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Samstag, 5. Juni 2021

Vergessene Pfade: Wandern auf dem Mond


Es ist das 30. Jahr nach der Wiedervereinigung, als uns ein bizarrer Plan einfällt: Seit Jahren hatten wir vor, auf dem Kolonnenweg an der ehemaligen Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten entlangzuwandern. Dieser sogenannte Kolonnenweg ist insgesamt 1.400 Kilometer lang, eine zweispurige Linie längs durchs Land.


Dort suchen wir nach dem, was übriggeblieben ist nach drei Jahrzehnten Einheit, danach, was die Natur uns aus der Vergangenheit erzählt und was die Menschen über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft sagen.

Entlang des Kuhlrader Moores wandern wir auf vergessenen Wegen durch ehemalige Sperrgebiete. Noch eine Zone, aus der die Bewohner mit Gewalt und Drohungen vertrieben wurden, um die Grenze sicher zu machen. Wir laufen stundenlang und sehen keinen einzigen Menschen. Die 15 Kilometer nach Carlow, einem kleinen Dorf mit einer Kirche und einer winzigen Kneipe, wo wir hoffen, frisches Wasser zu bekommen, bestehen nur aus verwitterten Feldwegen und Maisfeldern. 


Die Einheimischen, die wir nicht sehen können, scheinen aber kluge Leute zu sein: Sie bremsen den gelegentlich wohl scharfen Westwind aus, indem sie Haselnusshecken entlang der Felder pflanzen, so dass wir unseren Weg wie in einem endlosen grünen Tunnel gehen.   Das ist schön, aber als wir Carlow erreichen, lösen sich alle unsere Hoffnungen in Wohlgefallen auf. Der Carlower Hof, das Gasthaus, in dem wir hofften, etwas zu essen und etwas zu trinken zu finden, ist geschlossen. Nicht wegen Corona und der Pandemie, nein. Der Wirt hat offenbar den Preis für den Niedergang der Grenzregion bezahlt. "Geschlossen seit Juli 2019" steht auf einem Schild im staubigen Fenster. 


Es ist gerade wieder ein sehr heißer Tag und unsere Wasserflaschen sind so leer wie die Straßen des Dorfes. Wir versuchen es in den halbwegs bewohnt wirkenden Häusern. Und wirklich - eine freundliche junge Frau hat Mitleid mit uns und füllt unsere Flaschen.   Aber die Probleme sind damit nicht am Ende. Wie immer hatten wir eigentlich geplant, abends außerhalb der Stadt nach einer schönen Wiese zu suchen, um unser Zelt aufzubauen. Aber hinter Carlow gibt es keinen solchen Ort. 


Wir gehen Kilometer für Kilometer, überall sind nur Pferde- oder Schafweiden hinter Zäunen, Maisfelder, die die Haselnusshecke erreichen, oder Waldstreifen mit dichtem Unterholz. Wir brauchen eigentlich nur ein paar Meter Platz, aber nicht einmal das existiert hier.   Wir sind verzweifelt, denn selbst die Wiese an einer alten Mühle, den wir auf der Karte gesehen hatten, entpuppt sich als Garten einer alten Frau, die hier ganz allein im Wald lebt. Sie schaut ängstlich über den Zaun, also stiefeln wir lieber schnell vorbei.


Erst ein paar weitere Kilometer weiter stranden wir in einem dunklen Wald, aus dem im Abendlicht eine kleine Lichtung unter einem alten Baum leuchtet. In der Nähe zerfällt eine Ruine, wie es scheint, einst ein Zollhaus, aber das ist alles. Keine anderen Häuser in Reichweite, keine Straßen, keine Nachbarn. Doch gerade als wir unsere köstliche Tomatensuppe mit frischem Carlow-Wasser kochen wollen, bellt ein Hund und Peter und seine Freundin Gabriele stehen vor unserem nicht ganz so legalen Campingplatz. 

