Nein, es sind nicht die Grünen schuld, dass es mit dem Internet nicht richtig läuft in Deutschland.. Zwar machte die damals noch alternative Partei in ihrem Wahlprogramm gegen die Informations- und Kommunikationstechniken Front: Die Grünen lehnten eine "Informatisierung der Gesellschaft" ab und brandmarkten die "Computerisierung und informationstechnische Vernetzung" als Mittel zur Unterdrückung. In einem Parteitagsbeschluss unterstützten die Grünen den Widerstand gegen die neue Technik und forderten eine "bedürfnisorientierte Technikentwicklung". Abgelehnt würden die "Digitalisierung der Fernsprechnetze" und ein Aufbau von Glasfasernetzen, unterstützt ein Stopp des Kabel- und Satellitenfernsehens sowie ein Ende des Internet-Vorläufers Bildschirmtext (BTX).
Doch das Ende des Anfangs von Deutschland als einer der weltweit führenden Hightech-Nationen markierte jemand anders. Bundeskanzler Helmut Kohl, ein erklärter Freund der Wirtschaft, stellt kurz nach seinem Amtsantritt entscheidende Weichen so, dass die damalige Bundesrepublik beim Ausbau der für das Internet bis heute notwendigen Infrastruktur so entscheidend ins Hintertreffen gerät, dass die bereits seit fünf Jahren als Staatssekretärin für den Digitalausbau amtierende CSU-Politikerin Dorotheee Bär den Beginn ihrer zweiten Amtszeit mit der Forderung feiern kann, es müsse nun "mehr Tempo bei der Digitalisierung" her.
Tempo, das seinerzeit unter Kohls Vorgänger Helmut Schmidt durchaus vorhanden war. Im April 1981, also vor fast 40 Jahren, wurde während einer Kabinettssitzung der Beschluss gefasst, die damals noch staatseigene Bundespost zu beauftragen, "den zügigen Aufbau eines integrierten Breitband- und Glasfasernetzes vorzunehmen", wie es in einem Sitzungsprotokoll heißt. 1985 sollte der Startschuss fallen, bis 2015 wollte Schmidt die gesamte alte Bundesrepublik mit einem Glasfasernetz aufrüsten, das damals wie heute als zukunftsweisende Möglichkeit gilt, Daten zu übertragen.
Die Pläne waren fertig. Pro Jahr sollten drei Milliarden D-Mark ausgegeben werden, insgesamt also nach heutigen Preisen etwa 45 Milliarden Euro. Ein Schnäppchen in Zeiten, in denen allein der Bund pro Jahr rund die doppelte Summe ausgibt, um den Ausbau durch private Unternehmen zu fördern. Und damit bisher nur erreicht hat, dass Deutschland auf Platz 28 von 32 Staaten bei der Versorgung mit Glasfaser-Netzen liegt.
Der Grund dafür ist der Regierungswechsel. Als Schmidt ging und Kohl kam, hatte die Glasfaser keinen Freund mehr im Kanzleramt. Kohl war eng verbunden mit dem Medienmogul Leo Kirch, dessen Interesse galt dem Ausbau von Kabelnetzen zur Versorgung mit den neuen Fernsehsender Sat1 und RTL, auf die auch die CDU setzte. Mit der „geistig-moralischen Wende" von 1982 wurden die Glasfaserpläne auf den Müll geworfen und unter dem damaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling stattdessen technische Ausbau der Verkabelung mit Kupferkabeln vorangetrieben. Schwarz-Schillings schade war das nicht: Erst kurz vor der Ernennung zum Minister verkaufte er die Anteile an der Firma, die den Ausbau übernahm.
Aus dem Ziel, Deutschland zum Vorreiter beim Einsatz von Glasfaser-Technologien zu machen und damit Vorteile für die Exportwirtschaft zu sichern, wurde nichts.
Bis heute.
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Mittwoch, 7. März 2018
Samstag, 3. Februar 2018
Werkunterricht in der DDR: Das geheimnisvolle Holzstück
Ein Holzstück, eigenartig geformt, glattgeschliffen und von rätselhafter Bedeutung. Das Holz ist weich, Buche vielleicht, es hat ein paar Druckstellen und am Rand ist hier und dort etwas weggesplittert. Ein benutzter Gegenstand, augenscheinlich nicht aus einer Fabrik, sondern aus der Hand eines Laien. Passgenau gefertigt für einen Zweck, der heute ein Rätsel ist: Im Werkunterricht der Polytechnischen Oberschule der DDR war der Holzklotz zumindest in Schulen, deren Einzugsgebiet in Neubaustädten lag, Pflicht.
