Samstag, 17. Februar 2018

FDJler mit Fingern am Hintern: Wir DDR-Amerikaner


Der Tabubruch ist komplette Handarbeit. Sieben Zentimeter lang, fünf breit und mit klitzekleinen Mäusestichen hinten an die Tasche der Jeanshose genäht. Ein Affront aus Baumwolle, der Klassenfeind auf Unterwandertour in der DDR Ende der 70er Jahre. Schwurfinger, die das Victory-Zeichen zeigen, das ist schrecklich genug, denn in der finalen Phase des Kalten Krieges zählt nicht mehr, dass dessen Erfinder Winston Churchill seinerzeit einem Land vorstand, das gegen den sogenannten Hitlerfaschismus verbündet war mit dem Bruderland der DDR, der großen sozialistischen Sowjetunion. Es kann ja auch nicht zählen, denn die ideologischen Kriegsführer im Westen haben den Stoffpatch mit der Schwurhand mit den amerikanischen Farben zum Überbringer einer klaren Botschaft gemacht. Wir werden siegen. Ihr werdet verlieren.


Nachdem die willige Freundin das „Aufnäher“ genannte Stück Stoff auf die Jeans gepappt hatte, wurde der Träger der Hose zum Verkünder der Wahrheit des Gegners im Ringen der Systeme. Egal, ob die Jeans eine Levis, Wrangler, Edwin oder Wisent war, wo das Victory-Zeichen in US-Flaggenfarben prangte, schrillte der Klassenkampf-Alarm. Lehrer bezogen ideologische Schützengräben, Direktoren luden in ihr Büro, Pionierleiter eilten mit Bastelscheren durchs Treppenhaus, um den Angriff der 5. Kolonne Washingtons auf das Herz des sozialistischen Bildungssystems abzuwehren.


Das von einem sogenannten Sowjetmenschen entworfene und der Uno vom sozialistischen Brudervolk geschenkte Schwerter-zu-Flugscharen-Symbol zu tragen, war schrecklich. Doch die Schwurfinger des amerikanischen Imperialismus übertrafen alles. Eltern mussten antreten und ihren Nachwuchs gegen den Vorwurf des Verrats an den Grundsätzen von Frieden, Freundschaft und Solidarität verteidigen. FDJ-Leitungen waren gezwungen, ihr Nichteingreifen mit Blindheit zu entschuldigen. Fiel ein Victory-Aufnäher einer Volkspolizei-Streife auf der Straße auf, hieß es „mitkommen, Klärung eines Sachverhaltes“.


Und der ließ sich nie mit dem Hinweis klären, dass der staatsfeindliche Aufnäher aus dem befreundeten Ungarn oder von einem Straßenmarkt im RGW-Bruderland Polen stammte. „Wir sind hier in der DDR“, sprach der Wachtmeister da, „hier gelten unsere sozialistischen Gesetzlichkeiten.“ Die eine völkerverbindenden Verbindung von DDR-Boxerjeans, steif, unausbleichbar und mit abspringenden Knöpfen, mit Amerikanergruß aus einer polnischen Kellernäherei nicht vorsah.


Eben das machte es ja so spannend. Je weiter weg Amerika in der DDR-Propaganda rückte, je mehr aus Amerikanern bluttrünstige, mordgierige, die Welt unterjochende Monster wurden, desto reizvoller schien es, selbst Amerikaner zu sein, und sei es nur ein bisschen, durch lange Haare, Jeans und ein Stück Stoff am mageren Teenager-Arsch. Ein Risiko war ja auch kaum dabei, denn außer einer Stellungnahme, abzugeben vor dem FDJ-Kollektiv, das Mühe hatte, nicht in Gelächter auszubrechen, drohte höchstens ein Tadel beim Morgenappell. Erwischt zu werden brachte damit auch noch Anerkennung von allen, die auch lieber Amerikaner gewesen wären als kleines Neubaukind.


