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Samstag, 24. Februar 2018

Goitzsche Front: Der Bitterfelder Weg


Zum ersten Mal seit Tokio Hotel vor knapp zehn Jahren hat es wieder eine Band aus Sachsen-Anhalt an die Spitze der deutschen Albumcharts geschafft. Diesmal steht kein Masterplan und kein Großkonzern hinter dem Phänomen.

Erstmals seit 2009 steht wieder eine Band aus Sachsen-Anhalt auf dem Spitzenplatz der deutschen Albumcharts. Goitzsche Front aus Bitterfeld, vor zwei Jahren mit ihrem Album "Mon(u)ment" schon wie aus Nichts auf Platz 6 gelandet, sitzen mit ihrem neuen Werk "Deines Glückes Schmied" auf dem Hitparadenthron. Vor knapp zehn Jahren war es die Magdeburger Teenie-Gruppe Tokio Hotel, die mit einem solchen Erfolg Furore machte für ein Bundesland, dessen Rockmusikszene kaum je für überregionales Aufsehen sorgt. Und nun jetzt sind es vier junge Männer aus Bitterfeld: Christian Schulze, Maxi Beuster, Pascal Bock und Tom Neubauer, die ihre Band vor zehn Jahren eigentlich nur als Spaßkapelle gegründet hatten, dann aber immer deutlicher merkten, dass da mehr geht.

Der Unterschied zu Tokio Hotel könnte nicht größer sein. Kamen die schon mit ihrer Debütsingle überall ins Fernsehen, weil ein großes Teenie-Magazin den Hype gezielt anheizte, sind es bei ihren Nachfolgern die sozialen Netzwerke, die den Erfolg tragen. Videos wie „Der Osten rockt“, „Menschlich“ oder „Männer aus Stahl“ kommen auf Millionen Abrufe und lassen damit etablierte Ostbands der alten Garde wie Silly, Karat und die Puhdys um Längen hinter sich. Inzwischen spielen die vier Musiker regelmäßig vor ausverkauftem Haus, jedes Konzert wird angegangen wie ein Endlauf bei Olympia, höchste Konzentration, dann alles geben, was da ist.

Das sei alles nicht geplant gewesen, beschreibt Gitarrist Maxi Beuster, der als letzter zur Band stieß, die der heute seine Familie nennt. Irgendwie aber funktionierte es, irgendwann bemerkten die vier Bitterfelder, dass sie zusammen etwas zustandebringen können, was in vielen Menschen eine Saite zum Schwingen bringt. Niemand hier hatte die Absicht, Größen wie Ed Sheeran, Justin Timberlake, Helene Fischer oder Peter Maffay in den Charts hinter sich zu lassen. Aber nun ist es passiert: „Deines Glückes Schmied“, ein handfestes, gefühlsseliges und erdigen Album, angefüllt mit 16 Hymnen an das Leben, die Liebe und das Leid, katapultiert Beuster, Schulze, Bock und Neubauer in Sphären, von denen sie nicht einmal geträumt haben.

Aber darauf hingearbeitet, das haben sie, ohne Kompromisse zu machen. Echt sein, sich nicht anpassen und machen, was man selbst für richtig hält - seit der 29-jährige Bock und seine Kindergartenkumpel Schulze und Neubauer ihre Band vor neun Jahren mit wenig Können und viel Euphorie gründeten, sind die Musiker aus Bitterfeld diesem Grundsatz treu geblieben. Es ging nie um Image, Stromlinienform und Mode. „Sondern darum, zu machen, was man glaubt, tun zu müssen“, wie Bock sagt. Maximilian Beuster, mit 23 der Jüngste der Band, bestätigt das. „Wir sind wirklich nicht nur Bandkollegen, sondern die allerbesten Freunde.“

Immer noch müssen die Bandmitglieder Urlaub nehmen, um auf Tour gehen zu können. Demnächst geht es los - erst solo, dann als Anheizer für die Kollegen von Frei.Wild. Eine neue Herausforderung. "Vor so vielen Leuten haben wir noch nie gespielt", sagt Maximilian Beuster und es klingt nach Respekt und Vorfreude. Der legendäre Bitterfelder Weg, er  führt weiter, immer weiter. Mal sehen, bis wohin, sagen sie selbst.



