Freitag, 27. März 2015

Der lange Tod des Stefan Diestelmann



Eines Tages haben sie doch noch begonnen, nach ihm zu suchen. Die Kollegen von der Band, mit der er mal gespielt hat. Ein paar Fans von früher. Ein Reporter, der einen Film drehen wollte. Sogar eine Facebook-Gruppe entstand, die alle Informationen sammelte. Nur dass es keine Informationen gab über Stefan Diestelmann, den Blues-König der DDR, der seinen letzten Hit vor 30 Jahren hatte und sich nach seiner Flucht in den Westen in einen kleinen Ort in Bayern zurückzog.

Bei seinem letzten Auftritt war ein kleines Boot die Bühne. Stefan Diestelmann, rotes T-Shirt, knappe Shorts, Basecap und Sonnenbrille, war eigentlich längst untergetaucht. „Ich brauche das alles nicht mehr“, sagt der 56-Jährige, ehe er sich hinter das Steuerrad seines Kahnes schwingt. Es ist das Jahr 2003, Stefan Diestelmann lebt im 20. Jahr seit dem großen Ruhm. Ein neues Leben, sagt er. Die CDs, die er gelegentlich noch für sich selbst einspielt, verkauft die Metzgerfrau im Ort, die ihn irgendwann gebeten hat,  doch mal ein paar von den Dingern rauszurücken. „Du machst doch gute Musik“, hat sie ihren Nachbarn gelobt, „die können wir doch dann auch verkaufen.“

Stefan Diestelmann war sich nicht sicher, ob er das wollte. Der Mann, der einmal einer der bekanntesten und originellsten deutschen Bluesmusiker gewesen war, ist nicht frei von Eitelkeiten, keineswegs. „Die CDs waren in kurzer Zeit alle weg“, freut er sich. Man muss dabei bedenken: Diestelmanns Boot schwimmt auf dem Ammersee, mitten in Bayern. Hier war Diestelmann nicht einmal berühmt, als er berühmt war. „Aber es kommen immer Touristen, die staunen, eyho, gucke mal, dor Diestelmann“, lautmalt er auf Sächsisch, „und dann nochn neues Album.“

Das kaufen sie, die alten Fans, die er hinter sich gelassen zu haben glaubte, als er alle Brücken abbrach. Das Datum lässt sich nicht genau bestimmen, es ist irgendwann nach seiner Flucht in den Westen passiert, die eigentlich ein ganz unspektakuläres Drübenbleiben war. Zuerst wohnte Diestelmann noch bei seinem langjährigen Freund und Mitmusiker, dem ehemaligen Lindenberg-Pianisten Gottfried Böttger. Dann zog er nach Unterpfaffenhofen um, ins Haus des Produzenten Ralph Siegel. Aber der habe ihn, sagt, „nicht erzählt, was ich für Scheiße schreiben sollte.“ Er ist dann nicht mher hingegangen. „Und eines Tages war er verschwunden“, erinnert sich Böttger, „und man hat nie mehr von ihm gehört.“

Für einen wie Diestelmann, der Ruhm und Aufmerksamkeit genoss, eine rätselhafte Entscheidung. Doch genau betrachtet war die ganze Karriere, ja, das ganze Leben des gebürtigen Münchners geheimnisumwittert. „Mit 13 hat mich mein Vater in den Osten verschleppt“, erzählt er, während ein Segelboot vorbeikreuzt. Sein vater Jochen Diestelmann ist Defa-Schauspieler, er spielt für Konrad Wolf und Frank Beyer, ein kleiner Star zwar, aber ein Star. Nach dem Mauerbau stellt die DDR dem Mann aus Darmstadt ein Ultimatum: Wer im Osten arbeitet, muss auch im Osten leben. "Da hieß es zack", formuliert Stefan Diestelmann scharf, "ab in den Osten."

Hier ist der kleine Stefan ein Paria, der gemobbt wird. „Ich habe gebayert, sagt er, „und ich wusste, was die uns in der Schule für einen Unsinn erzählen.“ Brot zehn Mark im Westen? Butter fünf? Wenn Lehrer versuchen, klassenkämpferisch korrekten Stoff im Unterricht unterzubringen, schlägt der Wessi dazwischen. „Unsinn“, ruft Diestelmann dann. Nicht nur die Mitschüler mögen ihn nicht, sondern auch die Lehrer.

