Sonntag, 11. September 2016

9/11, 15 Jahre danach: Die Mutter aller Lügen


Verräter. Verbrecher. Verschwörer. Falsche Bärte und gefälschte Fährten, kalte Spuren und heiße Eisen. Nein, auch nach 15 Jahren ist noch nicht alles über den 11. September 2001 erzählt, noch nicht jede Möglichkeit ausgelotet. Das hat William Cooper gerade erst bewiesen: Mit dem mühsam zusammengekehrten Video "10 erschütternde Fakten zu 9/11" holte er sechs Millionen Klicks bei Youtube. Zuschauer waren die, die auch nach anderthalb Jahrzehnten noch an den unzähligen Rätseln rund um den Angriff auf Amerika knabbern. Was heißt auch. Erst recht.

Natürlich, denn Khalezov bezichtigt nicht nur die US-Regierung der Lüge über die Anschläge. Das tun sie alle, die Wahrheitssucher und Verschwörungstheoretiker, die Aufdecker und Aufklärer. Auch der in Palästina geborene Isländer Elias Davidsson, im Hauptberuf Komponist, weiß genau, wie es nicht war: So, wie es offiziell behauptet wird.


Atombombe im Fundament


Das World Trade Center wurde am 11. September 2001 gar nicht von Flugzeugen getroffen! Es gab keine Flugzeuge. Es gab keinen Mohammed Atta, jedenfalls keinen, der ein Attentäter war. Wie alle anderen Männer, der der Mittäterschaft an den Anschlägen beschuldigt werden, ist Atta für Davidsson ein "unschuldiger Muslim". Für alles andere gebe es keine Beweise.


Immerhin, wieder etwas richtig Originelles im seit zehn Jahren währenden Streit um den wahren 11. September. Seit dem Tattag ist schon so ziemlich alles enthüllt worden: Es gab keine Flugzeuge, nur eine kontrollierte Sprengung. Es gab keine Attentäter, sondern einen "Inside Job" von US-Regierungskreisen. Ins Pentagon schlug kein Flieger ein, sondern eine Rakete. Dafür wurde die von Passagieren zurückeroberte vierte Maschine von einem Jäger abgeschossen.



Die "Mutter aller Lügen" nennen bekennende Ungläubige die Ereignisversion der US-Regierung, in der Al-Qaida-Terroristen, begünstigt durch allerlei Schlampereien, vier Flugzeuge entführen und zu Waffen umfunktionieren konnten.


Denn das wäre viel zu einfach. Und keine Erklärung für die Unmenge an Ungereimtheiten, die ein Blick auf den Bericht zutage fördert, den der US-Kongress 441 Tage nach den Anschlägen vorlegte. Wie etwa konnte es den Terroristen gelingen, trotz Einreiseverbotes in den USA Flugunterricht zu nehmen? Wie schafften es Terrorpiloten, denen Fluglehrer jede Befähigung zum Steuern einer Kleinmaschine absprachen, große Jets zielgenau in die WTC-Türme zu steuern? Wieso wurden die Stahlträger der Türme vom brennenden Kerosin geschmolzen, obwohl doch der Schmelzpunkt von Stahl weit über der Verbrennungstemperatur von Flugzeug-Treibstoff liegt?

Anzeichen für Sprengungen

Weshalb schließlich sahen Augenzeugen vor dem Einsturz Anzeichen für Sprengungen? Warum stürzte das Hochhaus WTC 7 ein, obwohl es kaum von Trümmern getroffen worden war? Wie konnte eine Boeing von 38 Metern Breite nach dem Angriff auf das Pentagon in einem nur fünf Meter breiten Loch verschwinden? Und wie schafften es Passagiere in den entführten Flugzeugen, mit ihren Handys zu telefonieren? Wo doch später Versuche ergaben, dass es unmöglich ist, eine Verbindung zu bekommen?

Abweichende Antworten haben Dauerkonjunktur, vor allem im Internet. In zahllosen Foren diskutieren selbsternannte "Truther" seit anderthalb Jahrzehnten ruhelos angebliche und wirkliche Widersprüche. Wahrheitsfilme wie "Zeitgeist" oder "Loose Change" erreichen ein Millionenpublikum. Vortragsreisende von Elias Davidsson knibbeln lose Ende zusammen und drehen der offiziellen Version einen Strick. Zuletzt speiste sich das Phänomen der Tea-Party in den USA aus dem Lager der "9/11 Truther", in dem sich die versammeln, die die amtliche Geschichte vom Angriff der Attentäter aus den Bergen von Afghanistan nicht glauben wollen.

