Freitag, 12. September 2014

Herbst 1989: Gezeichnete Geschichte

Es gibt längst auch Comics über den Holocaust und über den Zweiten Weltkrieg, an das Thema Friedliche Revolution in der DDR aber wagte sich im vergangenen Vierteljahrhundert noch niemand so recht heran. Aber alles muss irgendwann und so kommt auch die friedliche Revolution nicht darum herum, als Zeichentrickgeschichte aufzuerstehen.

PM Hoffmann, Jahrgang 1968 und als freischaffender Illustrator und Comiczeichner in Leipzig lebend, und Bernd Lindner, Jahrgang 1952 und hauptberuflich wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, stehen hinter dem Versuch, einer nachgewachsenen Generation ohne eigene Wende-Erinnerung per Comic-Bild und Sprechblase klarzumachen, wie das alles aus heutiger Sicht gewesen ist.

„Herbst der Entscheidung“ heißt das Werk, in dem der Zeichner und der Textautor die Ereignisse Revue passieren lassen, in deren Folge  vor 25 Jahren ein müdes, verbrauchtes Regime stürzte und das Gesicht Europas grundlegend verändert wurde.

Dabei geht es eher lindenstraßenmäßig als analytisch zu: Der Comic spielt in Leipzig, der Held Daniel ist 17 Jahre alt und steht kurz vor dem Abitur. Während seine Eltern natürlich staatstreu sind, zweifelt er immer mehr am politischen System, weil Vater und Mutter ihn gern als Soldaten der NVA sähen, damit er später größere Chancen auf einen Studienplatz hat. Daraus entspringt innerer Widerstand gegen Gängelung und Bevormunderei, bis der Held in der Bürgerbewegung landet und in offener Opposition zu seinen Eltern steht. Ringsum brodelnd die Revolution, innen drin brodelt die Ungewissheit der Jugend. Ein Bilderbuch, das die Weltpolitik außen vor lässt.

Die beiden Autoren beweisen auf 96 Seiten von "Herbst der Entscheidung" immerhin, dass die Übersetzung von „Comic“ mit „komisch“ schon lange nicht mehr zeitgemäß ist. Hier ist der Hintergrund durchaus ernst: Es geht um Geschichtsschreibung per simpler Geschichte, um politische Bildung und die Vermittlung einfacher Wahrheiten.

Mittwoch, 3. September 2014

Phillip Boa: Besuch aus der Zukunft


Im 30. Jahr seiner Band Voodooclub kehrt Phillip Boa mit einem Album voller neuer Lieder in die Konzerthallen zurück.

Hinter der fünf ist inzwischen eine null, hinter der drei ebenso. Phillip Boa hat letztes Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert, seine Band Voodooclub begeht dieser Tage ihren 30. Aber wie das bei Boa ist, der immer ein Sturkopf war, der eigene Wege im eigenen Tempo ging: „Bleach House“, sein gerade erschienenes 19. Album, geht weder auf das eine noch auf das andere Jubiläum ein.

Wozu auch Vergangenheit, wenn Boa, der eigentlich Ernst Ulrich Figgen heißt, immer noch die Zukunft haben kann? „Kill the future“ fordert er gleich im Auftaktsong, der mit Stahlgeprügel anfängt, das sich aber schon nach einigen Sekunden in bestem Voodoo-Sound auflöst. Gitarren und Chöre, eiliges Getrommel und Keyboardschleifen - Phillip Boa war noch nie ein herausragender Sänger, aber er hatte stets ein Händchen für Ohrwurmmelodien und dazu passende prägnante Slogans. Die gibt es hier im Dutzend von „Kill Wiki“ über „The Fear that falls“ bis zu „Down with the Protocols“. Nach Indie, dem Etikett, das sich Boa Mitte der 80er Jahre anheften lassen musste, weil seine Art Musik einfach in keine Schublade passte, hört sich das alles nicht an.

Der Sound, gemischt von Produzent David Vella, der Mitte der 90er schon Boa-Hits wie „And The Wind Cries Mercy“ betreut hatte, ist fett und ein bisschen ungepflegt zugleich. Die Dancebeats des letzten Albums „Loyalty“ machen hier einem fast schon schwermetallenen Gitarrensolo Platz, später heult ein Saxophon los und in „Chronicles of the heartbroken“ trifft die Boa-Brummelstimme auf das helle Organ von Pris, der neuen Duettpartnerin, die die langjährige Kontrahentin Pia Lund abgelöst hat.

Nach und nach bündelt „Bleach House“ so all die Einflüsse und Ausflüge, die der „heitere Apokalyptiker“ in den letzten drei Jahrzehnten auf- und unternommen hat: Vom dilettantischen Rock auf „Philister“ über die Hits von „Boaphenia“ zum Metal mit dem Voodoocult und den Grübel-Songs auf „Faking To Blend In“.
Ein Menü, das zusammengehalten wird von den Boa-Beats, den Melodien und der eigentümlichen Stimme des Dortmunders, der auf dem Cover mit einem Kaktus posiert, der wie das pflanzliche Gegenstück zu ihm selbst wirkt.

