Sonntag, 11. Dezember 2016

Armenien: Kreuze, Gipfel, große Herzen

Das älteste christliche Land der Welt ist heute ein noch fast völlig unentdecktes Trekking-Paradies voller menschenleerer Hochebenen, uralter Klöster und freundlicher Menschen.

Der Weg ist schmal, für das ungeübte Auge fast unsichtbar. Er schlängelt sich um den Berg und durchs Gras, ist aber für Bergführer Ayrik eine Autobahn, die der Mann mit dem weißen Bart stoisch entlanggeht. Schritt für Schritt nach oben, wo der Mt. Khustup aus den Wolken lugt.

Gerademal 3 206 Meter sind es bis hinauf. Doch für die Trekking-Gruppe, die am Tag zuvor auf nur 900 Meter Höhe gestartet ist, wirkt der steile Felsen wie der Gipfel der Welt. Von oben bietet sich ein majestätischer Blick auf die Meghri-Berge im Süden. Im Osten liegt das von Aserbaidschan und Armenien beanspruchte Berg-Karabach. Südlich der Iran. Und im Westen Nachitschewan, das zu Aserbaidschan gehört, aber keine Landverbindung ins Mutterland besitzt.

Zwei Wochen zu Fuß

Geschichte ringsherum, überstrahlt von einer zur Mittagsstunde vom Himmel glühenden Sonne. Armenien, eingeklemmt zwischen Georgien, der Türkei, dem Iran und Aserbaidschan, ist als ältestes christliches Land der Welt bekannt, als Trekking-Paradies aber völlig unentdeckt. Wer zwei Wochen zu Fuß unterwegs ist zwischen Kapan im Süden, Tashir im Norden, Gjumri im Westen und dem vernebelten Goris gleich an der Grenze zu Berg-Karabach, hat die Garantie, höchstens zwei, drei anderen Wanderern zu begegnen. Endlos und menschenleer erstrecken sich die Hochebenen des Geghama-Gebirges vor dem Horizont.



Ab und zu bellt ein Hund, dann taucht ein Zeltlager von Jesiden auf, die den Sommer mit ihren Herden hier oben verbringen. In uralten Zil-Lkws rumpeln die Hirten über unwegsame Pfade. Gäste bekommen Kaffee kredenzt und Lebensgeschichten erzählt. Prärie und Felstäler wechseln sich ab. Dazwischen liegen spiegelklare Bergseen in flachen Tälern und schwarze Felsen voll rätselhafter Steinzeichnungen. Diese Ughtasar genannten Tier- und Menschendarstellungen sind 12 000 Jahre alt und bis heute unentschlüsselt.

Der Berg Ararat, auf dem der Legende nach einst die Arche Noah strandete, grüßt im Schneekleid von fern. Ein Bild, das Reiseführer Samvel Hovhannisyan bei jedem Blick weh tut. Besser noch als andere Armenier kennt der studierte Historiker die leidvolle Geschichte seines Landes, das einst vom Kaspischen bis zum Mittelmeer reichte. "80 Prozent dessen, was einmal Armenien war, haben wir verloren", sagt der 52-Jährige.


Auch den Ararat, der jedem Armenier heilig ist. Doch mit dem Völkermord vor hundert Jahren, der 1,5 Millionen Armenier das Leben kostete, flüchteten die Überlebenden vom Gebiet der heutigen Türkei, die den Berg seitdem für sich reklamiert.

Gegen seine Darstellung im Wappen der Armenischen Sowjetrepublik protestierte Ankara einst mit dem Hinweis, dass der Berg auf türkischem Territorium liege und sein Bild deshalb nicht von Armenien genutzt werden dürfe. Der damalige sowjetische Außenminister Tschitscherin nahm es gelassen. Die Türkei zeige schließlich eine Mondsichel in ihrer Flagge, sagte er. Dabei liege der Mond auch nicht in der Türkei.

Heute reden sie gar nicht mehr miteinander, die Türken und die Armenier. Die Grenze zwischen beiden Ländern ist der letzte Rest des Eisernen Vorhangs, gut zu sehen vom Kloster Khor Virap, in dem der Glaubensbegründer Gregor einst in einem Erdloch gefangen gehalten wurde, weil er dem Christentum nicht abschwören wollte. Nach 13 Jahren vom schwer erkrankten König befreit, heilte Gregor den Herrscher. Und der verordnete Armenien im Jahr 301 das Christentum als Staatsreligion.



Spuren der langen christlichen Geschichte seitdem finden sich überall am Weg. Malerische Klöster wie in Tatev und Noravank thronen auf Bergspitzen, schlichte Bauten ohne Pomp und Zierrat, dafür aber älter als alles, was es an Kirchen in Europa gibt. Dazwischen liegen die Felshöhlen von Goris, in denen früher die ganze Stadt lebte. Und bei Noratus wartet ein endloses Gräberfeld voller "Khachkars" genannter Kreuzsteine, detailreich mit Bildern verzierte Grabsteine, denen orangefarbene Flechten eine überirdische Schönheit verleihen.