Konzerttrermine in diesem Jahr

Donnerstag, 4. Januar 2018

Digedags: Familie Duck der DDR

Hannes Hegens Comiczeitschrift "Mosaik" war zwei Jahrzehnte lang die realsozialistische Antwort auf Mickey Mouse - nur noch viel erfolgreicher. Nach dem plötzlichen Ende der Heftserie übernahmen die Abrafaxe, doch für echte Fans blieben die immer bloße Kopie.

Unvermittelt pflegten sie aufzutauchen, unangekündigt sowieso. Der Schuldirektor,- im Schlepptau ein, zwei Lehrer. "Ranzenkontrolle", blökte einer durch den Raum. Die Deutschstunde jedenfalls war gelaufen. Wenn nicht sogar der ganze Tag. Wurden die gnadenlosen Suchtrupps nämlich fündig, brach das Donnerwetter über den betreffenden Schüler herein. "Schundund Schmutzliteratur" in der Schultasche verwahrt zu haben, zog regelmäßig regelrechte Verhöre nach sich: Woher stammt die Konterbande? An wen wurde das inkriminierte Groschenheft bereits verliehen? Wer besitzt ähnliches "gedrucktes Gift" (NBI)? Wo sind Mickey Mouse, Lucky Luke, Donald Duck und die anderen versteckt? Und warum gab sich der Ertappte mit solchem "geistigen Müll" ab?


Der verderbliche Einfluss, den "westlich-dekadente" Bildgeschichten auf den kindlichen Charakter haben, war in der DDR unumstritten. Dagobert Duck galt als die Inkarnation des bösen, geldgierigen Kapitalisten, Lucky Luke als indianermordender Cowboy. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West tobte und die fröhliche Unverkrampftheit der bunten Heftchen konnte so nur eine ganz besonders perfide Masche sein, um den Sozialismus, von dem man felsenfest meinte, er "erstarke" unablässig, zu zerschmettern. 
Walt Disney war ein Handlanger beim Angriff des Klassenfeindes auf die Jugend, die doch eben im Begriff war, die Zukunft zu bauen.


Doch alle Kämpfe an der ideologischen Front, alle Ranzenkontrollen nebst harter Bestrafung erwischter Delinquenten nützen nichts. Die Seuche Comics, ausgebrochen in den USA der vierziger Jahre und von den siegreichen amerikanischen GIs nach Deutschland verschleppt, hatte zum Ärger der SED-Führung auch die halstuchbeschlipste DDR-Jugend angesteckt. 



Irgendwie kam Johannes Hegenbarth da genau richtig. Der Ostberliner Grafiker und Zeichner hatte schon seit Anfang der Fünfziger die Idee einer eigenen DDR-Comiczeitschrift, denn, so meinte er im Unterschied zur damals herrschenden Schulmeinung nicht nur im Osten Deutschlands, nicht die Form der Comics an sich ist schlecht - die Inhalte sind entscheidend. Was also lag näher, als die Comicsform mit dem Erziehungsanspruch des sozialistischen Bildungswesens zu verbinden? Im Dezember 1955 war es soweit. Alle Widerstände glücklich überwunden, die erste Nummer gedruckt. Johannes Hegenbarth, der sich als Herausgeber amerikanisch verknappt "Hannes Hegen" nannte, präsentierte im FDJ-Verlag "Junge Welt" das "Mosaik". Die Folge 1 - "Auf der Jagd nach dem Golde" genannt - war der erste einer einzigartigen Serie von DDR-Comics.