Wurzellos, kratzbürstig, eigensinnig, so war der Mann mit der kinnlangen Rundschnittfrisur immer schon. Mit „Kill your idols“ ist er damals in die Charts aufgestiegen, dort hat er bald bemerken müssen, dass Selbstvermarktung auf „Morgenmagazin“-Niveau nicht sein größtes Talent ist. Phillip Boa, von seinen Fans wegen seiner Unerbittlichkeit liebevoll „Arschloch“ genannt, kehrte zurück in die Welt der Minifirmen, in die kleineren Konzerthallen und zu den überschaubaren Tourneen, bei denen er über sich selbst bestimmt.
Seiner Musik hat das so wenig geschadet wie seinem Erfolg. Ohne Medienkampagne, ohne Marketingetat füllt Boas Voodooclub Hallen fast wieder wie in den allerbesten Zeiten. Das letzte Album „Loyalty“ bescherte der Band den größten Hitparadenerfolg seit „Boaphenia“. „Bleach House“ verspricht, das sogar noch zu übertreffen.

In einer Zeit, in der das Album totgesagt wird und die Download-Single als Nonplusultra gilt, hätte es das Werk des Mannes verdient, der von sich selbst sagt, er sei gern uncool, wenn das bedeute, keine Songs für Werbung wegzugeben und bei Facebook nicht um Likes zu betteln. 13 Songs, drei Bonus-stücke, dazu in der „Collectors Edition“ weitere acht Songs, eine Vinyl-Platte und eine Konzert-DVD - manchmal lohnt es sich, mit einer Zukunft abgeschlossen zu haben, die schon längst Vergangenheit ist.

www.boa-digital.net
www.phillipboa.de

Sonntag, 31. August 2014

Auf frischer Tat

So sieht es aus, wenn man nachts um zwei Uhr nach Hause kommt, die Bodentür offenstehen sieht, hochgeht, einen Einbrecher auf frischer Tat erwischt, zu ihm sagt: "Was machen Sie denn hier", "Weiß nicht, bin betrunken" als Antwort bekommt, ihn fragt, "und wie heißen Sie?", er sagt "Stefan Graf", man sagt: "Mit ph oder f?", während es von unten hochruft "Soll ich lieber die Polizei rufen?", was den Einbrecher veranlasst, die sehr steile Treppe runterzurasen, dabei zweimal schwer zu stürzen und trotzdem auf das hinterhergerufene "Halt" nicht zu reagieren.

Der Typ, hager, braunes, kurzes  Haar grau-blau quergestreiftes T-Shirt mit Knöpfkragen, blaue Jeans mit Löchern, Turnschuhe, Anfang 30 und sichtlich illegalen Drogen nicht abgeneigt, hat eine Uhr mitgenommen, dazu eine Gitarre zertreten und alles, was auf dem Boden lagert, völlig sinnlos durcheinandergeworfen.

Die Polizei kam halb vier, sie haben die Tür fotografiert und den Namen notiert. Viel Hoffnung gebe es nicht, den Täter zu erwischen, sagten sie. Gäbe einfach zu viele Einbrüche im Moment. Es wurden auch keine Fingerabdrücke genommen. Die Polizei meinte, die Nummer, zu sagen, dass man nicht wisse, wie man an den Ort eines Einbruchs gekommen ist, weil man zu betrunken sei, werde von Tätern häufiger genommen.

Wer nicht weiß, wo er war, kann von der Wache gleich wieder nach Hause.

Wir erfuhren zudem, dass wir Glück gehabt haben. Es sei uns immerhin nichts passiert.

Samstag, 30. August 2014

Laternenfest: Halle singt im Regen

Am letzten Wochenende im August ist in Halle Laternenfest - und es regnet. Das hat Tradition, ebenso wie das Aufgebot an zahlreichen Künstlern, die zahlreiche Bühnen bespielen. Auf ein stimmiges Programm wird dabei weniger Wert gelegt, auch Interessenskonflikte sind immer eingeplant: So muss Falkenberg am Freitag parallel zu den wiederauferstandenen Karussell spielen.

Der Hallenser überzeugt mit einer umformierten Band, die alte und neue Hits in einem schwer nach Neil Young klingenden Sound interpretiert. Nach Flakenbergs Hinweis, dass es in Halle nie regne,  regnet es prompt, aber nur ganz kurz. Danach singt Halle sein "Wetter"-Lied, ehe eine susi-sonnenscheinartige Moderatorin den Auftritt beendet, indem sie ein paar Flaschen Bier hereinträgt. Halle, stilecht. Weitergesungen wird bei Karussell, die von Bandgründer Wolf-Rüdiger Raschkes Sohn Joe wiederbelebt worden sind.

Reinhard "Oschek" Huth singt immer noch wie zu Zeiten von "Das einzige Leben", neben alten Hymnen wie "Ehrlich will ich bleiben" gibt es neue Stücke, die eher nach Blues-Rap als nach Ostrock klingen. Höhepunkt: Joe Raschke lässt das Publikum "Als ich fortging" singen. Ein Mann vor der Bühne, der aussieht wie Frank-Walter Steinmeier, zückt sein Smartphone und filmt die Ansage, in der Raschke fordert, das Volk solle seine Stimme erheben.

Anschließend dann verläuft sich das Publikum, weil der als Hauptact aufgebotene Tommie Harris mit seinen routiniert abgespulten Bluesstandards - vorgetragen mit offensiv geschwungenem Schnupftuch - nur ein Häuflein hartgesottener Soul-Fans begeistert.

Die tanzen immerhin stoisch, während sich die am Auftakttakt nie sehr gefüllte Wiese langsam leert.