Mittwoch, 24. Mai 2017

Spammer: Danke für den Fisch


Es ist eine Chance, die jeder nur einmal im Leben bekommt. 23 Millionen Euro liegen auf einem Konto in Nigeria bereit, hinterlassen von einem Zentralbankmitarbeiter, der gerade erst bei einem Autounfall gestorben ist. Seine Tochter sucht nun verzweifelt nach einem Weg, das Geld ins sichere Ausland zu schaffen. „Werte Herr“, schreibt sie in einer Mail, „bitte könne helfe mich bei dies Transaktion und geben Deine Kontonummer?“

Kein Mensch würde das tun, oder doch keiner, der noch einigermaßen bei Verstand ist. Zu viele Rechtschreibfehler, zu hanebüchen die Geschichte, die die vermeintliche Millionenerbin aus Afrika erzählt. Dennoch klingen Millionen sogenannter Scam-Mails, die sich unter hundert Billionen Spam-Mails finden, die alljährlich unverlangt in Milliarden E-Mail-Postfächern landen, ähnlich: Krude ist die Grammatik, absurd die Rechtschreibung, egal ob auf Englisch oder Deutsch.

Die Botschaft der Mails, die entweder Millionengewinne versprechen oder zur Kontoprüfung auffordern, wird von den meisten Empfängern gar nicht mehr wahrgenommen - misstrauisch geworden durch die verräterische Form, wird der Inhalt in den Papierkorb geschoben. Ja, wenn die Spammer etwas schlauer wären, sagen sich viele Nutzer. Dann würde man vielleicht auf ihre Betrugsversuche hereinfallen. Aber so? Niemals! Bei der Rechtschreibung, dieser Grammatik und den durchsichtigen Tarngeschichten merkt doch jeder sofort, dass hier Kriminelle unterwegs sind, die nach Opfern suchen.

Genau das aber ist die Absicht der Absender von betrügerischen E-Mails, wie Cormac Herley aus der Research-Abteilung des Software-Riesen Microsoft in einer Studie nachgewiesen hat. „Warum sagen nigerianische Betrüger, dass sie aus Nigeria kommen?“, hat er das Papier überschrieben, in dem das Rätsel der offenkundig stets von völlig unfähigen Betrügern abgefassten Scam-Mails gelöst wird.

Eine mathematische Frage, wie Herley nachweist: Für den höchsten Profit müsse der Betrüger nicht versuchen, möglichst viele potentielle Opfer zu finden. Sondern anstreben, die zu erwischen, die die höchste Wahrscheinlichkeit versprechen, dass sie am Ende wirklich auf den Betrug hereinfallen. Die atemberaubend schlechte Rechtschreibung, zwischengemischte russische oder Thai-Schriftzeichen und eine Grammatik, bei der alles durcheinandergeht, funktionieren im milliardenschweren weltweiten Scam-Geschäft wie ein Idiotenfilter.

Denn schwierig am Verschicken von betrügerischen Mails ist nicht die erste Aussendung, die darauf spezialisierte Programme automatisch und millionenfach vornehmen. Sondern die Fortführung der Kommunikation mit den Angeschriebenen, die tatsächlich auf obskure Millionenangebote aller Art antworten.

Scammer kalkulieren knallhart: Würden auf 500 Millionen verschickte seriös wirkende Mails 100 Millionen Menschen antworten, bräuchte der Versender der Scam-Mails rund 200.000 Mitarbeiter, von denen jeder am Tag 500 Mails beantworten müsste. Hier lässt sich nichts mehr automatisieren, weil jede Antwort individuell ausfällt und deshalb auch individuell beantwortet werden müsste.

Die Wahrscheinlichkeit, dass im weiteren Mailwechsel vielen auffallen würde, dass es hier letztlich um Betrug geht, wäre dennoch hoch - ein Großteil der teuren, weil nicht von Computerprogrammen zu erledigenden Arbeit wäre vergeblich. Anders, wenn von Anfang an so plumpe Anschreiben verschickt werden, dass die meisten Adressaten sie sofort löschen. Wenn dann auf 500 Millionen Mails nur 200 Leute antworten, sind darunter, so die eiskalte Rechnung, bestimmt fünf oder zehn, die sich am Ende betrügen lassen.


Mittwoch, 3. Mai 2017

TV-Start: Sieg über den Klassenfeind


Als die DDR mal ganz vorn war: Vor 65 Jahren siegte die Arbeiter- und Bauernrepublik im Rennen um den Fernseh-Sendestart in Deutschland.