Dig, Dag und Digedag hießen Hegens knollennasige Helden, die in den nachfolgenden 21 Jahren und insgesamt 229 Heftnummern Abenteuer auf Mars, Mond und Erde, im Amerika der Gründerzeit, im Mittelalter, und Gott weiß noch wo erleben sollten. Anfangs von misstrauischen Beobachtern unter Generalverdacht der Jugendverblödung gestellt, gelang es den Digedags genannten Dreikäsehochs mit ihren einfachen und "sauberen" moralischen Ansichten und Ansprüchen schnell zu wahren Kultfiguren zu werden.


Obgleich die Druckauflage seit Anfang der sechziger Jahre beständig - wenn auch stets nur "im Rahmen der ökonomischen Möglichkeiten" - gestiegen war, reichte das Angebot hinten und vorn nicht, um die Nachfrage auch nur annähernd zu befriedigen. Das "Mosaik", sechzig Pfennig teuer und zu seinen Hochzeiten mehr als eine Million Mal im Monat verkauft, avancierte zur gefragtesten Bückware an den Zeitungskiosken zwischen Ahrenshoop und Zittau. Im Abonnement hatte Hegens bahnbrechende Neuerfindung des- Comic als sogenannte Bilderzeitschrift eigentlich von Anfang an eines dieser Sternchen, die besagten: "Neu-Abo nur möglich, wenn Alt-Abonnent stirbt."


Trotz oder gerade wegen dieser, alle Parteitagsbeschlüsse und Republikgeburtstagsverpflichtungen hartnäckig überlebenden Erschwernisse wuchsen glatte drei Generationen von DDR-Kindern mit Dig, Dag, Digedag; dem gutmütig-doofen Ritter Runkel, mit dem lächerlichen Bösewicht Coffins und all den anderen '. freundlichen, skurrilen Gestalten auf. Reisten die von ihren Fans liebevoll "Digis" genannten Gnome in die Zukunft, in der ihnen von glücklichen sozialistischen Menschen nur so wimmelnde gigantische Flughäfen und natürlich gemeinschaftliche genutzte Elektro-Autos begegneten, reisten zumindest alle DDR-Bürger zwischen acht und sechzehn mit. Ging der Ausflug in die ferne Vergangenheit der Kreuzzüge, wartete man nicht weniger gespannt auf die' nächste Folge.


Wie das Abenteuer ausgehen würden, war natürlich immer vorher klar. Die  stets adenauergesichtigen Knurrgestalten des Bösen durften kämpfen. Aber am Ende gelang es den Digedags doch immer,  mit List und Klugheit und durch die Hilfe eines ganzen Haufens sich stets wie von Wunderhand um sie versammelnder guter Menschen zu obsiegen.


Im Unterschied zu "kapitalistischen Comics" hatte Hegens "sozialistische Bilderzeitschrift" vor allem in den ersten Jahren erklärtermaßen eine erzieherische Funktion neben der rein unterhaltenden. Abenteuer, Flüge, ferne Welten und fremde Gestade dienten vorzugshalber als Kulisse für naturwissenschaftliche Kurzvorträge eines Koerzählers namens "Lexi , der es sich bei passender Gelegenheit auch nicht nehmen ließ, vorsichtige Agitation mit chemisch-physikalischen Neuigkeiten zu verbinden. 


Mit den Jahren aber änderte sich das - "Lexi" verschwand ohne Spuren zu hinterlassen.und aus dem "technic strip" wurde mehr und mehr eine Spielwiese des Allgemeinmenschlichen. Ob im alten Rom oder im Wilden Westen, ob im Orient oder auf dem Mond, die Digedags - irgendwie immer unschwer zu erkennen als die DDR-Bürger, die sie ja in Wirklichkeit auch waren - hatten nur noch eine Botschaft: Wo die Bösen regieren, muss das Gute sich einmischen. Dann geht es um das große Ganze, und dann hat der eigene, kleine, persönliche Vorteil nichts zu suchen.


