Sonntag, 18. Dezember 2016

Erfindung aus Halle: Abschied von ver­stimm­ten Gitarren



Das Teil, das eine Lösung für ein riesiges, weltweites und jahrhundertealtes Menschheitsproblem bringt, ist winzig. Wie eine Pfeilspitze geformt, flach und mit zwei kleinen Ecken am Ende, so sieht er aus, der String Butler, mit dem der Hallenser Sven Dietrich aufgebrochen ist, eine Frage zu beantworten, die Profi- wie Hobbymusikanten seit dem Mittelalter beschäftigt: Wie lässt sich verhindern, dass sich meine Gitarre unablässig verstimmt?

"Viele Gitarristen kennen das Problem, dass bestimmte Gitarrenmodelle sich während des Spielens immer wieder verstimmen", erzählt Dietrich, der in Halle ein Gitarrencafé betreibt und Gitarrenunterricht gibt. Als Gitarrist - früher etwa bei der Band Ragemachine - suchte er lange nach einer Lösung. Und fand sie mit dem String Butler.

"Etwa ein Jahr habe ich gebraucht, weil sich die Form immer noch etwas verändert hat", erzählt der Hallenser, der seine Erfindung auch in einem Video auf Youtube (oben) vorstellt. Dietrichs Idee ist denkbar einfach wie alle genialen Erfindungen: Der "String Butler" ist ein kleines Teil, das auf der Kopfplatte der Gitarre angebracht wird und die Saiten so umlenkt, dass sie gerade auf die Stimm-Mechaniken zulaufen. Die ersten Prototypen aus der halleschen Metallwerkstatt "Zone Light" bewiesen Dietrich zufolge, dass der String Butler bei vielen Gitarrenmodellen die Krankheit des schnellen Verstimmens heilt.

Die Idee aus Halle erobert inzwischen die Welt. Sven Dietrich hat Kunden nicht nur in Deutschland, sondern auch den USA, Kanada, Neuseeland und Singapur. Grund für ihn, beim Geldsammelportal Kickstarter eine Kampagne zu starten, die helfen soll, eine aus Acryl gefertigte Version des String Butler zu entwickeln. Rund die Hälfte der Finanzierung ist geschafft, knapp zwei Monate sind noch Zeit.

Direkt zum Erfinder geht es hier:
www.string-butler.com

Samstag, 17. Dezember 2016

Zu Besuch beim Vater von Fix und Fax


Sie waren die Antwort der DDR auf die beiden bunten Westfüchse Fix & Foxi, die seit 1953 als Schmuggelware auch in die DDR einsickerten: Fix und Fax waren zwei Mäuse in Ringelpulli und engen Hosen, die den frechen Füchsen aus München das Publikum abspenstig machen sollten.

Erfunden hatte sie der Berliner Grafiker Jürgen Kieser, der sich dazu bei einer Idee bediente, die sein Thüringer Kollege Fritz Koch-Gotha schon 1935 unter dem Titel „Fix und Fax: Eine lustige Mäusegeschichte“ veröffentlicht hatte. Dem Erfolg von Kiesers Mäusen bei den Kindern der DDR tat das keinen Abbruch.

In der Comiczeitschrift „Atze“ waren Fix und Fax die unumstrittenen Stars. Kein Wunder, denn obwohl auch die beiden Mäuse ihren Teil zur sozialistischen Erziehung der Jugend beitragen mussten, indem sie etwa mit Regulierstab und Feuerwehrhelm für Ordnung und Sicherheit warben, waren ihre zumeist dreiseitigen Abenteuer im Alltag, in der Steinzeit oder auf der Spur gefährlicher Diebe doch immer ein Quell des Vergnügens.