Eine Kiste, groß wie ein Schrank, links mit Stoff abgespannt und rechts für ein Glasfensterchen in Postkartengröße geöffnet: Heute vor 60 Jahren brachte der "Leningrad T2" aus sowjetischer Produktion das Fernsehen nach Deutschland. In der ersten Sendung kurz vor dem Weihnachtsfest 1952 durfte Stalin zuerst auf den Bildschirm - rein zufällig fiel der Start des offiziellen Betriebes des DDR-Fernsehens auf den Geburtstag des Führers der internationalen Arbeiterklasse. 

Was für ein Triumph über den Klassenfeind! Der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) im Westen hatte zwar schon im November zwei Jahre zuvor mit der Ausstrahlung eines Versuchsprogrammes begonnen. Doch beim regelmäßigen Sendebetrieb hatte der Deutsche Fernsehfunk der DDR die Nase vorn. Erst vier Tage nach den Berlinern zog die Konkurrenz vom NWDR nach, die aus einem Bunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg zuerst einen Film über die Entstehungsgeschichte des Weihnachtsliedes "Stille Nacht" sendete. 

Kalter Krieg im Äther, allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In ganz Ostdeutschland gab es nicht mehr als 80 Fernsehgeräte. Obwohl einige davon in sogenannten Fernsehstuben standen, in denen Sendungen kollektiv angeschaut werden konnten, konnten nicht mehr als ein paar hundert Zuschauer die Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" mit Sprecher Herbert Köfer oder sowjetische Dokumentationen verfolgen. Dennoch war sich die Führung der SED offenbar schon sehr früh darüber im Klaren, dass im Äther eine unsichtbare Front entstand, die von eigenen Truppen gehalten werden musste. 

Im Januar 1952 hatten sich DDR-Präsident Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und der kommende starke Mann Walter Ulbricht im Sendezentrum in einer Baracke in Adlershof gemeinsam von der Wirksamkeit der neuen Propagandawaffe überzeugt. Vor allem die Aussicht, neben 2,3 Millionen <>-Bürgern auch rund 2,2 Millionen Menschen im Westen mit eigenen Sendungen erreichen zu können, führte wohl zur Beschleunigung der Umsetzung der Fernseh-Pläne, deren Ausarbeitung die Sowjetische Militäradministration bereits 1949 in Auftrag gegeben hatte. 

Nachdem der NWDR sein Testprogramm auf einer Messe öffentlich vorgestellt hatte, geriet die <> zudem unter Druck. Die Europäische Wellenkonferenz hatte der DDR Sendefrequenzen zugewiesen, die an den Klassenfeind im Westen verloren zu gehen drohten, wenn sie nicht benutzt würden. Kurt Heiß, damals Generalintendant des DDR-Rundfunks, warnte im Sommer 1952: "Wir müssen jetzt jeden Tag mit mehr als einer Stunde draußen sein, zu einer feststehenden Zeit, um die Frequenz zu belegen." 

Das gelang zwar, doch viel problematischer war im Osten der eklatante Mangel an Empfangsgeräten. Von der staatlichen Weisung an die volkseigene Industrie, "diese in ihrem Aufbau unerhört komplizierten Apparate zu einem möglichst geringen Preis herauszubringen, um Fernsehen für jeden erschwinglich zu machen", wie es in einer Veröffentlichung hieß, war im Laden nichts zu sehen. Im VEB Sachsenwerk Radeberg wurden nach sowjetischen Bauplänen zwar Leningrad-Fernseher hergestellt. Doch die meisten mussten als Teil der Reparationszahlungen in die UdSSR geliefert werden. Der Rest ging für stolze 3 500 Mark über den Ladentisch - das durchschnittliche Jahresgehalt eines DDR-Bürgers. Es ging folglich weniger um echte Erfolge an der Fernsehfront als vielmehr um Prestige. 

Zumal eine wirkliche Konkurrenz der Sender in Ost und West anfangs schon technisch ausgeschlossen war: Adlershof sendete Bild und Ton in der OIR-Norm, Hamburg verwendete die ICCR-Norm. Wer es schaffte, die auf Einkanal-Betrieb ausgelegten "Leningrad"-Geräte auf den Empfang des Westsenders umzustellen, sah entweder das Bild. Oder er konnte den Ton hören. Der Erfolg im Wettlauf um den Starttermin blieb dann auch der einzige Sieg des DDR-Fernsehens über den technisch und finanziell überlegenen Westen. 

