Mittwoch, 18. Oktober 2017

Ken Follett: Unter Got­tes­krie­gern


Mit 69 Jahren hat der walisische Auflagenmillionär Ken Follett den dritten Teil seiner vor 30 Jahren begonnenen Jahrhundertsaga um die Säulen der Erde geschrieben.


Es geschah mitten in einer epochalen Zeitenwende, dass der walisische Thrillerautor Ken Follett aus dem Glied trat. Der 40-Jährige, geboren in Cardiff und berühmt geworden mit dem Bestseller "Die Nadel", legte 1989/1990 ein Buch vor, das ganz anders war als alles, was er bis dahin geschrieben hatte. Nichts weniger als "Die Säulen der Erde" wollte das gleichnamige 1 300-Seiten-Werk beschreiben, dessen Handlung im Jahr 1135 beginnt und ein knappes halbes Jahrhundert später endet.

Ein großes Wagnis, denn die Geschichte um den Baumeister Tom Builder und die Entstehung der - fiktiven - Stadt Kingsbridge und ihrer Kathedrale bediente alles, nur nicht Folletts Stammpublikum. Ein großer Wurf dennoch, wie 26 Millionen verkaufte Bücher beweisen. Vor zehn Jahren ist der streng religiös erzogene Fabrikant von Thrillern wie "Roter Adler" dann noch einmal zurückgekehrt in die mittelalterliche Welt von Kingsbridge, um die Nachkommen seiner ursprünglichen Helden zu besuchen. Auch "Die Tore der Welt" wurde ein Welterfolg, sodass Follett nun mit nur zehn Jahren Abstand "Das Fundament der Ewigkeit" folgen lässt. 

Per Schnelldurchlauf sind 200 weitere Jahre ins Land gegangen. Die Erben der Tom Builders, Edmund Woolers und der Grafen von Shiring leben jetzt im Spannungsfeld einer neuen Zeit, die zerrissen wird vom blutigen Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten. Ned Willard, Sohn einer anfangs erfolgreichen Handelsfrau aus Kingsbridge, gerät mitten hinein in diese mörderische Ära, in der die europäischen Königshäuser mal gegen- und mal miteinander um die Vorherrschaft auf dem Kontinent streiten, wobei nie ganz klar ist, ob ihnen die Religion dabei Antrieb oder gern genutzte Waffe ist. 


Ken Follett, zuletzt mit seiner epischen "Century"-Trilogie der Porträtmaler des 20. Jahrhunderts, mischt auch hier wahre Ereignisse und historisch verbürgte Personen mit ausgedachten Figuren wie Ned Willard, seiner Jugendliebe Margery Fitzgerald und dem skrupellosen Spion Pierre Aumande. Ziel ist immer, ein Bild wirklicher Ereignisse zu zeichnen, von denen heute, nicht einmal 500 Jahre später, niemand mehr auch nur das Geringste weiß. 


Erbittert und gnadenlos schlachteten Franzosen damals Franzosen, Engländer zündeten Engländer an, Spanier ermordeten nicht nur zehntausende Holländer, sondern sie versuchten auch, das unter Königin Elisabeth vom wahren Glauben der römischen Kirche abgefallene England zu erobern. Feuer und Schwert für den falschen Glauben. Den Tod für jeden, der nicht abschwor. 


Gotteskrieger auf beiden Seiten, gelenkt von machtgierigen Adelsgeschlechtern wie den Guise, den Stuarts, den Bourbonen und den Tudors, für die das ganze Leben ein "Game of Thrones" ist. Es verliert der, der zu viele Skrupel hat und zu wenige Männer unter Waffen. 


Oh, nein. Früher war nicht alles besser. Das Europa, in das Ken Follett seine Leser entführt, ist für die meisten seiner Bewohner ein trister, von religiöser Intoleranz beherrschter Erdteil, auf dem Abweichungen umgehend grausam bestraft und Konflikte mit brutaler Härte ausgetragen werden. Folletts eigentliches Thema, auch hier wieder in eine Handlung eingebettet, die es schwer macht, den 1 160-Seiten-Band aus der Hand zu legen, ist die Freiheit des Individuums in den Grenzen seiner Zeit. Dass Königin Elisabeth Katholiken nicht hinrichten lässt wie ihre Vorgängerin Maria I., die protestantische Bischöfe nach Ketzergesetzen auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ, gilt schon als Fortschritt in den dunklen Tagen Mitte des vergangenen Jahrtausends. 


