Mittwoch, 14. Oktober 2015

Glen Hansard: Mission Mitsingen

Ausverkaufter geht es nicht. Um den gesamten Häuserblock der Konzerthalle Täubchenthal in Leipzig zieht sich die Schlage der Fans vor dem Konzert des irischen Folk- und Rocksängers Glen Hansard. Glen wer? Vom Namen her ist der Ire dem breiten Radiopublikum nicht unbedingt bekannt. Doch seit er vor neun Jahren in der Kinoromanze „Once“ nicht nur die Hauptrolle spielte, sondern zum Film mit dem Song „Falling Slowly“ auch einen Superhit lieferte, hat der gebürtige Dubliner weltweit keine Probleme, Hallen fast beliebiger Größe zu füllen.

In Leipzig ist er zum ersten Mal, begleitet von einer neunköpfigen Band, der Sängerin Lisa Hannigan und seiner alten, vorn völlig durchgescheuerten Gitarre, die jeder Fan aus „Once“ kennt. Was der Mann, der vor seiner großen Karriere jahrelang als Straßenmusiker um die Welt zog, in den folgenden 140 Minuten bietet, ist kaum mit Superlativen zu fassen: Hansard, haucht und schreit, er schwelgt und wimmert, er singt und lässt immer wieder singen.



Der 45-Jährige hat die Lieder dazu. Bereits mit den Frames, der Band, die er nach „Once“ verließ, zauberte er Hymnen am Fließband, Lieder halb aus irischem Folk, halb aus US-Rock gestrickt. Diese Wurzeln sind bis heute geblieben, auch wenn die neue Band mit ihren Streichern und Bläsern alte Frames-Stücke wie „Revelate“ und neue Songs wie „Didn't He Ramble“ eher im klassischen Van Morrison-Stil interpretiert.

Hansard aber, der als 13-jähriger seine ersten Straßenauftritte absolvierte, bleibt immer der Mann in der Mitte. Er nimmt das Tempo raus, lässt die Zuschauer singen, spricht ein bisschen Deutsch und scheint tief im grauen Bart beständig zu schmunzeln - vor allem, wenn ihn sein Publikum ohne Worte versteht. Bei „Her Mercy“ etwa bittet er um Chorunterstützung im Refrain, „ein bisschen wie ein Gospelchor“ solle es werden, sagt Hansard. Und bekommt eine ganze Kirche voll, als sei das alles einen Tag zusammen geübt worden. Auch den Fans gefällt es, sehr sogar: Als das Lied auf der Bühne beendet ist, singen sie so lange weiter, bis auch Hansard noch einmal mitmacht.

Der Ire arbeitet für sein Geld. Nassgeschwitzt und ruhelos zieht er alle Register. „Minds made up“ ist ein wildes Rockspektakel, „Say It to Me Now“ dagegen singt er ohne jede elektrische Verstärkung vom Bühnenrand in den andächtig lauschenden Saal. Als zum oscarprämierten „Falling Slowly“ auch noch die frühere Damien-Rice-Mitsängerin Lisa Hannigan auf die Bühne kommt, um das von Hansard einst mit Filmpartnerin und Lebensgefährtin Markéta Irglová gesungene Schmerzensduett „Falling Slowly“ zu geben, badet die Halle in Herzschmerz.

So traurig, so schön, dass Glen Hansard niemanden so nach Hause gehen lassen will. Zusammen mit der Band marschiert er zum Finale mitten hinein ins Publikum und zelebriert Dick Blakeslees alten Polit-Song „Passing Through“.




Dienstag, 13. Oktober 2015

GEZ: Kampf um die Ventilkappe

Wer seinen Rundfunk-Beitrag nicht zahlt, muss mit platten Reifen rechnen.Wenn das nicht zusätzliche Sympathien bringt! Seit die einstige GEZ-Gebühreneinzugszentrale als „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ nicht mehr schnöde „Rundfunkgebühren“ erhebt, sondern „Rundfunkbeiträge“ einzieht, haben sich die Fronten zwischen zuschussbedürftigen Anstalten und zahlungsunwilligen Zuschauern verhärtet. Die einen dringen auf prompte Zahlung. Die anderen protestieren gegen fehlende deutsche Schlager, verweisen auf den fehlenden Fernseher oder kritisieren, dass Putin immer so schlecht wegkommt, wenn sie doch mal einschalten. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist aber nun mal kein Wunschkonzert und Rundfunkbeitrag keine Kann-Bestimmung: Wer theoretisch gucken könnte, muss praktisch bezahlen.