Während die regelmäßigen Sendungen im Osten bis Ende 1955 als "Versuchsprogramm" firmierten, lief "drüben" schon seit Weihnachten 1952 der reguläre Sendebetrieb mit Übertragungen wie vom Fußballspiel Deutschland gegen Jugoslawien, Shows und Fernsehspielen. Dahin kam das nun Deutscher Fernsehfunk (DFF) genannte Fernsehen der DDR erst zum 2. Januar 1956, rein zufällig der 80. Geburtstag von DDR-Präsident Wilhelm Pieck. 

Jetzt standen schon ein paar Tausend Fernseher vom im Funkwerk Halle hergestellten Typ Sonata FT 55 in den Wohnzimmern zwischen Rügen und Riesa. Zehn Jahre nach dem Fernsehstart hatten zwei Millionen DDR-Haushalte einen Fernseher, 1969 startete das zweite Programm - sechs Jahre nach dem Zweiten Deutschen Fernsehen in der Bundesrepublik. 

Samstag, 22. April 2017

Fischer-Z: Widerstand gegen den Wohlstand


Alles in allem sind es kaum elf Jahre gewesen, in denen John Watts den Namen Fischer-Z abgelegt und versucht hatte, unter seinem eigenen Namen an die großen Erfolge der 80er Jahre anzuknüpfen. Das gelang nicht, vielleicht auch, weil der studierte Psychologe sich nie dümmer stellte, als er ist.

Watts verband Liedermacherei und Rock, Pop und Multimedia, er reiste um die Welt und sang mit Musikern aller Kontinente, und bald schien es, als komme es ihm gar nicht mehr auf das Ergebnis seiner Bemühungen um neue Musik an, sondern nur noch um den Weg dorthin.

Aber natürlich ist der inzwischen 62-Jährige auch eitel. Wer mit Mitte 20 in Welthits wie "Marliese" und "Berlin" gezeigt hat, dass schwerer Inhalt und leichte Form bis an die Spitze der Charts klettern können, mag im Herbst seiner Karriere nur ungern dauerhaft in kleinen Klubs vor zwei Handvoll alten Fans auftreten. John Watts hat also den alten Bandnamen Fischer-Z aus dem Archiv geholt und eine neue Ära für die einstige New-Wave-Combo ausgerufen.

40 Jahre nach Bandgründung ist zwar außer ihm keines der Ursprungsmitglieder mehr dabei, aber Fischer-Z war schon immer ganz allein Watts' Baby, sein Sprachrohr, seine Stimme. "Building Bridges", bei ganz penibler Zählung wohl Album Nummer zwölf mit dem Schriftzug Fischer-Z auf dem Cover, unterstreicht den virtuellen Charakter dieser Formation durch den intimen Kreis, der es eingespielt hat. Neben Watts selbst ist da der Schlagzeuger und Percussionist James Bush, dazu Tochter Leila Watts und Mitproduzent Nick Brine als Backgroundsänger.

Ein Solowerk also, das in elf Songs hundert Prozent Watts bietet. Die zickige Gitarre ist hier, die Stimme wie eine überspannte Klaviersaite, die Bläsersektion aus dem Keyboard. Dazu kommen die Melodien, die immer an die großen Momente von "Cruise Missiles" und "The Worker" erinnern. Damals hatte Watts Politik und Beziehungskrisen in luftigen Pop gegossen, der dennoch wie ernsthafte Rockmusik gehört werden durfte.

Das versucht er hier wieder. "Building Bridges" startet mit abgeschlagenen Köpfen in Damaskus, blendet über auf Szenen aus der Finanzkrise, schimpft über den Mindestlohn und ruft die Besitzlosen zum Widerstand gegen den Wohlstand: "Die, die nichts haben, brauchen eine lautere Stimme!" Der weitgereiste Pop-Philosoph, allen Ehrgeizes ledig, sinniert öffentlich über die Leiden der Welt, über die Flüchtlingskrise und die alles zermalmende Kraft des Internets.

Gallig ist er dabei, die Stimme quengelt bei "Barbara Sunlight" ein höhnisches "heirate mich" und bei "Umbrella" verwandelt Watts "Paint it black" von den Rolling Stones in die Liebeserklärung eines alternden Mannes an ein junges Mädchen. "Shrink" ist dann ein Zwiegespräch des Sängers mit einem Alter Ego diesen Namens, in dem die verrückten Zeiten zu verrückter Musik beklagt werden. Watts darf das, denn er kann es, auch ganz allein.