Der Zweifel ist nicht nur im Zielland der Anschläge eine Industrie geworden, die sich von den zahllosen ungeklärten Widersprüchen der offiziellen 911-Geschichte ernährt. Vielmehr markiert das Zweifeln nach dem 11. September den Beginn einer Ära, in der immer mehr Menschen an immer mehr Dingen zweifeln.

Früher Fall für Gespensterjäger

Früher waren Verschwörungstheorien ein Fall für Gespensterjäger. Die Mondlandung gefälscht, der Ufo-Unfall von Roswell. Oder die Ermordung John F. Kennedys , der natürlich nicht von einem einzelnen Schützen erschossen, sondern im Auftrag von CIA, dem Vizepräsidenten und der Militärindustrie hingerichtet wurde. Ebenso übrigens wie Prinzessin Diana , von der man leider bis heute nicht weiß, wie sie die Pläne der geheimen Weltregierung störte. Aber tot ist sie, was nach der Überzeugung von Verschwörungstheoretikern ganz klar beweist, dass sie jemanden im Wege gewesen sein muss. warum sonst sollte sie tot sein?

Wer Spaß an Fantasiespielen hatte, spann die Geschichten vom "Unternehmen Capricorn" weiter. Manche verglichen Fotos. Anderen lachten über die "Mothman-Prophezeiungen".  „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her", hat der US-Schriftstelle Joseph Heller schon vor vielen Jahren festgestellt. Und so war es ja auch.

Wie im Film „Fletschers Visionen", in dem Mel Gibson als New Yorker Taxifahrer Jerry Fletcher die von Julia Roberts gespielte Staatsanwältin Alice Sutton so lange mit verqueren Verschwörungstheorien behelligt, bis sich herausstellt, dass es tatsächlich eine ganz hoch angebundene Verschwörung gegen den US-Präsidenten gibt, zeigt sich in der wahnhaften Furcht vor Beobachtung und Überwachung ein notwendiger Überlebensreflex. Es ist ja so, und es ist eigentlich noch viel schlimmer.

Seit Snowden ist das bekannt. Das Ausmaß der Überwachung des öffentlichen Lebens durch westliche Geheimdienste ist größer als es sich Verschwörungstheretiker je hatten erträumen lassen. Seit  der NSU ist klar, dass Geheimdienste und Nazi-Terroristen einander immer zuarbeiteten. Die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Behauptung, es gebe ein vom Gesetzgeber geschütztes Fernmeldegeheimnis, sind dahin.

Und mit ihnen auch das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung in die eigene Urteilskraft.

Die Spinner haben Recht

Die Spinner hatten Recht! Die Wahnsinnigen wussten mehr über das wahre Leben als Klugen, entspannt zurückgelehnt lebenden Internetauskenner! Ein Schock, dessen Nachwirkungen inzwischen überall zu beobachten sind.

Nicht nur bei den 9/11-Forschern, sondern auch bei den Reichsbürgern, nach deren Ansicht die Bundesrepublik nicht existiert, wenn man sich selbst zum Staat ausruft.

Die Gewissheiten sind mit demselben Tempo verschwunden, mit dem der Staat selbst Hand an seine Rechtsgrundlagen legte. Die EU-Verträge waren irgendwann nur noch Papier, in den EZB-Rechtsvorschriften fand sich eine monetarisierbare Lücke. Die Grenzen gingen auf, das vertrauen ging runter.

Inzwischen halten Teile der Bevölkerung nicht mehr nur Roswell, Hitlers Flucht nach Argentinien und die Existenz von Reptiloiden für durchaus möglich. Sondern auch, dass Angela Merkel  bei der Stasi war und bis heute in Erich Honeckers Auftrag handelt.