Es sei ihm „sowas von egal“ gewesen, erinnert er sich. Es war doch sowieso alles Mist, das ganze Leben eine Qual. „Vater schlug zu, Mutter schlug zu“, sagt er, „ich musste diese blöden Lederhosen tragen und durfte nur die Musik hören, die sich mich hören ließen.“ Vater Diestelmann legt zu diesem Zweck eine Lautsprecherbox ins Zimmer des Juniors, die er von außen beschicken kann. „Da gab es Jazz und Blues“, sagt Diestelmann, der lieber Stones, Beatles und Troggs gehört hätte. „Aber das war ja Drecksmusik, Gülle, das durfte nicht sein.“

Diestelmann und der Blues, das ist so etwas wie eine arrangierte Ehe. Jazz und Blues darf er. Und er beginnt, es zu lieben. „Mich hat der Rhythmus angemacht“, beschreibt er, „das war alles so frei in die Welt gesungen, das gefiel mir.“ Diestelmann hat eine Fünf in Musik, aber er spielt BB King und Muddy Waters nach, auf einer Gitarre, die ihm die Eltern geschenkt haben. Er hat keinen Unterrichht. Aber er ist wie dafür geschaffen. "Es war Rhythmus, den ich brauchte", sagt er später, "das Primitive, in dem alles steckt." Mit der Gitarre ist er nun wer. Wenn er singt, empfängt er Bewunderung. Es ist dies das Hochgefühl, dem Stefan Diestelmann von nun an ein Leben nachjagen wird: im Mittelpunkt stehen, der sein, zu dem alle aufschauen.

Der Osten ist für so einen zu klein. Die Stars, die er anhimmelt, mit denen er entschlossen ist, eines Tages zu spielen, die stehen im Westen auf der Bühne. „Ich wollte einfach rüber, zurück nach Hause“, sagt er. Vorsichtige Erkundigungen nach Fluchtmöglichkeiten enden allerdings im Desaster. Diestelmann, so zumindest berichtet er es später gern und oft, kommt wegen versuchter Republikflucht ins Gefängnis. Drei Jahre habe er in einer Besserungsanstalt bei Regis-Breitingen abgesessen. „Ich habe dort Leute sterben sehen“, behauptete er.

Diestelmann überlebt, doch seine Rückkehr ist kein Triumphzug. Er hat Berlinverbot und darf Potsdam nicht verlassen. „Ich habe beim Obsthandel gearbeitet, erst als Unterkistenstapler, dann als Oberkistenstapler.“ Bluestime, die Welt ist schlecht, selbst der Wechsel zur Post, wo er als Telegrambote unterkommt, tröstet nicht. „Ich konnte meine paar Freunde nicht kontaktieren und die wussten nicht, wo ich bin.“

In diesen Jahren habe er begonnen, ganz für sich allein Songs aufzunehmen. Diestelmann arbeitet bei einer Fotografin im Labor, er hat den Traum von einer Karriere begraben, er spielt wieder nur für sich. Bis es an der Tür läutet und der Gitarrist Axel Stammberger vorsichtig nachfragt, ob Diestelmann nicht vielleicht Lust hätte, bei seiner neuen Band vorzuspielen, die einen Sänger und Gitarristen suche. „Die hatte noch gar keinen Namen, aber das waren alles echte Profis“, betont Diestelmann. Er selbst mit seinem „Geschrubbe“, wie er es nennt, kann da nicht mithalten, glaubt er. Er selbst sieht sich als Autodidakten ohne Anspruch. „Ich wollte mich ja immer nur begleiten können, nie ein Virtuose sein.“

Begleiten aber kann Stefan Diestelmann sich wie kaum ein anderer. Er spielt den Blues auf seine Art, wild und ursprünglich, aber auch deutsch bis ins Mark. Es kommt ihm nicht auf Perfektion an, sondern auf Gefühle. Der Herz muss schlagen in der Musik, und sei es, dass er es kitzelt, in dem er mit einer Hand Gitarre spielt und mit der anderen die Mundharmonika führt. „Das fand ich spannend, das haben die Leute gewollt.“ Auch die Kollegen lieben es. Er wird Frontmann von Vai Hu, feiert Erfolge, spürt, was er sein kann. Und geht.

