Donnerstag, 27. Oktober 2016

Nachruf: Manfred Krug, der Glatzkopf aus der Zone


Seinen letzten Hitparadenerfolg hatte Manfred Krug an der Seite von Charles Brauer mit einem Album voll gut abgehangener Oldies. Erst zu dieser Zeit entdeckte der Schauspieler den Sänger in sich wieder.

Popstars sehen anders aus. Popstars haben keine hohe Stirn bis in den Nacken. Nicht ein Delta aus Lachfältchen um die Augen. Keinen Schmerbauch unterm Doppelkinn, nicht diesen fatalen Hang zum Hosenträger, und meist tragen Popstars auch nicht gewienerte Halbschuhe zur scharf gebügelten Cordhose.

Nur zählt das alles nicht, weil Charles Brauer und Manfred Krug nicht mehr jung, hübsch oder modisch waren, also sie mit wohlig-warm gebrummten Weisen Marke "Stormy Weather" Teenie-Lieblinge wie Oli P., Weltstars wie Bryan Adams und Jazz-Legenden wie Al Jarreau in den deutschen Verkaufshitparaden hinter sich ließen.

Es war der letzte Aufruf für Manne Krug, wie ihn seine Fans und Bewunderer nannten. Als „Tatort“-Kommissar Stoever hatte er mit seinem Kollegen Brauer alias Brockmöller bei den Dreharbeiten auf einer kleine Vogelinsel in der Elbmündung Langeweile gehabt. "Ein Leuchtturm, zwei Bauernhöfe, zwei Kneipen", beschrieb Manfred Krug, "also keine Möglichkeit, den Drehtag mit ein bisschen guter Musik, einem schönen Wein und einer guten Zigarre ausklingen zu lassen."

Doch wie der Zufall wollte, stand im Gasthof, in dem er gemeinsam mit seinem Partner Charles Brauer untergebracht ist, ein Klavier: "Ja, und da haben wir halt abends davor gehockt und ganz spontan ein paar Lieder gesungen", erinnerte sich Charles Brauer, "wir hatten in dem Moment wohl auch einen Kleinen sitzen."

Das Publikum der Premiere der beiden Brummbären ließ sich an zwei Fingern abzählen. "Manfred spielte, ich fing einfach an, das Ding zu singen", erzählt Brauer,"und Manfred sagte, Mensch Brocki, ist ja toll." Der Anfang einer Rückkehr des Manfred Krug zur Karriere des Sängers, die er in der DDR hatte.

"Als ich noch dort lebte", erzählt er, "war das ja auch eher eine dankbare Sache, denn da gab es keine amerikanischen Originale, da musste man das selber machen." Gemeinsam mit dem Musiker und Orchesterleiter Günther Fischer spielte Krug damals neun Schallplatten ein, auf ausverkauften Tourneen feierten die Menschen ihn und seine "Berliner Jazzoptimisten".

Krug, zu DDR-zeiten als Clemens Kerber auch Autor seiner eigenen Stücke, war unter der Käseglocke der DDR-Kultur alles auf einmal: Blood, Sweat & Tears, Ray Charles und Frank Sinatra.

Seine komödiantischen Kabinettstückchen wie "Der Hase im Rausch" und "Die Kuh im Propeller" können nicht nur beinharte Fans bis heute in exakter Manne-Manier rezitieren.

Nach der Ausreise des Superstars des DDR-Soul blieb von der Herrlichkeit nicht viel. "Als ich rüber kam, bin ich noch einmal ins Plattenstudio", sagt Krug, "aber da kamen kaum die Kosten wieder herein." Im Westen habe ihn niemand gekannt, meint er, "die Leute haben zu Recht alle auf Milva geguckt, nicht auf diesen Glatzkopf aus der Zone."

Krug, der sich über die Rolle des Fernfahrers Franz Meersdonk in der Vorabend-Serie "Auf Achse", wieder ins große Geschäft kämpfte, hat das Singen nicht vermisst. Das Publikum vermisste ihn auch nicht. Zwanzig Jahre blieb es bei gelegentlichem Brummeln vorm Badezimmerspiegel, ohne dass ihm etwas fehlte. "Ich habe mich wieder auf meine eigentliche Arbeit kapriziert", sagt der 63-Jährige, der seine Liebe zum "antiken endgültigen Schlager" nur noch als Schallplattensammler pflegte.

Doch je älter er wurde, desto mehr zog es ihn zurück auf die Bühne. Kleine Bühne, gern mit Uschi Brüning, volle Säle, aber meist in der Provinz. Krug, der immer in der ersten Reihe stand, ließ sein Leben im wahrsten Sinne ausklingen. Er sang "Alright, Okay, You Win" und „On the sunny side oft he street“, dünner geworden, aber immer noch ein Charakterkopf, der sich lange Touren zumutete, die mancher halb so alte Künstler abgelehnt hätte.Aber Krug war ein Zirkuspferd, eine der Bühnenmaschinen, die raus müssen und Publikum brauchen, weil sie sonst eingehen.