Denn wenn es möglich ist, dass, wie die Bundesregierung tapfer schwört,  niemand davon gewusst hat, dass die CIA die Kanzlerin abhört, dann gibt es eigentlich nichts mehr, was mit einiger Fantasie nicht auch noch vorstellbar wäre. In einem Hangar auf der amerikanischen Air Force Base Wright- Patterson lebt ein Außerirdischer? Jemand hat einen Vergasermotor entwickelt, der nur acht Liter Benzin auf 500 Kilometer verbraucht, die Autokonzerne aber haben das Patent aufgekauft und halten es unter Verschluss? Microsoft-Chef Bill Gates ist in Wirklichkeit der Teufel persönlich, denn korrekt heißt er William Henry Gates III. Wenn man die Buchstaben seines Namens in Codes der Computersprache ASCII umwandelt, ergibt das 666, die Ziffer des Gottseibeiuns. Vielleicht gibt es sogar ein Abhörsystem namens Echelon, mit dem die CIA jedes Telefongespräch, jede E-Mail und jedes Fax weltweit abfangen und mitlesen kann?

Echelon - vom Gerücht zur Tatsache in 30 Jahrem

Gibt es. Wirklich. Echelon etwa war drei Jahrzehnte lang ein unbestätigtes Gerücht. Jeder konnte die riesigen Abhöranlagen in Bad Aibling oder dem malloiquinischen Puig Major de Son Torrella sehen. Aber selbst europäische Spitzenpolitiker beteuerten, worum es sich handele, sei nicht ganz klar. Erst 2001 gelang es einer offziellen Untersuchungskommission des europäischen Parlaments, die bereits 1976 durch den NSA-Mitarbeiter Winslow Peck öffentlich gemachte Existenz des Systems sicher zu bestätigen. 2015 besuchte die Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff den Stützpunkt. Sie fand massive Rechtsverstöße, "die herausragende Bedeutung haben und Kernbereiche der Aufgabenerfüllung des BND betreffen". Zwölf offizielle Beanstandungen ausgesprochen. Weiter geschah nichts.

Das Volk protestierte nicht. Es nahm vielleicht nicht einmal zur Kenntnis. Es erwartete wohl auch gar nichts anderes.

Vertrauen lässt sich nur einmal verlieren, dann ist es für immer weg.

Freitag, 2. September 2016

Luther in schlechtem Licht: Wer nichts hat, nimmt eben das


Jahrelang war es das brutalstmögliche Frühaufstehen, mit dem Sachsen-Anhalt weltweit für Aufsehen sorgen wollte. Hunderttausende Euro wurden verbraten, um mit Schildern an Autobahnen deutlich zu machen, dass hier früher aufgestanden wird als anderswo. Ganze Plakatserien sollte es anfangs geben, daraus wurde - die Ansprüche sind bescheiden - dann zwar nur aller paar Jahre mal ein neues Motiv. Aber sechs Millionen kostete der Spaß. Ein paar davon will die EU inzwischen zurück.

Doch zumindest durch den leichten Hang ins Absurde wurde der Claim "Wir stehen früher auf" am Ende doch zumindest ein wenig berühmt.

Zeit für einen Neuanfang, befand die Landesregierung. Und griff tief in die Kiste mit der Landesgeschichte. „Sachsen-Anhalt Ursprungsland der Reformation“ ist nun anstelle von „Willkommen im Land der Frühaufsteher“ auf den Schildern zu lesen, die künftig entlang der Landesgrenze an den Autobahnen stehen sollen. Zwei zusammengesetzte Substantive. Ein Artikel. Ein Fremdwort. Und ein halber Rechtschreibfehler. Sachsen-Anhalt in einem grammatikalisch unvollständigen Satz auf den Punkt gebracht.

„Wir wollen ab jetzt situativ auf bestimmte Ereignisse im Land hinweisen", begründet ein Regierungssprecher die Wahl des Slogans, der noch eine Ecke kantiger ist als der frühere.

"Bestimmte Ereignisse im Land". Die sich vor 500 Jahren abgespielt haben.

Wer nichts hat, nimmt eben das.

Irgendwie passt dann auch der Rest. Der Ministerpräsident baute sich bei der Vorstellung der Kampagne, die keine sein soll, jedenfalls "keine vollständige", wie es offiziell heißt, so unglücklich auf, dass er den Agenturfotografen den freien Blick auf die einzige Botschaft der Plakate verbaut. "luther-erleben.de" steht genau da, wo man es hinter der Gestalt mit den hängenden Anzugschultern und den schmalen Zitronenlippen nicht lesen kann.