Kieser, am 20. August 1921 in Erkner bei Berlin geboren, hatte im Krieg bei der Luftwaffe gedient, war dann Landarbeiter in Westdeutschland gewesen und schließlich als Dekorationszeichner und Dekorateur bei der Handelskette HO gelandet. Anfang der 50er Jahre wechselte er als Pressezeichner zum Verlag Junge Welt und begann, für die Pionierzeitung „Trommel“, das bunte Kindermagazin „Frösi“ und die beliebte „Wochenpost“ zu zeichnen. Dem Comicheft „Atze“ spendierte er mit der Titelfigur auch den Namen, doch gelesen wurde die rund 550 000 mal verkaufte Zeitschrift weniger wegen der pädagogisch wertvollen Bildstrecken über die Oktoberrevolution als vielmehr wegen Kiesers Mäuse-Storys.

Die zeichnete der Mann, der inzwischen 95 Jahre alt ist, bis 1987 selbst. Dann übernahm sein Kollege Eugen Gliege, der bis 1991 für Nachschub sorgte. Seit der „Atze“ eingestellt wurde, sind die „lustigen Mäuseabenteuer“ (Untertitel) in zahlreichen Sammelbänden neu aufgelegt worden.


Freitag, 16. Dezember 2016

Stuart Adamson: In Feldern aus Feuer

Kurz vor Schluss war er noch einmal richtig glücklich. Stuart Adamson und seine Bandkollegen lagen sich in den Armen, das Publikum feierte sie begeistert, und immer wieder mussten sie die Gitarren umlegen und weiterspielen. Stuart Adamson, Kopf der schottischen Rockband Big Country, sang wie in besten Tagen: "Peace in our time", "Look away" und "Fields of fire". Die Fans im Leipziger "Anker" tobten, Adamson fand kaum Worte. "Als ob ich nach Hause komme", sagte er, etwas fülliger um die Hüften als früher, aber topfit, "und kein Platz auf der Welt ist wie zu Hause".


Gestorben aber ist der Mann aus Dunfermline eine halbe Welt weit weg von daheim. Sechs Wochen schon suchte die Polizei den 43-Jährigen, der sein Haus in Nashville am 7. November 2001 verlassen hatte, um "Sonntagmittag wieder da" zu sein, wie er seinem Sohn schrieb. Doch seit dem 15. November, an dem er in Atlanta gesehen wurde, fehlte dann jede Spur von dem charismatischen Gitarristen. Bis zum Sonntag: Da fanden die Ermittler den Kultstar, der mit seiner Band über zehn Millionen Platten verkaufte, im Plaza-Hotel auf Hawaii. Adamson, seit vielen Jahren alkoholabhängig und zuletzt im Oktober angetrunken im Auto erwischt, hatte sich erhängt.

Ein stiller Schlussakkord im Leben eines Künstlers, der in den 80ern mit Rockhymnen wie "The Storm" und seinem typischen Dudelsack-Gitarrensound Triumphe feierte. Big Country, dank sozial engagierter Alben wie "Steeltown" zur moralischen Rock-Fraktion gerechnet, waren die erste West-Rockband, die ein Konzert in Moskau gab. Sie kämpften gegen den Nato-Doppelbeschluss, traten bei Live-Aid auf und spendeten für Greenpeace.

Wenig später lud dann auch die DDR-Jugendorganisation FDJ die Schottenrocker ein. Ihr Konzert in Weißensee, zu dem rund 180 000 Menschen pilgerten, sollte das größte Rockereignis bleiben, das der Arbeiter- und Bauernstaat erlebte. Den Osten Deutschlands hat Adamson aber nicht nur deshalb besonders geliebt. "Hier erinnert mich vieles an Schottland", beschrieb er beim letzten Konzert der BC-Abschiedstour in Leipzig. Adamson war da schon Pub-Besitzer im Country-Mekka Nashville geworden, wo er Songs mit Kumpel Ray Davis (Kinks) schreiben und nebenher in der Spaßcombo The Raphaels spielen wollte. Er lebte jetzt den Traum, den das letzte Big-Country-Album im Titel beschrieb: "Driving To Damaskus", fort vom falschen Glitzer der Popwelt, von Ruhm und Versuchung.