Europa ist, was den Adel und die mächtigen Handelshäuser betrifft, fast schon globalisiert, eine Gemeinschaft mit offenen Grenzen und länderüberschreitendem Handel. Die einfachen Menschen aber leben nicht nur in sklavischer Abhängigkeit von ihren Feudalherren, sondern auch unfrei in dem, was sie denken und glauben dürfen. Erst im jahrzehntelangen Krieg zwischen den Christen hier und den Christen da, der allein in der Bartholomäusnacht von Frankreich anno 1572 bis zu 15 000 Opfer forderte, wird die Religionsfreiheit erkämpft, die Follett als die Freiheit nennt, die Europa den Weg aus der Gewaltherrschaft in die Demokratie wies. 


Der Preis aber ist auch hier, in der an Familiensagen wie "Dallas" oder "Denver Clan" angelehnten populären Darstellung durch den Meister der authentischen Erfindung hoch. Es wird geliebt, aber meist unglücklich. Es wird gehasst, verraten, intrigiert, geboren, gelitten und gestorben. Alle handelnden Figuren fahren die Achterbahn der Gefühle hoch und wieder runter, während die Zeitläufte um sie herum in Blut, Elend und Tränen ertrinken. Ned Willard, um dessen Lebensweg herum Ken Follett diesen bemerkenswert heutigen dritten Band seiner Jahrhundert-Trilogie gebaut hat, schaut am Ende zufrieden zurück. Aber ob er wirklich glücklich ist? 


Samstag, 14. Oktober 2017

Ex-Stasi-Vizechef Werner Großmann: Keinen Millimeter zurückweichen


Ex-Stasi-Vizechef Werner Großmann beharrt auf seiner Sicht der Dinge. Denn am Ende geht es darum, Geschichte zu schreiben.


Geschehen ist sie schon längst, unverrückbar stehen die Ereignisse in der Historie. Aber wie sie zu deuten sind, das wird gerade festgelegt, von heute aus für immer, das weiß auch Werner Großmann, bis 1989 der Vize-Chef des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Und aus genau dem Grund lässt der 88-Jährige auch nicht nach: Mit "Der Überzeugungstäter" (edition ost) hat der einstige Generaloberst gerade noch einmal ein Buch vorgelegt, in dem er seine Sicht auf die Staatssicherheit vor dem Hintergrund seiner Biografie schildert.

Nicht der erste Versuch des aus der Nähe von Pirna stammenden Sohnes eines Zimmermanns, aber vielleicht der letzte. Großmann gehört wie sein Vorgänger als Chef der Auslandsspionage Markus Wolf, wie Günter Schabowski und der letzte NVA-Vize Fritz Streletz zur Zwischengeneration der DDR-Führungsriege. Im Dritten Reich zur Schule gegangen, landet Großmann noch beim Volkssturm, von dem er umgehend abhaut, als sich die Gelegenheit ergibt. Großmanns sind eine Handwerkerfamilie, aber als der Vater aus der Gefangenschaft zurückkehrt, schließt er sich der KPD an. Am selben Tag tritt auch Sohn Werner bei, er ist gerade 17, aber auf der Suche nach einem Neuanfang für Deutschland und für sich selbst. Über die SED-Jugendorganisation FDJ landet er in einer Funktionärslaufbahn, die Führung entdeckt ihn als vielversprechenden „Kader“ und wählt ihn schließlich aus, die im Aufbau befindlichen „bewaffneten Organe“ zu verstärken.

Für Großmann, bis Oktober 1990 einer der ganz großen Unbekannten des ostdeutschen Geheimdienstes, ein Lebensweg, den er bis heute mit aller Überzeugung vertritt. Bei der FDJ verkehrten nicht nur Gleichaltrige, sondern auch Gleichgesinnte, begründet er seine Begeisterung für den Aufbruch in eine neue Zeit. Bauingenieur oder Lehrer habe er werden wollen, doch als dann jemand aus der Zentrale in Berlin auftaucht und ihn für eine nicht näher bezeichnete Schule werben will, lockt die Hauptstadt.

Großmann sagt Ja und ist auf einmal Mitarbeiter des „Außenpolitischen Nachrichtendienstes“ wie die spätere Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) anfangs noch heißt. Aus der Sicht des Mannes, der der letzte Chef des vor allem in den 70er und 80er Jahren weltweit gefürchteten Spionagedienstes von Markus Wolf sein wird, ist das ein Job wie viele andere auch. Großmann, alten Fotos zufolge schon in seinen jungen Jahren ein fleischiger, robust wirkender Typ, hat nie etwas mitbekommen von illegalen Methoden, von der Erpressung von Zuträgern, von Machtkämpfen im Parteiapparat oder Mordplänen, die gegen Abtrünnige wie den MfS-Oberleutnant Werner Stiller oder den Fußballer Lutz Eigendorf geschmiedet worden sein sollen. „Gerüchte, mehr nicht“, sagt er. Es habe weder ein Mordkommando aus Offizieren gegeben, noch Pläne, den „Verräter“ Stiller mit Gewalt zurück in die DDR zu holen.

