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Samstag, 24. Juni 2017

Kraftklub: Die Axt aus dem Osten


Im fünften Jahr nach ihrem Debütalbum schlägt die Erfolgsband aus Chemnitz auf „Keine Nacht für Niemand“ neue Töne an.

Links der Neubaublock aus alten Zeiten, daneben der Philosophenkopf, den die Einheimischen kurz „Nüschel“ nennen. Und davor die fünf Herren mit K, in weißen Polo-Shirts wie immer,  rote Hosenträger festgeschnallt und auf einer improvisierten Bühne versammelt. „Spring aus dem Fenster für mich“, singt Felix Brunner, der bei der Chemnitzer Rockband Kraftklub am Mikrophon steht und auch beim neuen Hit der fünf Sachsen zeigt, wie Ironie geht.

Natürlich singt die Menge, die zum Spontankonzert der Lokalhelden in die Brückenstraße gekommen ist, begeistert mit. Und natürlich ist es nicht wirklich ein Spontankonzert, das Felix Brunner, sein Bruder Till am Bass, die Gitarristen Karl Schumann und Steffen Israel und Drummer Max Marschk hier aufführen. Nein, Kraftklub feiern mit solchen Auftritten auf Straßen, in Hinterhöfen oder auf einem Lkw ihr neues, inzwischen drittes Album „Keine Nacht für Niemand“.

Raketenstart in Sachsen


Das muss so sein, denn Kraftklub sind fünf Jahre und drei Alben nach  ihrem Raketenstart aus Sachsen an die Spitze der Charts ein Top-Thema. Das Quintett spielt in einer Hit-Liga mit den Toten Hosen, Rammstein und dem Rostocker Rapper Marteria, spielt in ausverkauften Arenen und bekommt Einladungen zu den angesagtesten Festivals.

Daran war 2009, als der damals noch als Rapper auftretende Felix Brunner sich der Rockband seines Bruder Till anschloss, nicht zu denken. Die beiden Söhne des Künstlerehepaares Ina und Jan Kummer, das zu DDR-Zeiten mit der Avantgardegruppe AG Geige Furore gemacht hatte, zielten  eigentlich auch gar nicht auf den großen Pop-Markt. „Adonis Maximus“, die erste offizielle Veröffentlichung, vermählte Rap und Rock und unwiderstehliche Tanzbeats und ätzte böse gegen rundgelutschte Schlagerstars.  Mit der Anti-Metropolenhymne „Ich will nicht nach Berlin“ war es dann eben doch passiert. 20 Jahre nach den Prinzen hatte Sachsen wieder eine Top-Ten-Band.

Die sieht nun rot.  War das Debüt „Mit K“ noch ganz weiß gehalten, der Nachfolger „In Schwarz“ dann wie ein Negativbild ganz schwarz, so leuchtet der Streichholzaugen-Titel von „Keine Nacht für Niemand“ blutrot. Ein Zeichen, denn Kraftklub haben ihren musikalischen Horizont im dritten Anlauf entscheidend erweitert. Zu Punk und Hip Hop, Metal, TexMex und Glam-Rock-Riffs kommen diesmal Streicher, Beatles-Harmonien und  augenzwinkernde Verneigungen vor  Helden der Kraftklub-Musiker. Einer davon ist Sven Regener, Sänger und  Kopf der Band Element of Crime, deren fast zehn Jahre alter Song „Am Ende denk’  ich immer nur an dich“ hier nicht nur zitiert, sondern von Regener selbst mitgesungen wird.


Nachtvorstellung der Verrückten


Nicht der einzige Gast in dieser Nachtvorstellung der Verrückten, deren Titel auf das 45 Jahre alte Scherben-Album „Keine Macht für Niemand“ anspielt. Auch Wu-Tang-Clan Rapper Ol’ Dirty Bastard, die Britpopper Blur, Depeche Mode, die  Kumpels von Deichkind und Die Ärzte werden zitiert.

Und nachgemacht:  In „Dein Lied“, einer Ballade, in der ein enttäuschter Liebender seiner  Verflossenen hinterherheult,  heißt es provokativ „Du verdammte Hure, das ist dein Lied“. Geht gar nicht, schallte es augenblicklich von den Tugendwächtern der Popkultur, denen der Rollensong eindeutig zu weit ging, künstlerische Freiheit hin oder her. Felix Brunner hat die Vorwürfe ironisch gekontert. „Muss man bei seinen Texten immer eine Gebrauchsanweisung mitliefern?“, fragt er. Für ihn sei der Einsatz des Streichorchesters in einem Punksong mehr Provokation als die Verwendung eines Wortes, das ein betrogener Liebhaber durchaus auch im echten Leben verwenden könnte.

Erledigt. Mit dem Selbstbewusstsein seiner 27 Jahre räumt der gerade so noch in der DDR geborene Kraftklub-Texter die Vorwürfe so beiläufig ab wie seinerzeit die Kritik an der Kraftklub-Uniform aus Baseballjacken und Polo-Shirts. Kraftklub, die anfangs nie politisch sein wollten, sich später aber ganz entschieden gegen die Rock-Kollegen von Frei.Wild positionierten, sind heute die Axt aus dem Osten, die die Einsicht in die Notwendigkeit politischer Korrektheit grinsend in Stücke schlägt.

Rock kann nicht den Konsens suchen, wenn er richtig rocken will. Und ein Liedtext ist nicht immer das Seelenbild des Mannes, der ihn singt.

Kraftklub: Keine Nacht für Niemand, Vertigo Berlin

Freitag, 16. Juni 2017

Roger Waters: Der Mann, der Pink Floyd bleibt


Fast ein Vierteljahrhundert nach seinem letzten Großwerk spielt Roger Waters auf "Is this the life we really want? noch einmal den großen Ball als großer, trauriger Bedenkenträger. Kein Zweifel: Waters ist immer noch und mehr denn je der alte zornige Mann, nur jetzt nicht mehr jung.

Mehr als drei Jahrzehnte ist sein Ausstieg bei Pink Floyd her, aber wenn Roger Waters ein Album macht, ist der 73-Jährige locker in der Lage, den Sound eines Floyd-Albums zu reanimieren. Auch auf "Is this the life we really want?", seinem erst dritten Werk seit der Trennung von Gilmour, Mason und Wright, ist das so. 

"When we were young" startet das Album mit Drums und Klavier, Waters gibt den Weisen vom Berge, der zurückschaut und verspricht, man könne heute noch mal den Sound von damals hören.

 Und wirklich. Die zwölf Songs, die Waters irgendwann in den 20 Jahren seit "Amused to Death" geschrieben hat, zitieren Pink Floyd in der Darkside-Phase, zeigen aber inhaltlich den zornigen alten Mann, der so ganz und gar nicht mit der Welt zufrieden ist, in der er und sein Publikum leben. 

Das macht aus dem geborenen Melancholiker, der inzwischen mit leicht gebrochener Stimme singt, noch keinen ekstatischen Rocker, aber in seinen Texten ist der Israel-Gegner, Trump-Hasser und Medienkritiker deutlich wie immer. "The Last Refugee" schildert das tragische Ende einer Flucht über das Mittelmeer und "Broken Bones" betrauert die vergebene Chance, nach dem II. Weltkrieg Freiheit statt des "american dream" zu wählen. 

Roger Waters´ Weltbild war schon immer kompliziert und einfach zugleich, seine Musik sanft wie enervierend, mehr Hörspiel als Songzyklus. "Life" ist genauso, bis zum finalen "Part of me died", das pathetisch Unversöhnlichkeit beschwört. Roger Waters wird sich nicht entschuldigen. Nie, singt er. Dazu klingt Musik, als stamme sie von der dunklen Seite des Mondes.

Samstag, 3. Juni 2017

Little Steven: Der kleine Boss mit dem Kopftuch


Er spielte schon mit Bruce Springsteen zusammen in einer Band, als den allenfalls ein paar Leute rund um Ashbury Park/New Jersey kannten. Als der spätere "Boss" sich an die Arbeit zu seinem dritten Album "Born to run" machte, holte er seinen alten Gitarren-Kumpel Steven Van Zandt dann in seine E-Street-Band - der Rest ist Rockgeschichte. 

Springsteen feierte Welterfolge, van Zandt, genannt "Little Steven", stand mit Gitarre und Kopftuch neben ihm, bis er sich Mitte der 80er entschloss, eine Solokarriere zu starten. Die führte den heute 67-Jährigen in große Hallen und kleine Säle, Little Steven trat als politischer Aktivist auf und versammelte neben Springsteen auch Lou Reed, Bono, Bob Dylan und Peter Gabriel als "Artists United Against Apartheid" um sich.