Alte Steine, alte Damen


Die alten Damen, die mit selbstgestrickten Socken davor auf Touristen warten, sind dann wieder ganz von dieser Welt. Sofya ist über 70 und wie viele Alte hier zurückgeblieben, wo das wohlhabende Armenien Sommerferien macht. Die Jungen gehen, die Alten bleiben, sagt sie. Sie bleiben mit 70 Euro Rente, ihren Stricknadeln und drei Brocken Russisch, Englisch und Deutsch, mit denen sie die Bilder auf den Steinen samt der drumherumliegenden Weltgeschichte erklären können. Smatri. Babuschka. Mongol. Schwert! Kaputt. 


Das ganze Drama eines liebenswerten Landes in fünf Worten.




Anreise: Air Berlin, Aeroflot und Ukrainian fliegen von Berlin und Frankfurt über Moskau oder Kiew für 350 Euro nach Jerewan. Beste Reisezeit ist von Juni bis Oktober.
Währung: Ein Euro entspricht 500 armenischen Dram. Ein großes Bier kostet in der Gaststätte etwa 500 Dram, ein Abendessen 5 000.


Wanderstrecken: Mit normaler Fitness sind Aufstiege und Wegstrecken für jeden zu bewältigen. Bei einer geführten Gruppenreise transportiert ein Jeep persönliches Hauptgepäck, Verpflegung und Zelte in die abendlichen Zeltlager.


Veranstalter: Der deutsche Wanderreisen-Spezialist Hauser Exkursionen bietet Trekking in Armenien als 16-tägige Gruppenreise für rund 2 350 Euro an (inklusive Flug). Getragen wird nur das Tagesgepäck. Die Unterbringung erfolgt an sieben Tagen im Hochgebirge in Zwei-Mann-Zelten, in der übrigen Zeit in Hotels und Pensionen in Jerewan, der südlich gelegenen Stadt Goris und am Ufer des malerischen Sevan-See auf fast 2 000 Meter Höhe. Verpflegung morgens und abends ist inklusive, ebenso die Transfers, Koch, Küchenhelfer, Reiseleiter und Bergführer.

Tourtagebuch: www.bit.ly/armenientrek

Freitag, 9. Dezember 2016

Thälmann-Insel: Ein Stückchen deutsche Karibik


Fidel Castro ist tot und begraben, ein Mythos aber, der den Maximo Lider mit der früheren DDR verbindet, hält sich gnadenlos: Dass Kuba der DDR Anfang der 70er Jahre eine Insel geschenkt habe. Die, betrachte man es genauer, bis heute Deutschland gehöre.

Auf dem Bild vom Festakt, bei dem die DDR das Eiland geschenkt bekam, zeigt Erich Honecker dieses schmale Lächeln, das bei ihm von großer Freude kündete. Hinten an der Wand hängt Lenin, vor dem DDR-Staatschef wedelt Fidel Castro gerade mit dem Finger auf einer Karte herum. Da liegt sie, die Karibikinsel, die jetzt der DDR gehört! Es ist der 19. Juni 1972 und eben ist eine der schönsten Lügenstorys der Internetära geboren worden.

Zu verdanken ist das dem halleschen Maler Gabriel Machemer. Der stolperte eines Tages über die Geschichte der Verleihung des Namens "Ernst Thälmann" an die winzige Insel. Beim Internet-Lexikon Wikipedia verfasste Machemer daraufhin einen Eintrag dazu, in dem er Castros Erlass zur Namensvergabe zu einer Schenkungsurkunde erklärte. "Eine eigene Karibikinsel für die DDR?", fragte der Künstler.

Eine bezaubernde Idee, die Kreise zog. Bald diskutierte das Netz, ob Deutschland nun ein Stückchen eigene Karibik habe - schließlich müsse die Insel ja mit der Vereinigung Eigentum des größeren Deutschlands geworden sein. 2001 gründete sich dann sogar die Initiative Thälmann-Insel. Motto: "Wir wollen unsere Insel zurück". Zeitungen schrieben über die Gebietsansprüche Deutschlands an Kuba, Verschwörungstheoretiker raunten begeistert: "Wem gehört die Ernst-Thälmann-Insel?".

Das Auswärtige Amt musste reagieren. Bei der Widmung der Insel "handelte es sich um einen symbolischen Akt, der nichts mit Besitzverhältnissen zu tun hat", hieß es diplomatisch. Den Eifer der Inselfans vermochte das kaum zu bremsen: Immer wieder taucht die "DDR-Karibikinsel" seitdem aus dem Meldungsmeer auf. Selbst als sich der Urheber endlich zu seiner kleinen Geschichtsfälschung bekannt hatte, blieb die Umbenennung für viele eine "Schenkung".

So ist das im Netz. Einmal in der Welt, hält jede Lüge ewig.

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Pearl Harbour: Ein Überfall mit langer Vor­ge­schichte

Der Zweite Weltkrieg dauerte in Asien nicht nur länger, er hatte auch früher begonnen. Schon im Juli 1937 begannen die Japaner mit ihrem Versuch, China zu erobern. Bis zum 26. November 1941 gelang das nicht, weil die Chinesen unter Chiang Kai-shek energischen Widerstand leisteten, später auch von US-Truppen unterstützt, auch wenn die nicht offiziell zum US-Militär gehören.
Gegen Japan, das mit Deutschland und Italien verbündet ist, arbeitete die Zeit.