In den Kellern der Schulen, wo sich die Werkräume mit ihrem Duft aus Holzspänen, Lötkolben, Kanalisation und Kinderschweiß befanden, schnallten sich bereits die Jüngsten aus der 1. Klasse Schürzen um und begannen, an Werkstücken zu feilen, Vogelhäuschen zu zimmern und Löcher in Plastikstücke zu bohren, aus denen Brieföffner wurden, die dann zu Weihnachten stolz verschenkt und von den Eltern glücklich angenommen wurden, wiewohl jeder über zehn wusste, dass sie niemals von irgendjemandem benützt werden würden.
Der Werkunterricht, später erweitert um die fürchterliche Fächer Einführung in die Sozialistische Produktion und Produktive Arbeit, dienten dazu, der nachwachsenden Generation erste handwerkliche Fertigkeiten für das Leben in einem Land zu vermitteln, das ohne das weitverzweigte Netz aus Dienstleistungen auskommen musste, das heutige Gesellschaften auszeichnet. Einen Nagel einschlagen, eine Schraube drehen, Zangen benutzen und Löcher bohren – der DDR-Mensch, der nach den Idealvorstellungen seiner proletarischen Führung ein polytechnisch gebildetes Wesen von hohem Intellekt, großer Bildung, leidenschaftlicher Liebe zur Kultur und fabelhafter handwerklicher Geschicklichkeit sein sollte, begann früh, sich die ersten Überlebenstechniken anzueignen.
Das Holzstück zu formen, aus einem groben Scheit, gehörte dazu. Es musste zugesägt werden, dann angerissen, schließlich mit einer Raspel bearbeitet und dann mit Feile und Sandpapier seidenweich gestriegelt werden. Die seltsame Form verdankte sich der vorgesehenen seltsamen Nutzung: Das Holzstück war dafür gedacht, ins standardisierte Fensterprofil der Neubauwohnungen geschoben zu werden, wo es als Ausgleich für die häufig fehlenden Thermostate für Lüftung sorgte.
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Standort:
Halle (Saale), Deutschland
Mittwoch, 24. Januar 2018
Vor 25 Jahren: Dynamo Dresdner Drunter und Drüber
Vor 25 Jahren stand Dynamo Dresden vor Aus. Die Bilanz des Dresdner Fußballs nach anderthalb Jahren Bundesliga war ernüchternd: Die Klasse zwar gehalten, aber die Kassen waren leer. Die besten Spieler sind verkauft, doch die Millionen verschwunden. 16,4 Millionen Mark Schulden hatten die damals letzten Ost-Vertreter im Reigen der besten deutschen Kicker aufgehäuft. Gründe dafür gab es so viele, wie es Interessen im Gerangel um die Macht im maroden Klub gab. Dynamo war ein Verein der Widersprüche und Widersinnigkeiten, ein Objekt für Liebe und Geschäfte. Und auch die Rettung durch den hessischen Bauunternehmer Rolf-Jürgen Otto würde nicht die letzte bleiben.
Ein Krimi aus dem Jahr 1992.
Um das Selbstbewußtsein der Dynamos ist es schlecht bestellt. Trotz achtbarem Platz 10 in der laufenden Saison steht es böse um den letzten ostdeutschen Fußballverein in der ersten Bundesliga, der von sich selbst sagt, er spiele nicht nur für Sachsen, sondern für die Fußballfans in allen fünf neuen Ländern.
Schalke auf sächsisch
Bei Dynamo
Dynamos Schicksal sind die Umstände. Und Dynamos Schicksal sind die Menschen, die sich vom ersten Spieltag in der 1. Liga mühten, mit den Umständen klarzukommen. Warum das nicht gelang? Reinhard Hafner, einst begnadeter Mittelfeldspieler, erklärt es mit allgegenwärtigen "Fallstricken, über die jeder Neuling in diesem Geschäft gestolpert wäre."
Schlechte Spieler
Schon kurz nach Saisonbeginn '91 steht "Boards & Sports", die Hamburger Werbeagentur, die alle Vermarktungsrechte an Dynamo
"Belege in Kartons gestapelt"
Das Loch in der Kasse des letzten ostdeutschen Erstligisten wird nun täglich um rund 30 000 Mark größer, "ganz einfach weil", erklärt Ziegenbalg, "mehr Geld 'rausging, als 'reinkam." "Aber die Zustände in der Buchführung", schimpft Dieter Burmester, "waren so katastrophal, daß das gar keiner gemerkt hat." Solange Geld da war, wurde auch welches ausgegeben.