Musik aber machte er weiter, seit Mitte der 90er sogar wieder mit Springsteens E-Street-Band. Kein Wunder, dass "Soulfire", das eben erschienene siebte Solo-Album des zuletzt als Schauspieler in "Sopranos" und "Lilyhammer" erfolgreichen Mannes aus Massachusetts klingt, als hätte der Boss selbst Hand angelegt. 

Das kommt allerdings nicht davon, dass Little Steven Springsteen nachäfft, sondern eher daher, dass er den Sound seines alten Freundes über Jahre geprägt hat wie kein anderer Musiker. 

Wenn hier nun van Zandts "I'm coming back" klingt wie ein verschollenes Stück des Megastars, wenn die Bläser in "Soulfire" schwitzen und das schon 1977 mit dem Boss zusammen geschriebene "Love on the wrong side" vom Klavier eingeleitet wird, dann ist das großer, klassischer Stadionrock im Springsteen-Stil. 

Little Steven spielt mit seiner Band The Disciples Of Soul am 14. Juni auf der Parkbühne im Leipziger Clara-Zetkin-Park. Karten für das Konzert gibt es hier: mawi-concert.de

Mittwoch, 31. Mai 2017

Oldham singt Haggart: Ver­nei­gung vor einem Riesen



Country, wie er früher war. Der einmal zum Bonnie Prince Billy rückverwandelte Will Oldham wandert auf Merle Haggarts Spuren.

Neben Johnny Cash und Willie Nelson war Merle Haggard immer der leise, angenehme Typ, der ohne Schlagzeilen auskam und manchmal den Eindruck erweckte, er meine seine Dorftrottel-Hymne "Okie from Muskogee" ernst.

Das hat er nie getan. Viele andere Lieder hingegen schon - und die sind es, die sich Bonnie Prince Billy, der bürgerlich Will Oldham heißt und 33 Jahre jünger als der im vergangenen Jahr verstorbene Haggard ist, herausgesucht hat, um sie neu einzuspielen. Ein Vorhaben, mit dem sich nicht viel gewinnen lässt. Oldham ist zwar geadelt, seit Johnny Cash einen seiner Songs neu einspielte. Aber insgesamt blieb der Mann aus Kentucky stets zu eigensinnig in seinem musikalischen Ausdruck, als dass ihn das Mainstream-Country-Publikum wirklich hätte als einen der seinen adoptieren können. 

Insofern: Ein bisschen wie Haggard, der "Working man's poet", der im Gegensatz zu Cash Jahre im Gefängnis zugebracht hatte und wusste, wovon er sang. Oldham verzichtet hier darauf, Haggards Lieder zu modernisieren oder ihnen seinen Stempel aufzudrücken. Die 16 Songs werden respektvoll gespielt, sparsam instrumentiert und von Oldham beseelt gesungen.

All das Verstaubte, das Haggards Klassikern wegen ihrer Entstehungszeit bisweilen anhängt, bläst der stille Star des alternativen Country vorsichtig beiseite. Und unter der Patina der frühen Jahre, als Countrysänger Cowboyhut tragen mussten, dafür aber zur besten Sendezeit im Fernsehen liefen, kommen kleine, feine Kuschellieder zum Vorschein.

Donnerstag, 20. April 2017

Deep Purple: Abschied der Dinosaurier


Im 50. Jahr ihres Bestehens reitet die britische Band Deep Purple mit dem Album "Infinite" in die Unendlichkeit der Rockgeschichte.

Die Rebellion dieser Männer hier war von anderer Art als die ihrer Kollegen von den Stones, den Kinks oder Jethro Tull. Während die im Kern personell stabil waren, überlebte Deep Purple bis heute acht Verpuppungen, bei denen nur der Mann hinter dem Schlagzeug derselbe blieb. Und, das ist das Erstaunliche, die Musik. 

Vier Sänger, vier Gitarristen, drei Bassleute und zwei Keyboarder haben Deep Purple seit der fantasiereichen Rock-Suite "April" betrieben. 45 Jahre sind seit dem größten Purple-Hit "Smoke on the water" vergangen. Und nun vereint das neue Album "Infinite" die klassischen mit den Dampfhammer-Genen des Band-Erbes zu einem letzten Ausritt der alten Garde um Drummer Ian Pace, Sänger Ian Gillan und Bassist Roger Glover, denen mit Steve Morse (seit 1994) und Don Airey (seit 2002) zwei jüngere Kräfte zur Seite stehen. 

Stilsicher, wie die zehn neuen Songs belegen, produziert wie schon das letzte Werk "Now What?" erneut von Bob Ezrin. Deep Purple rufen noch einmal alle Tricks und Kniffe, alles Handwerk und alle Schablonen der letzten fünf Jahrzehnte ab und zelebrieren ihren Abschied mit der großen Geste echter Dinosaurier. Natürlich klingt Ian Gillan, inzwischen 71 Jahre alt, nicht mehr wie damals mit Ende 20, als er "Highway Star" mit einer Stimme sang, die in manchen Momenten aus einer anderen Welt zu kommen schien. 

Doch er klingt gut, voll und nie überfordert. "Johnny's Band" ist das Lied zu diesen alten Zeiten, eine Hommage an die Tage, als alle Musik machten und es manche sogar zu "Top of the Pops" schafften. Ehe der Traum im Drogenrausch, in Geldgier und privatem Größenwahn verglühte. Alle Mitglieder von Deep Purple, auch der 2012 verstorbene Keyboarder Jon Lord und Gründungsgitarrist Ritchie Blackmore, der seit 1993 endgültig auf folkloristischen Solo-Pfaden wandelt, könnten Geschichten davon erzählen, wie es wirklich war, in den ganz großen Tagen des Rock "on top of the world" zu sein, wie hier ein Lied heißt. 

Umso verwunderlicher, dass das sensible Konstrukt aus teilweise über Jahrzehnte zerstrittenen Genies nicht nur diese Zeiten, sondern auch die Phasen von Belächeltwerden und Vergessensein überstanden hat. Nun stehen sie hier, im Gepäck die alte Musik aus wilden Gitarren, manchmal minutenlang vor sich hintüdelnden Orgeln und wuchtigen Beats aus Ian Pace' wummernden Trommeln. "Infinite" hat viele Momente, in denen improvisiert wird wie damals bei "April", nur ohne Orchester. 

Ziellos und ohne Zeitbegrenzung erwecken Morse und Airey die rauschhaften Tage zum Leben, als in jeden großen Song ein großes Solo gehörte. Das ist heute so erfolgreich wie seit Ende der 80er Jahre nicht. Auf einmal kaufen die Leute ihre Alben wieder. Auf einmal führt sie Metallica-Drummer Lars Ulrich in die Rock'n'Roll-Hall-of-Fame ein. Deep Purple haben in Wacken gespielt, beim Jazzfestival in Montreux und beim Bluesfest im kanadischen Ottawa. Sie hatten ausverkaufte Konzerte in aller Welt und schafften es sogar in den USA wieder in die Albumcharts.

An der Musik allein kann es nicht liegen, denn die liefern jüngere Bands wie Arena oder IQ auch, obwohl sie sicherlich nie auf die Idee kämen, nach dem elektrischen Soundinferno über neun Songs ans Ende einen fast akustisch klingenden Klassiker wie den "Roadhouse Blues" von den Doors zu stellen. Wohl eher ist es der Nimbus, das Gefühl, langsam verklingender Geschichte zuzuhören.

Deep Purple live in Leipzig am 9. Juni, Arena

Tickets sind erhältlich bei: www.mawi-concert.de



Freitag, 30. Dezember 2016

Zehn-Jahres-Gedenken: Micha Rösch - ein bunter Hund im Os­t­rock-​Uni­ver­sum

Micha Rösch mit einem seiner Idole, dem Chef der Walkabouts Chris Eckman.
Er war immer schon früher da. Wenn die Techniker noch auspackten, die Musiker ihre Instrumente stimmten und nur eine Handvoll Fans sich an der Bar herumdrückten, ging Michael Rösch bereits um: Leicht gebeugt schlenderte er durch den Saal, eine große Brille auf der Nase und einen Packen Flugblätter in der Hand, die für seine auf Ostrock spezialisierten Internetseiten warben.

Doch nicht erst durch die wurde Michael Rösch zum bunten Hund im Ostrock-Universum. Wer in den letzten zwei Jahrzehnten auch nur hin oder wieder zu Rockkonzerten in Halle, Leipzig oder Landsberg ging, lernte den begeisterten Musikliebhaber beinahe zwangsläufig kennen. Wo immer eine Gitarre eingestöpselt wurde, war Micha Rösch, in der Szene nur "der Micha" genannt, nicht weit. Ob Karat oder Renft, Puhdys und Gundermann, Silly oder Die Sieben Leben - der Micha liebte sie alle, er liebte sie unbedingt und abgöttisch.