Für ein Hinweisbanner auf die Kampagne beim Landesportal haben sich die Initiatoren für eine abweichende Schriftart in anderer Farbe entschieden. Nein, hier gibt es kein einheitliches Design! Vielleicht, um zu unterstreichen, dass es gar keine richtige Kampagne ist. Deshalb unterblieb wohl auch eine Verlinkung von sachsen-anhalt.de zu luther-erleben.de. Suchmaschinen danken das, das wissen sie in Magdeburg. Und beachten es: Wenn man auf der Startseite des Landesportals sachsen-anhalt.de links oben auf das Sachsen-Anhalt-Logo klickt, kommt man direkt - richtig, auf die Startseite von sachsen-anhalt.de, auf der man sich gerade befindet.

Zum Ausgleich aber hat der Präsentator das Plakat bei der Öffentlichkeitspremiere so günstig ins Licht gestellt, dass dunkle Schatten sich von der Seite ins Bild schieben.

Von rechts dunkler Schlagschatten. Hinten ein Parkverbotsschild. Vorn institutionalisierte Bewegungslosigkeit.

Sachsen-Anhalt in einem Foto.

Fest steht schon jetzt: Wen diese Werbung nicht an Saale oder Elbe lockt, der ist zu schnell gefahren.

Mittwoch, 24. August 2016

Ausbau der Überwachung: Die Codeknacker vom Amt


Whatsapp und Google bieten ihren Nutzern inzwischen Verschlüsselung serienmäßig. Die Bundesregierung reagiert darauf: Eine neue Behörde soll die Sicherheitsalgorithmen entschlüsseln.

Google machte den Anfang, aber der war bescheiden. Als der Suchriese, nebenher auch einer der größten E-Mail-Anbieter weltweit, im Dezember 2013 ankündigte, den Kommunikationsverkehr seiner Kunden künftig standardmäßig zu verschlüsseln, war das mehr Versprechen als Realität. Weil Verschlüsselung nur funktioniert, wenn Sender und Empfänger mitmachen, war letztlich nur rund ein Drittel der Mails keine elektronische Postkarte, in die jeder hineinschauen konnte.

Doch das hat sich geändert. Weil immer mehr E-Mail-Dienste und Messenger auf Verschlüsselung setzen, sind heute im Durchschnitt mehr als 85 Prozent aller E-Mails chiffriert, die Googles G-Mail-Dienst sendet und empfängt. Der Benutzer selbst merkt das nicht, denn bei ihm kommt immer Klartext an, weil nur die Übermittlung verschlüsselt wird.

Doch ein Problem damit haben Ermittlungsbehörden: Greifen sie irgendwo zwischen Sender und Empfänger in einen Mailwechsel ein, können sie zwar die Daten abgreifen. Nur lesbar zusammensetzten können sie sie nicht, weil ihnen der Schlüssel zum Schloss fehlt. Auch bei Whats-app oder der aus Sachsen-Anhalt stammenden Messenger-App Chiffry hat jede Nachricht ihr eigenes Schloss mit einem eigenen Schlüssel, so dass nicht einmal die Anbieter die über ihre Server laufenden Inhalte in Klartext verwandeln können. In den USA verurteilte ein Gericht Apple dazu, chiffrierte Kundendaten - in diesem Fall ein Passwort - an einen Geheimdienst herauszugeben. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Konzern dazu gar nicht in der Lage war.

Gut für die Nutzer, schlecht für Ermittler und Geheimdienste. Die Bundesregierung plant deshalb nach einem Bericht des sogenannten Rechercheverbundes von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR die Einrichtung einer neuen Code-Knacker-Behörde. In dieser„Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“ - abgekürzt Zitis - sollen 400 Mitarbeiter Techniken für die Überwachung des Internets und von Messenger-Diensten entwickeln. Ihre Aufgabe sei es, damit Strafverfolgern und Staatsschützern zu helfen, künftig auch verschlüsselte Botschaften im Netz mitlesen zu können. Entsprechende Pläne sollen zwei Staatssekretäre aus dem Bundesinnenministerium und das Kanzleramt Abgeordneten der Regierungsparteien bereits vor Beginn der Terrorwelle vorgestellt haben, die Deutschland zuletzt erschütterte.