Otto heizt den Ofen
Rolf-Jürgen Otto, von humorig veranlagten Sachsen in Umkehrung seiner Initialien auch zynisch "J. R." genannt wie das Ekel aus der Fernsehserie "Dallas", hat Dynamo
Umkämpfte Bühne
Ziegenbalg ist als Schuldiger am Schlamassel um die Klubfinanzen ausgemacht. Der Radeberger soll gehen. An seine Stelle soll Walter Hoff, Ottos Busenund Geschäftsfreund, treten. Aber obgleich Hoff, ein langhaariger Playboytyp, als Morgengabe für den Fall seiner Wahl einen auf anderthalb Millionen dotierten Otto-Scheck vorweisen kann, fällt der Ludwigsburger Präsidentenimport bei den Sachsen durch. Der geschickte Taktierer Ziegenbalg, ganz auf seinen Ost-Bonus setzend, bleibt Chef im Verein, in dem die wahre Macht allerdings längst Sorad-Chef Rebmann in Händen hält.
Da Geschichte sich, wenn überhaupt, dann als Farce wiederholt, findet der vorerst letzte Akt im Dresdner Drunter und Drüber passenderweise im großen Saal des Hygienemuseum statt. Nach dem Rücktritt von Wolf-Rüdiger Ziegenbalg hat sich eine neue Koalition gebildet: Die Otto-Gruppe geht jetzt mit dem Rumpfpräsidium Burmester zusammen.
Der "Freundeskreis", die ehemalige "offizielle" Opposition im Verein, hat sich nach Herzattacken und Kreislaufschwächen ihrer Führungspersönlichkeiten aufgelöst. Neugegründet dagegen hat sich das "Rettungsgremium", dessen Mitglieder - darunter Opernsänger Gunter Emmerlich, Sachsens Innenminister Eggert und andere Prominente - eine "sächsische Lösung" für Dynamo suchen, aber lange nichts als kämpferische Parolen vorzubringen imstande sind.
Die Gegenseite
Dagegen ist die Aufgabenverteilung auf der Gegenseite klar: Autohändler Burmester und sein Copilot Georg Schauz, ein Elan versprühender Endzwanziger, der mit Vorliebe bayrische Trachtenjakketts trägt, bereiten die Wahlversammlung vor, auf der Rolf-Jürgen Otto zum neuen Dynamo
Für's Geradestehen kommt nurmehr einer in Frage: Otto, von seinem Clan umlagert, hockt pausbäckig in der ersten Reihe und beobachtet zufrieden, wie Burmester, Schickhardt und Knief für ihn Wahlkampf machen. Für Burmester ist er der „einzige akzeptable Kandidat, der das mitbringt, was wir brauchen: Geld und Abmachungen mit Herrn Rebmann, um die Knebelverträge zu lösen oder nachzubessern." Burmester warnt die knapp 600 Dynamo-Mitglieder im Saal: „Jeder, der sich hier heute abend versündigt, macht sich zum Totengräber des Klubs."
Totengräber des Klubs
Knief bekräftigt die Worte des Interimspräsidenten: „Heute ist nicht der Tag, über die Vergangenheit zu diskutieren, heute ist der Tag, über die Zukunft zu entscheiden." Und Zukunft, soviel hat unterdessen auch der letzte im Saal begriffen, heißt bei Dynamo Otto.
Die alten Männer auf der Seitentribüne aber zürnen. „Sturmreif schießen nenne ich sowas", nörgelt der schmerbäuchige Ex-Halblinke Rolf Hecker verachtungsvoll. Man könne seinetwegen auch „Erpressung" dazu sagen. Falk Reinhardt, Dynamo-Nachwuchsschiedsrichter und „Mitglied seit Anfang der Siebziger", ärgert sich, „daß nur Hanseaten, Hessen und Bayern da unten 'rumsitzen, als Sachse verstehst Du ja kein Wort von derem Gequatsche!"
Die Sachsen sind eigen
Ausgerechnet da sind die Sachsen eigen: Einerseits tragen sie ihrem Premier Biedenkopf ausdauernd nach, daß er „sich noch nie auf dem Platz hat blicken lassen" (Reinhard), andererseits ist ihnen Otto, der auch nach zwei Jahren Ostengagement noch im Hotel lebende Hesse mit dem zum „Seh" umgeschliffenen „S" und der Liebe zu Dynamo, auch bloß suspekt. Daß der letzte Ostverein künftig von „zwielichtigen Zugereisten" (Fankneipier Wolfgang Bellmann) geführt werden könnte, berührt die sensibelsten Empfindlichkeiten der Alteingesessenen. Darauf angesprochen, fallen sie ins Philosophieren. Dynamo, das sei ein Stück sächsische Lebensart.
Aber die wachsamen Dynamo-Fans hören doch nur heraus, „dass da eener unseren Verein koofen will, dem jedes Mittel recht ist." Das wird klar, als sich Ex-Präsident Ziegenbalg zu Wort meldet. Er, so der Ex-Präsident, wolle zu den Ursachen der jetzigen Situation sprechen, „um die künftige Vereinsführung zu warnen". Unruhe im Präsidium. Schickhardt, dem jede Abweichung von der Tagungsregie körperliche Schmerzen zu bereiten scheint, lehnt ab.