Als er starb, 20 Jahre nach seinem letzten Film und nur zwei nach seiner letzten CD, zudem direkt aus einer laufenden Tournee gerissen, wurde er als Schauspieler betrauert. Und als "ostdeutscher Schauspieler" sowie - obwohl er gerademal 20 seiner 60 Karrierejahre in der DDR verbachte.



Samstag, 22. Oktober 2016

Harald Welzer: Im digitalen Heuhaufen


Der Zukunftsforscher Harald Welzer sieht die Gesellschaft vom Internet bedroht.

Alles auf einmal, alles gleich und am besten alles auch noch überall und jederzeit - die Versprechen der digitalen Zukunft haben die Gesellschaft im letzten Jahrzehnt stärker verändert als Mauerfall und Ende des Staatssozialismus. Die Welt ist offener geworden, kleiner und gleicher, neue Firmen wuchsen zu Giganten, alte Wirtschaftszweige brachen zusammen. Technologie löste Menschen ab, der Handel mit digitalen Gütern den mit echter Ware.

Und doch meldet der Zukunftsforscher Harald Welzer, im Hauptberuf Professor für Transformationsdesign an der Uni in Flensburg, Zweifel an. Die frohe Zukunft aus selbstdenkenden Maschinen, riesigen Cloudspeichern mit eigenem Lernvermögen und allmächtigen Großunternehmen wie Google, Apple und Amazon als Profiteuren sieht der 63-Jährige als "Angriff auf unsere Freiheit", wie es im Untertitel seines neuen Buches "Die smarte Diktatur" heißt.

Welzer, der zuletzt mit "Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand" Konsumwahn und "politisches Illusionstheater" (Welzer) gleichermaßen - und gemessen an Verkaufszahlen sehr erfolgreich - kritisiert hatte, schlägt diesmal einen großen Bogen von der Verfolgung im Nationalsozialismus zum Datentracking durch kommerzielle Unternehmen und staatliche Behörden. "Diese Formation macht die totale Überwachung von Menschen perfekt umsetzbar wie noch nie in der Geschichte", urteilt er.

Selbst im Kleinen, auf der äußersten Benutzeroberfläche, zeigten sich die Folgen. Daten aus sozialen Netzwerken dienen als Futter für sogenannte Shit Storms, Menschen werden aufgrund ihrer öffentlich geäußerten Meinung zu einem bestimmten Thema als ganze Person angegriffen und zuweilen richtiggehend vernichtet.

Eine Gesellschaft lernt daraus, sie verändert sich.


Sie spricht irgendwann nicht mehr offen aus, was sie im Inneren bewegt.

Freiheit, eigentlich die Abwesenheit von Zwang, wird subtil neu zugeteilt. Der moderne Mensch nimmt sie sich selbst. Und verliert sie gleichzeitig dabei, ohne es zu spüren. Harald Welzer beschreibt das nachvollziehbar, bleibt aber hier nicht stehen. Nach und nach entblößt er die tieferen Strukturen des digitalen Heuhaufens: die im Elend gründenden Lieferketten der glänzenden Smartphone-Wirtschaft, die allein in Deutschland die Energieproduktion von vier Atomkraftwerke verzehrenden Serverfarmen, die globalisierte Billigproduktion von Lifestyle-Artikeln. Und das alles nur, schließt Harald Welzer messerscharf, um "Probleme zu lösen, die wir zuvor nicht hatten".

Zu drastisch, aber nötig, um die Grundanklage des Neokolonialismus zu begründen, die er schließlich erhebt. An den habe die Menschheit ihre Zukunft verloren, es sei Zeit, sie von der "smarten Diktatur" zurückzuholen. Wenn es denn nicht schon zu spät ist.




Donnerstag, 20. Oktober 2016

So gründlich hätte ein Atomkrieg die DDR vernichtet


Als es frostig wurde im Kalten Krieg, spielten die USA die Möglichkeit durch, die Sowjetunion mit einer Serie von massiven Atomschlägen nuklear zu enthaupten. Nicht nur die UdSSR selbst war dabei im Visier, sondern auch deren verbündete Staaten in Osteuropa. Allein zwischen Erfurt und Peking zählt die geheime Liste mit der Identifikationsnummer 32006765 genau 948 Orte, die als Ziele ausgemacht waren. Gemeinsam ist allen Städten, dass es sie nicht mehr geben würde, wären die Pläne aus einer Atomkriegsstudie des US-Militärs jemals zum Einsatz gekommen. Das Strategic Air Command (SAC) der US-Luftwaffe hätte sie förmlich ausgelöscht, wie sich mit Hilfe der Online-Simulation Nukemap simulieren lässt.

Auch Halle wäre im Fall einer Eskalation der Auseinandersetzungen mit dem Warschauer Pakt nach den Vorgaben des SAC-Chefs General Curtis LeMay komplett zerstört worden. Mit zwischen 36.000 und mehr als 100.000 Toten und 50.000 bis 100.000 Verletzten hätte es die Stadt nach einem Besuch der US-Atombomberflotte mit B-47-Bombern aus Großbritannien, Marokko und Spanien und B-52 aus den USA nicht mehr gegeben.