Zumindest beim Selbstmordanschlag von Ansbach spielten verschlüsselte Whatsapp-Chats offenbar eine Rolle, so dass die Pläne zum Start von Zitis im kommenden Jahr nun noch mehr regierungsamtlichen Schub bekommen. Der Bundesinnenminister schließt sich Frankreichs Kampagne gegen verschlüsselte Kommunikation an, bei der die Tatsache allein, dass Menschen unbeobachtet vom Staat kommunizieren, zum Verdachtsmoment erklärt wird. De Maiziere möchte nun für sich "rechtsstaatlich eng begrenzte Möglichkeiten geben, verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln", wobei die enge Begrenzung wie immer nicht lange halten wird.

Gesucht werden für die künftige Bundescodeknackerbehörde derzeitvor allem IT-Spezialisten. Bis zum Jahr 2022 soll das neue Alt bereits 400 Mitarbeiter beschäftigen. Für das kommende Jahr sei ein Budget im niedrigen zweistelligen Millionenbereich geplant.

Der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hat den Aufbau von Zitis inzwischen harsch kritisiert. Die Strafprozessordnung liefere keine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Staatstrojanern. Thomas de Maizière hatte im Stil einer großen Semantikers auf diesen Umstand reagiert: "Die Behörden müssen technisch können, was ihnen rechtlich erlaubt ist", hatte er in Umkehrung seiner Absichten verlautbart, als liege es am technischen Unvermögen, dass der Staat nicht bei allen seiner Bürgern mitlesen darf. Nicht an grundgesetzlichen Regelungen.

Montag, 22. August 2016

Bioo Lite: Handy-Strom aus dem Blumentopf

Eine ganz normale Grünpflanze lädt das Smartphone auf? Beim Bioo Lite geht das:
Grün ist der Grundgedanke, grün auch die Umsetzung. Das spanische Unternehmen Arkyne Technologies hat wirklich einen Blumentopf entwickelt, der Handys auflädt.

Was im ersten Moment etwas seltsam klingt, ist weder Spinnerei noch Schwindel: Der Bioo Lite-Topf verfügt unter dem Platz, den Erde und Blattpflanze benötigen, über eine zweite Etage, in der in einem Substrat Bakterien leben, die mit Wasser reagieren, wenn die Pflanze beginnt, Kohlendioxid in Sauerstoff umzuwandeln und der in den Boden gelangt, wo ihn das Wasser aufnimmt.

In einem Video erklärt Arkyne genau, wie der grüne Strom in der ebenfalls in der Tiefe des Topfes verborgenen Batterie landet. Ehe er von dort aus über ein einfaches USB-Kabel zu einem - hübsch in einem Steinchen versteckten - USB-Anschluss gelangt, an den man Handy oder Tablet zum Aufladen hängen kann.

Von da an funktioniert alles wie an jeder anderen Steckdose: Laut den Erfindern kann eine Pflanze genug Energie liefern, um ein Smartphone bis zu dreimal pro Tag aufzuladen. Dabei wird sowohl nachts als auch tagsüber Strom produziert. Es wird von rund 3,5 Volt und 500 Milliampere gesprochen, abhängig sei das davon, welche Art Pflanze im Topf steckt. Um die nachzuladen, braucht Bioo Lite nichts Besonderes: Regelmäßiges Gießen reicht völlig aus.

Mehr zum Elektrotopf:
www.bioo.tech

Samstag, 20. August 2016

Das letzte Konzert des Rio Reiser: Ein König dankt ab

Rio Reiser im Jahr 1990 in der Schorre in Halle. Damals waren die Hallen noch ausverkauft.

Er weiß es an diesem Tag im Mai 1996 noch nicht, aber der Mann, der sich Rio Reiser nennt, wird heute sein letztes richtiges Konzert spielen. Einmal noch all die Lieder, wobei er seine größten Hits weglässt. Einmal noch alles geben, auch wenn die Halle längst nicht mehr ausverkauft ist. Ein paar Tage später wird er ein Konzert nicht mehr zu Ende spielen können. Alle anderen sagt er ab. Drei Monate später wird Reiser tot sein. Aber das Konzert war gut, und zwar so gut:


Erstmal zieht er immer die Schuhe aus. Kann kommen, was will – Rio Reiser setzt sich, schlüpft aus den Slippern und zerrt die blauen Frotteesocken von den Füßen. Ein Ritual. Ralf Möbius, wie Rio eigentlich heißt, tritt barfuß auf, egal, ob Mitte der 70er im Hinterhof eines besetzten Hauses, Mitte der 80er in der ausverkauften Seelenbinderhalle in Berlin oder Mitte der 90er in der kaum halb gefüllten Schorre in Halle. Danach geht er zum Mikro und singt: "Alles was ich sagen kann / ist schon längst gesagt".