Ziegenbalgs Antrag wird nicht abgestimmt. Ziegenbalg, beantragt Otto-Intimus Hoff, solle nach erfolgter Wahl unter Punkt 10/Sonstiges, zu Wort kommen. Darüber läßt Schickhardt eilig abstimmen. Hoffs Antrag wird abgelehnt. Im Saal wird vielstimmig gebrüllt: ,;Antrag! Antrag! Ziegenbalg soll reden!" Die Szenerie erinnert an die letzten Tage im Parlament der verendenden DDR. Schickhardt schafft es irgendwie, diesmal nicht abstimmen zu lassen. „Fünf Minuten gebe ich Ihnen, Herr Ziegenbalg", sagt er stattdessen. Der Expräsidenten jedoch sieht sich außerstande „drei Jahre Präsidentenzeit in fünf Minuten abzuhandeln."
Das wiederum tut Schickhardt leid. Aufatmen im Präsidium. Ziegenbalg geht. Tumult im Saal. Eine Traube von Mitgliedern folgt dem Ex-Präsidenten. Nur links vorn wird die Rückkehr zur Tagesordnung beklatscht. „Da sitzt die KKH", klärt Theo Stahlschmid, ein nach der Wende aus Stuttgart zurückgekehrter gebürtiger Sachse, die zahlreichen Journalisten beim Bier in der nun restlos überfüllten Pausenbar bereitwillig auf, „weil ich es unmöglich finde, wie hier 500 Ostler von fünf Westlern über den Tisch gezogen werden."
350 neue Mitglieder hat das Präsidium Dynamo Dresdens seit dem Rücktritt von Ziegenbalg aufgenommen - darunter auch „fast die komplette KKH-Belegschaft", wie Ziegenbalg weiß.
Schwelende Liebe entdeckt
Nicht um Fußball geht es hier, sondern um Macht und um Pfründe. Georg Schauz, Ottos Kandidat für den Posten des Schatzmeisters, kommt von der KKH. Das ist nicht alles: Auch ein Gutteil von Ottos 600 sächsischen Bauarbeitern soll in den letzten Wochen vor der Entscheidungsschlacht ihre schwelende Liebe zu Dynamo entdeckt und einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt haben. Und: Peter Vogt, von Schickhardt in die Wahlkommission berufen, ist Verkäufer im Autohaus Burmester. Und: Hans-Jürgen Behr, der „Alibi-Sachse" (Freundeskreis-Anwalt von Kummer) in Ottos Regierungsmannschaft, ist Bürgermeister ausgerechnet in Weißig, dem Ort, in dem Bau-,
löwe Otto die Hälfte des Grund und Bodens gekauft hat, um Millionen zu investieren.
Nein, Rolf-Jürgen Otto hat nichts dem Zufall überlassen. „Was hier läuft, ist eine Farce", winkt Hansi Kreische, einer aus der Dynamo-Traummannschaft der siebziger Jahre, der heute die Dynamo-Amateure trainiert, beim Pausenbier im Foyer mutlos ab. Kreische, wie Ex-Stürmerkollege Ralf Minge stiller Unterstützer der vom Rettungskomitee mit Hilfe der Stadt bis zur letzten Sekunde betriebenen „sächsischen Lösung", sieht enttäuscht aus, weil er sich „unter Demokratie doch etwas anderes vorgestellt"' hatte als daß „die Leute mit Geld und Winkeladvokatenmethoden gezwungen werden, irgendwas zu tun, was ihnen eigentlich gegen den Strich geht."
Mittwoch, 27. Dezember 2017
Denkmal der Ostmoderne: Abschied vom Kosmonauten Sigmund Jähn
Weltweit einzigartig, denkmalgeschützt und vom Bauzustand her zweifelsfrei sanierungsfähig, das ist das Raumflugplanetarium "Sigmund Jähn" in Halle. Doch weil die Fördertöpfe locken und fragwürdige Fluthilferichtlinien hunderttausende Euro für einen Abriss des Baudenkmals versprechen, wird das Denkmal der Ostmoderne, errichtet aus sogenannten HP-Schalen, die der hallesche Bauingenieur und Architekt Herbert Müller in den 50er Jahren erfunden hatte, ausgerechnet im 40. Jahr seines Bestehens abgerissen.
