeckt


Nicht um Fußball geht es hier, sondern um Macht und um Pfründe. Georg Schauz, Ottos Kandidat für den Posten des Schatzmeisters, kommt von der KKH. Das ist nicht alles: Auch ein Gutteil von Ottos 600 sächsischen Bauarbeitern soll in den letzten Wochen vor der Entscheidungsschlacht ihre schwelende Liebe zu Dynamo entdeckt und einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt haben. Und: Peter Vogt, von Schickhardt in die Wahlkommission berufen, ist Verkäufer im Autohaus Burmester. Und: Hans-Jürgen Behr, der „Alibi-Sachse" (Freundeskreis-Anwalt von Kummer) in Ottos Regierungsmannschaft, ist Bürgermeister ausgerechnet in Weißig, dem Ort, in dem Bau-,
löwe Otto die Hälfte des Grund und Bodens gekauft hat, um Millionen zu investieren.

Nein, Rolf-Jürgen Otto hat nichts dem Zufall überlassen. „Was hier läuft, ist eine Farce", winkt Hansi Kreische, einer aus der Dynamo-Traummannschaft der siebziger Jahre, der heute die Dynamo-Amateure trainiert, beim Pausenbier im Foyer mutlos ab. Kreische, wie Ex-Stürmerkollege Ralf Minge stiller Unterstützer der vom Rettungskomitee mit Hilfe der Stadt bis zur letzten Sekunde betriebenen „sächsischen Lösung", sieht enttäuscht aus, weil er sich „unter Demokratie doch etwas anderes vorgestellt"' hatte als daß „die Leute mit Geld und Winkeladvokatenmethoden gezwungen werden, irgendwas zu tun, was ihnen eigentlich gegen den Strich geht." 


Aber „eins wirst Du noch sehen, Hansi", fällt ihm die 72jährige Dynamo-Trainerlegende Walter Fritzsch da vom Nachbartisch tröstend ins Wort, „solche wie der Otto kommen und gehen, Dynamo Dresden aber bleibt."

Montag, 12. Oktober 2015

Borussia als Buch: Literaten begegnen der Lei­den­schaft

Zwei Dutzend Schriftsteller aus der Autoren-Nationalmannschaft haben die desaströse letzte Saison von Borussia Dortmund begleitet.

Dramatisch war sie, historisch einmalig. Mit glimpflichem Ende. Aber alles in allem katastrophal, die letzte Saison des Dortmunder Fußballvereins Borussia. Aber all das konnte Moritz Rinke nicht wissen, als er die Idee hatte, zwei Dutzend Schriftstellerkollegen aus der Autoren-Nationalmannschaft zu bitten, den Fußballbundesligisten über ein Jahr lang zu begleiten. Ziel des Unternehmens sollte es sein, sich dem Phänomen BVB literarisch zu nähern, das gelb-schwarze Emotionszentrum des deutschen Fußballs zu erkunden und zu erklären.

Dass das daraus entstandene 240-Seiten-Buch "Man muss ein Spiel auch lesen können" nun ausgerechnet aus dem Jahr erzählt, in dem die Macht von der Ruhr wackelte und wankte wie lange nicht, ist in der gedachten Konstellation von Vorteil. Keinen aalglatten Siegeszug beschreiben Autoren wie Joachim Król, Monika Marion und Thomas Brussig. Sondern ein verwirrtes Suchen um festen Stand, ein Ringen um Selbstverständlichkeiten, einen Überlebenskampf, den Luxuskicker führen müssen, die für gewöhnlich um Titel und nicht gegen den Abstieg spielen.


Ein Dramolett in 26 Akten hat das Tagebuch des Schreckensjahres so werden müssen - aber wie hübsch haben es die zu den Heimspielen herbeigereisten Autoren aus der ganzen Republik angerichtet! Alle Genre finden sich bedient, von der Reportage über die Reflektion bis hin zum Großgedicht "In der Wand". Und alle Register feiern den BVB als ein Ding, das weit mehr ist als ein Fußballverein.

Familie. Heimat. Krimi. Thriller. Erbe. Ausdruck einer Massenpsychose. Der erliegen auch die Literaten, obgleich sie von Haus aus größtenteils Fans ganz anderer Klubs sind. Doch die Anwesenheit im Westfalenstadion, obschon es heute technokratisch "Iduna-Nova-Park" heißt, verwandelt die argwöhnischen Skeptiker wie die neugierigen Novizen in Gläubigem, deren Notate die Wunderkraft des BVB selbst als wankende Fußball-Supermacht bezeugen.

