Donnerstag, 21. April 2016

Suddenly Human: Große Fragen in großen Hymnen



Kleine Stadt, großer Wurf - die hallesche Band Suddenly Human und ihr Debüt-Album „Elements on changing ways“

Kein Album in der Tasche, aber auf England-Tournee gehen, so etwa funktioniert die hallesche Band Suddenly Human. Über ihr Tour-Abenteuer auf der Insel haben Sänger Philipp Saaler, Gitarrist Hannes Kiesewetter, Basser Konstantin Brandt und Trommler Kurt Thomas Noack einen Film gedreht, den sie nach einem Motiv von Georg-Friedrich Händel „The trumpet shall sound“ genannt haben. Ein Road-Movie mit Musik und Stromausfall und Erbsen vom Notkocher, das nach Wurzeln sucht, von Abenteuern berichtet und von einer Band erzählt, die es ernst meint.

Das ist auch die Botschaft von „Elements on changing ways“, dem Debütalbum der Hallenser, das nun ein Jahr nach der Tour-Doku erscheint. Mit dem Anspruch, „etwas Bleibendes zu kreieren und dabei sehnsuchtsvolle Wirklichkeit mit pittoresker Alltäglichkeit zu vereinen“, wie die Band selbst sagt. Ehe sie daran geht, ihn in zwölf Stücken zwischen klassischem Rock, himmelsstürmender U2-Hymne und Britpop einzulösen.

Vom Opener „I’ve seen the lanterns“ drehen die vier Hallenser das ganz große Rad. Chöre, Rhythmuswechsel, Echo, übereinandergeschichtete Tonspuren - Produzent Jürgen Block, der schon mit Keimzeit und City gearbeitet hat, lässt die Newcomer von der Saale mal klingen wie die Strokes, mal winken Interpol aus der Kulisse, mal grüßen Muse und Placebo von fern. Klein und bescheiden können andere, in Songs wie „Horus“ und „Artefacts“ geht es in assoziativen Texten um den Menschen und die Welt, den Sinn des Lebens und die Angst vor dem Tod.

„Suddenly Human“ heißt „plötzlich menschlich“, ist aber keine Parole, sondern der Titel einer Star-Trek-Episode, in der die Enterprise-Besatzung einem von Aliens aufgezogenen Menschenjungen sanft klarmachen muss, dass er in Wirklichkeit kein Talarianer ist.

Das passt. Wenn Philipp Saaler in „Ink-World“ die Stimme kippen lässt, während die Musik immer schneller zu werden scheint, entwickelt „Elements“ einen Sog, wie ihn Alben der Isländer Sigur Rós in der Regel erzeugen: Die Akkorde drehen sich, es wird laut und leise, der Sänger flüstert und dann schreit er. Die Gitarren tosen und es ist nicht mehr das einzelne Wort, das beim Hörer ankommt. Sondern eine Atmosphäre und ein Gesamtgefühl, das keinen Gegenstand mehr hat, sondern nur noch die Töne, den Sound, die Musik.

Die wird später zuweilen zickig, das Hymnenhafte geht ihr in „Welcome to the sanatorium“ ganz ab. Dafür aber entpuppt sich der Song über die „Vita 31“ als perfekter Gegenentwurf zum idyllischen „Hotel California“ der Eagles. Keine Akustik-Gitarren, dafür Police-Riffs. Keine falsche Hoffnung, für niemanden. Aber zum Glück ist das kalte Buffet eröffnet.

Ein frappierendes Album, das vor Ideen sprüht und dem Hörer trotzdem Platz für Fantasie lässt. Wer das irgendwann in seiner Karriere hinbekommt, hat alles richtig gemacht. Wer es auf seinem Debütalbum vollbringt, könnte wie weiland Händel nach England gehen.

www.suddenlyhuman.com
facebook.com/suddenlyhuman

Mittwoch, 6. April 2016

Iggy Pop: Tanz die De­pres­sion


Mit einem kühlen Album voller karger Rocksongs meldet sich der 68-jährige Rock 'n' Roll-Wüterich Iggy Pop zurück - begleitet von Wüstenrocker Josh Homme.

Jetzt, wo sein Freund David Bowie tot ist, ist es irgendwie an Iggy Pop zu klingen wie David Bowie. Kann er, immer noch! Die ganzen kleinen Soundfitzelchen sind da auf "Post Pop Depression", dem 19. Soloalbum des "Godfather of Punk" seit 1977. Die wackelnde Stimme, die zickigen Gitarren, das Umsichkreisen der Melodie, Bowie hätte es nicht besser hinbekommen können.

Pop, dessen bürgerlichen Namen James Osterberg niemand mehr erinnert, hat aber auch lange auf dieses Album gespart. Vier Jahre kam nichts Neues aus der Werkstatt des einstigen Rock-Berserkers, den die Branche für abgeschrieben hielt.