Überhaupt stellt Werner Großmann das MfS als ziemlich normale Behörde dar, etwas neurotisch, weil unentwegt in Angst, unterwandert zu werden. Aber selbst die Auslandsabenteuer seiner HVA erklärt der gebürtige Sachse mit der großen Systemauseinandersetzung. Die andere Seite sei nie besser gewesen, man selbst aber immer in besserer Absicht. Warum sich also Asche aufs Haupt streuen? Es geht schließlich darum Geschichte zu schreiben.

Sonntag, 1. Oktober 2017

Freddie Mercury: Wiedergeboren in Vincenza



Als Freddie Mercury im Jahr 1991 in London starb, zumindest für seine Fans plötzlich und unerwartet, wurde im italienischen Vincenza Giuseppe Malinconico geboren. Ein Zufall nur, natürlich. Aber wenn Malinconico heute mit seiner Band Break Free auf der Bühne steht, dann ist der Italiener mehr als einer der unzähligen anderen Sänger, die sich mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg mühen, so auszusehen und zu klingen wie Farrokh Bulsara alias Freddie Mercury, zu Lebzeiten einer der besten wenn nicht, alles in allem der beste Sänger aller Rockbands.

Giuseppe Malinconico ist Freddie Mercury. Er geht so. Er steht so. Er trägt die gelbe Uniformjacke. Den Schnauzer. Das Unterhemd. Und er singt so. Zusammen mit Drummer Kim Marino, Bassist Sebastiano Zanotta und Gitarrist Paul Brigante übertrifft die Queen-Show der vier Italiener sogar das, was Brian May und Roger Taylor gerade als großen Queen-Film "Bohemian Rhapsody" mit Rami Malek in der Titelrolle inszenieren.

Bis ins Detail stimmt, was und wie Malinconico singt und spielt. Der 26-Jährige, ein kleiner Mann, der im Gespräch sehr bescheiden wirkt, macht aus den unsterblichen Queen-Hymnen kein Karaoke-Festival mit Blitz und Donner wie andere Queen-Cover-Formationen. Er klingt bis in die Stimmfärbung und ins Timbre wie das große Vorbild, dessen Lieder er schon mit fünf Jahren nachsang - zu einer Zeit also, als Queen für Hitparaden und Hipster kein Thema war.

Inzwischen ist das wieder anders. „Ich will kein Rockstar sein“, hat Mercury einmal gesagt, „ich will eine Legende werden!“ Bands wie Break Free zeigen, dass er es geschafft hat. Die von der ernsthaften Rock-Kritik selbst in den Tagen ihrer größten Erfolge nie anerkannte Band mit ihrem hedonistischen Sänger ist aufgerückt in die Ahnengalerie der Gegenkultur. Beatles, Stones, Led Zeppelin, Queen. Mercury, der von sich sagte „Exzess ist Teil meiner Natur. Langeweile ist eine Krankheit“, wäre stolz auf sich.

Und auf Giuseppe Malinconico, der mit Break Free nicht nur nachmacht, was Queen vorgegeben haben, sondern mit einem sinfonischen Queen-Programm sogar dorthin gehen, wo die echten Queen nie gewesen sind.

Mittwoch, 20. September 2017

Bundestagswahlkampf: Parolen am Rande der Wählerbeleidigung

Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Karamba Diaby am Ende sein Mandat verloren haben. Der Hallenser, der vor vier Jahren als erster schwarzer Bundestagsabgeordneter deutschlandweit Schlagzeilen machte, zahlt damit die Rechnung für einen SPD-Wahlkampf, der vom ersten Tag an unter keinem guten Stern stand. Katrin Budde, die Verliererin der Landtagswahl von 2016, bekam den zweiten Platz auf der Landesliste der SPD zugewiesen, augenscheinlich aus Dankbarkeit dafür, dass sie nach dem Wahldesaster vom März relativ schnell und still Platz für einen unvorbelasteten Nachfolger gemacht hatte.

Karamba Diaby aber kämpfte nicht einmal um Platz 2, der angesichts der Wahlergebnisse auch nur halbe Sicherheit für einen Wiedereinzug ins Parlament versprach. Stattdessen Parteidisziplin, weiter so, einfach mal hoffen.