Im ersten Moment befürchten wir, dass sie uns ihrem Dorf-Sheriff melden könnten, weil wir illegal campen. Aber die beiden sind sehr freundlich und freuen sich sogar ein wenig, zwei Wanderer zu treffen. "Hier ist nichts los", sagt Peter, "es gibt keine Kneipe und überhaupt nichts."   Wenn man hier etwas erleben wolle, müsse man mit seinem Hund rausgehen. "Aber normalerweise gibt es hier draußen auch nichts Besonderes." Wir sprechen über den Niedergang von fast allem von der Sekunde an, als alle glaubten, dass nach dem Ende der kommunistischen Ära endlich alles besser werden würde. Ist es besser? Ja, Peter schwört es. Aber gut? Nein, nein. Nicht einmal fast.


Je später am Abend, desto besser schmecken zumindest unsere privaten Wandercocktails. Dabei handelt es sich um eine hochgesunde Mischung aus Carlow-Wasser, Absolut-Wodka und Vitamintabletten mit Grapefruitgeschmack. Das ist zweifellos die beste Methode, ein geistiges Getränk dabeizuhaben, wenn das Gepäck mehr wiegt als man selbst.


Ein Viertel Literchen davon, und der warme Abend in der Einsamkeit zwischen dem kleinen Bach Maurine und dem Stover Mühlenbach ist noch mal doppelt so schön. Im Westen geht die Sonne unter, hinter dem Zelt weiden die Schafe und ein Himmel voller funkelnder Sterne hängt über uns. Prost! 
 

The first episode of our hike you can read here.This is the second one and here are thirdfour,fivesixseven, eightnine, ten11 and 12




Samstag, 6. Februar 2021

Sportparadies vor dem Abriss: Die schönste Halle von Halle


Zwölf Jahre bis zur größten Ruine, mehr als 30 Millionen Euro bis zum Abriss: Was eigentlich hatte Ostdeutschlands größtes und modernstes Sportzentrum werden sollen, liegt in diesen Tagen in den letzten Zügen der Erwartung auf das Ende. Das "Sportparadies", vor mehr als 20 Jahren vom Leipziger Apotheker Holm Lischewski geplant und ab 2009 auf der Industriefläche eines früheren Buna-Kombinatsbetriebes am Böllberger Weg gebaut, wartet nur noch auf den Abriss. Klappt alles, werden zehn Jahre nach dem ursprünglich geplanten Eröffnungstermin des fast 13.000 Quadratmeter großen Sportkomplexes die Bagger anrücken. Und den beinahe fertiggestellten Bau zurückverwandeln in eine Brachfläche, die dann mit Wohnblöcken überbaut wird.


Wenig Ertrag für Investitionen in Höhe von angeblich mehr als 34 Millionen Euro und einer Bauzeit, die dem Berliner Hauptstadtflughafen Konkurrenz macht. Zumal ein Rundgang durch das imposante Gebäude - mit 183 Metern Länge fast zweimal so lang wie ein Fußballplatz - Erstaunliches zeigt. Was als "Bauruine" gehandelt wird, ist allem Augenschein nach alles andere als das: Die Wände sind von Graffitikünstlern verziert worden, aber trocken. Das Dach ist dicht.Und hinter den zugemauerten Verwaltungsbereichen, so erzählt einer der beteiligten Handwerker, seien sogar schon die Sanitäranlagen eingebaut. Auch die großen Seitenfenster kamen erst vor einigen Monaten, ebenso die Metallverblendung der Fassade. 

"Noch Parkett rein, fertig", kommentiert einer der neugierigen Besucher, die sich in Corona-Zeiten immer wieder durch die symbolisch aufgestellten Zäune quetschen, um sich selbst ein Bild von Sachsen-Anhalts berühmtesten Millionengrab zu machen. 

Es ist ja beileibe auch nicht nur das private Geld von Investor Holm Lischewski, das in dem riesigen Gebäude vergraben wurde. Der Landesrechnungshof nannte vor Jahren 3,8 Millionen Euro Städtebauförderung, die zwar nur zum Teil ausgezahlt worden seien, doch immer wieder wurden neue Fördermittel bewilligt, von denen nie richtig klar war, ob sie nun ganz, zum Teil oder gar nicht ausgereicht worden sind.

Denn schon vor dem ersten Spatenstich ruckelte und wackelte der Bau. Erst gefiel die schlichte Architektur dem Stadtrat nicht, im Gestaltungsbeirat wurde der erste Entwurf als "Baumarkt" kritisiert. Dann wurden in den Kellergeschossen der Ruine der früheren Buna-Fabrik auch Fledermäuse entdeckt, deren Obdach nun in die Bauplanungen einzubeziehen war.