Ist es so? Oder spielt hier eine Rolle, dass der <>-Sponsor Eon sich seine Unterstützung des Auswärtspieles der Autorenmannschaft sicher nur ungern mit Meckertexten über Fußballmillionäre und Champions-League-Gigantomanie hätte vergelten lassen?
Dahingestellt. Gerade weil die Seuchensaison des <>, die mit dem Abschied von Traineridol Jürgen Klopp enden wird, keinen Platz für eindimensionale Siegeshymnen ließ, wirkt "Man muss das Spiel auch lesen können" alles in allem authentisch, obwohl es naturgemäß Partei ergreift. Der mit dem letzten Spiel geschiedene Spieler Sebastian Kehl, ein Borusse bis ins schwarz-gelbe Knochenmark, lobt denn in seinem Nachwort auch uneingeschränkt: "Es ist keine einfache Chronik, sondern eine kleine Liebeserklärung."


Montag, 28. Juli 2014

Sportwetten in Sachsen-Anhalt: Das verbotene Spiel

"Coming soon", verspricht das Schaufenster, "laufen Sie sich schon mal warm!" Mitten in der Innenstadt von Halle soll ein Wettbüro eröffnen, gelegen neben zwei Spielcasinos, die ganz öffentlich damit werben, auch als Wettannahmestelle zu fungieren. Nicht weit entfernt arbeitet schon das nächste Wettbüro, Bet-Lounge steht metergroß über dem Eingang.

Sachsen-Anhalt mausert sich zum Glücksspielparadies - und das nur drei Jahre nach der Einigung der Ministerpräsidenten der Länder auf die Eckpunkte eines neuen Staatsvertrags für Glücksspiele, die federführend in Magdeburg erarbeitet worden waren. Schon ein Jahr später, hieß es damals, sollten bundesweite Konzessionen für Sportwetten-Anbieter vergeben werden. Anbieter, die mitmachen wollten, müssten 16,66 Prozent aller Spieleinsätze an den Staat abgeben. Dafür würden dieser die Wettunternehmer nicht mehr kriminalisieren und verfolgen.

Es schien das Ende einer Posse zu werden, die mehr als zehn Jahre lang gespielt worden war. Mit teilweise absurden Folgen: So wurde dem Fußball-Bundesligisten Werder Bremen nach einem Freundschaftsspiel in Magdeburg ein Bußgeldbescheid zugestellt, weil die Spieler auf ihren Trikots für einen Glücksspielanbieter geworben hatten. Das Innenministerium forderte die Staatsanwälte des Landes sogar auf, wegen des Verdachts der Werbung für illegales Glücksspiel zu ermitteln. Der damalige Wirtschaftsminister und heutige Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) fuhr eine harte Linie: Wer aus Sachsen-Anhalt heraus an Sportwetten teilnehme, dem drohten Ermittlungen des Landeskriminalamtes. Zudem werde das Land "technische Maßnahmen" ergreifen, "um den Zugang zu Glücksspielseiten im Internet für das Gebiet des Landes zu unterbinden", kündigte er damals an.

Ein Plan, der mangels Realisierungsmöglichkeit nicht umgesetzt wurde. Stattdessen zwang der Europäische Gerichtshof in Straßburg die Bundesländer dazu, die bestehenden Verträge an die geltende europäische Rechtslage anzupassen. Danach kann einem Wettanbieter, der in einem EU-Land eine staatliche Lizenz besitzt, von keinem anderen EU-Land verboten werden, seine Wetten europaweit anzubieten. Für die Fußball-EM vor zwei Jahren kam die Klarstellung allerdings zu spät. Es gelte "im Wesentlichen noch die alte Rechtslage", teilte das Innenministerium in Magdeburg seinerzeit mit. Kurz vor der WM in Brasilien, die Sportwettenanbietern auch in Sachsen-Anhalt wieder prächtige Geschäfte bescheren wird, gilt formal dasselbe. "In Sachsen-Anhalt ist derzeit nur das Oddset-Sportwettenangebot der hiesigen Lotto/Toto-Gesellschaft erlaubt und damit legal", erklärt Ministeriumssprecherin Anke Reppin. Der Vertrieb dürfte daher "ausschließlich über die mit der Gesellschaft verbundenen Annahmestellen erfolgen".