Big Country sollte es nur noch einmal geben, auf einem Live-Album, das die Band auch in Leipzig mitgeschnitten hatte. Die CD endet mit der Bitte "Stay alive!" (Bleibt am Leben), mit der sich Stuart Adamson jedes Mal von seinem Publikum verabschiedet hat.

Big Country gibt es immer noch. Oder besser wieder. nach Mike Peters von The Alarm, der damals in Leipzig im Vorprogramm spielte, singt heute Simon Hough.

Er klingt wie Adamson. Ist es aber leider nicht. Das Original fehlt.



Sonntag, 11. Dezember 2016

Armenien: Kreuze, Gipfel, große Herzen

Das älteste christliche Land der Welt ist heute ein noch fast völlig unentdecktes Trekking-Paradies voller menschenleerer Hochebenen, uralter Klöster und freundlicher Menschen.

Der Weg ist schmal, für das ungeübte Auge fast unsichtbar. Er schlängelt sich um den Berg und durchs Gras, ist aber für Bergführer Ayrik eine Autobahn, die der Mann mit dem weißen Bart stoisch entlanggeht. Schritt für Schritt nach oben, wo der Mt. Khustup aus den Wolken lugt.

Gerademal 3 206 Meter sind es bis hinauf. Doch für die Trekking-Gruppe, die am Tag zuvor auf nur 900 Meter Höhe gestartet ist, wirkt der steile Felsen wie der Gipfel der Welt. Von oben bietet sich ein majestätischer Blick auf die Meghri-Berge im Süden. Im Osten liegt das von Aserbaidschan und Armenien beanspruchte Berg-Karabach. Südlich der Iran. Und im Westen Nachitschewan, das zu Aserbaidschan gehört, aber keine Landverbindung ins Mutterland besitzt.

Zwei Wochen zu Fuß

Geschichte ringsherum, überstrahlt von einer zur Mittagsstunde vom Himmel glühenden Sonne. Armenien, eingeklemmt zwischen Georgien, der Türkei, dem Iran und Aserbaidschan, ist als ältestes christliches Land der Welt bekannt, als Trekking-Paradies aber völlig unentdeckt. Wer zwei Wochen zu Fuß unterwegs ist zwischen Kapan im Süden, Tashir im Norden, Gjumri im Westen und dem vernebelten Goris gleich an der Grenze zu Berg-Karabach, hat die Garantie, höchstens zwei, drei anderen Wanderern zu begegnen. Endlos und menschenleer erstrecken sich die Hochebenen des Geghama-Gebirges vor dem Horizont.



Ab und zu bellt ein Hund, dann taucht ein Zeltlager von Jesiden auf, die den Sommer mit ihren Herden hier oben verbringen. In uralten Zil-Lkws rumpeln die Hirten über unwegsame Pfade. Gäste bekommen Kaffee kredenzt und Lebensgeschichten erzählt. Prärie und Felstäler wechseln sich ab. Dazwischen liegen spiegelklare Bergseen in flachen Tälern und schwarze Felsen voll rätselhafter Steinzeichnungen. Diese Ughtasar genannten Tier- und Menschendarstellungen sind 12 000 Jahre alt und bis heute unentschlüsselt.

Der Berg Ararat, auf dem der Legende nach einst die Arche Noah strandete, grüßt im Schneekleid von fern. Ein Bild, das Reiseführer Samvel Hovhannisyan bei jedem Blick weh tut. Besser noch als andere Armenier kennt der studierte Historiker die leidvolle Geschichte seines Landes, das einst vom Kaspischen bis zum Mittelmeer reichte. "80 Prozent dessen, was einmal Armenien war, haben wir verloren", sagt der 52-Jährige.


Auch den Ararat, der jedem Armenier heilig ist. Doch mit dem Völkermord vor hundert Jahren, der 1,5 Millionen Armenier das Leben kostete, flüchteten die Überlebenden vom Gebiet der heutigen Türkei, die den Berg seitdem für sich reklamiert.