Und er wusste alles von ihnen. Wer wann mit wem spielte, welcher Titel auf welcher CD zu finden ist - der studierte Bauingenieur, der nach der Wende zum Steuerberater umschulte, vermochte jede noch so komplizierte Frage wie im Vorbeigehen zu beantworten.


Glühender Fan jeder Art von handgemachter Musik war der gebürtige Dessauer früh geworden. Schon zu DDR-Zeiten sammelte Micha Rösch Amiga-Platten, las "Melodie&Rhythmus", fuhr zu Konzerten und suchte Kontakt zu Musikern wie dem Renft-Mann Peter "Cäsar" Gläser, Komponist seines Lieblingsliedes "Wer die Rose ehrt", oder der Leipziger Sängerin Susanne Grütz, die er ganz besonders verehrte. Nach dem Ende der DDR dann wurde er zum Archivar ihres musikalischen Nachlasses: Tausende und Abertausende CDs, Platten und Bücher füllten zimmerhohe Regalwände in seiner Wohnung hoch über dem halleschen Riebeckplatz.

Als ihm sein Chef schließlich kündigt, weil der Micha im wahren Leben keiner ist, der sich widerspruchsfrei in die marktwirtschaftliche Vermarktungslogik einpasst, wird das Hobby dem glühenden Lokalpatrioten zu Halt und Lebensinhalt zugleich. 


Micha Rösch frickelt nun Tag und Nacht an seinen Internetseiten, er entwirft Logos, bastelt Aufkleber, versucht, die Szene zu vernetzen. Bei Radio Corax in Halle moderiert er die Sendung "Rocktrabant", er verfasst Plattenkritiken und Konzertrezensionen, organisiert Fantreffen und hofft Jahr für Jahr mit nie erlahmender Zuversicht, dass es diesmal wirklich ein Künstler aus seiner Wahlheimatstadt Halle bis in die Hitparaden schafft.

Er ist immer enttäuscht worden, und war doch nie enttäuscht. Michael Rösch saß weiter jeden Sonntag in seiner Lieblingskneipe und schwärmte glühenden Auges von neuen Songs seiner alten Helden. Er plante eine Radiosendung, die trotzig "Halle rockt" heißen sollte. Und er freute sich darauf, seinen Helden Mitch Ryder und die bei ihm noch höheren Rang genießende Band Engerling wie jedes Jahr wieder gemeinsam zu erleben.


Die Ostrocker und der Reibeisen-Ami haben dann ohne ihn feiern müssen. Micha Rösch wurde einen Tag vor dem Silvesterfest des Jahres 2006 tot in seiner Wohnung gefunden, gestorben nach einem Zuckerschock. 


Ostdeutschlands Rock-Papst, der auf eine sehr leise Weise unüberhörbar gewesen ist, wurde nur 43 Jahre alt.

Die Internetadresse seiner Seite halle-rockt.de hat sich inzwischen eine Rechtsanwaltskanzlei gesichert. In seinem geliebten Ostrockforum aber erinnert sich hin und wieder noch jemand an ihn.


Mittwoch, 2. November 2016

Eric Fish: Mit leichter Hand


Der in Halle aufgewachsene Subway-to-Sally-Sänger Eric Fish schlüpft auf seinem sechsten Solo-Album wieder in das Gewand des Liedermachers.

Wenn seine Band antritt, dröhnen die Drums, die Gitarren gellen und allerlei atemberaubende Blasinstrumente sorgen für einen unverwechselbaren Sound. Subway to Sally, vor 26 Jahren in Potsdam gegründet, sind die Superstars des Mittelalter-Metal, die ungekrönten Könige einer Musik, deren Fans am liebsten Schwarz tragen und die Lieder ihrer Lieblingsbands immer auch als Lebenshilfe begreifen. Laute Musik vertreibt die Sorgen des Alltags. Und die besonders metaphernreichen Texte laden zum Grübeln und Sinnieren.

Dabei bleibt es auch, wenn Subway-Sänger Eric Fish auf Solopfaden wandelt. Der in Halle aufgewachsene Musiker, der eigentlich Erik-Uwe Hecht heißt, tut das seit 1999 regelmäßig. Und was anfangs aus dem Versuch bestand, Klassiker wie "Find the coast of freedom" oder "Ehrlich will ich bleiben" für ein neues, jüngeres Publikum zu retten, ist unterdessen längst ein zweites, festes Standbein des 46-Jährigen geworden. 


Die meist originell ausgewählten und in ebenso exakten wie gefühlvollen Interpretationen dargebotenen Coverversionen hat Fish auf "Zugabe" genannte EPs verbannt. Auf den richtigen Solo-Alben dagegen gibt es richtige Solostücke, selbst geschrieben und mit der bewährten Mannschaft Uwe Nordwig, Gerit Hecht und Rainer Michalek eingespielt. Aufgenommen wird nicht mehr live, sondern im Studio.

Im Gegensatz zu Subway to Sally, wo Fishs prägnante Stimme flankiert wird von einem Orkan aus Sounds, Rhythmen und Riffs, geht es bei Fish solo aber immer noch ruhig zu. Auch "Mahlstrom", das neue Album, macht da keine Ausnahme, obwohl Fish, der bis zur vierten Klasse in Halle lebte und heute als einziger Ex-Hallenser in der ersten Rockliga mitspielt, hier erstmals fast durchgehend einen Drummer beschäftigt.

Die Musik ist dennoch eher leise als laut, klassische Liedermacher-Kost mit flirrenden Akustikgitarren und schönen Melodiebögen. Fish schreibt zu seinen Melodien, die bei "Kreuzfahrt" mal arabisch, bei "Rad" dagegen eher irisch wirken, Texte, die nach den Herzen der Zuhörer greifen. Das Leben und die Liebe, der Jammer und der Triumph, für jedes Gefühl findet der studierte Maschinenbauer genau die richtige Ausdrucksweise.

Und die richtigen Kollaboranten. Johanna Krins, Sängerin der bayrischen Folkband Delva, singt beim finalen "Schlaf" mit und spielt zudem bei weiteren Stücken Klavier. Bei "Geben und Nehmen" schließlich treffen zwei Hallenser aufeinander: In der biblischen Geschichte um Kain und Abel teilt sich Eric Fish den Gesang mit Ralf Schmidt alias Falkenberg, dem anderen kantigen Singer/Songwriter aus der Händelstadt, mit dem er ab Ende des Monats auch auf Deutschland-Tournee unterwegs sein wird. Gemeinsam machen die beiden hier Front gegen Egoismus und Eigensucht, gegen die "gierige Hand", die den Armen nimmt und den Reichen gibt. "Was du nicht willst, das dir getan, das tue auch nicht anderen an", heißt es da.

Ein Schlüsselsatz, so alt wie die Idee zu dieser Musik hier, die im besten Sinne klassisch ist, ohne Allüren und modische Tricks. Eric Fish ist im Grunde ein Bänkelsänger, der sowohl melodisch als auch inhaltlich immer wieder zu überraschen weiß, indem er Bedeutungen gegen Erwartungen kippt. Die Band musiziert, als säße sie in einem kleinen Klub, Fish singt aus vollem Herzen, der Sound ist warm und weich, ein Kuschelzimmer aus Noten und Fishs Grübeltexten, in denen der Hörer immer wieder neue Bedeutungsebenen entdecken kann.

Konzerttermine hier:
www.ericfish.de
www.falkenberg-musik.de

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Steven Wilson: In seiner eigenen Zeit

Als Steven Wilson anfing, ernsthaft Musik zu hören, näherte sich das Zeitalter der Megabands gerade dem Ende. Genesis und Pink Floyd wurden vom Punk weggefegt, junge Bands ätzten alle Verzierungen aus der Rockmusik. Das änderte aber nichts an Wilsons Überzeugung, dass die später progressive Rock genannte Mischung aus Art-Rock, Metal und Klassik weiter Berechtigung haben wird.

Wilson gründete erst die anfangs nur aus ihm selbst bestehende Band Porcupine Tree, um seine Mission umzusetzen. Richtig erfolgreich im breiten Markt aber ist der stets barfüßig auftretende 46-Jährige, seit er unter eigenem Namen Musik macht. Vor allem das Monumentalwerk "The Raven That Refused to Sing" katapultierte den Soundbastler, Gitarristen, Sänger und Komponisten aus einer Nische der Populärmusik in die Charts.