Donnerstag, 8. Februar 2018

Vollendete Einheit: Erstmals kein Ostdeutscher unter den Ministern


Zahlen lügen nicht, auch nicht die über den Zustand der deutschen Einheit, ausgedrückt durch die Zahl der gebürtigen Ostdeutschen am Kabinettstisch. Dort saß all die Jahre seit der Wiedervereinigung stets mindestens ein gebürtiger Ostdeutscher im Ministeramt: Lange war das Hans-Dietrich Genscher, später Wolfgang Tiefensee, schließlich Manuela Schwesig. Es galt auch als Symbol,  dass Ostdeutschland wenigstens irgendwie in der Regierung vertreten war - so wie die Parteien stets darauf achteten, dass die einzelnen westdeutschen Landesverbände ja nach Stärke vertreten waren, so galt der Ossi im Regierungsamt als wichtiges Signal in die neuen Länder: Ihr seid vertreten, ihr seid dabei, ihr werdet nicht nur verwaltet, er regiert selbst mit.

Nie reichte die Zahl der Ostdeutschen zwar, ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung zu repräsentieren - sowohl bei CDU als auch bei SPD, der FDP und den Grünen waren die Landesverbände in den alten Ländern immer stärker. Aber der neuen Großen Koalition fehlt nun erstmals nicht nur die Kraft für „Visionen“, wie die Linke beklagt. Sondern auch die Kraft, an bisher üblicher Symbolik festzubehalten. Was sich da in Berlin demnächst als neue Regierung zusammenfindet, wird, bleibt es bei der derzeit bekannten Besetzung der Ämter -  die erste bundesdeutsche Regierung ohne jeden ostdeutschen Minister - selbst 1958, 1968, 1978 und 1988 saßen mehr Leute mit einem Geburtsort östlich der Elblinie als Minister im Kabinett als im Jahre 2018.

In dem liegt die Quote bei genau Null. Ein Zustand, der keineswegs normal, sondern Ausdruck einer Entwicklung ist, die bereits seit einigen Jahren anhält. Wo rein rechnerisch zwei bis drei Minister im Osten geboren sein müssten, ist es keiner. Dafür stammen zwei von der Saar und drei aus Bayern.

Das könnte ein Zufall sein. Doch es ist wohl keiner. In der scheidenden Groko werden 57 von 60 Staatssekretärsstellen von gebürtigen Westdeutschen besetzt. Bis zum krankheitsbedingten Wechsel in Schwerin waren drei von sechs ostdeutschen Ministerpräsidenten gebürtige Westdeutsche (inkl. Berlin). In der Landesregierung von Sachsen-Anhalt sitzen derzeit so wenige ostdeutsche Minister wie noch nie seit 1990. Kein Wunder: Nach den Ergebnissen einer Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena besetzen Ostdeutsche bundesweit nur 1,7 Prozent der Führungspositionen.

Wenig für 17 Prozent der Bevölkerung. Natürlich: Die in Hamburg gebürtige Bundeskanzlerin wird gern als Ausgleich bemüht, in dem der Geburtsort zur Nebensache erklärt wird. Wichtig sei nur die Sozialisation Merkels in der DDR, nicht ihre Herkunft. Doch diese Argumentation lenkt eher vom Phänomen ab: Neben Angela Merkel sitzen im Vorstand der CDU ausschließlich gebürtige Westdeutsche. 

Warum ist das so? Warum ist die Vertretung Ostdeutscher in den gesellschaftlichen Institutionen, Parlamenten und in wirtschaftlichen Leitungsfunktionen heute niedriger als sie jemals nach 1990 war?

Statt die Frage zu stellen und nach einer Ursache des rätselhaften Phänomens zu suchen, haben sich die Groko-Verhandler entschlossen, Normalität durch Verzicht auf die Symbolik einer Beteiligung Ostdeutscher an der Leitung von Ministerien zu behaupten.

Wo es nach 28 Jahren, in denen eine ganze Generation, die die DDR nur als Kind und Jugendlicher erlebt hat, Universitäten absolvierte, um heute mit Mitte 40 über eine Ausbildung und einen Erfahrungsschatz zu verfügen, der sich kaum von westdeutschen Altersgenossen unterscheiden dürfte, eigentlich eine Veränderung hin zu mehr ostdeutscher  Repräsentanz geben müsste, wird sie weniger. Schließlich sind die, die da jetzt kommen, keine gelernten DDR-Lehrer mehr, keine sozialistisch sozialisierten Funktionäre und keine durch den Verlust ihrer Arbeitsplätze gleich nach der Vereinigung frustrierten Altkader.