Sechs lange Jahre hat Rio nicht mehr auf der Bühne gestanden. "Irgendwie keine Lust" habe er gehabt, und außerdem jede Menge anderes zu tun. Rio Reiser, der als Sänger der Anarcho-Polit-Combo Ton Steine Scherben ein Kapitel deutscher Rockgeschichte schrieb, komponierte die Musik zu einem Theaterstück, er spielte die Hauptrolle in einem "Tatort", machte ein Musical, verfaßte ein Buch und produzierte daheim auf seinem Bauernhof im verträumten Fresenhagen Platten von Freunden wie Lutz Kerschowski, der ihn jetzt als Gitarrist begleitet. Die Welt draußen hat ihn darüber ein bißchen vergessen, den einstigen "König von Deutschland". Vorbei die Zeiten, als ihn tausende Fans für Hits wie "Blinder Passagier" feierten, als ihn die versammelte deutsche Rockprominenz zum besten Texter kürte und Alt-68er, Popfans und Punks ihn gleichermaßen liebten. Heute ziehen die Jungen zu Green Day oder den Boyzone, die Mittleren treffen sich bei den Toten Hosen und die 68er pilgern zu Pur.

Reiser allerdings stört das nicht im mindesten. Die geschwollenen Augenlider fest zugekniffen, die Hände um die Gitarre geklammert, steht er da und singt. Für sein Comeback hat sich der 46jährige immerhin etwas ganz besonderes ausgedacht. Im Vorprogramm bietet er Deutschlands einzigen Minnesänger Nikolai von Treskow auf, im Abspann läßt er die Berliner Klamauk-Kapelle Knorkator lärmen.

Nichts paßt zusammen, und das ist beabsichtigt. Rio Reiser, immer für Überraschungen gut, tut weiterhin alles, Erwartungen nicht zu befriedigen. Jahrelang riefen sie in Konzerten nach alten Scherben-Stücken wie "Macht kaputt was Euch kaputt macht", aber Rio war das bald "zu blöd". Heute schreien sie nach seinen eigenen Hits -und er spielt sie nicht. Kein "König von Deutschland", kein "Alles Lüge", kein "Geld". Einer wie Reiser macht es sich selber schwer, bleibt so weitgehend unfaßbar für die Pop-Industrie und also integer immerdar.

Reiser hat gekokst und gespritzt, er qualmt wie ein Schlot und stürzt Alkoholika hinunter, als gäbe es kein Morgen mehr. Aber allen Verlockungen, den Pop-Clown zu machen und einmal im Leben richtig Geld zu verdienen, hat er widerstanden. "Ich will ich sein / anders will ich nicht sein", singt er, und das großartige "Laß" uns ein Wunder sein", bei dem seine nach den Griffen tastenden Finger den Kampf mit den Saiten aufgeben. Reisers neue Lieder, letztes Jahr erschienen auf einer Platte namens "Himmel & Hölle", sind zarter, zornloser, zurückgenommener denn je.

Der Mann, der einst jugendliches Revoluzzertum und Unangepaßtheit personifizierte, ist jenseits der 40 zum stillen Beobachter der Zeitläufte geworden. Rio rockt nicht mehr, er singt, als balanciere er barfuß über Glasscherben, und wenn er schon mal aufschaut zur staunenden Menge, dann zielt sein Blick weit über die Köpfe ins Dunkel, wo er "Licht, Liebe und Hoffnung" (Rio) sieht. "Wann, wenn nicht jetzt?, wo, wenn nicht hier, wie, wenn ohne Liebe, wer, wenn nicht wir?", fragt er tapfer, obwohl er die Antworten kennt. Und als einzige Zugabe gibt es das Liebeslied "Junimond": "Es ist vorbei, bye, Junimond, es ist vorbei".