Der Nachfolger des ehrgeizigen "Raven"-Albums, das sich bemüht hatte, keinerlei musikalische Grenzen mehr anzuerkennen, wurde inspiriert von der wahren Geschichte einer jungen Frau aus London, die drei Jahre lang tot in ihrer Londoner Wohnung gelegen hatte, ehe sie vermisst wurde. Wilson macht daraus ein Stück dramatisches Musiktheater um Vereinsamung und Anonymität. Acht Stücke, eingespielt mit allem, worauf sich Töne erzeugen lassen und teilweise überlang, entwickeln eine bedrohliche, klaustrophobische Atmosphäre. Manchmal klingt das nach den frühen Marillion, manchmal nach Dream Theater oder King Crimson.

Für Musik, die ganz kompromissloser Ausdruck der künstlerischen Vision eines Mannes ist, keine schlechte Bilanz.

Mit dem jetzt gerade veröffentlichten Album "Transience" geht Wilson noch einen Schritt weiter. Die Sammlung aus älteren Aufnahmen und Coverversionen, die der Multiinstrumentalist ursprünglich für eine Serie von Singles eingespielt hatte, ist kompakter und gefälliger als die Eigenkompositionen des vielbeschäftigten Produzenten und Labelchefs. Hier gibt es mehr akustisch orientierte Musik, darunter eine Interpretation von Porcupine Trees "Lazarus" und von Alanis Morisettes Superhit "Thank you", den Steven Wilson auf die reine Essenz eindampft.

Der produktionstechnische Größenwahn, der das Schaffen des Spezialisten für audiophile 5.1-Mixe sonst prägt, fehlt völlig. "Transience" schwebt zwischen Rock wie in "Harmony Korine" und klaviergestütztem Pop wie in "Insurgentes". Ein Album, das als Tor ins Universum eines der großen Musikgenies der Gegenwart funktionieren könnte.

Musik, die in sich selbst ruht, abseits aller digitalen Hektik, aller sozialen Netzwerk-Trends. Nicht aus der Zeit gefallen, sondern der Zeit so weit hinterher, dass sie ihr schon wieder weit voraus ist.

Freitag, 30. September 2016

Robert Carl Blank: Tanzen auf dem Dach


Pop. Robert Carl Blank selbst sagt das Wort, wenn er über sein neues Album "Fairground Distractions" spricht. Es ist das vierte des Mannes mit den bunten Hippie-Jeans und dem Faible fürs Fallschirmspringen. Und nachdem erst im Vorjahr das dritte Werk "Room for Giants" erschienen war, ist die Scheibe ein überraschend schneller Nachfolger.

Denn so funktioniert die Karriere des 40-jährigen Gitarristen und Sängers mit tschechischen Wurzeln bisher nicht. Blank, erst spät berufen, spielte zwar schon mit seiner ersten Band im Vorprogramm von Elton John, Whitney Houston und Eros Ramazotti. Doch es gefiel ihm nicht, und so warf er alles hin und fing von vorne an.

Blank hat sich als Straßenmusiker neu erfunden. Nur mit seiner Gitarre um den Hals zog er um die Welt, Monat für Monat, Land für Land. Für Studioaufnahmen blieb da nur selten Zeit und manchmal war auch nicht genug Geld für die Studiomiete da. Zwei Alben schaffte er so. In sieben Jahren. Und nun sind es zwei in zwei Jahren.

Aus dem großgewachsenen Mann mit der schnellen Zunge, der auf der Bühne Songs zur akustischen Gitarre singt und unterhaltsame Geschichten vom Herumreisen in der Welt erzählt, ist auf "Fairground Distractions" ein Entertainer in Magical-Mystery-Tour-Jacke geworden, der das ganz große Pop-Gefühl beschwört: runde Melodien, emotionale Refrains, Kopfstimme, Banjo. Noch nie zuvor war ein Blank-Album so prall produziert, mit so einem satten Sound.

"Ich hatte nie einen Zweifel an der Richtung, in die es geht", sagt Robert Carl Blank selbst. 15 Musiker haben mit ihm, der sonst ein Einzelkämpfer ist, an den zwölf neuen Songs gearbeitet - und genauso klingen die Jahrmarkt-Ablenkungen auch.

Es geht nicht mehr wie zuletzt um das oft einsame Gewerbe des reisenden Sängers zwischen Himmel und Erde, der sich mit langen Wegen, Buckelstraßen, zu wenigen Zuschauern und zu vielen kleinen, kalten Hotelzimmern herumschlagen muss, die die Seele nicht wärmen können. "Fairground Distractions" geht es größer an: Blank singt vom Leben, vom Lieben und Leiden. "Fairground Distractions" ist eine "Symphony in your head" (Liedtitel) mit Bläsern und Geigen und Celli, die nicht jammert oder verzagt, sondern das Dasein in allen Facetten feiert.

Manches verblasst hier wie in "The Photographer", anderes schmerzt wie in "The Price", manches geht zurück bis in die 50er wie "Many ways in" und manchmal meint man, jeden Moment müsse Paul McCartney hereinkommen, um zu fragen, ob er sich das Lied für ein neues Beatles-Album leihen könne ("Your Life"). Wird nicht passieren. Robert Carl Blank hat sich vor Jahren, als er in Australien Gitarre spielen lernte, für ein Leben als fahrender Sänger entschieden. Als der ist er auch weiter unterwegs. Nun allerdings mit einem Album im Gepäck, das auch in die Hitparade passen würde.

Direkt zum Künstler:
www.robertcarlblank.de

Samstag, 13. August 2016

Manuel Schmid: Ein Stern, der seinen Namen trägt



Der neue Stern-Meißen-Sänger legt mit „Seelenparadies“ sein zweites Solo-Album vor. Es versammelt Klavierballaden, Demmlertexte und viel Gefühl.

Er kam nach dem großen Streit und er kam aus dem Nichts. Manuel Schmid meldete sich vor vier Jahren, als Stern-Chef Martin Schreier gerade auf der Suche nach einem neuen Sänger war. Schmid stammt aus Altenburg, er sang in kleinerem Rahmen und er sang immer auch Lieder von Stern Meißen. Schmid war damals Ende 20. Die Band, bei der er einsteigen wollte, war doppelt so alt.

Aber es klappte. Mit seiner warmen, bis in sehr hohe Lagen reichenden Stimme hat der gelernte Keyboarder und studierte Audio-Ingenieur sich inzwischen längst einen Platz in den Herzen der Stern-Fans erobert. Schmid singt Klassiker wie „Kampf um den Südpol“ und „Was bleibt“ auf eigene, aber unterdessen akzeptierte Art. Und eben die pflegt er auch auf „Seelenparadies“, seinem gerade erschienenen zweiten Solo-Album, das mit „Also was soll aus mir werden“ auch eine modernisierte und als Duett inszenierte Version eines Stern-Klassikers enthält.

Der Rest sind Schmid-Kompositionen, die der Freund von Melancholie und Romantik mit Unterstützung von Puhdys-Basser Peter Rasym, Ex-Stern-Keyboarder Marek Arnold und Dirk Zöllner eingespielt hat. Schmid pflegt dabei eine zarte Gangart, die immer harmonisch bleibt und nicht vor Klischees zurückschreckt.

In „Hüte deinen Traum“ sind die Augen groß und die Seelen fest verbunden, „Worte sind wie Bilder“ wird von A-Capella-Gesang begleitet, und das Stück „Seelenlieder“ ist als Hommage an den verstorbenen ehemaligen Stern-Sänger Reinhard Fißler ausgewiesen, der sich am Anfang noch einmal selbst per Telefon zu Wort meldet. Zusammen mit Dirk Zöllner singt Manuel Schmid dann Teil zwei der Ode. Und den Schlusspunkt setzt, wie als Handschlag mit der Vergangenheit, ein neuvertonter Text von Kurt Demmler.

Dienstag, 2. August 2016

Sandow: Ein Film ohne Bilder


Sandow-Sänger Kai-Uwe Kohlschmidt kombiniert auf seinem neuen Album „Den Himmel malen“ Fiktion und Erinnerung, Musik und Vergangenheit.

Was sie taten, war in den Augen der sozialistischen Kulturbürokraten unerhört. Auf offener Bühne bemalt ein Mann nackte Frauen, eine Band spielt dazu apokalyptische Musik. Songs, die kaum als solche zu erkennen sind. Rock, der nicht nach DDR klingt, sondern nach New York, Tokio oder London.