Seine erste Solo-Platte schlägt alle Rekorde. Aus 2000 Exemplaren werden 20.000, aus 20.000 nochmal 75.000 Nachauflage. Die Hallen sind voll. Das Ministerium gewährt ihm „wegen seiner Popularität" den begehrten Berufsausweis. Die zweite LP, „Hofmusik“ genannt, ist dann ein Triumph. Diestelmann ist nun der König des Blues in der DDR, ein vollbärtiger, langhaariger Guru, dem an den Wochenenden hunderte hinterherreisen, wie die Staatssicherheit im Operativen Vorgang „Diestel“ feststellt.

Kein gutes Vorbild für die Jugend, zumal der von sich selbst begeisterte Entertainer längst begonnen hatte, den vermeintlichen Schutz seiner Prominenz zu nutzen, um von der Bühne Witze über die DDR zu machen. Die IMs „Wolfgang Schubert“, „Weiß“ und „Jazz“ schreiben mit. „Und jeden Montag musste ich im Ministerium erscheinen, um mich dort für irgendeinen Spruch zu rechtfertigen.“ Diestelmann ist in Wirklichkeit kein Rebell, kein Dissident. Er ist nur stur und rücksichtslos. Was er dafür hält, ist die Wahrheit. Was andere sagen, interessiert ihn nicht. Er verdient mehr Geld, als er ausgeben kann. Er spielt bis zu 370 Konzerte im Jahr, „manchmal vier an einem Tag“, sagt er. Seine Lieder "Der Alte und die Kneipe" oder der "Reichsbahn-Blues" sind keine Radiohits, aber jeder DDR-Tramper versucht, sie auf seiner Mundharmonika nachzublasen.

Nur er selbst kann sich noch stoppen. Und er tut es. Diestelmann geht ganz an die Grenze, dorthin, wo jeder weitere Schritt das Aus in der DDR bedeutet. Er schmuggelt Gottfried Böttger, den Westdeutschen, in Konzerts. Bundesdeutsche Politiker und ARD-Reporter hängen in seiner Wohnung ab. Er spielt daheim nächtliche Sessions mit dem Amerikaner Harmonica Phil Wiggins, bis die Polizei klingelt. Er diskutiert mit dem neuen Amiga-Chef darüber, ob Blues wirklich eine Musik für die DDR ist. Diestelmann spürt immer nur, was fehlt. Er will im Westen spielen. In den USA mit BB King auftreten. Stattdessen bekommt er Auftrittsverbote, weil er "Jugendliche anzieht, die die Ordnung und Sicherheit gefährden", wie die Stasi schreibt.

Die hat das Idol der herumtrampenden DDR-Jugend allerdings noch nicht ganz abgeschrieben. Während Diestelmann immer fürchtet, „dass sie mit mir die Biermann-Lösung machen“, geht es dem MfS nach Lage der OPK-Akte XV 7032/81 vor allem darum, den unangepassten Sänger auf den Pfad der sozialistischen Tugend zurückzuführen. Man zeigt ihm die Instrumente: Keine Westauftritte, so lange auf der Bühne über die DDR gelästert wird. Diestelmann gibt klein bei. „Ich dachte immer, im Westen spielen, das verdient man, weil man gut ist“, sagt er, „aber die machten einem klar, dass sie das wie einen Preis verleihen, nur an die, wo sie es wollen.“

Als es so aussieht, als hätten sie ihn wieder integriert, ist er in Gedanken schon ausgereist. Jetzt bekommt er den ersehnten Pass, jetzt bekommt er West-Engagements, die er genießt. „Ich war der Star, die Leute haben mich bejubelt“, sagt er über Auftritte in Niedersachsen und Hamburg. Im Westfernsehen trägt Diestelmann eine rote Latzhose, während er mit Gottfried Böttger seinen Boogie Woogie spielt. „An der Garderobe müssen sie noch arbeiten“, sagt danach jemand vom Sender zu ihm.