Dann aber kam Josh Homme, der Erfinder des Stoner Rock und Begründer wie Chef der Queens of the Stone Age, den Pop per SMS kontaktiert hatte. "Hey, es wäre toll, wenn wir irgendwann mal zusammen was schreiben könnten", schrieb der legendäre Sänger dem legendären Hardrock-Gitarristen. Und irgendwie passierte es dann wirklich - ohne Plan und Plattenfirma spielten die beiden gemeinsam mit Dean Fertita (Queens of the Stone Age) und Matt Helders, dem Schlagzeuger der Arctic Monkeys, neun Songs ein, mit denen sich Iggy Pop auf der großen Rock-Bühne zurückmeldet.

Das liegt vor allem daran, dass ihm hier weder Selbstironie noch Selbstmitleid in die Quere kommen. "I'm gonna break into your heart", singt er gleich am Anfang, und auch noch dass er unter ihre Haut kriechen möchte. Iggy Pop, zu Beginn seiner Karriere mit den Stooges eine Naturgewalt, später aber immer mehr und immer häufiger zu einer Art Abziehbild seiner selbst geschrumpft, will ernstgenommen werden - und wie es Johnny Cash mit Hilfe von Rick Rubin gelang, glückt es ihm hier mit Unterstützung von Josh Homme.

Der zieht die Fäden im Hintergrund und bestimmt den Sound. Der aber ist keineswegs derselbe wie bei seinen Queens oder dem Supergroup-Nebenprojekt Them Crooked Vultures. Für den um ein Vierteljahrhundert älteren Iggy Pop schneidert Homme ein karges, rockiges Grundgerüst aus Klängen, die immer wieder Pops Freund, Partner und Idol Bowie belehnen. Kein Salongesäusel mehr wie auf "Préliminaires", dem letzten richtigen Solo-Album vor fast sieben Jahren. Aber auch keine ausgestellte Wurzelpflege mit nachgebautem Ur-Punk im Stooges-Stil.

Stücke wie die bettelnde Liebesgeschichte "Gardenia" oder das voller Fragen steckende "American Valhalla" klingen ähnlich sehnig und muskulös wie Pop immer noch aussieht. Keine Ruhe, nirgends. "I've shot my gun / I've used my knife / this hasn't been an easy life", knarzt der Sänger, dessen Stimme noch nie eine der schönsten war, der sich dafür aber immer mit voller Wucht in seine Lieder geworfen hat.

In seiner "Post Pop Depression", der Titel darf durchaus vieldeutig interpretiert werden, ist kein Geschrei, hier sind auch die berühmten Glasscherben weit weg, es wird nicht gespuckt und kaum geflucht. Iggy Pop schaut zurück und sieht ein Scheitern, nicht nur bei sich selbst, sondern im Grunde bei allem, was seine Generation sich einst gewünscht hat. "Where is American Valhalla / death is the pill that's hard to swallow", singt er und "ich habe nichts / außer meinem Namen".

Da kokettiert der Barde natürlich nicht zu knapp, ebenso bei "German Days", das die gemeinsame Zeit mit Bowie in West-Berlin heraufzubeschwören scheint, dann aber in Wirklichkeit eher nicht nach Bahnhof Zoo der 1970er, sondern nach der 1920er Jahre-Wehmut klingt. Kein Grund, traurig zu sein, alles wird gut. "I'm gonna go heal myself now", singt Pop ganz zum Schluss und schiebt ein "Yeah" hinterher.

Donnerstag, 31. März 2016

Ohne Moos nix los

Es grünt so grün im Unterholz, vor allem auf der Ostseite des Naturschutzgebietes Peißnitz Nordspitze. Ohne Moos wäre hier gar nichts los.

Sonntag, 27. März 2016

Zweiter Weltkrieg: Bomben auf Halle

Es ist der 501. Fliegeralarm im Süden Sachsen-Anhalts seit Kriegsbeginn - und diesmal greifen 369 Fliegende Festungen wirklich an. Halle zu Ostern 1945, eine Stadt im beginnenden Frühling, eine Stadt im endenden Krieg: Das alte Rathaus wird teilweise zerstört, die Ratswaage beschädigt, am Hotel Goldene Kugel, den Hotels Europa, Weltkugel und Hohenzollernhof, dem Riebeck-Bräu und in der Beesener Straße explodieren Bomben. Auch das Kaufhaus Ritter in der Leipziger Straße wird schwer getroffen, während das eigentlich Ziel, der Bahnhof, auf dem immer noch Truppen und Material für die beiden Fronten umgeschlagen werden, keine Treffer erhält.

Die Stadt, über Jahre hinweg vor allem wegen der Siebel-Flugzeug-Werk ein Ziel alliierter Bomber, hoffte schon auf den Frieden. Und wird in jener Osternacht schwerer getroffen als je zuvor. Da hatten Briten und Amerikaner meist die Industriegebiete um Leuna, Buna, aber auch Bitterfeld und Zeitz als „first target“ anvisiert, wie es in den Mission-Protokollen etwa der 303rd Bomber Group heißt. Halle ist - wie auch Leipzig - meist „zweites Ziel“ und wird nur angeflogen, wenn die Wetterbedingungen oder starke Luftabwehr einen Angriff auf das primäre Ziel nicht zulassen.