Mittwoch, 17. August 2016

Olaf Schubert: Der Spaßvogel in der Ostbaracke

Sein Kapital ist das Gesicht, aus dem er so fassungslos und entsetzt, so gleichgültig und ernsthaft zugleich gucken kann. Olaf Schubert, hoher Scheitel, Fusselhaar und über dem schmächtigen Brustkorb den unerlässlichen Pullunder, staunt dann in die Runde, die meist gerade brüllend lacht. Lacht über etwas, das Schubert gerade gesagt hat. Aber kann das sein? Dass Menschen sich vor Vergnügen ausschütten wollen, nur weil er einen durch ein Delta an Nebensätzen mäandernden Monstersatz nach viermal durchatmen und dreimal neu ansetzen zu einem glücklichen Ende gebracht hat?

Es hat eine ganze Weile gebraucht, bis Olaf Schubert, der eigentlich Michael Haubold heißt, es geglaubt hat. Bis dahin tourte der gebürtige Plauener, der heute neben Cindy aus Marzahn, dem Eisleber Duo Elsterglanz und dem Dresdner Uwe Steimle zu Ostdeutschlands Comedy-Elite gehört, mit seiner Band DekaDance durch die Lande. Schon diese Kapelle war nicht gänzlich ernst gemeint. Zum Programm gehörten Ausschweifungen über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus, die Musiker trugen wundersame Verkleidungen und es wurde viel Unsinn erzählt. „Women back in the Kitchen“ sangen sie damals oder auch „Döbeln in the Sky“ und eine Bläsertruppe stieß dazu ins Horn, dass die Wände wackelten.

Bilder von damals zeigen Olaf Schubert in komischen Kittelschürzen, Lederjacken und Lindenberg-Hosen. Ein linkischer Kerl, dem der Schalk im Nacken sitzt. Es dauert denn auch ein halbes Jahrzehnt, bis das humorige Talent des selbst ernannten „Mittlers zwischen Kunst und Sozialabbau“ auch außerhalb der kleinen Säle entdeckt wird, in denen DekaDance auftreten. Hatte der Künstler seine ersten Jahre noch als ruhelos Reisender zwischen kleinen Klubs verbracht, in denen er seine abstrusen Protestgedichte und Aktionshörspiele mit hohem Einsatz, aber gegen ein geringes Salär vortrug, öffneten sich mit Beginn des neuen Jahrtausends die großen Tempel des deutschen Humors bis weit hinüber in den humortechnisch immer noch abgeschirmten Westen.

Schubert, der seine Hörspiele traditionell im halleschen Überschall-Tonstudio von „Zorn“-Autor Stephan Ludwig einspielt, gastiert seitdem im „Quatsch Comedy Club“ und bei „Night Wash“, er heimst Kleinkunstpreise und anno 2008 schließlich sogar den Deutschen Comedypreis als „Bester Newcomer“ ein. Dazwischen bespielt der Sachse Open-Air-Arenen wie die Pferderennbahn in Halle.

Ungeachtet des Umstandes, dass der Wahldresdner eine hochartifizielle Art von Humor pflegt, die von Anspielungen, unerwarteten Wendungen und gezielten Schlägen unter die Gürtellinie lebt, werden seine Bühnenprogramme nun zur besten Sendezeit im Fernsehen gezeigt. Zuletzt erst übernahm die ARD die vom MDR produzierte Fernsehshow „Olaf verbessert die Welt“, weil die überaus erfolgreich bei jungen Zuschauern ist.


Ebenso unverdrossen wie prinzipiell unverstanden steht Schubert nun dort auf der großen Bühne, im Scheinwerferlicht, immer noch begleitet von Bert Stephan, seinem alten DekaDance-Kollegen, und immer noch im Rauten-Pullunder, den, so will es die Legende, seine Oma ihm einst gestrickt hat. Olaf Schubert ist ein Star, ein Comedian, er spielt in der Liga von Dieter Nuhr, Mario Barth und Atze Schröder. Aber auf seine Art: Schubert sucht nach dem Tabu, um es grob zu verletzen, er ist politisch unkorrekt, beleidigend und unterwürfig zugleich und er verballhornt Begriffe und Bedeutungen, bis sie ganz neu erkennbar werden. Sich selbst nennt er deshalb stolz den „Rufer in der Wüste, Gegner der Finsternis und Vergewaltiger des Bösen“.