Statt 2011 zu eröffnen, war der unglückselige Investor erstmal mit Umplanungen und Nachfinanzierung beschäftigt. Und als es endlich losging, dauerte es - gemessen am Baufortschritt - nicht lange, bis der Bau wieder stillgelegt wurde. 2015 ging es weiter, statt 13 Millionen Euro Bausumme war nun von 18 Millionen Euro die Rede, um eine Drei-Felder-Halle, eine Boulderhalle, einen Kletterturm und einen Freizeitbereich fertigzustellen, den die Sportplatz GmbH betreiben wollte, hinter der Lischewski selbst steht. 800 Personen könnten den Komplex gleichzeitig nutzen, versprach der Bauherr bei einer Baubegehung, als gerade wieder Hoffnung keimte.

Die hielt nicht allzu lange. Nachdem die Außenanmutung sich in einen Komplex mit wallendem Dach und abgestuften Traufhöhen verwandelt hatte und alle Fledermäuse gerettet waren, kippte die Finanzierung ganz weg. Dann fehlten auch die Fördermittel, oder umgekehrt, jedenfalls war nun wirklich Schluss. Die Ruine stand da wie ein Mahnmal, gelegentlich nur wurden neue Fenster eingebaut oder Zwischentüren zugemauert, um die Innenräume vor Plünderern und Metalldieben zu schützen.

In der Stille um die Zukunft der größten Investruine des Landes sprossen Pläne für einen Neuanfang: Anfangs verkündete ein neuer Investor noch, er werde Teile abreißen, um Platz für Wohnbebauung zu schaffen. Später dann hieß es, alles komme weg und dafür entstünde der "Saalegarten" - ein "komplett neuer Stadtbaustein in bester Lage am Ufer der Saale – für Wohnen, Arbeit und Freizeit".

Die 34 Millionen teuren Reste des Sportparadieses sollen als Schotter für den Unterbau verwendet werden.



Sonntag, 6. Dezember 2020

Iron Curtain Trail: In den goldenen Westen


Es ist das 30. Jahr nach der Wiedervereinigung, als uns ein bizarrer Plan einfällt: Seit Jahren hatten wir vor, auf dem Kolonnenweg an der ehemaligen Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten entlangzuwandern. Dieser sogenannte Kolonnenweg ist insgesamt 1.400 Kilometer lang, eine zweispurige Linie längs durchs Land. 
Dort suchen wir nach dem, was übriggeblieben ist nach drei Jahrzehnten Einheit, danach, was die Natur uns aus der Vergangenheit erzählt und was die Menschen über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft sagen. 




Ja, das muss der goldene Westen sein. Aber leider sieht das Gras auf der anderen Seite der Elbe das Gras nicht grüner aus als im Osten. Wir sind auf dem Weg nach Hitzacker und wir befinden uns mitten in einem Gebiet, das berühmt ist für Atommüll, jahrzehntelange Proteste gegen Atommüll und riesige Polizeiaktionen gegen diese Proteste. Ein gelbes "X" auf vielen Zäunen erinnert an diese Zeit der Angst und der Wut, aber das ist heute alles. 


Gorleben, die wenige Kilometer entfernte Atommülldeponie, ist keine große Aufregung mehr. Nirgendwo gibt es große Aufregung. Das hier ist de Lüchower Landgrabenniederung, ganz altes Grenzland. Mittendurch verlaufen von Menschen festgelegte künstliche Linien, die sich historisch immer wieder veränderten. Die Niederungen sind nass und feucht, oft orienteren sich die Grenzverläufe deshalb entlang diesen geograpfisch vorgegebenen Linien. Nur an wenigen Stellen findet sich eine gefahrlose Furt durch die sumpfige Landschaft, so dass schon im Mittelalter beim Handel über Grenzen hinweg darauf geachtet wurde, vernünftige Trennungen zu ziehen, an denen sich Wege, später aber auch Straßen- und Eisenbahngleise orientierten. 