Erst 2015 war dem Gebäude Denkmalschutzstatus verliehen worden. Die verbauten HP-Schalen - die Abkürzung steht für "hyperbolische Paraboloidschale" gelten als besonders leicht und stabil und als Carl Zeiss in Jena Mitte der 70er Jahre eine Stadt suchte, in der ein Beispielbau errichtet werden könnte, um ausländischen Interessenten an der firmeneigenen Planetariumstechnik zu zeigen, was Hightech made in GDR kann, fiel die Wahl auf Halle. Hier hatte sich der Mathematiker und Astronomielehrer Karl Kockel, Chef des damals bereits bestehenden Planetariums im Ortsteil Kanena, für den Bau starkgemacht. Kockel wurde Bauleiter und später Chef des Hauses, er holte mit Sigmund Jähn den ersten Deutschen im All nach Halle und setzte den Namen des DDR-Kosmonaut als Namen des einzigartigen Baus durch.
Kockel starb 2015, da war sein Planetarium schon als "Flutschaden" abgeschrieben worden. Obwohl ein Gutachten ausdrücklich bescheinigte, dass es keine schweren Flutschäden an der Bausubstanz gebe. Um den beschlossenen Abriss dennoch durchzusetzen, musste die hallesche Stadtverwaltung tricksen, täuschen und der Öffentlichkeit wie dem Stadtrat über Jahre hinweg falsche Auskünfte geben.
Letztenendes aber heiligt der Zweck die unfeinen Mittel: Mit dem Abriss des denkmalgeschützten Bauwerks verschwindet das einzige aus HP-Schalen errichtete Planetarium der Welt - ein Rundbau, der aus nur fünf verschiedenen Bauteilen errichtet worden war, wobei jedes Bauteil 28 mal benutzt wurde. An seiner Stelle wird sich künftig ein Stück Wiese befinden, für rund 300.000 Euro auf Steuerzahlerkosten angesät.
Donnerstag, 13. Juli 2017
Seltsame DDR-Sitten: Eingaben an den roten König
Ob Schimmelpilze an der Wand oder mangelnde "Brillenversorgung" - DDR-Bürger zeigten beachtliches Geschick, ihren Staatsrat mit Bitt- und Beschwerdebriefen, den "Eingaben", zu nerven. In den Behörden türmten sich die Wutschreiben der Bürger zu Bergen, aber helfen konnte auch Erich Honecker nur selten wirklich.
15 lange Jahre hatte Siegfried Ebert eine Schafsgeduld. Dann, im Sommer 1986, platzte ihm der Kragen. Ebert war ein ganz normaler DDR-Bürger - wenn man mal davon absieht, daß ihm ein Mehrfamilienhaus in der Halleschen Straße in Merseburg gehörte, durch dessen Dach schon während der 74er Fußball-WM der Regen tropfte. Nach 15 Jahren griff Ebert zum allerletzten Mittel: "Seit zwölf Jahren", schrieb er an den "Sehr geehrten Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker", "versuche ich mit den örtlichen Organen, das Dach meines Hauses neu eindecken zu lassen, aber es führt kein Weg dahin."
Immer wieder werde er vertröstet, immer wieder fehle es an Handwerkern, Material und Fonds. "Das ständige Streichen der Bilanzen", jammert Ebert, "sorgt für einen fortschreitenden Verfall des Daches." Bereits jetzt hätten verschiedene Wände einen "hohen Durchnässungsgrad", es regne den Mietern teilweise schon in die Wohnung. Was soll denn nun werden? "Herr Honecker", gestand Ebert dem großen Vorsitzenden im fernen Berlin, "ich weiß nicht mehr weiter. Ich bin verzweifelt."
Fehlte eine Gehwegplatte, schrieb man eine Eingabe
Erich Honecker selbst, von dem Ebert wohl irgendwie gehofft hatte, er werde es nicht tatenlos hinnehmen, daß einer seiner Bürger "verzweifelt" bleibt, hat den Brief vermutlich nie gelesen. Wie Tausende und aber Tausende ähnliche Schreiben, landete er in der Abteilung "Eingaben" des Staatsrates der DDR. Hier wurden Ratlosigkeit und Verzweiflung akribisch verwaltet, wurden
Hilferufe analysiert und in Ordnern voller Bürgerjammer sorgfältig archiviert, hier leitete man "Maßnahmen" ein und Anliegen weiter.
Seit den fünfziger Jahren etablierte sich das Eingabenschreiben nach und nach als ein Stück unverwechselbarer DDR-Kultur. Fehlte vor dem Haus eine Gehwegplatte - schrieb man eine Eingabe. Wurde die Bushaltestelle am Sportplatz gestrichen - schrieb man eine Eingabe. Bekam man keinen Werkstattermin oder keine Ersatzteile oder kein Zeitungsabonnement oder keinen Platz in der Kneipe oder keine Wohnung - man schrieb eine Eingabe. Egal, ob es um Fragen der "Brillenversorgung" oder um die Bettensituation" in den DDR-Krankenhäusern ging, um Wohnungsprobleme, Versorgungsengpässe bei Südfrüchten, Ausreisewünsche oder Verwaltungsfilz.