Diestelmann ist dazu bereit. Er will nicht mehr Ossi sein. „Ich wollte aber vor allem nicht mehr darum bangen müssen, wann sie mir die Genehmigung, in den Westen zu fahren, wieder wegnehmen.“ Vor einem Festival in Hildesheim sagt er niemandem Bescheid, nicht einmal in Andeutungen. 5000 Fans feiern ihn beim Open-Air-Jazz-Festival. Er ist beseelt. Und fährt einfach nicht mehr zurück. Die Stasi löst eine Fahndung nach ihm aus. Stellt sie aber wenig später wieder ein. Begründung: Es sei bekannt, dass der Gesuchte sich nicht mehr in der DDR aufhalte.

Dort, wo Stefan Diestelmann nun ist, wird er nicht glücklicher werden. Die ersten Jahre tingelt er noch, hoffnungsvoll und mit Freunden. „ich wusste, dass ich auf einem anderen Niveau weitermachen muss“, sagt er, „aber ich hatte keinen Zweifel, dass ich weitermachen kann.“ Doch nach Anfängen mit Auftritten in Köln und München hadert der begnadete Improvisationskünstler mit sich. Der Westen bietet ihm Cafés statt Konzerthallen. Er ist Vorprogramm statt Hauptperson. Der wichtigste Blues-Mann der DDR wird zum Freizeitkapitän, der sein Boot über den Ammersee steuert und behauptet, die Musik gar nicht zu vermissen.

Er habe dann lieber Werbefilme für Hotels gedreht, sagt er. Ägypten, Teneriffa, die feinsten Adressen. „Und immer das modernstes Equipment“, schwört Diestelmann, der einmal sogar von Ägyptens Diktator Mubarak berufen worden sein will, eine zweiwöchige Landbereisung zu dokumentieren. „Leider musste ich das Rohmaterial anschließend komplett abgeben.“

Diestelmann behauptet in jenen späten Tagen am Ammersee, sehr glücklich zu sein. Er ist immer noch ein großer Geschichtenerzähler, ein Mann, der abendliche Runden ganz allein unterhalten kann. Er hat ein Mündchen für Dialekte, er hat ein Ohr für Dynamik, ein Gefühl für Pointen. Er erzählt, wie er Mariah Carey und Bruce Willis kennengelernt habe, wie er für Antonio Banderas Lieder schrieb und „viel Geld“ verdiente. Die Giesing zieht vorbei, ein großer, neuer Dampfer. „Der ist dauernd kaputt“, sagt der Freizeitskipper.

Diestelmann spricht viel von früher. Er macht Witze. Er macht keine Musik mehr. Oder nur noch manchmal, so ganz klar ist das nicht. Gelegentlich, sagt er, spiele er schon noch. Aber nicht mehr als Beruf, nur noch als Berufung. Wenn Touristen aus dem Osten ihn erkennen und fragen, warum er denn nicht mehr auftrete und wo eine neue Platte bleibe, lässt er sie wissen, dass die Musik ihm zu wichtig sei, "dass ich sie als Broterwerb betreiben will".Sein Blick auf die Ex-Kollegen ist ein harscher, fast böser: Die machen immer alle immer weiter, die ahben keine Würde, abzutreten, ätzt er: „Selbst wenn es längst nötig wäre.“

Er selber ist weg, weg von der Bühne, weg aus der Öffentlichkeit. Hinter dem Dreitage-Bart, der vom einstigen Kinngestrüpp geblieben ist, pflegt Diestelmann den Nimbus des Total-Aussteigers. Kein Blues mehr, kein Applaus und keinerlei Kontakte. „Er hat sich auch der Familie entzogen", erinnert sich sein Onkel Jürgen Diestelmann später.

