Sonntag, 6. November 2016

Tiefe Einblicke ins Fan-​Ge­hirn


Wenn es ums Geld geht, aber nebenbei auch soziale Erwägungen mitspielen, schaltet das menschliche Gehirn in einen anderen Verarbeitungsmodus. In diese Richtung deuten Ergebnisse einer Studie, die an der Universität Bonn durchgeführt wurde. Bei den zugrundeliegenden Tests konnten Probanden Musikstücke kaufen und den zu zahlenden Preis selbst festlegen. Die Forscher zeichneten währenddessen die Hirnaktivität der Teilnehmer auf - mit verblüffenden Ergebnissen.

Als die Band Radiohead vor zehn Jahren ein neues Album zum Download ins Internet stellte, ohne dafür einen festen Preis zu verlangen, war das ein Großexperiment. Kaufen, aber zu dem Preis, den der Käufer zu geben bereit ist? Ein schlechtes Geschäft, meinten Skeptiker. Doch die Fans belehrten sie eines Besseren: Zwar zahlte nach externen Beobachtungen kaum die Hälfte aller Käufer. Die andere Hälfte aber zum Teil viel zu viel, so dass das Album trotzdem auch kommerziell ein Erfolg wurde.

Wie aber kommt diese unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaft, zu zahlen? Was sich bei Käufern im Gehirn abspielt, wollten Wissenschaftler der Uni Bonn im Experiment ermitteln. 25 Teilnehmer steckten sie in einen Hirnscanner, dort hörten die Probanden einen Ausschnitt aus einem Musikstück, anschließend sollten sie entscheiden, ob sie das dazugehörige Album kaufen wollten oder nicht. In einigen Fällen durften die Versuchspersonen dabei entscheiden, wie viel Geld sie ausgeben wollen. Unabhängig vom gezahlten Betrag würden sie die Musik aber auf jeden Fall behalten dürfen. Für die Gegenprobe hatten die Forscher einen Fixpreis festgelegt, dessen Höhe den Teilnehmern nicht bekannt war. Die Probanden konnten ihren Kaufpreis vorschlagen, wussten aber, dass sie das Album nur bekommen, wenn ihr Vorschlag über dem Festpreis liegt.

"Im Fixpreis-Szenario fanden wir Aktivierungsmuster, die genau unseren Erwartungen entsprachen", erklärt Sebastian Markett von der Abteilung Differentielle und Biologische Psychologie: "Direkt beim Hören des Musikstückes wurden bei den Probanden bestimmte Hirnstrukturen aktiv, die zum sogenannten Belohnungssystem zählen." Je besser den Teilnehmern ein Stück gefiel, desto stärker fiel diese Aktivierung aus. Mit deutlichen Folgen: "Desto höher war im Anschluss die Summe, die sie für das Album boten."

Der Musikgenuss bestimmte also, wie viel die Musik dem Käufer wert war. Anders sah es dagegen aus, wenn die Teilnehmer nach dem Hören des Stücks erfuhren, dass sie über den Preis selbst bestimmen können. In diesen Fällen ließ sich aus der Aktivierungsstärke des Belohnungssystems nicht auf die Summe schließen, die die Probanden später zahlen würden. "Stattdessen lief bei ihnen eine Gehirnregion zu Höchstform auf, die auf visuelle Reize reagiert, die eine soziale Komponente beinhalten", wie Simon Waskow erklärt, der die Studie mitverfasst hat.

Die Folge: "In die Entscheidungsfindung wurden nun nicht mehr nur ökonomische Überlegungen, sondern auch soziale Erwägungen wie eben der Fairness-Gedanke einbezogen." Der Preis, der niedriger sein könnte, steigt nun dadurch, dass niemand sich nachsagen lassen will, er zahle zu wenig. 

Mittwoch, 2. November 2016

Eric Fish: Mit leichter Hand


Der in Halle aufgewachsene Subway-to-Sally-Sänger Eric Fish schlüpft auf seinem sechsten Solo-Album wieder in das Gewand des Liedermachers.