Die Band hieß Sandow, der Maler Hans Scheuerecker. Keine gewöhnliche Band, auch wenn ihr größter Hit „Born in the GDR“ wie eine normale Rockhymne daherkam. Und kein Maler wie jeder andere, denn Scheuerecker, geboren in Thüringen, aber ansässig in Cottbus, hatte in der DDR über Jahre hinweg vergebens versucht, zum Kunststudium zugelassen zu werden.

Doch auch das war die DDR in ihren letzten Jahren: In Nischen unterhalb der staatlichen Anerkennung gelang es Künstlern, sich dem Konformitätsdruck der Zulassungskommissionen zu entziehen und zu tun, was sie tun wollten.

Der Preis dafür war, dass die Staatssicherheit nie weit weg gewesen ist. Scheuerecker fand nach dem Zusammenbruch 800 Seiten Akten über sich, zusammengetragen von 70 IM. 800 Seiten, die der 64-Jährige sich zu lesen weigerte. Stattdessen ließ Scheuerecker, 2011 mit dem Brandenburgischen Kunstpreis geehrt, das Sandow-Chef Kai-Uwe Kohlschmidt tun.

Den schüttelte zuerst der „Ekel“, wie er sagt. Dann aber faszinierte ihn der eigentümliche Stasi-Sound aus „Einfalt, Dummheit und armseliger Missgunst“. Eine Heerschar von Denunzianten umschwirrt einen jungen Bohemien, „rätseldeutet sein Tun“ (Kohlschmidt). Es geht nun nicht mehr darum, zu urteilen oder gar zu verurteilen. Sondern darum, aus dem Konvolut von Bürokratensprache, Hinterrückshetze und Plänen zur Zersetzung ein Hörspiel zu machen.

„Den Himmel malen“ hat Kohlschmidt den 79 Minuten langen und überaus aufwendig gestalteten Film ohne Bilder genannt, der fast vollständig auf einem Boot auf der Ostsee spielt - wo der größte Teil des ungewöhnlichen Werkes auch aufgenommen wurde.
„Produzieren im Raum“ nennt der Musiker und Theatermacher seine Herangehensweise. Sechs Rollen, sechs Sprecher, ein Boot, das wirklich fährt. „Die Story und ihre Figuren nehmen Besitz von uns“, beschreibt Wolfgang Wagner, der den Max Scharnegger spricht, in dem unschwer der echte Scheuerecker zu erkennen ist.

Es geht um einen schillernden Maler, um den Kreis seiner Bewunderer, um seine Liebhaberinnen und Jünger und um den dunklen Geist der Stasi, der die Beziehungen zwischen Freunden noch aus Jahrzehnten Abstand vergiften kann. Alles ist inspiriert von den Akten, hat aber mit der wahren Geschichte nichts zu tun. Hier sitzt der Stasi-Mann todkrank auf einer Insel und wartet darauf, den von ihm verehrten wie bespitzelten Maler ein letztes Mal missbrauchen zu können.

Scharnegger solle ihm den Himmel malen, fordert der Stasi-Offizier, der vom Überwacher zum Fan und vom Fan zum Mäzen geworden ist, dessen Ankäufen der Maler nach dem Aufbruch in die freie Kunstwelt alles verdankt.

Wo ist Schuld? Wo bleibt die Sühne? Hier endet die Geschichte nicht im langsamen Vergehen der Zeit, nicht im Verschwimmen der Erinnerung und dem Zuwachsen von Wunden. Sondern in einem reinigenden Abschied auf hoher See, bei dem die Opfer und der Täter im selben Tränenmeer schwimmen.

Gelöst ist nichts, denn es gibt keine Lösung.

Das Doppelalbum enthält eine DVD mit einem Film zum Making Of
und ist in einer Sonderedition mit einem limitierten Siebdruck von Hans Scheuerecker erhältlich.

www.kaiuwekohlschmidt.net
www.mangan25.de

Freitag, 22. April 2016

Conny Ochs: Ein Reisender in großem Gefühl



Das neue Album des Hallensers Conny Ochs heißt „Future Fables“. Es will mehr als die Region.

Mit seiner Band Baby Universal ist der Hallenser Cornelius Ochs seit mehr als einem Jahrzehnt eine der wichtigsten, bekanntesten und erfolgreichsten Figuren des Rocks in der Region. Zuletzt legte die Lieblingsband von Kult-Regisseur Quentin Tarantino mit „Slow Shelter“ ein Meisterwerk vor, das den Mix aus Brit-Pop und Hard-Rock um Folkelemente erweiterte.

Eine Mischung, die Conny Ochs nun auch auf seinem neuen Solo-Album „Future Fables“ pflegt. Zwölf Songs hat der Hallenser mit der unverwechselbaren Stimme im Kabumm-Studio in Golzow eingespielt, alle zwölf orientieren sich mehr an seinen gemeinsamen akustischen Alben mit der US-Doom-Legende Scott „Wino“ Weinrich (St. Vitus) als am treibenden elektrischen Sound seiner Band.

Lieder mit Herz, Lieder mit Seele sind das, vom Auftakt mit dem auf zwei Gitarren hereinschleichenden „Hole“ bis zum Finale mit der dunklen Klavierballade „Make some room“. Conny Ochs singt flehentlich, er flüstert, zeigt aber bei „Killer“ auch, dass er Nirvana ebensogut kann.
Songkunst, der Sachsen-Anhalt, der Osten und ganz Deutschland spätestens seit den gemeinsamen Tourneen mit Scott Weinreich zu klein geworden ist.

Wie ein moderner Troubadour zieht Ochs durch Europa, um die Welt, er spielt in Quedlinburg und Venedig, in der Schweiz und Tschechien. Seine zwischen Mark Lanegan, Lou Reed und Nick Drake pendelnde Musik, mit dem Debüt „Raw Love Songs“ entworfen, mit „Black Happy“ vervollkommnet und mit „Future Fables“ nun für erste vollendet, wird überall verstanden werden.

Direkt zum Künstler:
connyochs.com

Donnerstag, 21. April 2016

Suddenly Human: Große Fragen in großen Hymnen



Kleine Stadt, großer Wurf - die hallesche Band Suddenly Human und ihr Debüt-Album „Elements on changing ways“

Kein Album in der Tasche, aber auf England-Tournee gehen, so etwa funktioniert die hallesche Band Suddenly Human. Über ihr Tour-Abenteuer auf der Insel haben Sänger Philipp Saaler, Gitarrist Hannes Kiesewetter, Basser Konstantin Brandt und Trommler Kurt Thomas Noack einen Film gedreht, den sie nach einem Motiv von Georg-Friedrich Händel „The trumpet shall sound“ genannt haben. Ein Road-Movie mit Musik und Stromausfall und Erbsen vom Notkocher, das nach Wurzeln sucht, von Abenteuern berichtet und von einer Band erzählt, die es ernst meint.

Das ist auch die Botschaft von „Elements on changing ways“, dem Debütalbum der Hallenser, das nun ein Jahr nach der Tour-Doku erscheint. Mit dem Anspruch, „etwas Bleibendes zu kreieren und dabei sehnsuchtsvolle Wirklichkeit mit pittoresker Alltäglichkeit zu vereinen“, wie die Band selbst sagt. Ehe sie daran geht, ihn in zwölf Stücken zwischen klassischem Rock, himmelsstürmender U2-Hymne und Britpop einzulösen.

Vom Opener „I’ve seen the lanterns“ drehen die vier Hallenser das ganz große Rad. Chöre, Rhythmuswechsel, Echo, übereinandergeschichtete Tonspuren - Produzent Jürgen Block, der schon mit Keimzeit und City gearbeitet hat, lässt die Newcomer von der Saale mal klingen wie die Strokes, mal winken Interpol aus der Kulisse, mal grüßen Muse und Placebo von fern. Klein und bescheiden können andere, in Songs wie „Horus“ und „Artefacts“ geht es in assoziativen Texten um den Menschen und die Welt, den Sinn des Lebens und die Angst vor dem Tod.

„Suddenly Human“ heißt „plötzlich menschlich“, ist aber keine Parole, sondern der Titel einer Star-Trek-Episode, in der die Enterprise-Besatzung einem von Aliens aufgezogenen Menschenjungen sanft klarmachen muss, dass er in Wirklichkeit kein Talarianer ist.

Das passt. Wenn Philipp Saaler in „Ink-World“ die Stimme kippen lässt, während die Musik immer schneller zu werden scheint, entwickelt „Elements“ einen Sog, wie ihn Alben der Isländer Sigur Rós in der Regel erzeugen: Die Akkorde drehen sich, es wird laut und leise, der Sänger flüstert und dann schreit er. Die Gitarren tosen und es ist nicht mehr das einzelne Wort, das beim Hörer ankommt. Sondern eine Atmosphäre und ein Gesamtgefühl, das keinen Gegenstand mehr hat, sondern nur noch die Töne, den Sound, die Musik.