Eine Nachbarin, die nicht weiß, wer er ist, hört ihn in diesen Tagen manchmal Saxophon spielen. "Aber das ist auch schon lange her", wird sie später erzählen. Sein Vermieter ist der letzte Mensch, der weiß, dass da der Blues-König des Ostens zu hören ist. Stefan Diestelmann stirbt an einem Tag im März des Jahres 2007. Sein Arzt, der gleichzeitig sein Nachbar und letzter Freund war, bittet um Respekt für den Wunsch des Toten, dass weder bekannt werden soll, woran er gestorben ist, noch, wo der König des Blues begraben liegt.

Das ist fünf Jahre später, als zum ersten Mal jemand fragt.



Sonntag, 8. März 2015

Karl-Hans Janke: Der Mann aus der Zukunft


In der DDR weggesperrt, erfand das wunderliche Genie Karl-Hans Janke in der Psychiatrie im sächsischen Wermsdorf eine ganz eigene Welt aus futuristischen Maschinen. Würden sie funktionieren?

Hitler war noch nicht lange Reichskanzler, der 2. Weltkrieg noch ein dunkles Drohen hinterm Horizont. Bei Karl-Hans Janke aus Kolberg in Pommern aber, Sohn eines Bauern und als Student in Berlin und Greifswald gescheitert, hatte die Zukunft angefangen: 1936, Janke war 27 Jahre alt, reichte er beim Markenamt in München einen Patentantrag ein, der ganz genau ein Instrument beschreibt, das mehr als ein halbes Jahrhundert später unter dem Namen Navigationsgerät seinen Siegeszug rund um die Welt antreten wird.


Karl-Hans 
Janke erlebt die Wiedergeburt seines ersten Patentes aus dem Geist einer neuen Zeit nicht mehr mit. Er wird den größten Teil seines Lebens hinter den Mauern der psychiatrischen Klinik im sächsischen Wermsdorf verbringen und 1988 einen stillen, einsamen Tod sterben. 50 Jahre, nachdem ihm das Patent für das Prinzip des Navigationsgerätes erteilt wurde. Und 15 Jahre, bevor die ersten Navis für Privatanwender erschwinglich wurden.

Es ist die große Tragödie eines großen Geistes, der seiner Zeit so weit voraus ist, dass ihn zeitlebens niemand verstehen kann. 1949, als Janke mit einem selbstgemalten Plakat dagegen demonstriert, dass es nicht genug Spielzeug für Kinder gibt, fällt er den Behörden zum ersten Mal auf. Ein Amtsarzt stellt bei dem 40-jährigen Spielzeugmacher Mangelernährung und Anzeichen von Verwahrlosung fest. Janke landet in der geschlossenen Abteilung der Klinik im Schloss Hubertusburg. Die Diagnose lautet auf Schizophrenie. Diese zeige sich vor allem in "wahnhaftem Erfinden".

Doch auch hinter den Mauern der Verwahranstalt für geistig Kranke, in der eine Handvoll Ärzte mehr als 900 Patienten eher beaufsichtigt als behandelt, hört der Mann aus der Zukunft nicht auf, epochale Erfindungen und revolutionäre Technologien auf Einpackpapier und alte Pappen zu zeichnen. Seine futuristischen Raketenflugzeuge, die er "Trajekte" nennt, sehen aus wie heute das Space Shuttle. Himmelhohe Turbinen lässt er Energie aus dem Erdmagnetfeld saugen, seine "Impuls-Strahl-Triebwerke" schaffen auf dem Papier mit Hilfe von "Blitzdüsen-Elektroden" zwei Millionen Watt Leistung. Pflegern und Ärzten der Klinik gilt Janke  als "anders als die anderen". Man lässt ihn zeichnen, er darf Vorträge über seine Erfindungen vor dem Personal halten und Material aus den Werkstätten benutzen, um Modelle seiner Raketenflugzeuge zu bauen.

Janke kämpft für die Ideen, die ihm aus einer unerschöpflichen Quelle zusprudeln. Er schreibt lange Briefe an Behörden und Betriebe, meldet Patente an, korrespondiert mit dem Neuererwesen und bittet immer wieder um seine Entlassung, um sich ganz der Forschung widmen zu können. Denn so lange er in Hubertusburg eingesperrt ist, das ist ihm klar, wird niemand seine Flugzeuge testen und keiner seinen in den 50ern entworfenen Tintenkugelschreiber bauen. Der übrigens aufs Haar dem gleicht, den der Amerikaner Paul Fisher 1965 erfinden wird, als die US-Weltraumbehörde Nasa einen weltalltauglichen "Space Pen" sucht.