Erst mit der Teilung Deutschlands wurde die Landgrabenniederung richtig zerschnitten. Durch Flucht und Vertreibung nach dem ll.Weltkrieg verdoppelte sich die Einwohnerzahl in den ländlichen Gebieten beiderseits der Grenze nahezu, in den ersten Nachkriegsjahren blieb aber trotz der neugezogenen Grenze auch die Verbindung zwischen Ost und West erhalten. Die sumpfigen Waldgebiete waren schwer zu kontrollleren und es blühte lange Zeit der Schmuggel in beide Richtungen. Erst später, als drüben der große Zaun gebaut wurde, änderte sich alles, wie uns Walter erzählt, der direkt am Damm auf der Westseite wohnt.


"Eines Nachts wurde ich wach, weil es ganz hell im Zimmer war", sagt er, "und wie aus dem Fenster gucke, sehe ich, dass da drüben eine riesige Baustelle ist." Mit großen scheinwerfern beleuchtete das Grenzkommando den Damm, große Baufahrzeuge errichteten Pfäle und Zaunfelder. Für die andere Seite interessant anzuschauen, für den Osten die totale Abschottung. 


Zwar gibt es in Niedersachsen Schafe und Muttertiere und Füchse, Schlangen, Kühe und Hunde, aber die 20 Kilometer zwischen Dömitz und Hitzacker sind eine lange, ruhige Strecke ohne Berge, Hügel, Wälder oder sonst etwas Aufregendes. Die Radfahrer vermeiden es, hier entlang zu fahren, weil der Radweg hinter der Staumauer verläuft, so dass man nichts sieht, außer grasenden Schafen in der endlosen Schleife, die sich der Weg entlang des Flusses schlängelt.  


Gut für uns Wanderer, denn wir können die frische Luft mit all diesen landwirtschaftlichen Gerüchen einatmen. ein bisschen Kuh, ein bisschen Biogas, ein bisschen tote Schafe. Der goldene Westen riecht wie ein Bauernhof. Und er sieht auch so aus. Nach einem Tag auf einer "langen und kurvenreichen Straße", wie die Beatles gesungen haben, erreichen wir unser Ziel, ein ganz besonderes Lager mit winzig kleinen Holzschuppen namens "Destinature Camp". In den Vororten von Hitzacker, einer Stadt mit fast 5.000 Einwohnern an der Mündung der Jeetzel in die Elbe, haben ein paar Jungunternehmer 18 komfortable kleine Häuslen auf eine Wiese gestellt. Ein paar sind gemütliche Holzhütten, ein paar mobile Einzelbetten mit Zeltdach, so dass man entweder den nächtlichen Sternenhimmel betrachten oder sich eine gemütliche Koje schaffen kann.


Alles - von den Hütten bis zur gemütlichen Bettwäsche - ist aus nachhaltigen Materialien hergestellt und ein Bio-Bistro am Dorfeingang versorgt Sie mit Speisen und Getränken von regionalen Lieferanten. Hier gibt es Kamine, Saunahütten und Whirlpools mit Holzfeuer, und das ganze Dorf bezieht Strom und warmes Wasser aus erneuerbaren Energien - wir befinden uns hier im so genannten Wendtland, einer Gegend, die für ihre Sehnsucht nach Natürlichkeit und Nachhaltigkeit bekannt ist.  All das finden Sie hier, Ruhe für die Füße, Ruhe für den müden Kopf und eine warme Dusche mit französischer Seife. 

Englische Version: Hier



Samstag, 9. März 2019

Lost Places: Der Rätselpalast von Dreżewo


Dreżewo ist eine kleine Stadt, eigentlich ein Dorf, nur ein Dutzend Kilometer von der belebten polnischen Ostseeküste mit ihren frisch polierten Urlaubsstädten entfernt. Gerade hier, im Niemandsland, das kaum jemals ein Tourist erreicht, wartet eine Sensation für Freunde zerfallender Großarchitektur: Das Herrenhaus in Dreżew, einst auf Initiative des Wirtschaftsberaters von Schlutów aus Stettin errichtet, damals für bescheiden gehalten, heute aber wie ein riesiges Schloss aufragend aus einer Gegend, in der sonst nur schlichte Hütten stehen.