Donnerstag, 20. April 2017

Deep Purple: Abschied der Dinosaurier


Im 50. Jahr ihres Bestehens reitet die britische Band Deep Purple mit dem Album "Infinite" in die Unendlichkeit der Rockgeschichte.

Die Rebellion dieser Männer hier war von anderer Art als die ihrer Kollegen von den Stones, den Kinks oder Jethro Tull. Während die im Kern personell stabil waren, überlebte Deep Purple bis heute acht Verpuppungen, bei denen nur der Mann hinter dem Schlagzeug derselbe blieb. Und, das ist das Erstaunliche, die Musik. 

Vier Sänger, vier Gitarristen, drei Bassleute und zwei Keyboarder haben Deep Purple seit der fantasiereichen Rock-Suite "April" betrieben. 45 Jahre sind seit dem größten Purple-Hit "Smoke on the water" vergangen. Und nun vereint das neue Album "Infinite" die klassischen mit den Dampfhammer-Genen des Band-Erbes zu einem letzten Ausritt der alten Garde um Drummer Ian Pace, Sänger Ian Gillan und Bassist Roger Glover, denen mit Steve Morse (seit 1994) und Don Airey (seit 2002) zwei jüngere Kräfte zur Seite stehen. 

Stilsicher, wie die zehn neuen Songs belegen, produziert wie schon das letzte Werk "Now What?" erneut von Bob Ezrin. Deep Purple rufen noch einmal alle Tricks und Kniffe, alles Handwerk und alle Schablonen der letzten fünf Jahrzehnte ab und zelebrieren ihren Abschied mit der großen Geste echter Dinosaurier. Natürlich klingt Ian Gillan, inzwischen 71 Jahre alt, nicht mehr wie damals mit Ende 20, als er "Highway Star" mit einer Stimme sang, die in manchen Momenten aus einer anderen Welt zu kommen schien. 

Doch er klingt gut, voll und nie überfordert. "Johnny's Band" ist das Lied zu diesen alten Zeiten, eine Hommage an die Tage, als alle Musik machten und es manche sogar zu "Top of the Pops" schafften. Ehe der Traum im Drogenrausch, in Geldgier und privatem Größenwahn verglühte. Alle Mitglieder von Deep Purple, auch der 2012 verstorbene Keyboarder Jon Lord und Gründungsgitarrist Ritchie Blackmore, der seit 1993 endgültig auf folkloristischen Solo-Pfaden wandelt, könnten Geschichten davon erzählen, wie es wirklich war, in den ganz großen Tagen des Rock "on top of the world" zu sein, wie hier ein Lied heißt. 

Umso verwunderlicher, dass das sensible Konstrukt aus teilweise über Jahrzehnte zerstrittenen Genies nicht nur diese Zeiten, sondern auch die Phasen von Belächeltwerden und Vergessensein überstanden hat. Nun stehen sie hier, im Gepäck die alte Musik aus wilden Gitarren, manchmal minutenlang vor sich hintüdelnden Orgeln und wuchtigen Beats aus Ian Pace' wummernden Trommeln. "Infinite" hat viele Momente, in denen improvisiert wird wie damals bei "April", nur ohne Orchester. 

Ziellos und ohne Zeitbegrenzung erwecken Morse und Airey die rauschhaften Tage zum Leben, als in jeden großen Song ein großes Solo gehörte. Das ist heute so erfolgreich wie seit Ende der 80er Jahre nicht. Auf einmal kaufen die Leute ihre Alben wieder. Auf einmal führt sie Metallica-Drummer Lars Ulrich in die Rock'n'Roll-Hall-of-Fame ein. Deep Purple haben in Wacken gespielt, beim Jazzfestival in Montreux und beim Bluesfest im kanadischen Ottawa. Sie hatten ausverkaufte Konzerte in aller Welt und schafften es sogar in den USA wieder in die Albumcharts.

An der Musik allein kann es nicht liegen, denn die liefern jüngere Bands wie Arena oder IQ auch, obwohl sie sicherlich nie auf die Idee kämen, nach dem elektrischen Soundinferno über neun Songs ans Ende einen fast akustisch klingenden Klassiker wie den "Roadhouse Blues" von den Doors zu stellen. Wohl eher ist es der Nimbus, das Gefühl, langsam verklingender Geschichte zuzuhören.

Deep Purple live in Leipzig am 9. Juni, Arena

Tickets sind erhältlich bei: www.mawi-concert.de