Wenn seine Band antritt, dröhnen die Drums, die Gitarren gellen und allerlei atemberaubende Blasinstrumente sorgen für einen unverwechselbaren Sound. Subway to Sally, vor 26 Jahren in Potsdam gegründet, sind die Superstars des Mittelalter-Metal, die ungekrönten Könige einer Musik, deren Fans am liebsten Schwarz tragen und die Lieder ihrer Lieblingsbands immer auch als Lebenshilfe begreifen. Laute Musik vertreibt die Sorgen des Alltags. Und die besonders metaphernreichen Texte laden zum Grübeln und Sinnieren.

Dabei bleibt es auch, wenn Subway-Sänger Eric Fish auf Solopfaden wandelt. Der in Halle aufgewachsene Musiker, der eigentlich Erik-Uwe Hecht heißt, tut das seit 1999 regelmäßig. Und was anfangs aus dem Versuch bestand, Klassiker wie "Find the coast of freedom" oder "Ehrlich will ich bleiben" für ein neues, jüngeres Publikum zu retten, ist unterdessen längst ein zweites, festes Standbein des 46-Jährigen geworden. 


Die meist originell ausgewählten und in ebenso exakten wie gefühlvollen Interpretationen dargebotenen Coverversionen hat Fish auf "Zugabe" genannte EPs verbannt. Auf den richtigen Solo-Alben dagegen gibt es richtige Solostücke, selbst geschrieben und mit der bewährten Mannschaft Uwe Nordwig, Gerit Hecht und Rainer Michalek eingespielt. Aufgenommen wird nicht mehr live, sondern im Studio.

Im Gegensatz zu Subway to Sally, wo Fishs prägnante Stimme flankiert wird von einem Orkan aus Sounds, Rhythmen und Riffs, geht es bei Fish solo aber immer noch ruhig zu. Auch "Mahlstrom", das neue Album, macht da keine Ausnahme, obwohl Fish, der bis zur vierten Klasse in Halle lebte und heute als einziger Ex-Hallenser in der ersten Rockliga mitspielt, hier erstmals fast durchgehend einen Drummer beschäftigt.

Die Musik ist dennoch eher leise als laut, klassische Liedermacher-Kost mit flirrenden Akustikgitarren und schönen Melodiebögen. Fish schreibt zu seinen Melodien, die bei "Kreuzfahrt" mal arabisch, bei "Rad" dagegen eher irisch wirken, Texte, die nach den Herzen der Zuhörer greifen. Das Leben und die Liebe, der Jammer und der Triumph, für jedes Gefühl findet der studierte Maschinenbauer genau die richtige Ausdrucksweise.

Und die richtigen Kollaboranten. Johanna Krins, Sängerin der bayrischen Folkband Delva, singt beim finalen "Schlaf" mit und spielt zudem bei weiteren Stücken Klavier. Bei "Geben und Nehmen" schließlich treffen zwei Hallenser aufeinander: In der biblischen Geschichte um Kain und Abel teilt sich Eric Fish den Gesang mit Ralf Schmidt alias Falkenberg, dem anderen kantigen Singer/Songwriter aus der Händelstadt, mit dem er ab Ende des Monats auch auf Deutschland-Tournee unterwegs sein wird. Gemeinsam machen die beiden hier Front gegen Egoismus und Eigensucht, gegen die "gierige Hand", die den Armen nimmt und den Reichen gibt. "Was du nicht willst, das dir getan, das tue auch nicht anderen an", heißt es da.

Ein Schlüsselsatz, so alt wie die Idee zu dieser Musik hier, die im besten Sinne klassisch ist, ohne Allüren und modische Tricks. Eric Fish ist im Grunde ein Bänkelsänger, der sowohl melodisch als auch inhaltlich immer wieder zu überraschen weiß, indem er Bedeutungen gegen Erwartungen kippt. Die Band musiziert, als säße sie in einem kleinen Klub, Fish singt aus vollem Herzen, der Sound ist warm und weich, ein Kuschelzimmer aus Noten und Fishs Grübeltexten, in denen der Hörer immer wieder neue Bedeutungsebenen entdecken kann.

Konzerttermine hier:
www.ericfish.de
www.falkenberg-musik.de

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Nachruf: Manfred Krug, der Glatzkopf aus der Zone


Seinen letzten Hitparadenerfolg hatte Manfred Krug an der Seite von Charles Brauer mit einem Album voll gut abgehangener Oldies. Erst zu dieser Zeit entdeckte der Schauspieler den Sänger in sich wieder.