Die erste Erwähnung der traurigen kleinen Siedlung, in deren Mitte das gewaltige Bauwerk prangt, stammt aus dem Jahr 1287, als Fürst Bogusław das gesamte Dorf einem Frauenkloster in Trzebiatów übergab. Später gehörte das Dorf der Familie von Karnitz, im Jahr 1740, als der letzte erwachsene Eigentümer starb, übernahm dann eine Familie namens von Woedtke das Anwesen, das an einen Kapitän von Schmeling verkauft wurde, der es wiederum an die Witwe des Kaufmanns Becker aus Kolobrzeg weitergab. Niemand hatte Glück mit dem Gut, jeder gab es, so scheint es, möglichst schnell weiter. Dreżewo gehörte als nächstes der Frau des Kaufmanns Kaufmann und danach erbte es die Familie von Fleming. Ab 1828 befand sich das Gut dann in den Händen von Heinrich von Elbe, der es schließlich 1875 an Eduard von Bonin verkaufte. 

Damit begann die bunteste, aber auch rätselhafteste Zeit: Bonin unterhielt enge Geschäftsbeziehungen mit dem Vater der spanischen Adelsfamilie de Val Florida. Girona de Val Florida kam sogar nach Drezewo, wo sie eine Affäre mit dem jungen von Bonin gepflegt haben soll, der allerdings schon mit einer französischen Gräfin verlobt war - Angelica Vermandois.

Als die 1890 nach Drezew kam, brach im Schloss ein Feuer aus, und ihre Rivalin Girona de Val Florida starb in den Flammen. Der Palast wurde danach im neugotischen Stil umgebaut, doch Glück und Zufriedenheit wollten nicht einziehen.



Nach dem Krieg griff ihn sich der polnische Staat, der ein Gestüt im weitläufigen Gelände gründete. Das ging pleite und verschwand, dafür kam nach dem Zusammenbruch des Sozialismus ein Geschäftsmann namens Stanisław Paszyński, der die weitläufige Flur pachtete, um Windparks anzulegen. Gironas Fluch wirkte, die Pläne wurden nie umgesetzt, und das Herrenhaus zerfiel langsam.

Bis die Spanier kamen und neue Hoffnung mitbrachten. Im Juli 2006 wurde das sagenhafte 302 Hektar große Anwesen von Hiszpan Ricardo Crespo Fuster gekauft, einem spanischen Geschäftsmann, der hier ein Hotel und einen Golfplatz mit Freizeitzentrum errichten wollte. Er tat es jedoch nicht, und der Palast wurde zusammen mit einem wunderschönen, 7,5 Hektar großen Park zu einer mit Unkraut überwachsen Ruine. Die inzwischen den ganz besonderen Zustand sehenswerten Verfalls erreicht hat.

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Denkmal der Ostmoderne: Abschied vom Kosmonauten Sigmund Jähn



Weltweit einzigartig, denkmalgeschützt und vom Bauzustand her zweifelsfrei sanierungsfähig, das ist das Raumflugplanetarium "Sigmund Jähn" in Halle. Doch weil die Fördertöpfe locken und fragwürdige Fluthilferichtlinien hunderttausende Euro für einen Abriss des Baudenkmals versprechen, wird das Denkmal der Ostmoderne, errichtet aus sogenannten HP-Schalen, die der hallesche Bauingenieur und Architekt Herbert Müller in den 50er Jahren erfunden hatte, ausgerechnet im 40. Jahr seines Bestehens abgerissen.

Erst 2015 war dem Gebäude Denkmalschutzstatus verliehen worden. Die verbauten HP-Schalen - die Abkürzung steht für "hyperbolische Paraboloidschale" gelten als besonders leicht und stabil und als Carl Zeiss in Jena Mitte der 70er Jahre eine Stadt suchte, in der ein Beispielbau errichtet werden könnte, um ausländischen Interessenten an der firmeneigenen Planetariumstechnik zu zeigen, was Hightech made in GDR kann, fiel die Wahl auf Halle. Hier hatte sich der Mathematiker und Astronomielehrer Karl Kockel, Chef des damals bereits bestehenden Planetariums im Ortsteil Kanena, für den Bau starkgemacht. Kockel wurde Bauleiter und später Chef des Hauses, er holte mit Sigmund Jähn den ersten Deutschen im All nach Halle und setzte den Namen des DDR-Kosmonaut als Namen des einzigartigen Baus durch.