Die wird später zuweilen zickig, das Hymnenhafte geht ihr in „Welcome to the sanatorium“ ganz ab. Dafür aber entpuppt sich der Song über die „Vita 31“ als perfekter Gegenentwurf zum idyllischen „Hotel California“ der Eagles. Keine Akustik-Gitarren, dafür Police-Riffs. Keine falsche Hoffnung, für niemanden. Aber zum Glück ist das kalte Buffet eröffnet.

Ein frappierendes Album, das vor Ideen sprüht und dem Hörer trotzdem Platz für Fantasie lässt. Wer das irgendwann in seiner Karriere hinbekommt, hat alles richtig gemacht. Wer es auf seinem Debütalbum vollbringt, könnte wie weiland Händel nach England gehen.

www.suddenlyhuman.com
facebook.com/suddenlyhuman

Mittwoch, 30. September 2015

Dave Rawlings: Musik aus einer Holz-Maschine



Er ist einer dieser Querköpfe, die von Musikerkollegen gerühmt werden, beim großen Publikum aber nur Eingeweihten bekannt sind. Der Amerikaner Dave Rawlings, ursprünglich aus Rhode Island stammend, macht es Liebhabern fein ziselierter Folk-Musik aber auch nicht leicht. Eine ganze Karriere lang blieb er im Schatten seiner Lebenspartnerin Gillian Welch. Wenn er Freunden wie Ryan Adams oder Conor Oberst (Bright Eyes) mit seinem unverwechselbaren Gitarrenspiel half, hängte er das nie an die große Glocke.

Dass Rawlings mit seiner Vorliebe für eine Epiphone Olympic-Gitarre aus dem Jahr 1935 unter seinesgleichen eine große Nummer ist, konnte allerdings sehen, wer den Led-Zeppelin-Bassisten John Paul Jones begeistert Mandoline für ihn spielen sah.

Bei Nashville Obsolete, seinem zweiten Album, verzichtet der bereits mit dem Lifetime-Award der Americana Music Association ausgezeichnete große Unbekannte des Americana-Rock dennoch auf prominente Hilfe. Stattdessen hat er die sieben Songs gemeinsam mit Paul Kowert (Punch Brothers) am Bass, Willie Watson an der zweiten Gitarre und den Gästen Brittany Haas an der Geige und Jordan Tice an der Mandoline eingespielt. Dazu kommen Violinen, Banjos, ein wenig Schlagwerk und viel Satzgesang.

Das reicht allerdings völlig, um aus dem an Neil Young erinnernden „The Weekend“ oder dem flotten Picking-Stück „The Last Pharao“ Lieder zu machen, die die ganze Weite der Prärie zu atmen scheinen. Spätestens wenn Rawlings dann „Pilgrim“ anstimmt, wünscht man sich nur noch ein Auto, einen Highway und fünfzig Jahre Urlaub.

daverawlingsmachine.com


Samstag, 13. Dezember 2014

Billy Corgan: Klatschen mit einer Hand



Im 20. Jahr nach seinem größten Triumph hat der Amerikaner Billy Corgan seine Band Smashing Pumpkins neugegründet - sie klingt wie damals.

Mit 33 Jahren hatte William Patrick Corgan seinen Abschied eingereicht. Ein neues Jahrtausend brach gerade an, da passte das. Ein letztes Album noch und einmal noch auf Tour, das sollte es gewesen sein für den Mann aus Chicago, der Mitte der 90er Jahre in einem Doppelschlag die komplette Rockgeschichte auf einen Punkt gebracht hatte. „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ hieß das Mammutwerk, das aus Corgans kleiner Grunge-Band Smashing Pumpkins eine Kapelle machte, die auf Augenhöhe mit den Beatles, Led Zeppelin und The Who musizierte. 28 Stücke, laut und leise, sanft und wild, hochjauchzend und zu Tode betrübt, melodiös, ekstatisch, barock und weltweit 16 Millionen Mal verkauft.

Höher als auf den Everest der Hitparaden vermag ein Musiker nicht zu steigen, für immer bleiben aber kann er auch nicht. Corgan, der sich nur Billy nennen lässt, brach vom Gipfel des frühen Ruhmes zu einem langen Abstieg auf, der zeitweise einer heillosen Flucht glich. Die Mitmusiker gingen nach und nach. Der Bandname verschwand. Corgan nannte sich nun „Zwan“ und „Starchildren“, er machte Filmmusik für Rupert Wainwright und anstelle des wegen fortgesetzter Drogenprobleme suspendierten Langzeit-Schlagzeugers Jimmy Chamberlin klopfte ein Drum-Computer den Beat.

Das schnelle Ende einer jungen Legende. Wenn Billy Corgan noch Konzerte spielte, dann erinnerte das größte Songschreiber-Talent der Generation Grunge an einen bockigen Teenager. Er schor sich eine Glatze, zerstörte seine Melodien, persiflierte das Pathos seiner größten Hits und aus hübschen Liedern wie „Zero“ oder „Disharm“ wurden Ausbrüche an kakophonischem Lärm. Zwar kehrte Corgan nur fünf Jahre nach der Beerdigung der Smashing Pumpkins zu seinem Markennamen zurück. Außer dem nun drogenfreien Jimmy Chamberlin war kein anderes Originalmitglied mehr mit von der Partie. Aber das mit großem Aplomb veröffentlichte Album „Zeitgeist“, hergestellt mit Queen-Hofproduzent Roy Thomas Baker, brachte nur noch mehr krachendes Getöse mit noch weniger Inhaltsstoffen.

Corgan, Sohn eines Blues-Gitarristen und erklärter Wrestling-Fan, musste noch einmal ganz aus dem Musikgeschäft verschwinden, um nun mit seinem achten regulären Album an die Großtaten der Blütezeit anknüpfen zu können. Ursprünglich nämlich hatte „Monuments to an Elegy“ überhaupt nicht als CD erscheinen sollen. Corgan plante stattdessen, sein Konzeptwerk „Mellon Collie“ digital zu überholen: Eine noch gigantischere Songsammlung namens „Teargarden by Kaleidyscope“ mit 44 Songs sollte nur im Internet veröffentlicht werden, kostenlos für alle zudem. „Als ich das Projekt begonnen habe, wollte ich wieder zum Narren werden, indem ich mich nicht um Verkäufe, mein Image oder die Besetzung der Band kümmerte und einfach nur Musik machte“, beschreibt er.

Für den inzwischen 47-Jährigen, geboren in Elk Grove, Illinois, die Rückkehr zur reinen Kunst ohne kommerzielle Absicht. Für den Musikmarkt ein einziger Humbug. „Die Leute haben die Musik nicht heruntergeladen, obwohl sie kostenlos war“, klagt Corgan heute.

Viele hätten einfach nicht mitbekommen, dass es die Songs gab, weil nirgendwo Werbung dafür gemacht wurde. „Und ich wollte nicht weiter Musik wegwerfen, die sich keiner anhört.“
Also sind die neun Stücke von „Monuments to an Elegy“ doch wieder als herkömmliche CD und als Download bei iTunes und den anderen Musikshops erschienen. Zum Glück, denn was Corgan gemeinsam mit seinen derzeitigen Gehilfen Jeff Schroeder an der Gitarre, Nicole Fiorentino am Bass und Mötley-Crüe-Drummer Tommy Lee an den Drums angefertigt hat, ist endlich wieder echter Kürbis-Stoff: Hymnen auf die Traurigkeit, Elegien der Sehnsucht.

Ja, der große Eigensinnige klatscht allein und er klatscht auch nur noch mit einer Hand. Aber es ist alles da, was Lieder wie „Cherub Rock“ zu Klassikern hat werden lassen. Corgans nöliger Gesang der aus straff gespannten Stimmritze. Die orchestralen Gitarren. Die hochfliegenden Melodien, durch die sich rätselhafte Texte schlängeln. „Tiberius“, benannt nach dem römischen Kaiser, ist ein Liebeslied, die Single „Beige Beige“ die Beschwörung eines Weltbrandes. „I will bang this drum to my dying day“, singt er, denn kleiner hat er es nicht, der Mann, der von sich sagt, er lebe nicht in der Realität, hasse aber Sentimentalitäten. Da lächeln alle Fans, die die 90er Jahre mit seinem größten Hit „Today“ im Ohr verbracht haben.