Und trotzdem tauchen sie nicht auf. Sind das fortgesetzte Zufälle? Oder sind Ostdeutsche zu dumm? Unqualifiziert? Haben sie nicht die richtigen Verbindungen? Treten sie falsch auf? Einen Grund muss es geben, aber wo die Frage nicht gestellt wird, wird er im Dunkeln bleiben.

Das wirklich Frappierende dabei ist nicht der Fakt an sich, sondern die Aussage die er trifft: Wie ein kompletter Ostverzicht im Osten ankommen wird, konnte man sich selbst in dem Raumschiff ausmalen, in dem die Groko-Verhandler seit Wochen durch ihren eigenen Kosmos geflogen sind. Sie haben offenbar dennoch vor, darüber hinwegzusehen. Weil die Kraft nicht für soetwas auch noch reicht. Weil dort Westdeutsche mit Westdeutschen über ganz andere Dinge verhandeln. Weil es vielleicht auch schon völlig egal ist.

Man weiß es nicht. Aber mehr muss im Osten auch niemand wissen über die Bedeutung, die Ostdeutschland in den kommenden dreieinhalb Jahren haben wird.

Ostdeutschland: Ein Land ohne eigene Eliten






Samstag, 3. Februar 2018

Werkunterricht in der DDR: Das geheimnisvolle Holzstück


Ein Holzstück, eigenartig geformt, glattgeschliffen und von rätselhafter Bedeutung. Das Holz ist weich, Buche vielleicht, es hat ein paar Druckstellen und am Rand ist hier und dort etwas weggesplittert. Ein benutzter Gegenstand, augenscheinlich nicht aus einer Fabrik, sondern aus der Hand eines Laien. Passgenau gefertigt für einen Zweck, der heute ein Rätsel ist: Im Werkunterricht der Polytechnischen Oberschule der DDR war der Holzklotz zumindest in Schulen, deren Einzugsgebiet in Neubaustädten lag, Pflicht.

In den Kellern der Schulen, wo sich die Werkräume mit ihrem Duft aus Holzspänen, Lötkolben, Kanalisation und Kinderschweiß befanden, schnallten sich bereits die Jüngsten aus der 1. Klasse Schürzen um und begannen, an Werkstücken zu feilen, Vogelhäuschen zu zimmern und Löcher in Plastikstücke zu bohren, aus denen Brieföffner wurden, die dann zu Weihnachten stolz verschenkt und von den Eltern glücklich angenommen wurden, wiewohl jeder über zehn wusste, dass sie niemals von irgendjemandem benützt werden würden.

Der Werkunterricht, später erweitert um die fürchterliche Fächer Einführung in die Sozialistische Produktion und Produktive Arbeit, dienten dazu, der nachwachsenden Generation erste handwerkliche Fertigkeiten für das Leben in einem Land zu vermitteln, das ohne das weitverzweigte Netz aus Dienstleistungen auskommen musste, das heutige Gesellschaften auszeichnet. Einen Nagel einschlagen, eine Schraube drehen, Zangen benutzen und Löcher bohren – der DDR-Mensch, der nach den Idealvorstellungen seiner proletarischen Führung ein polytechnisch gebildetes Wesen von hohem Intellekt, großer Bildung, leidenschaftlicher Liebe zur Kultur und fabelhafter handwerklicher Geschicklichkeit sein sollte, begann früh, sich die ersten Überlebenstechniken anzueignen.


Das Holzstück zu formen, aus einem groben Scheit, gehörte dazu. Es musste zugesägt werden, dann angerissen, schließlich mit einer Raspel bearbeitet und dann mit Feile und Sandpapier seidenweich gestriegelt werden. Die seltsame Form verdankte sich der vorgesehenen seltsamen Nutzung: Das Holzstück war dafür gedacht, ins standardisierte Fensterprofil der Neubauwohnungen geschoben zu werden, wo es als Ausgleich für die häufig fehlenden Thermostate für Lüftung sorgte.



Donnerstag, 1. Februar 2018

Donots: Im Gegenwind surfen


Kurz vor dem ersten Vierteljahrhundert der Bandgeschichte setzen die Donots aus dem Münsterland mit dem zweiten deutschsprachigen Album Maßstäbe.


