In ihrem temposcharfen Thriller-Debüt zeigt Susanne Saygin amerikanische Härte.
Jeder gegen jeden, alle gegen alle. Was in Susanne Saygins Debütroman „Feinde“ beginnt wie ein ganz normaler Routineeinsatz in einem Problemviertel, nur eben mit zwei grausam zugerichteten Leichen, entwickelt auf den 340 weiteren Seiten des ersten Romans der in Köln lebenden Historikerin mit deutsch-türkischen Wurzeln einen brutalen Sog. Ausgangspunkt des Dramas, das sich allmählich zur Tragödie auswächst, sind die Ermittlungen zu den beiden Toten. Zwei junge bulgarische Roma, bekannt vom sogenannten „Schrottstrich“, wie Saygins Ermittler Can und seine Chefin Simone bald herausbekommen. Hinter der grausamen Tat aber verstecken sich diesmal nicht einfach nur Abgründe, sondern eine ganze Parallelwelt aus Korruption, Arbeitsausbeutung und Menschenhandel, in die nicht nur Großunternehmer, sondern auch Behörden verwickelt sind.
Ein Plot, den sich Susanne Saygin nach eigenem Bekunden nicht ausgedacht hat. Vor Jahren habe sie in Köln selbst direkt an einem Arbeitsstrich gewohnt, auf dem sich rumänische Schwarzarbeiter für kleines Geld anboten. Und später entdeckte sie einen der Männer tatsächlich als Arbeiter auf einer Baustelle der öffentlichen Hand. Hinweise an Ämter versanden, ein Schweigekartell scheint ausschließlich bemüht, die Wirklichkeit vor der Wahrnehmung abzuschotten.
In „Feinde“ gelingt das nicht. Saygin lässt hier Flüchtlingshelfer und Polizei, Schlepper, Bandenchefs und Beschwichtiger hart aufeinanderkrachen. Der Polizist Can wird aussortiert, seine Ex-Freundin, die Sozialarbeiterin Marie, ermordet, seine eigentlich so aufrechte Kollegin Simone erpresst. Ganz im Stile eines US-Hardcore-Thrillers startet Can zu einer verzweifelten Expedition ins Herz des Bösen. Als Heimkehrer verkleidet, macht er sich undercover auf den Weg nach Stolipinovo, dem größten Roma-Ghetto Bulgariens. Can will die Wahrheit und er will Beweise, die Mächtigen aber wollen weitermachen wie bisher. Wer da siegt, hat lange nicht gewonnen.
Samstag, 19. Januar 2019
Samstag, 12. Januar 2019
Wo Einstein irrte: Von spukhafter Fernwirkung
Albert Einstein veröffentlichte 1905 die spezielle Relativitätstheorie und revolutionierte die gesamte Physik - für viele eine harte Nuss. Ein weiterer Versuch populärer Erklärung.
Albert Einstein ahnte nur, dass es jenseits der Physik noch etwas geben muss. Heute gilt die Quantenphysik als letzter Stand der Wissenschaft - verstehen aber kann sie nur, wer sie sich von kundigen Männern wie Anton Zeilinger erklären lässt. Ein ganz klein wenig Hexerei ist dabei. Stellen wir uns Folgendes vor: Zwei Photonen, also Lichtteilchen, die mit Hilfe eines Lasers und eines Prismas im Labor miteinander "verschränkt" wurden - in einfachen Worten. Diese Photonen sind winzig klein, man kann sie nicht sehen, man weiß nur, dass sie da sein müssen. Und weil sie da sind, weiß man, dass eines von ihnen die bestimmte Eigenschaft A hat, während das andere die bestimmte Eigenschaft B in sich trägt. Welche Eigenschaft das eine hat, hängt ganz davon ab, welche im anderen enthalten ist.
Zu kompliziert? Schwer verständlich? Das fand Einstein auch. Also machen wir es doch gleich noch ein bisschen schwieriger: Keines der beiden verschränkten Teilchen kennt seine eigene Eigenschaft. Denn die wird erst festgelegt, wenn ein Beobachter von außen sie zu ergründen versucht - wie zwei Würfel mit nur zwei Buchstaben, die erst eine Zahl zeigen, wenn sie geworfen worden sind. Dann aber, und das ist wirklich wahr, entscheidet sich nicht nur das eine Quant für Eigenschaft A oder B. Sondern ganz automatisch auch das andere - hat ein Würfel das "A", zeigt der andere das "B" und umgekehrt. Und nun halten wir uns mal fest, denn was jetzt kommt, ist mehr als nur ein bisschen Hexerei: Dabei ist völlig egal, welcher Abstand zwischen beiden Teilchen liegt. Und gleichgültig, dass es keinerlei Verbindung zwischen ihnen gibt.
Albert Einstein nannte das einst "spukhafter Fernwirkung
Und im Bauplan des Kosmos ist Einsteins "spukhafte Fernwirkung
Zeilinger, ein wuschliger Charakterkopf von Reinhold-Messner'schem Format, bemüht einprägsame Beispiele, um klarzumachen, was die Welt im Innersten zusammenhält. "Wenn ein Spiegel genau halb durchsichtig ist", beschreibt er, "geht die Hälfte des Lichtes hindurch und die andere Hälfte wird reflektiert." Soweit, so gut. Was aber geschieht mit einem einzelnen Photon, das auf den Spiegel trifft? Wird es zurückgeworfen? Oder durchgelassen? "Niemand weiß das", sagt Anton Zeilinger, "nicht einmal das Photon selbst."