Zur Webseite der Band: smashingpumpkinsnexus.com

Freitag, 26. September 2014

Ein "Talismann" im Alleingang

Hagen Stoll legt mit „Talismann“ eine bluesgetränkte CD vor.

Zusammen mit seinem schwergewichtigen Kumpel Sven Gillert hat Hagen Stoll Musikgeschichte geschrieben. Der Mann, der bis 2009 versuchte, als „Joe Rilla“ Rap-Karriere zu machen, ließ sich die erste Wegstrecke der mit Gillert zusammen gegründeten Rockpop-Band Haudegen als Existenzgründung von der Agentur für Arbeit finanzieren.

Keine schlechte Investition, denn das Haudegen-Debüt „Schlicht und ergreifend“ wurde ebenso ein Hit wie die nachfolgenden Tourneen der beiden volltätowierten Riesen. Ohne die übliche Gangster-Attitüde und aggressive Kampfgesänge auf dumpfen Beats entwickelten die handfesten Dickens-Gestalten so große Glaubwürdigkeit, dass ihre zweistimmig gegrollten Schmerzengesänge zur Musik für Massen wurde, die auf der Suche nach echten, handgemachten Liedern mit glaubhafter Botschaft waren.

Dennoch ist das neue Album von Haudegen kein Album der Haudegen. Sondern eines, das Hagen Stoll allein verantwortet. „Talismann“ nennt der 39-jährige Ostberliner die Sammlung von 15 Songs zwischen Rock, Country und Blues, die noch erdiger, kerniger und unzeitgemäßer klingt als die beiden Haudegen-Werke.

Stolls großes Talent ist es auch hier, glaubwürdige Texte mit angenehmen Melodien zu kombinieren. Wo aber bei Haudegen ein Teil Spannung aus dem Wechselgesang mit Sven Gillert resultierte, ist der gelernte Stuckateur hier ganz allein. Ein Chance, die er nutzt, wie etwa die erste Single „Schieb den Blues“ zeigt. Mit Steelguitar, Barpiano und Drums, die wie Fingerschnipsten klingen, entwickelt er eine Ermutigungshymne, die jedem Geschlagenen, Getretenen oder sonstwie Unglücklichen ans Herz gehen muss: „Ich gebe, nein, ich gebe noch nicht auf, ich lebe, lebe, lebe jeden Schritt, den ich lauf“.

Dann geht es mit Polka weiter. „1, 2, 3, 4 Leben“ zeigt den oft der Bedeutungshuberei überführten früheren Hooligan als selbstironischen Spaßmacher, ehe „Was ich brauch“ direkt ins Herzen des Wilden Westens galoppiert und „Im Herzen Kind“ ein Lob der Naivität singt: „Flieg mit dem Wind, bleib wie Du bist, bleib im Herzen Kind“.

Würde Stoll Englisch singen, nähme man ihm den alten Weisen ab, wie das teilweise auf englisch gesungene „Bible or Gun“ beweist. So aber muss der Mut für ihn sprechen, Themen abzuhandeln, die leicht peinlich klingen können. Tun sie hier nicht, weil der brummelige Riese es irgendwie schafft, selbst die schwersten Thesen mit leichter Hand zu präsentieren. „Das Wort Glauben“ zum Beispiel sieht den Sänger als Zweifler, ein Kopfschütteln auf vier Akkorden: „Kann mir jemand das Wort Glauben definieren / ich kann es nicht mehr spüren“.

Ein bisschen hat das was vom ganz frühen Marius Müller-Westernhagen der „Loch in meiner Tasche“-Ära, ein bisschen erinnert Hagen Stoll auch an Tom Waits und Klaus Lage. Kein ganz junges, aber aktuell vielleicht das größte deutsche Songschreibertalent.

Hagen Stoll live:
14.10. Magdeburg, Feuerwache
15.11, Weißenfels, Kulturhaus



Dienstag, 23. September 2014

Kraftklub: Rap-Rock mit schwarzem Humor

Die Chemnitzer Aufsteigerband überzeugt auf ihrem zweiten Album mit hartem Raprock und kantigen Reimen voller Selbstironie.

Am Anfang war die Hymne auf die Provinz. „Ich will nicht nach Berlin“, schrie Felix Brummer der Trendstadt im Norden entgegen. Chemnitz, Karl-Marx-Stadt, Sachsen, Kleinstadt statt Weltstadt, der eigene Saft statt fremder Soßen! Kraftklub, von Brummer zwei Jahre zuvor zusammen mit seinem Bruder Till am Bass, Karl Schumann und Steffen Israel an den Gitarren und Max Marschk am Schlagzeug gegründet, hielten sich nicht an die Regeln, die von Künstlern verlangen, im Chor zu singen. Das Quintett feierte den Mief statt der Metropole. Und sie spielten dazu eine Musik, die von keiner Musikpolizei genehmigt worden wäre: Rap mit harten Gitarren, Hiphop samt Mitsing- refrains, Rammstein-Rock und Abzählreime.

Seit den Prinzen zwei Jahrzehnte zuvor und Silbermond zehn Jahre früher hat keine ernsthafte Band aus den ehemals neuen Bundesländern mehr so eingeschlagen. Kraftklub, stets in einheitlicher Uniform aus Baseballjacken und Poloshirts, platzierten ihr Debütalbum auf Platz 1 in den Charts, sie feierten ausverkaufte Tourneen und bekamen bei der Echo-Verleihung den „Kritikerpreis National“ verliehen.

Zwei Jahre danach sind sie wieder da, „In Schwarz“, wie das zweite Album heißt und von unbedingtem Stilwillen getrieben, wie schon das Albumcover zeigt. Das ist eine Negativ-Kopie des Debüts: Was dort weiß war, ist hier mit ein paar kleinen Variationen schwarz.

Das Gegenteil wird aber nicht verhandelt in den 13 Stücken der Standardedition, zu denen sich in der Luxusausgabe weitere drei Songs gesellen. Vielmehr haben die Söhne der Familie Brummer, die zu DDR-Zeiten die kategorisch kunstsinnige Underground-Kapelle AG Geige betrieben, ihren scharfkantigen Rap-Rock poliert, die Kanten geschliffen und den Sound weiter internationalisiert.
„In Schwarz“ ist so ist ein Spagat zwischen Oasis-Melodien und Cro-Flow geworden, Jungsmusik, die auch Mädchen gutfinden werden, weil hektischer Indierock wie bei „Schüsse in die Luft“ neben einer gelinden Halbballade wie „Meine Stadt ist zu laut“ steht.

Wichtig hier ist aber vor allem der Humor, ein Wesensmerkmal des Kraftklub-Schaffens von der ersten gemeinsam gespielten Note an. Es geht den fünf Sachsen nie um Botschaften wie noch der Generation der BAP, Grönemeyer oder Maffay, sondern um selbstironische Kommentare aus der Sicht ihrer Generation: „Wenn Alkohol keine Lösung ist habe ich auch kein Problem“ Geschont wird dabei niemand, wie gleich das Auftaktstück „Unsere Fans“ zeigt. Hier wagen sie es, all die Ausverkaufsvorwürfe herumzudrehen, die noch jede kleine Band zu hören bekommt, sobald sie nicht mehr im Schulklub, sondern in der Stadthalle spielt. Nicht die Band, sondern die Fans hätten sich verändert, nörgelt Felix Brummer zu klapperndem Schlagwerk: „Unsere Fans war’n mal dagegen, die wollten nicht gefallen, früher kleine Läden, heute nur noch volle Hallen“. Alle rennen denen hinterher, denen alle hinterherrennen!

Rockfan-Schicksal, das mit „In Schwarz“ nur noch tragischer werden dürfte, denn die Brummer-Brüder, Musikdirektor Schumann und der Rest der Truppe gestatten sich hier keinen Durchhänger. Riff marschiert neben Riff, eines prächtiger als das andere, das Tempo lässt kaum einmal nach, selbst die Fahrradhymne „Mein Rad“ klingt mehr nach gefährlicher Geschwindigkeitsübertretung als nach entspannter Landpartie. Zum Halbfinale tritt dann auch noch Kumpel Casper ans Mikro und unterstützt Felix Brummer bei „Schöner Tag“, ehe der beim finalen „Deine Gang“ alle Bremsen löst und den Bubble-Gum-Beat von T.Rex ins Heute holt.




Mittwoch, 3. September 2014

Phillip Boa: Besuch aus der Zukunft


Im 30. Jahr seiner Band Voodooclub kehrt Phillip Boa mit einem Album voller neuer Lieder in die Konzerthallen zurück.