Tut er es nicht wie offenbar Millionen Deutsche, zieht der Beitragsservice andere Saiten auf: 891 000 Mal bat die weltweit einzige Institution ohne offizielle Abkürzung örtliche Behörden um Amtshilfe beim Eintreiben von Außenständen. Das ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent, dem mit allen nur erdenklichen Maßnahmen entgegengewirkt wird. Beitragsschuldige Autobesitzer etwa bekommen in Nordrhein-Westfalen sogenannte Ventilwächter an die Reifen gesteckt - kein Fahren mehr, bis ARD und ZDF ihr Geld haben.

Die ersten Meldungen darüber führten naturgemäß zu einem großen Frohlocken bei allen, die kein Auto haben. Haha, Pech gehabt, GEZ! Alle anderen müssen mit verschließbaren Ventilkappen vorsorgen: Einmal abgeschlossen, kommt kein Gebührenfahnder noch einen Ventilwächter ans Rad.

Montag, 12. Oktober 2015

Borussia als Buch: Literaten begegnen der Lei­den­schaft

Zwei Dutzend Schriftsteller aus der Autoren-Nationalmannschaft haben die desaströse letzte Saison von Borussia Dortmund begleitet.

Dramatisch war sie, historisch einmalig. Mit glimpflichem Ende. Aber alles in allem katastrophal, die letzte Saison des Dortmunder Fußballvereins Borussia. Aber all das konnte Moritz Rinke nicht wissen, als er die Idee hatte, zwei Dutzend Schriftstellerkollegen aus der Autoren-Nationalmannschaft zu bitten, den Fußballbundesligisten über ein Jahr lang zu begleiten. Ziel des Unternehmens sollte es sein, sich dem Phänomen BVB literarisch zu nähern, das gelb-schwarze Emotionszentrum des deutschen Fußballs zu erkunden und zu erklären.

Dass das daraus entstandene 240-Seiten-Buch "Man muss ein Spiel auch lesen können" nun ausgerechnet aus dem Jahr erzählt, in dem die Macht von der Ruhr wackelte und wankte wie lange nicht, ist in der gedachten Konstellation von Vorteil. Keinen aalglatten Siegeszug beschreiben Autoren wie Joachim Król, Monika Marion und Thomas Brussig. Sondern ein verwirrtes Suchen um festen Stand, ein Ringen um Selbstverständlichkeiten, einen Überlebenskampf, den Luxuskicker führen müssen, die für gewöhnlich um Titel und nicht gegen den Abstieg spielen.


Ein Dramolett in 26 Akten hat das Tagebuch des Schreckensjahres so werden müssen - aber wie hübsch haben es die zu den Heimspielen herbeigereisten Autoren aus der ganzen Republik angerichtet! Alle Genre finden sich bedient, von der Reportage über die Reflektion bis hin zum Großgedicht "In der Wand". Und alle Register feiern den BVB als ein Ding, das weit mehr ist als ein Fußballverein.

Familie. Heimat. Krimi. Thriller. Erbe. Ausdruck einer Massenpsychose. Der erliegen auch die Literaten, obgleich sie von Haus aus größtenteils Fans ganz anderer Klubs sind. Doch die Anwesenheit im Westfalenstadion, obschon es heute technokratisch "Iduna-Nova-Park" heißt, verwandelt die argwöhnischen Skeptiker wie die neugierigen Novizen in Gläubigem, deren Notate die Wunderkraft des BVB selbst als wankende Fußball-Supermacht bezeugen.

Ist es so? Oder spielt hier eine Rolle, dass der <>-Sponsor Eon sich seine Unterstützung des Auswärtspieles der Autorenmannschaft sicher nur ungern mit Meckertexten über Fußballmillionäre und Champions-League-Gigantomanie hätte vergelten lassen?
Dahingestellt. Gerade weil die Seuchensaison des <>, die mit dem Abschied von Traineridol Jürgen Klopp enden wird, keinen Platz für eindimensionale Siegeshymnen ließ, wirkt "Man muss das Spiel auch lesen können" alles in allem authentisch, obwohl es naturgemäß Partei ergreift. Der mit dem letzten Spiel geschiedene Spieler Sebastian Kehl, ein Borusse bis ins schwarz-gelbe Knochenmark, lobt denn in seinem Nachwort auch uneingeschränkt: "Es ist keine einfache Chronik, sondern eine kleine Liebeserklärung."