Ziel Hauptbahnhof, vermerkt First Lieutenant Oliver Lee Bashor im Mission-Book seiner B-17, die die Mannschaft „Sweet LaRhonda“ nennt. Bashor stammt aus Loveland, einer Kleinstadt in Colorado, er fliegt seine 13. Mission, bisher hat er Glück gehabt: Obwohl die Besatzungen der B17-Bomber die höchste Verlustrate in allen Waffengattungen haben, sind bashor und seine Männer bisher davongekommen. „Abgesehen von zahlreichen Löchern durch Flakbeschuss keine größeren Beschädigungen“, heißt es in den Aufzeichnungen der Besatzung, „auch alle Crewmitglieder blieben unbeschadet“.

Verglichen mit früheren Einsätzen ist dieser Flug mit der Nummer 349 fast ein Spazierflug für die 359th Bomb Squadron, die Teile einer Operation ist, bei der insgesamt 1 348 Bomber und 889 Geleitschutzjäger der 8. Air Force die Raffinerie in Zeitz, Stendal. Salzwedel, Erfurt, Weimar und Aschersleben angreifen.

Sweet LaRhonda, Teil einer Einheit, die sich die „Hells Angels“ nennt, fliegt die Position „high Squadron, right side“ in der sogenannten Combat Box, einer eng zusammengezogenen Flugformation aus jeweils drei nebeneinander fliegenden Maschinen, die in je drei Schichten über anderen Dreiergruppen fliegen. Der Himmel ist klar mit hochliegenden weißen Wolken. „No enemy aircraft or flak“ schreibt Bashor.

Zeitzeugen aus Halle erinnern sich genau, wie das von unten aussah. Bereits Ende Februar hatten 314 amerikanische Bomber mit Hauptziel Bahnhof den Süden der Saalestadt angegriffen. Die Siebel-Werke, die bis in den letzten Monaten des Krieges am Überschall-Flugzeug DFS 346 arbeiten, um dem Führer womöglich doch noch eine Wunderwaffe zur Verfügung zu stellen, werden bei diesen Angriff bereits schwer getroffen. Die 8. Air Force verliert zwei B24-Bomber, ein Pilot wird getötet, 18 Männer gelten als nach der Heimkehr von Mission Nummer 851 auf den Stützpunkt im englischen Molesworth als „MIA“ - missed in action.

Am Boden bringen nahezu 200 schwere 500-Kilo-Bomben den bis dahin meist so fernen Krieg in die Wohnzimmer. In der Zwingerstraße Nummer 25 fällt eine Brandbombe mitten in eine Wohnung, erinnert sich eine 89-Jährige Hallenserin später. „Eine Freundin wohnte nebenan in der 26, die Familie hatte großes Glück.“ Oft seien Sprengkörper nicht explodiert. „Dann kamen Spezialisten, die sie entschärften“, beschreibt die Frau.

Das war aber nicht immer so in diesen letzten Kriegstagen, als die Verwaltung bereits eine Notverwaltung ist. In vielen Fällen werden Blindgänger einfach nicht entdeckt, weil überhaupt niemand nach ihnen sucht. „Überall waren viele Krater, lag Schutt. Da hat doch kein Mensch nach Bomben geguckt“, sagt die alteingesessene Hallenserin, die bei den Angriffen einen Onkel verlor.

Damals (links) und heute: Noch immer sind Bomben in der Erde.
Weil die Straßen weiter befahren werden müssen, werden Bombentrichter einfach zugeschüttet, ohne dass kontrolliert wird, was noch unter Schutt und Trümmern liegt. „Die Menschen hatten andere Probleme, man hat sich zuerst um die Menschen gekümmert, nicht um die Bomben.“ Ein Blindgänger von Ostern 1945 wird erst 66 Jahre später bei Bauarbeiten entdeckt werden - 2011 muss die gesamte südliche Innenstadt wegen des Fundes der 250-Kilo-Bombe in der Nähe des Elisabeth-Krankenhauses evakuiert werden.

Damals ist der Krieg zumindest für die Männer oben in den Flugzeugen Alltag. Der schwerste Angriff auf die größte Stadt in Sachsen-Anhalt, der zugleich auch die raffinerie in Zeitz trifft, ist für Staff Sergeant Bert M. Beals, der als Maschinengewehrschütze in einem Bomber am Angriff teilnimmt, reine Routine.

Beals, der schon 30 Flüge hinter sich hat, wird später in sein Tagebuch schreiben „nicht viel Flak am Ziel, nicht so viel, wie ich dachte“. Auch seine schwere B-24 „Liberator“ mit dem Namen „Sweat-N-Duck“ kehrt wohlbehalten zurück.