Samstag, 10. März 2018

Medien: Die Angst vor der 5. Gewalt



Das Journalisten-Ehepaar Petra Gerster und Christian Nürnberger hat ein Buch zur Verteidigung der vielkritisierten "Lügenpresse" geschrieben. Aber der Plan der beiden Insider geht nicht richtig auf.


Man tut eigentlich nur, was man immer getan hat. Und auf einmal ist alles anders. Petra Gerster ist irgendwann eine Wandlung aufgefallen, die sie nicht verstanden hat. Die Chefmoderatorin der "heute"-Nachrichten im ZDF empfing Signale eines Vertrauensverlustes, die Leute vor dem Schirm schimpften häufiger, "Lügenpresse" hieß es plötzlich auch in Richtung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders, bei dessen Frauenmagazin "Mona Lisa" Gerster einst ihre Karriere begonnen hatte.

Damals in den 90ern, so erinnert sie sich, sei ein Grundvertrauen dagewesen zwischen Zuschauern und Journalisten, zwischen Sender und Empfänger. Die Bürger könnten sich nicht zu jeder Detailfrage eine eigene Meinung und ein sicheres Urteil bilden, meint Gerster, sie müssten denen vertrauen, die Experten auf ihrem Gebiet seien. "Erodiert dieses Vertrauen, erodiert die Demokratie", glaubt Petra Gerster, die zusammen mit ihrem Ehemann, dem Journalisten Christian Nürnberger, ein Buch geschrieben hat, das nach den Ursachen des Vertrauensverlustes sucht und vor seinen Folgen warnt.

Es ist ein Buch aus der Innenperspektive, das sich bemüht, denen draußen zu erklären, wie das Nachrichtengeschäft läuft. Dass das überhaupt nötig ist, analysieren Gerster und Nürnberger, liege überhaupt nur an jener fünften Gewalt, die sich den drei verfassungsmäßigen Legislative, Judikative und Exekutive und jener aus sich selbst heraus wirksamen 4. Gewalt der Medien ungebeten angeschlossen habe. Soziale Netzwerke, "ohne deren Existenz der Vertrauensverlust marginal geblieben wäre", wie die Autoren vermuten.

Das ist auch schon das ganze Problem. Nicht eine Berichterstattung, die zumindest von Teilen der Zuschauer als bevormundend oder manipulativ empfunden wird, sehen Petra Gerster und Christian Nürnberger als Ursache des angespannten Verhältnisses zwischen den etablierten Medien und ihrem Publikum. Sondern die sozialen Netzwerke: Anfangs nur vereinzelt vorgetragene Kritik von Laien an den journalistischen Profis habe durch Facebook, Twitter und Co. zu einer "nie dagewesenen Gegenöffentlichkeit" geführt. Die nicht ernst genommen, sondern von den Kritisierten als unsinnig weggewischt worden sei. "Woraus die Kritiker ableiteten, dass sie recht hatten."

Es ist nun, wo das Kind im Brunnen liegt, ein ehrenwertes, aber mühseliges Unterfangen, die "Verunsicherten, die Fragen und Zweifel haben, aber noch empfänglich sind für Argumente", davon zu überzeugen, dass dem nicht so ist. Zumal, wenn sich beide Autoren entschließen, ihre Argumentation mit den üblichen Beweisen zu begründen. So sind Facebook und Twitter natürlich auch hier wieder "Medien, die tagtäglich eine Überdosis Gift aus Lügen, Gerüchten, Verschwörungstheorien, Aberglauben und Fake News verspritzen". Eine Behauptung, die die täglich allein bei Facebook eingestellten zwei Milliarden neuen Kommentare, die überwiegend weder Gift noch Lüge noch Aberglauben enthalten, einfach für unwichtig erklärt, um in der "Überdosis Gift" einen bequemen Schuldigen an der wachsenden Kritik an der eigenen Arbeit zu finden.