Gegen seine Darstellung im Wappen der Armenischen Sowjetrepublik protestierte Ankara einst mit dem Hinweis, dass der Berg auf türkischem Territorium liege und sein Bild deshalb nicht von Armenien genutzt werden dürfe. Der damalige sowjetische Außenminister Tschitscherin nahm es gelassen. Die Türkei zeige schließlich eine Mondsichel in ihrer Flagge, sagte er. Dabei liege der Mond auch nicht in der Türkei.

Heute reden sie gar nicht mehr miteinander, die Türken und die Armenier. Die Grenze zwischen beiden Ländern ist der letzte Rest des Eisernen Vorhangs, gut zu sehen vom Kloster Khor Virap, in dem der Glaubensbegründer Gregor einst in einem Erdloch gefangen gehalten wurde, weil er dem Christentum nicht abschwören wollte. Nach 13 Jahren vom schwer erkrankten König befreit, heilte Gregor den Herrscher. Und der verordnete Armenien im Jahr 301 das Christentum als Staatsreligion.



Spuren der langen christlichen Geschichte seitdem finden sich überall am Weg. Malerische Klöster wie in Tatev und Noravank thronen auf Bergspitzen, schlichte Bauten ohne Pomp und Zierrat, dafür aber älter als alles, was es an Kirchen in Europa gibt. Dazwischen liegen die Felshöhlen von Goris, in denen früher die ganze Stadt lebte. Und bei Noratus wartet ein endloses Gräberfeld voller "Khachkars" genannter Kreuzsteine, detailreich mit Bildern verzierte Grabsteine, denen orangefarbene Flechten eine überirdische Schönheit verleihen.



Alte Steine, alte Damen


Die alten Damen, die mit selbstgestrickten Socken davor auf Touristen warten, sind dann wieder ganz von dieser Welt. Sofya ist über 70 und wie viele Alte hier zurückgeblieben, wo das wohlhabende Armenien Sommerferien macht. Die Jungen gehen, die Alten bleiben, sagt sie. Sie bleiben mit 70 Euro Rente, ihren Stricknadeln und drei Brocken Russisch, Englisch und Deutsch, mit denen sie die Bilder auf den Steinen samt der drumherumliegenden Weltgeschichte erklären können. Smatri. Babuschka. Mongol. Schwert! Kaputt. 


Das ganze Drama eines liebenswerten Landes in fünf Worten.




Anreise: Air Berlin, Aeroflot und Ukrainian fliegen von Berlin und Frankfurt über Moskau oder Kiew für 350 Euro nach Jerewan. Beste Reisezeit ist von Juni bis Oktober.
Währung: Ein Euro entspricht 500 armenischen Dram. Ein großes Bier kostet in der Gaststätte etwa 500 Dram, ein Abendessen 5 000.


Wanderstrecken: Mit normaler Fitness sind Aufstiege und Wegstrecken für jeden zu bewältigen. Bei einer geführten Gruppenreise transportiert ein Jeep persönliches Hauptgepäck, Verpflegung und Zelte in die abendlichen Zeltlager.


Veranstalter: Der deutsche Wanderreisen-Spezialist Hauser Exkursionen bietet Trekking in Armenien als 16-tägige Gruppenreise für rund 2 350 Euro an (inklusive Flug). Getragen wird nur das Tagesgepäck. Die Unterbringung erfolgt an sieben Tagen im Hochgebirge in Zwei-Mann-Zelten, in der übrigen Zeit in Hotels und Pensionen in Jerewan, der südlich gelegenen Stadt Goris und am Ufer des malerischen Sevan-See auf fast 2 000 Meter Höhe. Verpflegung morgens und abends ist inklusive, ebenso die Transfers, Koch, Küchenhelfer, Reiseleiter und Bergführer.

Tourtagebuch: www.bit.ly/armenientrek