Montag, 26. Januar 2015

Hitchbot: Trampen nach Osten


Der Anhalter-Androide Hitchbot besucht sein Mutterland.

Sechstausend Kilometer hat er im vergangenen Jahr quer durch Kanada zurückgelegt, ohne einen Schritt selbst zu gehen. Das nämlich kann Hitchbot nicht - die aus einem Kübel, Gummistiefeln und einem Tablet-Computer zusammengeschraubte Figur ist ein Tramp-Roboter, zu nichts anderem gedacht, als von Wildfremden mitgenommen zu werden.

Nach dem Trip durch Kanada besucht der Android-Anhalter jetzt das Heimatland seiner Mutter. Frauke Zeller studierte im thüringischen Ilmenau und ging dann an die Ryerson-Uni in Toronto, wo sie Hitchbot mit einem Kollegen zusammen als interaktives Kunstprojekt entwarf, um herauszufinden, wie Menschen im Alltag auf Roboter reagieren. Durchweg positiv, zumindest in Kanada, die Deutschen sind nun ab Mitte Februar für zehn Tage dran.

Der Test-Tramper macht es ihnen leicht: Bis auf Gehen kann Hitchbot fast alles, was ein Tramper braucht: Er hat einen beweglichen Arm, um guten Tag zu sagen, er spricht in ganzen Sätzen und vermag einem Gespräch auch inhaltlich zu folgen. Dazu googelt Hitchbot einfach nach passenden Inhalten.

Das tonnenförmige Wesen, inzwischen von oben bis unten von seinen Fans bemalt und beschrieben, wird hierzulande von einem Fernsehteam begleitet, das täglich von seiner Reise berichten wird, die in München startet. Dabei schießt Hitchbot wie üblich selbst Fotos und lädt sie ins Internet, so dass die Welt seine Reise verfolgen kann. Fast hunderttausend Fans hat der Roboter bei Twitter und Co. bereits, in Deutschland werden sicher etliche neue hinzukommen.

Die ganze Reise live:
hitchbot.me

Donnerstag, 22. Januar 2015

An der Wiege der Kriege

Ein Grund, Krieg zu führen oder Anschläge zu verüben, findet sich immer: Eine unterdrückte Religion wehrt sich, eine benachteiligte Volksgruppe will Freiheit oder die Armen stehen wütend auf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung. So zumindest erzählt es das gefühlte Wissen über die Geschichte.

Falsch, sagt der Bremer Zivilisationsforscher Gunnar Heinsohn. Er sieht die Ursache für bewaffnete Konflikte und Terrorismus vielmehr in einem Phänomen, das auf Englisch "Youth Bulge", übersetzt also etwa Jugendblase heißt. Heinsohn beschreibt mit diesem Begriff "im Inneren brennende Nationen", die unter einer so gewaltigen Bevölkerungsexplosion leiden, dass zahllose dritt- und viertgeborene Söhne keinerlei Karrierechance innerhalb der Gesellschaft haben.

Den Irak etwa identifiziert der Chef des Bremer Instituts für Genozidforschung in seinem Buch "Söhne und Weltmacht" (Piper) als ein Land, das unter diesem Ohnmachtsdruck von unten leidet. 1950 lebten fünf Millionen Menschen zwischen Euphrat und Tigris, 2050 werden es bereits 55 Millionen sein. Auch im Jemen, in dem die Hälfte der heutigen Bevölkerung unter 15 Jahren alt ist, werden in den kommenden Jahrzehnten Millionen von jungen Männern nach Beschäftigung suchen. Weiteren hundert Ländern vor allem der Dritten Welt steht eine ähnliche Entwicklung bevor - Mitte des Jahrhunderts werden auf je zwei Jungen in Ländern des Westens etwa 25 Jungen in den Entwicklungsländern kommen.

Die suchen nach einem Platz in der Welt, nach Lebenschancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Sie wollen Familien gründen und sie ernähren können. Doch die Zahl der auskömmlichen Positionen wächst nicht im gleichen Maße wie die Zahl der nachkommenden Jungen.

Die überzähligen Männer, erläutert Heinsohn anhand von Beispielen aus der Historie, ziehen also aus, sich anderswo Platz zu erobern: Länder mit "Youth Bulges" waren in der Geschichte immer aggressiv. Die jetzt aufbrandende Sohneswelle aber ist größer als alles, was es bisher gab: Während die entwickelte Welt bei der Gesamtbevölkerung noch ein gutes Fünftel der Menschheit umfasst, wird ihr Anteil beim Nachwuchs in wenigen Jahren auf ein Zehntel gefallen sein.

Die Kriege der Zukunft, glaubt der Forscher, werden deshalb keine der Kulturen, sondern Kämpfe um akzeptable Positionen sein, die sich als Konflikte zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen tarnen. Einen Grund zu Beruhigung sieht der Experte darin nicht.

Sonntag, 18. Januar 2015

Return to Peeze: Großes Comeback im kleinen Saal

Die hallesche Band Return to Peeze wird im ausverkauften Objekt 5 begeistert gefeiert.

Sie sind die großen Unbekannten unter Halles Rockbands, die vier Jungs von Return to Peeze. Eine einzige Studio-EP haben sie in 16 Jahren Bandexistenz veröffentlicht, Konzerte gibt es nur aller Jubeljahre, auch die vier Musiker treten abseits der Bühne allenfalls mal als Mitmusikanten einer Hardcore-Combo auf. 18 Monate ließ die Band, deren Mitglieder sich in der Öffentlichkeit nur Kretze (git, voc), Nose (git), Rappsen (dr) und Pademmer (bg) nennen, diesmal verstreichen, ehe sie wieder eine Bünhe betraten. Das langerwartete erste Studioalbum hatten sie dann beim Comeback-Auftritt im Objekt 5 zwar immer noch nicht im Gepäck. Aber der Klub in der Seebener Straße war dennoch binnen kürzester Zeit ausverkauft.