Schon im Januar 1941 hatte der Admiral Isoroku Yamamoto seine Regierung in einer Studie gewarnt, dass Japans einzige Chance auf eine Eroberung zusätzlicher Rohstoffquellen in einer offensiven Strategie liege. In allen Planspielen war die japanische Marine zuvor unterlegen gewesen, so dass Yamamoto empfahl, mit einem unangekündigten Schlag gegen die US-Flotte gleich zu Kriegsbeginn deren Moral zu zerstören und sich selbst Zeit zu verschaffen, Südostasien mit seinen Rohstoffquellen in Besitz zu nehmen.

Abgesichert durch einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion und einen nach 1940 festgefahrenen Konflikt mit China, verhandelten die Japaner ernsthaft mit den USA über eine Friedensvereinbarung für den Pazifikraum. Doch als das von Deutschland abhängige Vichy-Regime in Frankreich den Japanern die Erlaubnis gab, Französisch-Indochina zu besetzen, schlugen die USA alle Angebote Tokios aus, etwa die Unabhängigkeit der Philippinen zu garantieren und verhängten Wirtschaftssanktionen. Auf der anderen Seite weigerte sich Japan, China zu räumen.

Ein Patt, in das mit der Übergabe der sogenannten Hull-Note durch US-Außenminister Cordell Hull an den japanischen Botschafter Nomura am 26. November vor 75 Jahren verhängnisvolle Bewegung kam. Die Japaner werteten das amerikanische Papier als Ultimatum. Der japanische Angriffsverband Kido Butai lief noch am selben Tag mit Zielrichtung Pearl Harbor aus. Admiral Isoroku Yamamoto kommandierte sieben Flugzeugträger mit 474 Kampfflugzeugen, dazu kamen zwei Schlachtschiffe, drei Kreuzer und 16 Zerstörer.

Zur Tarnung verhandelten japanische Diplomaten weiter, doch für die japanische Regierung war der Krieg inzwischen der einzige denkbare Ausweg aus dem Dilemma, durch den mittlerweile in Europa tobenden Krieg von der Rohstoffzufuhr abgeschnitten zu sein. Am 7. Dezember, 6.10 Uhr morgens, starteten die Kampfflieger von ihren Schiffen.

Um 7.55 Uhr fielen die ersten Bomben. Aus dem Krieg wurde ein Weltkrieg.

Freitag, 2. Dezember 2016

Conny Ochs: Ein Reisender in Sachen großes Gefühl



Mit seiner Band Baby Universal ist der Hallenser Cornelius Ochs seit mehr als einem Jahrzehnt eine der wichtigsten, bekanntesten und erfolgreichsten Figuren der Rockmusik in der Region. Zuletzt legte die Lieblingsband von Kult-Regisseur Quentin Tarantino mit "Slow Shelter" ein Meisterwerk vor, das den Mix aus Brit-Pop und Hard-Rock um Folkelemente erweiterte. Seitdem hält sich die Band bedeckt, Ochs selbst tourt hingegen europaweit mit seinem neuen Solo-Album "Future Fables".

Zwölf Songs hat der Hallenser mit der unverwechselbaren Stimme im Kabumm-Studio in Golzow eingespielt, alle zwölf orientieren sich mehr an seinen gemeinsamen akustischen Alben mit der US-Doom-Legende Scott "Wino" Weinrich (St. Vitus) als am treibenden elektrischen Sound seiner Band.

Lieder mit Herz, Lieder mit Seele sind das, vom Auftakt mit dem auf zwei Gitarren hereinschleichenden "Hole" bis zum Finale mit der dunklen Klavierballade "Make some room". Conny Ochs singt flehentlich, er flüstert, zeigt aber bei "Killer" auch, dass er Nirvana ebensogut kann.

Fantastische Songkunst, der Sachsen-Anhalt, der Osten und ganz Deutschland spätestens seit den gemeinsamen Tourneen mit Scott Weinreich zu klein geworden ist. Seine zwischen Mark Lanegan, Lou Reed und Nick Drake pendelnde Musik, mit dem Debüt "Raw Love Songs" entworfen, mit "Black Happy" vervollkommnet und mit "Future Fables" nun für erste vollendet, wird überall verstanden.

Wie ein moderner Troubadour zieht Ochs durch Europa, um die Welt, er spielt in Quedlinburg und Venedig, in der Schweiz und Tschechien. Und erstmals seit Jahren trat er jetzt auch wieder in seiner Heimatstadt auf, in der kleinen Kneipe "Fliese", die der frühere Baby-Schlagzeiger Carsten Rottweiler betreibt, sang Ochs Lieder aus dem neuen Album, aus seinen früheren Werken und auch einige Stücke von den Babys. Schlecht beleuchtet, gut aufgelegt und am Ende völlig erschöpft. Ein Heimspiel, locker gewonnen.

Direkt zum Künstler:
www.connyochs.com