Das "Misstrauensvotum", von dem Gerster und Nürnberger selbst schreiben, es ist bei den beiden Autoren nicht angekommen. Wenn es dann darum geht, zu erklären, dass etwa ARD und ZDF keine "Staatssender" sind, dann arbeitet sich das Autorenduo ausschließlich am ZDF ab. Das Verfassungsgericht hatte dessen Verwaltungsrat 2014 als "zu staatsnah" bezeichnet und gefordert, dass der Anteil von Politikern von 40 Prozent auf ein Drittel reduziert werden müsse. Das sei auch geschehen, führen Gerster und Nürnberger an - seit Juli 2017 seien unter den zwölf Mitgliedern nur noch vier Vertreter von Bundesländern.

So wahr das ist, so richtig ist auch, dass es nebenan bei der ARD ganz anders aussieht. Im MDR-Verwaltungsrat haben zum Beispiel bis heute fünf von sieben Mitgliedern ein Parteiticket. Nur zwei der Frauen und Männer, die den Auftrag haben, die Geschäftsführung der MDR-Intendantin zu überwachen, sind im bürgerlichen Beruf als Professoren an einer Universität unabhängig. Alle anderen sitzen in einem Landtag, waren früher einmal Bürgermeister, Abgeordneter oder im Vorstand ihrer Partei.

Ein Umstand, der Gerster und Nürnberger ebenso entgangen zu sein scheint wie der, dass die unabhängige "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten", die derzeit jährlich rund acht Milliarden Euro an die öffentlich-rechtlichen Anstalten verteilt, alles andere als eine "unabhängige" Institution ist. Die Mitglieder des Gremiums werden nicht öffentlich nominiert oder gewählt. Sondern, so heißt es im Gesetz, von den "Ländern entsandt" - also von den Ministerpräsidenten ausgewählt.

Handverlesen, was am Ende herauskommt. Vom früheren persönlichen Minister-Referenten über einen ehemaligen Fraktionsassistenten im Landtag, dem Ex-Chef einer Senatskanzlei und früheren Staatssekretär bis hin zum einstigen Abteilungsleiter in einem Ministerium und dem früheren Volontär eines der Sender, denen die KEF Geld zuteilt, ist alles vertreten, was nicht direkt ein Parteiamt hat. Aber so nahe dran ist, dass das "unabhängig" im Namen nach Etikettenschwindel riecht.

Nichts, was von Gerster und Nürnberger zu erfahren wäre. Erzählen die beiden alten Nachrichtenkämpen von Machtkonzentrationen im Medienbereich, dann am liebsten über die im Ausland: Die altbekannten Rubert Murdoch und Silvio Berlusconi tauchen da auf, neun Seiten lang. Die deutschen Pressezaren dagegen sind auf drei Seiten abgehandelt. Schließlich seien Hubert Burda und Frank Otto zwar "auch schwer reiche Medienunternehmer", aber beide verstünden sich "eher als Kaufleute denn als politisch agierende Verleger". Das Medienimperium der SPD, die über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH Miteigentümerin von 40 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwa 2,2 Millionen verkauften Exemplaren ist, kommt gar nicht vor.

Es ist natürlich schwer, einem Buch zu trauen, das seine Wahrheiten so offenkundig selektiv auswählt. Wenn Gerster und Nürnberger in der Folge von den Umständen berichten, unter denen Nachrichten entstehen, verarbeitet, verbreitet und am Ende gesendet werden, dann tun sie das faktenreich und anhand von vielen Beispielen auch sehr anschaulich.

Doch auch hier streift das schreibende Paar die wichtigsten Punkte nur wie versehentlich: Eine Klage von Reporter ohne Grenzen gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) wegen dessen Bespitzelung von Journalisten wird erwähnt. Das Urteil Bundesverwaltungsgerichtes, das es dem BND seit Dezember 2017 verbietet, Verbindungsdaten aus Telefongesprächen von Reporter ohne Grenzen zu speichern, nicht.

Noch lässiger fliegen Gerster und Nürnberger über das "im Oktober verabschiedete Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung" (VDS) - gemeint ist wohl der Oktober 2015, vergessen wurde, dass die VDS trotz des Parlamentsbeschlusses zur Wiedereinführung bis heute ruht, weil Gerichte und europäische Institutionen ernsthafte Bedenken wegen ihrer Verfassungsmäßigkeit und ihrer Übereinstimmung mit Europarecht hegen.

Wer solche Fehler macht, muss eigentlich über Fake News schweigen.

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