Kockel starb 2015, da war sein Planetarium schon als "Flutschaden" abgeschrieben worden. Obwohl ein Gutachten ausdrücklich bescheinigte, dass es keine schweren Flutschäden an der Bausubstanz gebe. Um den beschlossenen Abriss dennoch durchzusetzen, musste die hallesche Stadtverwaltung tricksen, täuschen und der Öffentlichkeit wie dem Stadtrat über Jahre hinweg falsche Auskünfte geben.

Letztenendes aber heiligt der Zweck die unfeinen Mittel: Mit dem Abriss des denkmalgeschützten Bauwerks verschwindet das einzige aus HP-Schalen errichtete Planetarium der Welt - ein Rundbau, der aus nur fünf verschiedenen Bauteilen errichtet worden war, wobei jedes Bauteil 28 mal benutzt wurde. An seiner Stelle wird sich künftig ein Stück Wiese befinden, für rund 300.000 Euro auf Steuerzahlerkosten angesät.

Samstag, 9. Dezember 2017

HDR-Fotos und Filter-Apps: Wenn alle Bilder schöner werden


Smartphones haben das Fotografieren zum Hobby von Millionen gemacht. Die meisten von ihnen wissen nur noch nicht, wie sich die eigenen Aufnahmen mit ein paar Handgriffen zu Kunstwerken machen lassen.

Wenn das Motiv stimmt, wird abgedrückt. Bei Partys, Spaziergängen, Konzerten klicken die Auslöser. Die erste Frühlingsblume, der letzte Schnee, der schöne Sonnenuntergang - immer und überall sind sie heute dabei, die Kameras, die in Wirklichkeit aufgebohrte Telefone sind. Nahm Vati einst noch ganze drei Filme mit in den zweiwöchigen Urlaub, knipst ein begeisterter Hobby-Fotograf dieselbe Menge von 108 Fotos heute an einem Nachmittag. Zu Tausenden und Hunderttausenden landen sie dann bei sozialen Netzwerken wie Flickr, Instagram oder Facebook.

Nur wundert sich dort mancher dann doch, dass seine Werke nicht die gebührende Aufmerksamkeit finden. Und eigentlich auch mit dem Auge des Künstlers selbst betrachtet nicht so toll aussehen wie manches Foto der Konkurrenz. Das hat mehr Farbe. Mehr Brillanz. Mehr Tiefe, Räumlichkeit, eine fast schon gemäldeartige Struktur. Wie machen die das nur?, fragt der Neueinsteiger sich unweigerlich. Und: Wie bekomme ich das auch hin?

Kein Problem, denn was vor einigen Jahren noch eine kostspielige Software und einen aufwendigen Bearbeitungsvorgang erforderte, erledigen heute sogar schon kostenlose Smartphone-Apps. Kleine Programme wie Pixlr, Polarr, Pho.to, Lightroom oder Camera MX verschaffen Fotografen fast unbegrenzte Möglichkeiten, ihre Bilder aufzubessern, zu verfremden, Stärken zu betonen, Schwächen wegzuretuschieren und eine besondere Atmosphäre durch die Verwendung von Filtern zu schaffen.

Die hat der Dienst Instagram einst als Erfolgsmodell entdeckt, die hat inzwischen jede halbwegs brauchbare Foto-App zu Dutzenden an Bord. Selbst einfache Kamera-Apps wie Kamera, Open-Kamera oder das universelle Bildprogramm Google Fotos erlauben es mit ein, zwei Klicks, einem Bild das gewisse Etwas mitzugeben, das vorher nicht da war. Spezialisierte Programme dienen hingegen zum Herauskitzeln besonderer Effekte: Color Splash erlaubt die Farbverschiebung innerhalb eines Bildes, das danach vielleicht nur noch schwarz-weiß ist, aber alle Rottöne beibehalten hat. Andere Apps sorgen für Comic- oder Zeichenstift-Effekte, machen Zeitlupenaufnahmen oder schaffen Platz für Sprechblasen.

An Fotokünstler und die, die sich als solche verstehen, richten sich speziellere Apps, die einen weit größeren Funktionsumfang haben als die Standardfilter von Google Fotos und Instagram. Programme wie Adobe Lightroom, Snapseed, Pixlr Express, Polarr und Camera MX verfügen über einen nahezu unüberschaubaren Bestand an Filtern, Reglern, Auto-Korrektur-Einstellungen und Effekten, die sich beliebig miteinander kombinieren lassen.