Popstars sehen anders aus. Popstars haben keine hohe Stirn bis in den Nacken. Nicht ein Delta aus Lachfältchen um die Augen. Keinen Schmerbauch unterm Doppelkinn, nicht diesen fatalen Hang zum Hosenträger, und meist tragen Popstars auch nicht gewienerte Halbschuhe zur scharf gebügelten Cordhose.

Nur zählt das alles nicht, weil Charles Brauer und Manfred Krug nicht mehr jung, hübsch oder modisch waren, also sie mit wohlig-warm gebrummten Weisen Marke "Stormy Weather" Teenie-Lieblinge wie Oli P., Weltstars wie Bryan Adams und Jazz-Legenden wie Al Jarreau in den deutschen Verkaufshitparaden hinter sich ließen.

Es war der letzte Aufruf für Manne Krug, wie ihn seine Fans und Bewunderer nannten. Als „Tatort“-Kommissar Stoever hatte er mit seinem Kollegen Brauer alias Brockmöller bei den Dreharbeiten auf einer kleine Vogelinsel in der Elbmündung Langeweile gehabt. "Ein Leuchtturm, zwei Bauernhöfe, zwei Kneipen", beschrieb Manfred Krug, "also keine Möglichkeit, den Drehtag mit ein bisschen guter Musik, einem schönen Wein und einer guten Zigarre ausklingen zu lassen."

Doch wie der Zufall wollte, stand im Gasthof, in dem er gemeinsam mit seinem Partner Charles Brauer untergebracht ist, ein Klavier: "Ja, und da haben wir halt abends davor gehockt und ganz spontan ein paar Lieder gesungen", erinnerte sich Charles Brauer, "wir hatten in dem Moment wohl auch einen Kleinen sitzen."

Das Publikum der Premiere der beiden Brummbären ließ sich an zwei Fingern abzählen. "Manfred spielte, ich fing einfach an, das Ding zu singen", erzählt Brauer,"und Manfred sagte, Mensch Brocki, ist ja toll." Der Anfang einer Rückkehr des Manfred Krug zur Karriere des Sängers, die er in der DDR hatte.

"Als ich noch dort lebte", erzählt er, "war das ja auch eher eine dankbare Sache, denn da gab es keine amerikanischen Originale, da musste man das selber machen." Gemeinsam mit dem Musiker und Orchesterleiter Günther Fischer spielte Krug damals neun Schallplatten ein, auf ausverkauften Tourneen feierten die Menschen ihn und seine "Berliner Jazzoptimisten".

Krug, zu DDR-zeiten als Clemens Kerber auch Autor seiner eigenen Stücke, war unter der Käseglocke der DDR-Kultur alles auf einmal: Blood, Sweat & Tears, Ray Charles und Frank Sinatra.

Seine komödiantischen Kabinettstückchen wie "Der Hase im Rausch" und "Die Kuh im Propeller" können nicht nur beinharte Fans bis heute in exakter Manne-Manier rezitieren.

Nach der Ausreise des Superstars des DDR-Soul blieb von der Herrlichkeit nicht viel. "Als ich rüber kam, bin ich noch einmal ins Plattenstudio", sagt Krug, "aber da kamen kaum die Kosten wieder herein." Im Westen habe ihn niemand gekannt, meint er, "die Leute haben zu Recht alle auf Milva geguckt, nicht auf diesen Glatzkopf aus der Zone."

Krug, der sich über die Rolle des Fernfahrers Franz Meersdonk in der Vorabend-Serie "Auf Achse", wieder ins große Geschäft kämpfte, hat das Singen nicht vermisst. Das Publikum vermisste ihn auch nicht. Zwanzig Jahre blieb es bei gelegentlichem Brummeln vorm Badezimmerspiegel, ohne dass ihm etwas fehlte. "Ich habe mich wieder auf meine eigentliche Arbeit kapriziert", sagt der 63-Jährige, der seine Liebe zum "antiken endgültigen Schlager" nur noch als Schallplattensammler pflegte.