Hinter der fünf ist inzwischen eine null, hinter der drei ebenso. Phillip Boa hat letztes Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert, seine Band Voodooclub begeht dieser Tage ihren 30. Aber wie das bei Boa ist, der immer ein Sturkopf war, der eigene Wege im eigenen Tempo ging: „Bleach House“, sein gerade erschienenes 19. Album, geht weder auf das eine noch auf das andere Jubiläum ein.

Wozu auch Vergangenheit, wenn Boa, der eigentlich Ernst Ulrich Figgen heißt, immer noch die Zukunft haben kann? „Kill the future“ fordert er gleich im Auftaktsong, der mit Stahlgeprügel anfängt, das sich aber schon nach einigen Sekunden in bestem Voodoo-Sound auflöst. Gitarren und Chöre, eiliges Getrommel und Keyboardschleifen - Phillip Boa war noch nie ein herausragender Sänger, aber er hatte stets ein Händchen für Ohrwurmmelodien und dazu passende prägnante Slogans. Die gibt es hier im Dutzend von „Kill Wiki“ über „The Fear that falls“ bis zu „Down with the Protocols“. Nach Indie, dem Etikett, das sich Boa Mitte der 80er Jahre anheften lassen musste, weil seine Art Musik einfach in keine Schublade passte, hört sich das alles nicht an.

Der Sound, gemischt von Produzent David Vella, der Mitte der 90er schon Boa-Hits wie „And The Wind Cries Mercy“ betreut hatte, ist fett und ein bisschen ungepflegt zugleich. Die Dancebeats des letzten Albums „Loyalty“ machen hier einem fast schon schwermetallenen Gitarrensolo Platz, später heult ein Saxophon los und in „Chronicles of the heartbroken“ trifft die Boa-Brummelstimme auf das helle Organ von Pris, der neuen Duettpartnerin, die die langjährige Kontrahentin Pia Lund abgelöst hat.

Nach und nach bündelt „Bleach House“ so all die Einflüsse und Ausflüge, die der „heitere Apokalyptiker“ in den letzten drei Jahrzehnten auf- und unternommen hat: Vom dilettantischen Rock auf „Philister“ über die Hits von „Boaphenia“ zum Metal mit dem Voodoocult und den Grübel-Songs auf „Faking To Blend In“.
Ein Menü, das zusammengehalten wird von den Boa-Beats, den Melodien und der eigentümlichen Stimme des Dortmunders, der auf dem Cover mit einem Kaktus posiert, der wie das pflanzliche Gegenstück zu ihm selbst wirkt.

Wurzellos, kratzbürstig, eigensinnig, so war der Mann mit der kinnlangen Rundschnittfrisur immer schon. Mit „Kill your idols“ ist er damals in die Charts aufgestiegen, dort hat er bald bemerken müssen, dass Selbstvermarktung auf „Morgenmagazin“-Niveau nicht sein größtes Talent ist. Phillip Boa, von seinen Fans wegen seiner Unerbittlichkeit liebevoll „Arschloch“ genannt, kehrte zurück in die Welt der Minifirmen, in die kleineren Konzerthallen und zu den überschaubaren Tourneen, bei denen er über sich selbst bestimmt.
Seiner Musik hat das so wenig geschadet wie seinem Erfolg. Ohne Medienkampagne, ohne Marketingetat füllt Boas Voodooclub Hallen fast wieder wie in den allerbesten Zeiten. Das letzte Album „Loyalty“ bescherte der Band den größten Hitparadenerfolg seit „Boaphenia“. „Bleach House“ verspricht, das sogar noch zu übertreffen.

In einer Zeit, in der das Album totgesagt wird und die Download-Single als Nonplusultra gilt, hätte es das Werk des Mannes verdient, der von sich selbst sagt, er sei gern uncool, wenn das bedeute, keine Songs für Werbung wegzugeben und bei Facebook nicht um Likes zu betteln. 13 Songs, drei Bonus-stücke, dazu in der „Collectors Edition“ weitere acht Songs, eine Vinyl-Platte und eine Konzert-DVD - manchmal lohnt es sich, mit einer Zukunft abgeschlossen zu haben, die schon längst Vergangenheit ist.

www.boa-digital.net
www.phillipboa.de

Montag, 21. Juli 2014

Cro: Rap fürs Reihenhaus


Der schwäbische Hip-Hopper Carlo Waibel legt mit seinem zweiten Album eine Sammlung von Popsongs für die ganze Familie vor.

Von wegen Rap! Zwar steht das Werk von Carlo Waibel, der sich im Dienst kurz Cro nennt, in den großen Elektromärkten in der Ecke mit dem Sprechgesang. Doch schon auf Cros Debütalbum "Raop" war der Mann, der sein Gesicht stets hinter einer Panda-Maske verbirgt, mehr Fanta Vier als Public Enemy. Mit "Melodie", dem zweiten professionell eingespielten Album, setzt der 24-Jährige nun noch einen drauf. Die 14 Stücke sind rund und knackig, fett produziert und mit ordentlichen Melodien versehen, die Rap-Passagen flutschen und die gesungenen Teile bleiben im Ohr.

Rap aus dem Reihenhaus, auch inhaltlich. Waibel, der mit seinem Debüt zum neuen deutschen Hip-Hop-Wunder wurde und abräumte, was es an Preisen zu gewinnen gab, beschäftigt sich hier mit dem Lieblingsthema aller Rapper: sich selbst, seinen Homies und den erstaunlichen Folgen von Ruhm und Erfolg für die jugendliche Psyche.

"Könnt ich durch die Zeit fahren mit 'nem schnellen Auto / würd ich alles noch mal tun und zwar genauso", genießt der Bambi-Preisträger und Chartstürmer die frühen Früchte einer Karriere, die er im zarten Alter von zehn Jahren im heimischen Kinderzimmer in Mutlangen anschob. Hier fummelte er damals erste Aufnahmen zusammen, später brachte er sich Klavier und Gitarre bei, mit 16 startete er unter dem Namen Lyr1c auf einer Internetplattform für Online-Reimbattles mit anderen Rappern.

Mit "Raop" erfand er dann seine ganz eigene Mischung aus Rap und Pop, die die Ghettomusik der amerikanischen Großstädte für das deutsche Formatradio übersetzte. Spartenüblich ohne Angst vor großen Namen: In seinem ersten Hit "Easy" verglich sich Cro mit US-Großmeister Jay-Z, der damals schon auf neun Nummer-1-Alben verweisen konnte, mit Beyoncé Knowles verheiratet war und seine eigene Modefirma Rocawear besaß.

Cros Modelabel heißt Vio Vio und bestand schon vor dem ersten Erfolg auf dem Musikmarkt. Carlo Waibel ist ausgebildeter Mediengestalter, er hatte ursprünglich eigentlich vor, in Mode zu machen.
Muss er nun nicht mehr, denn auch "Melodie" schoss sofort nach Veröffentlichung auf Platz 1 in der Hitparade - wohl nicht eben zur völligen Überraschung des Herstellers, der im Opener "I can feel it" vorhersagt "direkt auf die 1 gechartet / letztes Album zweimal Platin". Das Patentrezept für Ohrwürmer wirkt: kleine Heimorgelmelodie, verschleppter Beat, fetter Bass und flinke Zunge, fertig ist eine schmissige Nummer, die auf jeder Party bestehen kann.

Cro dosiert dabei geschickt. "Cop Love" ist die Morgenballade, leicht angejazzt und mit Schlaf in den Augen, "Bad Chick" dagegen die fröhliche Beziehungskiste mit heruntergepumpten Abzählreimen und einem Augenzwinkern in Richtung Michael Jackson als Refrain.

Musik, die zu Holzparkett und Latte-Kaffee passt, zum neuen Samsung-Handy und einem Paar weißer Beats-Kopfhörer, die sich aber auch bedenkenlos zum Geburtstag verschenken lässt, ziemlich egal sogar an wen. Denn Cro hat keine Botschaft außer der, nicht alles so hoch zu hängen und dabei möglichst locker zu bleiben. Bei "Meine Gang" schlurft er im Reggae-Rhythmus vorbei, bei "Erinnerung" leitet schweres Orchestergesülze in ein cinemascopisches Werk, in dem der Künstler auf sein Leben zurückschaut und feststellt, dass es ihm ganz gut geglückt ist, aus einer zunächst abgebrochenen Schullaufbahn und keiner Ahnung von einem Ziel so etwas Großes wie diesen Pop-Panda zu bauen. Die Beats sind hier schlurfig, die aus Bandwurmsätzen gebastelten Melodielinien voller Widerhaken. Die aber sind doch so gut versteckt, dass sie runtergehen wie Öl.