Dürfte, wäre die Realität nicht eine ganz andere. Längst schon dominieren Wettanbieter als Werbepartner der Bundesliga. 15 der 18 Erstliga-Vereine hatten letzte Saison einen Sponsorenvertrag mit einem Wettanbieter abgeschlossen. Zehn von ihnen - darunter Bayern München und Schalke 04 - kassieren von nicht-staatlichen Firmen, die nach der Lesart des Magdeburger Innenministerium illegal sind.

Doch auch in Magdeburg weiß man, dass "Oddset ein Übergangs- und Auslaufmodell ist", wie Anke Reppin zugibt. Mit dem geänderten Glücksspielstaatsvertrag bestehen eigentlich längst die rechtlichen Voraussetzungen, um bis zu 20 Konzessionen für Sportwettenanbieter zu vergeben.


Allerdings geht es hier seit Monaten nicht voran: "Das vom zuständigen Bundesland Hessen geführte Vergabeverfahren gestaltet sich langwierig, so dass bis heute keine vergeben wurden", erklärt Reppin. Das bedeute, dass es in Sachsen-Anhalt keine sogenannten "erlaubt tätigen Wettanbieter" neben dem staatlichen Dienst Oddset gebe. Auch wenn der Augenschein in den Städten anderes erzählt.

Für Wolfram Kessler vom Wettanbieter Tipico ist das ein andauerndes Ärgernis. Seit 2004 besitze seine Firma eine gültige Lizenz aus Malta, die es Tipico erlaube, europaweit Sportwetten anzubieten. Zudem habe man eine Lizenz aus Schleswig-Holstein, das vorübergehend ein liberaleres Glücksspielrecht hatte als die anderen Bundesländer. "Aber wir wollen dennoch eine zusätzliche Lizenz in Deutschland haben", sagt der Chef der Rechtsabteilung des Unternehmens, das in Deutschland Marktführer ist und den früheren Nationaltorhüter Oliver Kahn als Markenbotschafter verpflichtet hat. 


850 Shops bundesweit bieten derzeit Tipico-Sportwetten an, rund eine Milliarde Wettscheine verarbeitet das Unternehmen im Jahr. "Wir haben vergangenes Jahr fast 88 Millionen Euro Steuern allein in Deutschland gezahlt", rechnet Wolfram Kessler vor. Insgesamt werden mit legalen Sportwetten hierzulande rund neun Milliarden Euro umgesetzt - gerade zu Großereignissen wie der Fußballweltmeisterschaft boomt die Nachfrage. "Wir hätten es deshalb gern gesehen, wenn die Konzessionsvergabe vor der WM über die Bühne gegangen wäre", sagt Kessler. 


Ist sie aber nicht. Dadurch agieren Anbieter derzeit quasi im rechtsfreien Raum. "Wenn die Behörden Kenntnis von unerlaubt tätigen Sportwettenanbietern erhalten, wird dagegen vorgegangen", stellt das Innenministerium in Magdeburg klar. In Halle sei es so zum Beispiel gelungen, zwei Annahmestellen für Sportwetten zu schließen. Gerichtsfest, wie Anke Reppin betont. Zuletzt hatte aber das Oberlandesgericht Naumburg entschieden, dass ein britisches Unternehmen auch ohne gültige deutsche Konzession weiter in Sachsen-Anhalt Sportwetten anbieten darf. 

Für Wolfram Kessler ein Zustand, der dauerhaft unhaltbar ist. Der Tipico-Vorstand verweist darauf, dass sein Unternehmen Spieler vor Glücksspielsucht schütze und in Deutschland Steuern zahle. "Der Verfolgungsdruck, der mancherorts ausgeübt wird, ist unangebracht." Es sei besser, wenn Firmen wie seine Wetten anböten als wenn das Firmen aus der Grauzone täten, wie es im Augenblick der Fall ist, argumentiert er.
Doch während die Behörden in anderen Bundesländern die Eröffnung von Wettshops seriöser Anbieter wie Tipico mittlerweile duldeten, verschließe Sachsen-Anhalt die Augen vor der Tatsache, "dass sowieso gewettet wird - legal oder eben illegal". Hier beharrten die Behörden darauf, dass erst bundesweite Lizenzen vergeben und dann Wettshops eröffnet werden dürften - wann auch immer es soweit ist. 


So haben Wettfreunde in Thüringen, Sachsen, Bayern, Berlin, Hamburg oder Hessen nun zur WM die Möglichkeit, legal auf deutsche Siege oder Niederlagen zu wetten. In Sachsen-Anhalt können Interessierte sich dagegen nur Schilder in den Schaufenstern künftiger Wettshops anschauen, die baldige Besserung versprechen.