Weil alle Programme kostenlos sind und auf allen Smartphones mit halbwegs aktueller Android-Software laufen, ist die Entscheidung, welches man benutzt, nur eine Frage eines ausgiebigen Tests. Adobe Lightroom etwa ist das professionellste Programm, es hat den größten Funktionsumfang und keine übermäßig komplizierte Bedienung. Gerade das absolut Ernsthafte an der App aber wird manchen Gelegenheitsfotografen abschrecken, denn ohne etwas Beschäftigung mit der App werden die eigenen Bilder eher zufällig besser. Pixlr Express dagegen ist einfach, schnell durchschaut und kompakt, es fehlt der App aber ebenso wie denen von Polarr, Magix und Aurora am Überraschungseffekt.

Mit dem geizt dafür die App Snapseed nicht, die vom kalifornischen Unternehmen Nik Software entwickelt wurde - weshalb Google wenig später zuschlug und die Firma aufkaufte. Snapseed wird über neun Werkzeuge und elf Filtergruppen gesteuert, unter jedem einzelnen Punkt warten dann klug sortierte weitere Einstellungsmöglichkeiten, die kombiniert oder nacheinander angewendet werden können. Schon nach kurzer Einarbeitungszeit erzielen auch Anfänger erstaunliche Resultate. Googlenutzer haben zudem den Vorteil, dass Snapseed zumindest teilintegriert in Googles Bildprogramm Fotos ist. Dadurch wird jeder einzelne Arbeitsschritt an einem Bild als neues Foto gespeichert. Wem die Arbeit am Handydisplay zu mühsam ist, der kann auch auf eine Desktop-Variante des Programms zurückgreifen.


Samstag, 18. November 2017

Lebender Toter: Das Julius-Kühn-Haus steht immer noch


Vor sieben Jahren der Abrissbeschluss, vor fünf Jahren das definitive Aus. Und doch steht das als Julius-Kühn-Haus bekannte große Gebäude am Eingang der Ludwig-Wucherer-Straße immer noch. Innen ist die Zeit stehengeblieben: Hörsaalmöbel und Labortische, hallende Treppenhäuser und Einbauschränke stehen im hellen Licht, das durch große Fenster fällt. Sprayer haben überall Spuren ihrer mangelnden künstlerischen Fähigkeiten hinterlassen. Trinker dagegen leeren Flaschen, Kippen und vergammelte Decken.

Die früher hier beheimatete Naturwissenschaftliche Fakultät ist an den Weinbergcampus gezogen, dort ehrt ein nach Julius Kühn benannter Hörsaal das Andenken des Institutsgründers. Auch der "Bauernklub", der Generationen von Studenten zu Gästen des langestreckten Gebäudes in der Ludwig-Wucherer-Straße 82 machte, ist weg, umgezogen in die Innenstadt. Das Parkhaus aber, das im Zuge des Steintor-Umbaus am Standort des Kühn-Hauses entstehen sollte, wurde bis heute nicht gebaut.

Stattdessen hat eine Erweiterung der Verkehrsführung auf eine neugebaute Gudrun-Goeseke-Straße das nach dem Begründer des Instituts für Agrar- und Ernährungswissenschaften benannte Haus in einer seltsamen Insellage zurückgelassen. Hinten läuft jetzt der Verkehr. Vorn spannt sich zwischen dem Uni-Gebäude auf der anderen Straßenseite und der leerstehenden Ruine eine Fußgängerzone ohne Café, ohne Läden, Kneipen oder sonstige Anlaufpunkte.

Die älteste agrarwissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätte einer deutschen Universität, deren Geschichte bis 1863 zurückreicht, ist eine lebender Toter. Anfangs wurde noch ein Nachnutzer gesucht, später verlegten sich die Planungen auf den Ersatz durch ein Parkhaus für den gegenüberliegende Steintor-Campus. Passiert aber ist nichts. Zwar gehört der Gebäudekomplex dem Land Sachsen-Anhalt. Aber weil auf dem Grundstück des Kühn-Hauses vermögensrechtliche Ansprüche von Alteigentümern liegen, die offenbar bis heute ungeklärt sind, steht in den Sternen, wann das Gebäude wirklich abgerissen wird.