Doch je älter er wurde, desto mehr zog es ihn zurück auf die Bühne. Kleine Bühne, gern mit Uschi Brüning, volle Säle, aber meist in der Provinz. Krug, der immer in der ersten Reihe stand, ließ sein Leben im wahrsten Sinne ausklingen. Er sang "Alright, Okay, You Win" und „On the sunny side oft he street“, dünner geworden, aber immer noch ein Charakterkopf, der sich lange Touren zumutete, die mancher halb so alte Künstler abgelehnt hätte.Aber Krug war ein Zirkuspferd, eine der Bühnenmaschinen, die raus müssen und Publikum brauchen, weil sie sonst eingehen.

Als er starb, 20 Jahre nach seinem letzten Film und nur zwei nach seiner letzten CD, zudem direkt aus einer laufenden Tournee gerissen, wurde er als Schauspieler betrauert. Und als "ostdeutscher Schauspieler" sowie - obwohl er gerademal 20 seiner 60 Karrierejahre in der DDR verbachte.



Samstag, 22. Oktober 2016

Harald Welzer: Im digitalen Heuhaufen


Der Zukunftsforscher Harald Welzer sieht die Gesellschaft vom Internet bedroht.

Alles auf einmal, alles gleich und am besten alles auch noch überall und jederzeit - die Versprechen der digitalen Zukunft haben die Gesellschaft im letzten Jahrzehnt stärker verändert als Mauerfall und Ende des Staatssozialismus. Die Welt ist offener geworden, kleiner und gleicher, neue Firmen wuchsen zu Giganten, alte Wirtschaftszweige brachen zusammen. Technologie löste Menschen ab, der Handel mit digitalen Gütern den mit echter Ware.

Und doch meldet der Zukunftsforscher Harald Welzer, im Hauptberuf Professor für Transformationsdesign an der Uni in Flensburg, Zweifel an. Die frohe Zukunft aus selbstdenkenden Maschinen, riesigen Cloudspeichern mit eigenem Lernvermögen und allmächtigen Großunternehmen wie Google, Apple und Amazon als Profiteuren sieht der 63-Jährige als "Angriff auf unsere Freiheit", wie es im Untertitel seines neuen Buches "Die smarte Diktatur" heißt.

Welzer, der zuletzt mit "Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand" Konsumwahn und "politisches Illusionstheater" (Welzer) gleichermaßen - und gemessen an Verkaufszahlen sehr erfolgreich - kritisiert hatte, schlägt diesmal einen großen Bogen von der Verfolgung im Nationalsozialismus zum Datentracking durch kommerzielle Unternehmen und staatliche Behörden. "Diese Formation macht die totale Überwachung von Menschen perfekt umsetzbar wie noch nie in der Geschichte", urteilt er.

Selbst im Kleinen, auf der äußersten Benutzeroberfläche, zeigten sich die Folgen. Daten aus sozialen Netzwerken dienen als Futter für sogenannte Shit Storms, Menschen werden aufgrund ihrer öffentlich geäußerten Meinung zu einem bestimmten Thema als ganze Person angegriffen und zuweilen richtiggehend vernichtet.

Eine Gesellschaft lernt daraus, sie verändert sich.


Sie spricht irgendwann nicht mehr offen aus, was sie im Inneren bewegt.

Freiheit, eigentlich die Abwesenheit von Zwang, wird subtil neu zugeteilt. Der moderne Mensch nimmt sie sich selbst. Und verliert sie gleichzeitig dabei, ohne es zu spüren. Harald Welzer beschreibt das nachvollziehbar, bleibt aber hier nicht stehen. Nach und nach entblößt er die tieferen Strukturen des digitalen Heuhaufens: die im Elend gründenden Lieferketten der glänzenden Smartphone-Wirtschaft, die allein in Deutschland die Energieproduktion von vier Atomkraftwerke verzehrenden Serverfarmen, die globalisierte Billigproduktion von Lifestyle-Artikeln. Und das alles nur, schließt Harald Welzer messerscharf, um "Probleme zu lösen, die wir zuvor nicht hatten".

Zu drastisch, aber nötig, um die Grundanklage des Neokolonialismus zu begründen, die er schließlich erhebt. An den habe die Menschheit ihre Zukunft verloren, es sei Zeit, sie von der "smarten Diktatur" zurückzuholen. Wenn es denn nicht schon zu spät ist.