Der Spaßvogel in der Ostbaracke singt mit Gießkannenstimme und verhaspelt sich. Dann sattelt er den nächsten halben Satz und reitet ins Klischee, während die stets leicht verstellte Stimme in einem selbsterdachten weich dahinfließenden Bildungssächsisch Floskeln so lange aufbläst, bis sie begleitet von einem erstaunten „Oh!“ vor aller Augen platzen. Eine Kunstfigur, die noch mehr mit dem Mann dahinter verschmolzen ist als im Fall von Gilbert Rödiger und Sven Wittek, die nur alsDuo Elsterglanz wahrgenommen werden, und Ilka Bessin, die ihre erfolgreiche Kunstfigur „Cindy aus Marzahn“ erst vor wenigen Wochen aus Überdruss am Verwechseltwerden beerdigt hat.

Schubert, der kürzlich erst einen Feuerwehrschlauchfetischisten im neuen Film der Elsterglanz-Kollegen gespielt hat, wird für Schubert gehalten, die Erfindung. Nicht für Haubold, den Lenker, Denker und Texter hinter den Grammatik-Gebirgen und bizarren Zeitformverzerrungen, der öffentlich nie aus dem Schatten des „Wunders im Pullunder“ (Schubert über Schubert) tritt.


Nur so kann das Kunstkonzept Olaf Schubert funktionieren: Wenn die Person auf der Bühne das zu sein scheint, was sie zu sein vorgibt - ein an Selbstüberschätzung leidender Besserwisser, von nichts eine Ahnung, aber zu allem aussagebereit. Schubert schwätzt vom „erweiterten Infinitiv mit Kapuze“, von einer „Durchsetzung der deutschen Sprache mit Anglizismen, vor allem mit englischen“ und er erzählt von bizarren Begebenheiten aus seinem Alltagsleben als freischaffender „Betroffenheitslyriker“ (Schubert). Mit dem Lachen über ihn, der so verzweifelt versucht, so zu tun, als habe er alles im Griff, lachen die Leute immer auch über sich selbst.


www.olaf-schubert.de
www.objekt5.de

Samstag, 13. August 2016

Manuel Schmid: Ein Stern, der seinen Namen trägt



Der neue Stern-Meißen-Sänger legt mit „Seelenparadies“ sein zweites Solo-Album vor. Es versammelt Klavierballaden, Demmlertexte und viel Gefühl.

Er kam nach dem großen Streit und er kam aus dem Nichts. Manuel Schmid meldete sich vor vier Jahren, als Stern-Chef Martin Schreier gerade auf der Suche nach einem neuen Sänger war. Schmid stammt aus Altenburg, er sang in kleinerem Rahmen und er sang immer auch Lieder von Stern Meißen. Schmid war damals Ende 20. Die Band, bei der er einsteigen wollte, war doppelt so alt.

Aber es klappte. Mit seiner warmen, bis in sehr hohe Lagen reichenden Stimme hat der gelernte Keyboarder und studierte Audio-Ingenieur sich inzwischen längst einen Platz in den Herzen der Stern-Fans erobert. Schmid singt Klassiker wie „Kampf um den Südpol“ und „Was bleibt“ auf eigene, aber unterdessen akzeptierte Art. Und eben die pflegt er auch auf „Seelenparadies“, seinem gerade erschienenen zweiten Solo-Album, das mit „Also was soll aus mir werden“ auch eine modernisierte und als Duett inszenierte Version eines Stern-Klassikers enthält.

Der Rest sind Schmid-Kompositionen, die der Freund von Melancholie und Romantik mit Unterstützung von Puhdys-Basser Peter Rasym, Ex-Stern-Keyboarder Marek Arnold und Dirk Zöllner eingespielt hat. Schmid pflegt dabei eine zarte Gangart, die immer harmonisch bleibt und nicht vor Klischees zurückschreckt.

In „Hüte deinen Traum“ sind die Augen groß und die Seelen fest verbunden, „Worte sind wie Bilder“ wird von A-Capella-Gesang begleitet, und das Stück „Seelenlieder“ ist als Hommage an den verstorbenen ehemaligen Stern-Sänger Reinhard Fißler ausgewiesen, der sich am Anfang noch einmal selbst per Telefon zu Wort meldet. Zusammen mit Dirk Zöllner singt Manuel Schmid dann Teil zwei der Ode. Und den Schlusspunkt setzt, wie als Handschlag mit der Vergangenheit, ein neuvertonter Text von Kurt Demmler.