Und all unsere Wissenschaft kann daran nichts ändern. Einstein meinte einst, die Welt könne gar nicht so verrückt sein, wie uns die Quantenmechanik glauben machen will. "Heute aber wissen wir, die Welt ist so verrückt", zitiert Anton Zeilinger seinen amerikanischen Forscherkollegen Daniel Greenberger. Im Reich der Quanten können Teilchen an verschiedenen Orten zugleich sein, und auch die Regel, dass Dinge selbst dann existieren, wenn sie niemand sieht - wie die Sonne, die auch scheint, wenn keiner hinschaut -gilt nicht mehr.
Das ist im ersten Moment verstörend. Männer wie Anton Zeilinger aber sehen vor allem "Die Schönheit der Quantenphysik" (CD-Untertitel) und die Fülle der neuen Möglichkeiten, die in Einsteins "spukhafter Fernwirkung" stecken. Schon hat Zeilingers Team so genannte Quantenzustände kilometerweit über die Dächer von Wien hinweg transportiert. Und schon basteln andere Forscher an Computern, die auf Quantenbasis funktionieren - dann stünde eine Revolution ins Haus, die alle bisherigen technischem Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte in den Schatten stellen wird.
Nur das Beamen größerer Objekte oder gar ganzer Menschen bleibt wahrscheinlich für immer Science-Fiction: "Allein die Information über die Quantenzustände eines Menschen, die zum Beamen übertragen werden müssten, würden einen CD-Stapel von 1 000 Lichtjahren Länge füllen", weiß Zeilinger. Ein Lichtjahr sind knapp 10 Billionen Kilometer - selbst mit bester Technik würde die Übertragung dieser Daten Ewigkeiten dauern. Der britische Quantencomputerexperte Samuel Braunstein hat das einmal gallig kommentiert: "Natürlich wäre es einfacher zu laufen."
Samstag, 15. Dezember 2018
Lautes Leben und ein stiller Tod: Vor zehn Jahren starb André Greiner-Pol von Freygang
Es gibt ein Foto von André Greiner-Pohl
Die Aufnäher sahen ganz toll aus, und sie garantierten zumindest eine lange Nacht auf der Wache. "Freygang lebt" stand auf dem Stück Stoff, das öffentlich zu tragen nur die Mutigsten wagten in der DDR. Freygang, das war André Greiner-Pohl
Andere Bands schafften es nach dem Ende der DDR, ihr Leben und Wirken im DDR-Untergrund per Talkshow-Auftritt und CD-Sampler zu vermarkten.
Bequem hat es
Es blieb die Musik. Wilde Klänge, zu denen Greiner-Pohl
Kurz vor Weihnachten vor zehn Jahren starb André Greiner-Pohl an einem Herzinfarkt, der ihn im Schlaf überraschte. Er wurde nur 56 Jahre alt.
Labels:
fundstücke,
heimatgeschichte,
musik,
nachruf
Montag, 10. Dezember 2018
Halle, ehrlichste Stadt: Das Fahrradwunder vom Franzosenweg
Normalerweise dürfte dieses Fahrrad dort nicht stehen. Nicht dort und nirgendwo sonst, denn schließlich ist Halle die Fahrraddiebstahl-Hauptstadt Sachsen-Anhalts: Knapp 4 000 Räder wurden 2017 an der Saale gestohlen - nur knapp 500 Fahrraddiebstähle waren es im Jahr 2011. Dabei gehen nach wie vor die wenigsten Diebstahlsopfer zur Polizei, weil deren Aufklärungsrate unterirdisch ist. In nicht einmal jedem zwölften Fall wird ein Fahrraddieb erwischt, mehr als 90 Prozent aller Diebstähle bleiben unaufgeklärt. Wer Anzeige erstattet, erhält in der Regel schon nach wenigen Tagen ein Standardschreiben der Staatsanwaltschaft: Es habe leider kein Täter ermittelt werden können. Die Ermittlungen seien eingestellt.
Und nun dieses Rad, wie ein Hohn auf die Statistik und den Ruf der Saalestadt als Klau-Hochburg. Seit Anfang Juni, also ist mehr als sechs Monaten steht es im Franzosenweg, ein Damenrad, konservatives Modell, tiefer Einstieg, leicht hässliches Dunkelrot, Doppelrahmen, eher belastbar als schick, aber fahrtüchtig, abgesehen von einem Platten am Hinterrad.
Das Fahrrad ist nicht angeschlossen, nicht einmal an sich selbst. Jeder Passant könnte es nehmen und wegschieben - normalerweise werden auch solche Räder gnadenlos aus Kellern gezerrt, von Ständern vor Kneipen oder Freibadzäunen geschnitten. Manchmal dauert es keine fünf Bier und das Rad, mit dem der Gaststättenbesucher gekommen ist, fehlt auf dem Nachhauseweg. Manchmal halten nicht einmal verschlossene Haus- und Kellertüren "organisierte Banden" (Polizei) davon ab, gleich ein Dutzend Räder aus einem Fahrradraum zu schleppen.
Wie ein trotziges Mahnmal gegen das Vorurteil, Halle sei für Fahrradbesitzer eine teure Stadt, steht nun das ehemals edle Winora-Rad da, inzwischen nicht mehr unauffällig gelehnt an eine Hauswand, sondern an die Außenmauer der alten Uni-Klinik, wo Studentinnen und Studenten, aber auch andere Passanten das Angebot gar nicht übersehen können. Dennoch hält es sich, mitten in der Stadt, die nach einer Statistik eines Vergleichsportals bundesweit auf Rang 3 rangiert, wenn es um die Spitzenränge beim Fahrradklau geht.
Eine Erklärung gibt es nicht. Das Wunderfahrrad vom Franzosenweg, es hat den Sommer überstanden, den Herbst und wenn alles gut geht, steht es vielleicht nach dem Winter immer noch da.
Oder nun auch nicht. Dann aber liegt es womöglich nur an diesem Text hier.
Abonnieren
Posts (Atom)