Als der weltenbummelnde Punk Frank Turner ihnen damals vor fünf Jahren beim Album "Wake the Dog" bei einem Song half, war das ein Ritterschlag. Als Rise Against-Gitarrist Tim McIlrath wenig später bei "Das Neue bleibt beim Alten" in die Saiten griff, war klar, dass Anerkennung für schnelle, scharfe Punkmusik nicht von der Sprache abhängt, in der gesungen wird. Mit "Karacho" wechselten die Donots vor drei Jahren dann wirklich und vollständig vom Englischen ins Deutsche.

Aus der Band, die zwei Jahrzehnte lang Punk im Stil von The Clash, Sham 69 und The Jam gemacht hatte, wurde ein Quintett, das auf Augenhöhe mit den Toten Hosen, Sportfreunden Stiller und Tocotronic spielte. Nur dass Sänger Ingo Knollmann, sein Bruder Guido an der Gitarre, der zweite Gitarrist Alex Siedenbiedel, Bassist Jan-Dirk Poggemann und Trommler Eike Herwig ein ganz klein wenig energischer zur Sache gehen. "Lauter als Bomben", das neue Werk der Punkband aus Ibbenbüren, ist ein lautes, rebellisches Album aus donnernden Drums, rotzigen Gitarren und leidenschaftlichem Gesang, das an Vorbilder wie The Offspring, Green Day oder die Dropkick Murphys erinnert.

Auch im politischen Anspruch, der die Münsterländer nicht nur mit Green Day, sondern auch mit den Mecklenburger Kollegen von Feine Sahne Fischfilet und Jennifer Rostock verbindet. Hemdsärmlig rocken die fünf Musiker hier "Geschichten vom Boden" und sie drohen "Keiner kommt hier lebend raus", ehe "Alle Zeit der Welt" und "Das Dorf war LA" ein wenig Tempo herausnehmen. Das Fundament der Musik ist immer klassischer Punk, etwa Marke Social Distortion oder The Alarm. Doch wie viele Bands haben auch die Münsterländer zugleich Heavy Metal und Folk als Einfluss entdeckt. Guido Knollmann spielt hier schon auch mal den Ansatz eines Gitarrensolos und die Rhythmusgruppe wechselt das Tempo vom T.Rex-Shuffle zum schwermetallischen Rumba in "Rauschen".

Bruder Ingo erzählt seine Kleinstadtgeschichten mit großer Inbrunst. "Von genug nie genug, von zu wenig viel zu viel, werden wir jemals reichen?" antwortet er in "Aschesammeln" auf Konstantin Weckers Klassiker "Genug ist nicht genug". "Eine letzte Runde" nimmt dann einen Reggae-Rhythmus, um vom Ende einer langen Kneipennacht zu berichten: "Wenn wir jetzt gehen, dann gemeinsam, und wenn es sein muss vor die Hunde, noch eine letzte letzte Runde."

Ein Stimmungslied mit Hoho-Chor, das den schweren Ton der meisten übrigen Songs ein wenig aufbricht. Davon abgesehen aber geht es hier hauptsächlich darum, im "Gegenwind surfen" zu lernen. Widerstand leisten gegen die Verwertungslogik der Wirtschaft, gegen die Verführbarkeit für populistische Losungen, gegen die Versuchung, alles immer und sofort zu brauchen.

"Man hat die Verantwortung, bei rechter Hetze dagegenzuhalten", hat Ingo Knollmann erklärt, als ihn das Jugendmagazin "Neon" zur Motivation seiner Band befragt hat, sich immer wieder und unumwunden in den Kampf gegen neue Nazis und altes faschistisches Gedankengut zu stürzen. Es gehe darum, Jugendliche nicht mit den falschen Gedanken allein zu lassen, sondern ihnen Orientierung zu geben, so gut man könne. "Wenn man als Band die Kids da draußen wirklich unmittelbar mit Herz und Kopf erreichen kann, dann sollte man das auf jeden Fall tun", glaubt Knollmann.

"Lauter als Bomben" ist denn auch ein politisches Album geworden, ohne in plumpe Propaganda abzustürzen. Die Botschaft der Donots ist dennoch jederzeit klar, aber sie wird nicht mit ermüdender Penetranz gesungen wie bei manchen gutwilligen Kollegen. Im Visier haben Lieder wie "Der Trick mit dem Fliegen" oder "Apollo Creed" zuallererst den Bewegungsapparat, die Refrains schreien nach Hallen, die jedes Wort mitsingen. Aber die werden die fünf Musiker auf der anstehenden Tour zur Genüge zu hören bekommen.