Denn immer, wenn es Karl-Hans 
Janke geschafft hat, in einem volkseigenen Betrieb Interesse zu wecken oder einen Termin beim Patentamt zu bekommen, fällt seine Wohnadresse auf: Eine Irrenanstalt. Termine werden abgesagt, versprochene Test abgeblasen, die Erteilung von Patenten abgelehnt.

In einer Kammer unter dem Dach, die ihm als Refugium dient, zeichnet der Visionär dennoch weiter Weltraum-Schiffe mit "Gyro-Kreisel-Aggregaten" und elegante Miniroller, wie sie heute durch die Innenstädte aller Metropolen schnurren. Der DDR-Fluggesellschaft "Interflug" macht er sein Raumschiff "Venusland" zum Geschenk, seinem "reaktiven Strahl-Kessel-Antrieb" attestierte er, "ohne radioaktive Auswurf-Stoffe" auszukommen. 
4 500 Zeichnungen produziert Janke in knapp 40 Jahren unermüdlicher Forschungsarbeit, dazu kommen zahlreiche Modelle und Aufsätze zu philosophischen Themen. Seine Planzeichnungen, deren künstlerische Ausführung an die Skizzen Da Vincis erinnern, lässt sich der Erfinder in Ermangelung anderer Möglichkeiten stets von Ärzten mit Datum gegenzeichnen und stempeln, um seine Urheberschaft so bezeugen zu lassen.

Seine letzten Jahre verbringt Janke pflegebedürftig im Bett. Mit seinem Tod gerät auch sein Name in Vergessenheit, sein Werk ist verschollen. Erst 12 Jahre später werden bei Sanierungsarbeiten 2 500 Zeichnungen in Obstkisten auf dem Dachboden des Schlosses Hubertusburg gefunden. Ein Verein kümmert sich seitdem um den Nachlass des Visionärs aus Sachsen. Dessen Ideen haben ihren Urheber überlebt. Ihre ganz große Zeit aber wird vielleicht erst noch kommen.

Alles zum einzigartigen Werk des genialen Irren steht hier

Dienstag, 24. Februar 2015

Halle: Biber auf der Peißnitzinsel

Die einzige konkrete Sichtung der letzten Jahre stammt vom Hufeisensee, eine halbe Stadt entfernt von der Peißnitzinsel in der Mitte zwischen Halle und Halle-Neustadt. Doch die Spuren an einem Baum auf der unter Naturschutz stehenden Nordspitze des früheren Erholungsparkes lassen kaum Zweifel: Auch auf dem vielbesuchten Inselchen leben Biber.

Spaziergänger staunen, wenn sie sehen, wie energisch eines der Tiere einen voluminösen Baum an einem Saale-Seitenarm bearbeitet. Der Nager ist nicht allein. Nach Aussagen von Peter Ibe vom Biosphärenreservat Mittlere Elbe in Dessau-Roßlau, das als sogenannte Landes-Referenzstelle für Biberschutz fungiert, sind in der Saalestadt insgesamt neun Biberreviere bekannt, darunter die Saale-Elster-Aue und eben der Hufeisensee. Es lebten "immer mehrere Tiere in einem Revier", sagt Ibe. Im Schnitt seien es drei.

Bei den bis zu einen Meter großen Nagern handele es sich um den Elbebiber, lateinisch Castor fiber albicus. Die Art war einst vom Aussterben bedroht, wurde aber an der Mittelelbe in den vergangenen Jahren mit Erfolg wieder angesiedelt. Von dort breiten sich die Tiere nun entlang der Saale und der Elster weiter aus. An der oberen Saale in Thüringen wurden schon vor einiger Zeit wieder Biber entdeckt - erstmals seit 400 Jahren. Jetzt scheinen die Tiere auch mitten in Halle angekommen zu sein.