Eine Strategie, mit der alle Bundestagsparteien am kommenden Sonntag noch einmal durchs Ziel gehen zu können hoffen. Als hätten sie alle vergessen, welchen fürchterlichen Denkzettel ihnen Sachsen-Anhalts Wähler vor anderthalb Jahren ausgestellt hatten, setzen sie durchweg erneut auf eine fast schon beleidigende Arroganz, für die ihre Wahlplakate exemplarisch stehen. "Erfolgreich", "sozial", "gerecht", "links, was sonst", "Kinder", "Zukunft, Fortschritt", "Kohle oder Klima", "es ist Zeit" und "Karamba", so und ähnlich steht es überall zu lesen.

Parolen am Rande der Wählerbeleidigung, nicht nur inhaltsleer, sondern peinlich bemüht, so etwas wie Inhalte gar nicht erst anzudeuten. Die Linke etwa plakatiert "Kinder vor Armut schützen", sagt aber nicht wie. Die FDP beklagt "Nichtstun ist kein Wirtschaftskonzept", verrät ihres aber auch nicht. Die Grünen ahnen: "Integration muss man umsetzen, nicht aussitzen". Die CDU in Halle schickt einen Christoph Bernstiel "für Sie in den Bundestag". Nicht, um dort irgendeine bestimmte Politik zu machen. Bei der SPD prangt Martin Schulz auf den Plakaten, die Zeile dazu lautet einfach nur "Martin Schulz". Die MLPD behauptet "Widerstand ist links". Und bildet dazu eine rechte Faust ab.


Es wirkt, als würden alle gerade so noch das tun, was sie tun, weil sie es eben tun müssen. Es gibt keine Leidenschaft, keinen Esprit, keine Überraschungen auf den Pappträgern, die für die meisten Wähler das einzig sichtbare Vorzeichen der Bundestagswahl sind. Was sie sehen, sind zwei-, drei- oder höchstens vierfarbige Plattitüden, ganze Straßenzüge tapeziert mit erdrückender Gedankenarmut und gestalterischer Einfalt. Überall prangen Schlagworte wie "Respekt", "Nähe", "Klima",  "Frieden" und Kinder", dazu gesellen sich austauschbare Slogans wie "der Treibstoff der Zukunft ist Mut" (FDP), "die Zukunft, für die wir kämpfen" (Linke), "die Zukunft braucht Ideen und einen, der sie durchsetzt" (SPD), "die Zukunft wird aus Mut gemacht" (Bündnis 90 Grüne) und "für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" (CDU). In der Zukunft natürlich.

Vielleicht weil es sonst keiner tut, bescheinigt sich die linke Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht einfach selbst "Glaubwürdigkeit". Der FDP-Spitzenkandidat, stylisch ins Bild gesetzt von Rammstein-Fotograf und Eagles-Videoregisseur Olaf Heine, verspricht "digital first". Die AfD zitiert den Gregor Gysi von 1994: Wähln Sie uns. Traun Sie sich. Sieht ja keiner.

Geht überhaupt mehr weniger Inhalt? Die CDU zitiert das "Respekt" von den Linken-Plakaten und plakatiert auch "Respekt". Die AfD zitiert das "Kinder" der Linken.  Die SPD hält mit "Mehr Gerechtigkeit" dagegen. Den Begriff, den die Linke nach eigenen Angaben "glaubwürdig" verkörpert. Die CDU zeigt eine kaum noch wiedererkennbare Photoshop-Bearbeitung des Gesichtes der Kanzlerin. "Erfolgreich für Deutschland" steht daneben.

Es ist wie in dem Kinderspiel mit dem Gruselgesang. "Dreh' dich nicht um, denn der Plumpsack geht um! Wer sich umdreht oder lacht, kriegt den Buckel schwarz gemacht." Nur dass hier nicht der Plumpsack umgeht, sondern der alte Elefant von der Landtagswahl, von dem immer noch nicht gesprochen und dem auf Wahlplakaten schon gar nicht widersprochen werden darf.

Ganze Straßenzüge liegen so unter dem Parolengewitter einer einzigen Partei. Die will "Grenzen schützen", "keinen Familiennachzug", "keine Eurorettung um jeden Preis", "mehr Polizei", einen Stopp von Schulschließungen, Bikinis statt Burkas und zwei Dutzend anderer Sachen. Konkret. Einfach. Unmissverständlich. Unverwechselbar.

Und niemand stellt sich den Populisten, niemand widerspricht den einfachen Botschaften und versucht wenigstens, den Plumpsack zu entzaubern. Es wird schon noch mal so gehen. Ein blaues Auge lässt sich doch ertragen. Das vom letzten Jahr ist ja schon fast verheilt.