Laut der „Air Power & Systematic Destruction List“ stand Halle nicht direkt auf der Zielliste. Doch um einen nuklearen Schlagabtausch zu verhindern, wollten die USA Städte mit sowjetischen Truppenstützpunkten wie Merseburg, Aken, Bernburg, Tröglitz, Dessau, Merseburg, Wittstock oder Zerbst so massiv angreifen, dass die Saalestadt ebenfalls zum Ground Zero geworden wäre. Eine zweite Liste sogenannter Delta-Targets enthielt dann weichere Ziele wie Verkehrsknotenpunkte, Städte und Industriezentren. Spätestens jetzt wäre nach einem 800-seitigen Papier, das nach einer Klage des Journalisten Michael Dobbs im Dezember 2015 vom Nationalarchiv freigegeben werden musste, ganz Ostdeutschland zu einer atomaren Wüste geworden.

Weil überwiegend Explosionen auf dem Boden vorgesehen waren, um die Infrastruktur möglichst gründlich zu zerstören, rechnete die Air Force zudem mit einem viel höheren nuklearen Fallout als bei gleich großen Nuklearexplosionen in der Luft, wie sie Hiroshima und Nagasaki zerstört hatten. Diese Phase der „systematischen Zerstörung“ des sogenannten „kriegsfähigen Potentials“ des Ostblocks hätte den Abwurf von Atombomben mit einer Sprengkraft von nur 0,16 Megatonnen vorgesehen. Auch das ist aber immerhin noch acht Mal mehr als die Nagasaki-Bombe hatte.



Freitag, 14. Oktober 2016

Bob Dylan in der DDR: Muffliger Gott mit Gießkannenstimme

Ein warmer Tag. Und die ganze Republik ist auf den Beinen. Keiner, der nicht gut drauf zu sein scheint. Wochenlang war das Ereignis ausgiebig diskutiert und minutiös vorbereitet worden. Abfahrt dann, dort und dort, Fahrt, Halt zum Bierholen an dieser und jener Stelle, Weiterfahrt und Treff mit den anderen, wer immer das im Einzelfall war. Irgendwie bedeutete Dylan ja plötzlich selbst denen was, die sonst nur Van Halen und Genesis hörten.

Hätte es, was damals nicht der Fall war, die verunglückten Spätwerke des Meisters in den "Plattenläden" genannten staatlichen Verteilstationen gegeben und wären, was bis zuallerletzt nicht erlaubt wurde, außerdem richtige Hitparaden zugelassen gewesen, niemand hätte dem altgewordenen zornigen jungen Zimmermann die Nummer eins streitig machen können. Dylan war, wenigstens, bevor er dann wirklich auf die Bühne kam und grußlos ein Lied namens "When The Night Comes Falling Down" zu nölen begann, mehr als irgendein Sänger sonst in irgendeinem Konzert. Mit ihm zog die neue Zeit, er kündete unübersehbar vom Ende der ostdeutschen Popprovinz.

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So wenigstens hatten es sich die Hunderttausend auf der Wiese vor der Parkbühne in Treptow ausgedacht, die ihm wie auf einer verfrühten Republiksgeburtstags-Kundgebung seltsame Losungen wie "Fürstenwalde grüßt Bob Dylan" entgegenreckten. Ein bißchen Anbiederung, ein paar warme Worte und ein klein wenig "Sing-with-me" und Dylan hätte als Erlöser enden können. Das wurde dann allerdings doch nichts.

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Nachmittags hatten noch alle Nachwuchs-Bobs der Republik an allen Straßenecken Berlins ein "Like A Rolling Stone" genäselt. Abends dann war Gott nur ein fusselbärtiger Mann im Bauernhemd, der mit Gieskannenstimme uninspiriert vor sich hinmummelte. Dazu konnte man weder besonders gut tanzen noch im Takt klatschen. Das zweifellos Bemerkenswerteste an seinem Konzert war die ratlose Begeisterung der Massen, das grußlose Ende nach kaum mehr als neunzig Minuten und der anschließende Versuch der Heimfahrt, bei dem sich zehntausend Menschen in die sieben Waggons des einzigen Reichsbahn-Nachtzuges Richtung Süden zu zwängen versuchten. Es klappte nicht. Das war die DDR.

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So groß die Enttäuschung am Tag danach - geträumt wurde weiter unverdrossen. Was hat er wohl sagen wollen, indem er gar nichts sagte? Geübt im Lesen zwischen den Zeilen, versuchten sich Stammtischrunden an der Dechiffrierung der Dylan`schen Botschaft. Es gab Bier, 56 Pfennige das Glas, und es gab "Goldbrand" dazu und die Kneipen machten Schluß, wenn es am Schönsten war. Das war mitten in der Nacht und die Lösung von "how does it feel" stand in den trüben Sternen über Halle-Neustadt.