Jedem Bürger stand es frei, staatliche Organe, Parteisekretäre oder beliebige andere Instanzen per Eingabe damit zu belästigen. Mit dem Absenden des entsprechenden Briefes wurde jedes Anliegen zum verwaltungstechnisch erfassten Vorgang: Die "zuständigen Organe" mussten innerhalb einer festgesetzten Frist darauf antworten.
Für Gabriele Schulz begann es mit einem kleinen, handgeschriebenen Brief an den Rat der Stadt Pasewalk. "Seit Jahren", schrieb Frau Schulz, "wohnen mein Lebensgefährte und ich mit unserer kleinen Tochter nun schon in einem Haus, das baupolizeilich gesperrt ist. Wir holen jeden Tropfen Wasser aus dem Keller, waschen uns in einer Schüssel. An den Wänden blüht der Pilz!" Die
Verwaltung vertröstete. Einmal. Gabi Schulz schrieb an den Rat des Kreises. Zweimal. Gabi Schulz versuchte es mit einem Durchschlag an die SED-Kreisleitung. Dreimal. Das war dann einmal zu viel. Jetzt tat Gabriele Schulz, was nur die Mutigsten wagten: Sie griff zum letzten Mittel und schrieb auf blauliniertem Schulschreibpapier, was im DDR-Volksmund ehrfurchtsvoll flüsternd eine "Staatsratseingabe" genannt wurde.
Denn wenn gar nichts mehr ging, wenn das zuständige "staatliche Organ" den lästigen, weil störrisch beschwerdeführenden Bürger aus dem Büro warf, ging im DDR-Zentralismus immer noch etwas. Für jede unlösbare Frage, jedes trotzig von der Bürokratie ausgesessene Problem gab es eine höhere, eine allmächtige Instanz, eine letzte Möglichkeit, Gerechtigkeit zu erlangen: "Von den territorialen Organen erwarte ich mir keine Hilfe mehr", schrieb Holger Müller aus Riesa an den "lieben Genossen Honecker", "aber Sie haben ja die Möglichkeit, sich von oben für die Lösung meines Problems einzusetzen".
Honecker hatte. Er konnte alles. Und infolgedessen erwartete man alles von ihm. Um die Revidierung von "Gerichtsurteilen in Scheidungssachen" wurde der Allmächtige mit derselben Selbstverständlichkeit gebeten wie um Besorgung von Pkw-Ersatzteilen Marke Skoda oder "devisenpflichtigen West-Medikamenten".
Die Eingaben an den Staatsrat der DDR erzählen die Geschichte der DDR als Alltagsgeschichte ihrer Bürger. Dokumente zwischen Aufbegehren und Unterwürfigkeit, die heute zu Zehntausenden ordentlich gebündelt in der Coswiger Außenstelle des Bundesarchivs lagern. Die einen bettelten um "Unterstützung beim Kauf einer Badewanne", andere hingegen eröffneten dem Staatsratsvorsitzenden freimütig: "Ich bin überhaupt nicht damit zufrieden, daß Sie meine Eingabe ,weitergeleitet` haben. Ich darf doch wohl von Ihnen erwarten, daß Sie sich auch persönlich mit den Problemen eines Bürgers ihres Staates befassen."
DDR-Bürger entwickelten ein beachtliches diplomatisches Geschick und ein gerüttelt Maß an Zynismus im Briefverkehr mit ihrem höchsten Staatsorgan. Mario Freiberg aus Waltershausen am Harz rieb den verhassten Bonzen die eigenen Parolen unter die Nase: Dass Funktionäre bevorzugt Neubauwohnungen bekommen, sei für ihn Ausdruck eines "gestörten Verhältnisses zwischen den Klassen und Schichten", ließ er den "Genossen Honecker" wissen. Franz Metzger aus Neubrandenburg hingegen eröffnete provokativ, daß ihm "langsam Zweifel an der Wohnungspolitik der SED" kämen, um später versöhnlich "Mit sozialistischem Gruß" zu schließen.
Der langsame Niedergang des ersten Arbeiter- und Bauernstaates hat in den Eingaben unverkennbar Spuren hinterlassen. Was in den Fünfzigern als seltene Einzeltat begann, schwoll später zur wahren Briefflut. Während sich Partei- und Staatsfunktionäre die "ständige Festigung des Sozialismus" im Land vorheuchelten, konstatierte der "Sektor III" beim Staatsrat Monat für Monat eine "weiter steigende quantitative Tendenz". Sektor III war für die Eingabenerfassung und -bearbeitung zuständig. "Bis zu 170 Eingaben täglich" zählte Sektorenleiter Fritz Glaser im Jahr 1973. Und dabei blieb es nicht. Allein für den Bezirk Halle wurden aus anfangs einigen hundert Eingaben jährlich bis Mitte der Achtziger nahezu 7.000. Auch die Rostocker und die Dresdner, vor allem aber Leipziger und Berliner griffen immer öfter wutentbrannt zur Feder.