Was beim Vorprogramm des halleschen Singer/Songwriters Kahler noch wie ein Klassentreffen der einheimischen Szene wirkt, weil mit Cornelius Ochs von Baby Universal, Christian Sorge und Felix Hecklau von Cocoon Fire alles angetreten ist, was in Halles Rock Rang und Namen hat, wird mit dem ersten Ton von Return to Peeze zu einer echten Rock-Messe. Schwermetallische Gitarrenriffs treffen auf Kretzes Filigrangesang, der an Gruppen wie Muse, Placebo oder auch an Jeff Buckley erinnert. Return to Peeze sind keine Hymnenband, die nach dem einfachsten Weg zu einer einprägsamen Melodie suchen. Stattdessen stricken sie komplexe Soundgebilde zusammen, rhythmisch ist vieles im Fluss, Strukturen verändern sich, ein Song kann als Ballade beginnen und als tobendes Klangmonster endet.

Begleitet von einer beeindruckenden Lichtshow spielen sich die vier Musiker im Objekt in einen Rausch. Sänger Kretze verzichtet durchweg auf Ansagen, ein Song ergibt sich automatisch aus dem vorigen. Zwischen eigenen Dampfhammerstücken wie "Somebody somewhere" und dem Rolling-Stones-Cover "Gimme Shelter" entwickelt sich so ein hochemotionaler Konzertabend mit verschüttetem Bier, verschwitzten Tänzern vor der Bühne und begeistertem Applaus am Ende. Sänger Kretze kommt schließlich noch einmal ganz allein zurück und singt solo zur Gitarre das leise, langsame Lied "Take back the rainy days". Ein perfekter Abschluss.

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Donnerstag, 15. Januar 2015

Tagesschau: Verschwörer am Werk

Am Tag nach dem Auffliegen der Inszenierung der Symbolfotos vom Auftritt der Staatsspitzen beim Trauermarsch in Paris räumten große Nachrichtenagenturen ein, dass die gewählte Bildauswahl zu Missverständnissen einlud. Die Spitzenpolitiker waren nicht etwa an der Spitze der Demonstration gelaufen, sondern allein durch eine Straße weitab vom Platz der Republik. Erst gezielte Bildausschnitte und die Kombination von zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten angefertigten Videos hatten den Eindruck erweckt, Angela Merkel und die anderen Staatschefs seien Teil der Menschenmenge gewesen.

Die Wogen schlugen hoch. Vom „Independent“ über den „Spiegel“ bis zu MZ und „taz“ mühten sich Zeitungen, den falschen Eindruck geradezurücken. Nicht so Tagesschau-Chef Kai Gniffke. Dessen Redaktion hatte am Sonntagabend eine halbe Minute lang Videomaterial vom vermeintlich gemeinsamen Marsch der Politiker und der Bevölkerung gezeigt, dabei aber nicht erwähnt, dass beide Veranstaltungen getrennt voneinander stattgefunden hatten.
Auf Tagesschau.de nennt Gniffke, der seit 2006 Chef von ARD aktuell ist, den Vorwurf, die Zuschauer damit manipuliert zu haben, eine „wilde Verschwörungstheorie“.

„Wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen, ist das immer eine Inszenierung, jede Pressekonferenz ist eine Inszenierung“, schreibt er - ohne zu erwähnen, dass das bei Pressekonferenzen stets erkennbar ist, beim Auftritt der Staatsführer in Paris hingegen nicht. Dafür verweist der oberste ARD-Journalist auf die Live-Übertragung am Nachmittag. Dort sei gezeigt worden, dass die Politiker in einer abgesperrten Straße unterwegs waren.

Pech für alle Zuschauer, die keine Zeit für die Live-Sendung hatten. Und die nicht wissen, dass „die Polizei den Job verfehlt hätte, wenn sie die Leute fröhlich gemischt hätte“. Für Kai Gniffke ist die Szene in Paris einfach „eine gute Geste“ gewesen. Außerdem hätten die Kameramänner eben keinen Hubwagen gehabt. Ohnehin zeige kein Foto die Realität, und so eben auch die hier entstandenen nicht.

Der Medienkritiker Stefan Niggemeier kritisierte Gniffke dafür scharf. Der Tagesschau-Chef werfe „Nebelkerzen“, um zu verbergen, dass seine Redaktion die Menschen „eben nicht in einer Weise informiert hat, die verhindert hätte, dass eine erhebliche Zahl von ihnen sich in die Irre geführt fühlte“. Wichtig sei nicht, dieses Versagen damit zu entschuldigen, dass ohnehin alles Inszenierung sei. Sondern das Gegenteil: „Je häufiger Medien diese Inszenierungen kenntlich machen, umso größer ist ihre Chance, auch in Zukunft noch als glaubwürdig zu gelten.“ Gestern ruderte Kai Gniffke daraufhin zurück. „Viele User haben sich an meinem bellenden Ton gestoßen“, schrieb er nun, „ich fürchte, mit Recht.“ Doch in der Sache bleibt er hart: Die Staatsmänner seien dem großen Zug schließlich wirklich vorangegangen. „In dem Bericht in der Tagesschau um 20 Uhr war der Sicherheitsabstand nicht zu sehen, weil er normal ist."