Er war die Nummer 3 im Staate DDR, aber gegen den bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Joseph Strauß hatte der frühere hallesche SED-Chef, spätere DDR-Ministerpräsident und Volkskammer-Vorsitzende Horst Sindermann keine Chance. Der Mann, der mit dem Bau der sozialistischen Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt Geschichte schrieb, schafft es zum 100. Geburtstag gerademal noch in den Berliner Kurier. An den Regionalpolitiker aus dem Westen, dessen größter Erfolg eine gescheiterte Kanzlerkandidatur war, erinnern "Spiegel", Bild und Deutschlandradio.
Zum Erinnern nach Halle muss da schon Egon Krenz kommen, letzter SED-Regierungschef der Arbeiter- und Bauernrepublik. Auf Einladung der "Rotfüchse", einer Art Nachkriegs-FDJ, stellt der einst führende Genosse die Sindermann-Autobiografie vor. "Vor Tageslicht"hatte Sindermann geschrieben, als es mit der DDR langsam zu Ende ging und seine eigenen Zweifel an der Richtigkeit der Politik der Partei, in die er als Schüler eingetreten war, wuchsen.
Es geht um Sindermanns Zeit im KZ im Buch, doch Krenz spricht natürlich vor allem von der Zeit danach. Vor einem Publikum, dass hauptsächlich aus Menschen besteht, die die DDR bis heute als ihren Staat begreifen, arbeitet sich der frühere FDJ-Vorsitzende an der medialen Darstellung dessen ab, was die DDR seiner Ansicht nach nie war. Ein Unrechtsstaat? In dem Nazis geschont wurden? Der damit für fremdenfeindliche Übergriffe heute verantwortlich ist? Krenz, als SED-Funktionär immer eine steife Figur mit gefährlichem Krokodilgrinsen, ist in seinem derzeitigen Amt als letzter und hochrangigster Verteidiger der DDR locker, leicht und zu Scherzen aufgelegt.
Seine 78 Jahre sieht man dem gebürtigen Pommer nicht an, wenn er zugespitzt argumentiert, Meldungen aus der "bürgerlichen Presse" (Krenz) verliest, um sie ganz auf Parteilinie zu zerpflücken, und vor seinen Zuhörern, die er gern als "Genossen" anspricht, jede Fehlerdiskussion vermeidet. Krenz ist sicher: Was in der DDR falsch lief, lang an subjektiven Fehlern. Was heute im Einheitsdeutschland nicht stimmt, hat seine Ursache im kapitalistischen System.
Was danach noch an Angriffen aufs Tor kommt, schlägt der Libero geradezu amüsiert weg. Delegitimiert werden solle die DDR und mit dieser Delegitimation auch das Leben von Millionen, sagt er. Der "Westen", sagt er, rede heute ja schon gar nicht mehr von der DDR, sondern nur noch vom "Osten", als habe es dieses andere deutsche Land nie gegeben. Er, Egon Krenz, werde weiter gegen diesen Versuch der Umschreibung von Geschichte streiten. Im Saal klatschen die Leute. Dann gibt Egon Krenz einer langen Schlange von Buchkäufern Autogramme.
Keine Systemfehler in der DDR? Vergiftete Chemiearbeiter, vergiftete Spitzensportler, vergiftete Gesellschaftsatmosphäre, ...
AntwortenLöschenEr sieht es, wie er es sehen muss, um seine eigene Biografie nicht infragestellen zu müssen.
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