"Sektor III" zeigte sich der Welle gewachsen. Jeder eingehende Brief, mit einer numerierten Karteikarte versehen, löste hinter den Kulissen eine Welle hektischen Aktionismus aus. Der Einsender bekam einen Eingangsbescheid, die kritisierte Behörde hingegen den schriftlichen Auftrag, für Lösungen zu sorgen und anschließend Bericht zu erstatten. Sektor III seinerseits
durchleuchtete die eingehenden Briefe im "Infas"-Stil: Arbeiteranteil und Frauenquote, "Vielschreiber" und "Übersiedlungsantragsteller", getreulich wurde alles erfasst und ausgewertet.
Die Lösung der Probleme allerdings beförderte das wenig. Wie auch sollte man zum Beispiel "instabile Versorgungsverhältnisse", die immer wieder beklagt wurden, ohne zusätzliche Zuteilungen beheben? Wie hundert Dächer mit fünf Dachdeckern und einem Karton Ziegel flicken? Wer repariert 20 Pkw Wartburg mit einem einzigen Zahnkranz? Wie weist man 376 Pflegebedürftige in ein Heim ein, in dem kein einziger Platz mehr frei ist?
Der mit den Jahren zu einem Stück originärer DDR-Kultur gewachsene Moloch "Eingabenwesen" hatte genaugenommen keinerlei Nutzen. Er verteilte den Mangel einfach nur zu denen um, die keine Eingabe schrieben.
Die Mitarbeiter des Sektor III müssen sich dessen durchaus bewusst gewesen sein. Und sie behielten ihr Wissen nicht etwa für sich. "Die Mehrzahl der Anliegen der Bürger", schrieb Sektorenleiter Glaser über zwei Jahrzehnte regelmäßig in seine internen Berichte nach oben, "ist berechtigten Ursprungs." Viele seien aber dennoch "nicht wie gewünscht zu lösen".
Detailliert listeten die monatlichen Eingabenanalysen die Schwachpunkte des Systems auf. Fehlerhafte Arbeitsweisen, bürokratisches Verhalten, herzloser Umgang der staatlichen Organe mit Bürgeranliegen seien "unten" an der Tagesordnung, berichtete Glaser an Staatsratschef Willi Stoph.
Gab es keine Ersatzteile, schrieb man eine Eingabe
Die Unzufriedenheit stieg und damit auch die Zahl derjenigen, die versuchten, "die Lösung ihrer Probleme mit Druck zu erzwingen". So verlangten immer mehr Bürger aus unterschiedlichen Schichten die sofortige Lösung ihres Wohnungsproblems. "Wenn wir nicht bis zum 15. 8. eine neue Wohnung haben", wetterte Herbert J. aus Parchim, "könnt ihr uns gleich die Ausreise
fertigmachen oder wir schicken Bilder, wie wir als DDR- Bürger leben, in die ganze Welt. Wir leben ja nicht wie Menschen, sondern wie Tiere!"
Solche Briefe wurden natürlich einmal mehr kopiert. "Übersiedlungsersuchen wurde dem MfS zugeleitet", vermerkt eine Notiz, "Sicherheitsorgane wurden informiert" eine andere.
Aber sie wurden auch bevorzugt bearbeitet. Augenoptikermeister Ebert aus Merseburg hingegen, der still leidend 18 Jahre lang um die Reparatur seines Daches gekämpft hatte, überlebte das Ende der langersehnten Bauarbeiten nur um wenige Tage. "Im Herbst 1989", erzählt seine Witwe Ruth, "kamen ja endlich die Handwerker." Doch über deren "Pfuscharbeit" habe sich ihr Mann "so sehr
aufgeregt, dass das sein armes Herz nicht mehr mitmachte."
Spätere Beschwerden seiner Frau über die Pfuscharbeit gingen in den Wende-Wirren unter. Das Dach des Hauses in der Halleschen Straße ist noch immer nicht komplett saniert. Ruth Ebert hat sich irgendwann damit abgefunden. "Heute", seufzt die Rentnerin, "weiß man ja gar nicht mehr, wo man sich beschweren soll."
Donnerstag, 19. Januar 2017
Reinhard Heydrich: Die blonde Bestie aus der Gütchenstraße
Reinhard Heydrich war Himmlers rechte Hand und Hitlers Hirn bei der Planung des Holocausts. Geboren in Halle und aufgewachsen in der Gütchenstraße, machte der Sohn eines Opernsängers und Musikschulgründers nach seinem Rausschmiß aus der Marine schnell Karriere in der SS. Doch Gerüchte um eine angebliche jüdische Abstammung begleiteten die "blonde Bestie" ein Leben lang.
Es war das mehrbändige Riemannsche Musiklexikon, das den strammen Antisemiten Reinhard Heydrich in Verlegenheit brachte, noch ehe sein ganz großer Aufstieg in der Nomenklartura des Dritten Reiches begonnen hatte. In jenem Lexikon, seinerzeit ein Klassiker, wurde Heydrichs Vater Bruno, ein in der halleschen Gütchenstraße ansässiger Opernsänger, Komponist und Musikschul-Betreiber, mit dem Hinweis erwähnt, er heiße standesamtlich eigentlich „Isidor Süß“. Süß war ein weitverbreiteter Nachname unter jüdischen Familien - Heydrich sah sich plötzlich einer von Hitlers Ziehvater Gregor Strasser angeordneten Untersuchung durch Rudolf Jordan, den Gauleiter von Halle-Merseburg ausgesetzt, deren Ziel es war, seine vermeintlichen jüdischen Wurzel offenzulegen.
Stein ohne Vornamen
Ein Vorhaben, das auf der These beruhte, Reinhard Heydrich sei quasi aus Hass auf seine eigene Abstammung Nationalsozialist und Judenfeind geworden. Gerüchte gingen um, nach denen der Chef des Reichssicherheitsdienstes Vertraute veranlasst habe, Kirchenbücher entwendet und dafür zu sorgen, dass das Grab seiner jüdischen Großmutter auf einem Leipziger Friedhof mit einem neuen Stein ohne deren Vornamen Sarah versehen wird. Einer anderen Variante der Geschichte zufolge sollte Heydrich die Großmutter gar exhumieren und in Dänemark neu bestattet lassen haben.
Fake News in einem Zeitalter, als es den Begriff noch nicht gab. Erfunden hatte sie in diesem Fall offenbar ein Schüler von Heydrichs Vater, von Beruf Bäckermeister in Halle und familiär mit dem Herausgeber der Enzyklopädie verbunden. Bruno Heydrich hatte den Mann aus seinem "1. halleschen Konservatorium für Musik und Theater" geworfen. Der Geschasste rächte sich, indem er behauptete, es bestehe eine Blutsverwandschaft Heydrichs zu einem jüdischen Vorfahren.
Der Kern des Vorwurfs, der aufgrund der Fixierung der Nazis auf "Rasse" und "Abstammung" gehalten war, jede Karriere zu zerstören, lag im frühen Tod von Heydrichs Großvater. Die Großmutter des späteren Massenmörders hatte daraufhin, alleingelassen mit insgesamt sechs Kindern, einen Mann namens Süß geheiratet, der ihr half, die Kinder ihres ersten Ehemanns großzuziehen.
Heydrich klagte gegen den Verlag wegen Verleumdung und gewann den Prozess, der, so heißt es später in einem Buch des SS-Mannes Wilhelm Höttl, "dank der Presselenkung keinerlei Aufsehen erregte". Doch das Gerücht wurde er nicht los. So hoch der Hallenser in der Nomenklatur der Nazis stieg, so stetig hielt sich die Geschichte über die jüdischen Wurzeln des Mannes, der die Wannsee-Konferenz organisierte und dort zum obersten Planer des Vernichtungsfeldzuges gegen die europäischen Juden wurde. Heydrich habe seine "jüdischen Wurzeln" überwunden, soll Himmler über seinen wichtigsten Mann gesagt haben - offenbar lebte selbst der Herrscher des SS-Schreckensreiches im Glauben, irgendetwas müsse an der Geschichte schon dransein.
Lückenhafte Ahnentafel
Auch lange nach dem Tod Heydrichs, auf den tschechische Widerstandskämpfer im Sommer 1942 in Prag einen Anschlag verübten, hielten sich die Erzählungen über den antisemitischen Juden nicht nur, sie schienen auch immer mehr Begründungen zu finden. Als nach dem Krieg entdeckt wurde, dass in seiner bei der SS amtlich geführten Ahnentafel Name, Herkunft und Geburtsort der Großmutter fehlten, kam selbst Robert Kempner, einer der Anwälte im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und der Entdecker des Wannsee-Protokolls über die Beschlüsse zur Ermordung von Millionen Juden zum Schluss, dass Heydrich seine Biografie gefälscht habe.
Erst Mitte der 60er Jahre gelang es dem israelischen Historiker Schlomo Aronson dann, den Beweis zu führen, dass der Organisator des Holocaust kein Jude war, sondern ein Mann aus den deutsch-konservativen, bürgerlichen Kreisen Halles.
Sonntag, 3. Januar 2016
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