Die Parallelen zur Wirklichkeit ist so unübersehbar wie beabsichtigt: Die Digedags kämpften immer wieder die Kämpfe der Realität nach, siegten als putzige Karikaturen ihrer verhinderten Herren; nicht zuletzt jedoch erlebten sie dabei stellvertretend die große, weite Welt, die ihren Lesern verschlossen blieb. Und ihre Abenteuer begründeten zugleich bis Mitte der siebziger Jahre, warum zum Teufel das so sein muss. Den Garaus machte den drolligen kleinen Kerlen schließlich ein Streit zwischen ihrem Erfinder Hannes Hegen und dem Verlag Junge Welt im Jahr 1976, der mit dem Bruch zwischen beiden und der nachfolgenden Erfindung der "Abrafaxe" endete, die den Digedags zwar bis hin zu Charakteren, Gesten und Verhaltensweisen täuschend echt nachempfunden waren, deren Kultstatus jedoch nie erreichten.

Seit Anfang Dezember gibt es die Digedags in einer eigenen Dauerausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu erleben.

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Denkmal der Ostmoderne: Abschied vom Kosmonauten Sigmund Jähn



Weltweit einzigartig, denkmalgeschützt und vom Bauzustand her zweifelsfrei sanierungsfähig, das ist das Raumflugplanetarium "Sigmund Jähn" in Halle. Doch weil die Fördertöpfe locken und fragwürdige Fluthilferichtlinien hunderttausende Euro für einen Abriss des Baudenkmals versprechen, wird das Denkmal der Ostmoderne, errichtet aus sogenannten HP-Schalen, die der hallesche Bauingenieur und Architekt Herbert Müller in den 50er Jahren erfunden hatte, ausgerechnet im 40. Jahr seines Bestehens abgerissen.

Erst 2015 war dem Gebäude Denkmalschutzstatus verliehen worden. Die verbauten HP-Schalen - die Abkürzung steht für "hyperbolische Paraboloidschale" gelten als besonders leicht und stabil und als Carl Zeiss in Jena Mitte der 70er Jahre eine Stadt suchte, in der ein Beispielbau errichtet werden könnte, um ausländischen Interessenten an der firmeneigenen Planetariumstechnik zu zeigen, was Hightech made in GDR kann, fiel die Wahl auf Halle. Hier hatte sich der Mathematiker und Astronomielehrer Karl Kockel, Chef des damals bereits bestehenden Planetariums im Ortsteil Kanena, für den Bau starkgemacht. Kockel wurde Bauleiter und später Chef des Hauses, er holte mit Sigmund Jähn den ersten Deutschen im All nach Halle und setzte den Namen des DDR-Kosmonaut als Namen des einzigartigen Baus durch.

Kockel starb 2015, da war sein Planetarium schon als "Flutschaden" abgeschrieben worden. Obwohl ein Gutachten ausdrücklich bescheinigte, dass es keine schweren Flutschäden an der Bausubstanz gebe. Um den beschlossenen Abriss dennoch durchzusetzen, musste die hallesche Stadtverwaltung tricksen, täuschen und der Öffentlichkeit wie dem Stadtrat über Jahre hinweg falsche Auskünfte geben.

Letztenendes aber heiligt der Zweck die unfeinen Mittel: Mit dem Abriss des denkmalgeschützten Bauwerks verschwindet das einzige aus HP-Schalen errichtete Planetarium der Welt - ein Rundbau, der aus nur fünf verschiedenen Bauteilen errichtet worden war, wobei jedes Bauteil 28 mal benutzt wurde. An seiner Stelle wird sich künftig ein Stück Wiese befinden, für rund 300.000 Euro auf Steuerzahlerkosten angesät.

Montag, 18. Dezember 2017

Flake Lorenz von Rammstein: Auf der Rückseite des Ruhms

Er ist der ewig Unbeholfene in der Besetzung von Deutschlands erfolgreichster Rockband, ein schmaler, linkischer Riese mit schiefem Lächeln, der immer den Eindruck macht, als habe er bis heute nicht verstanden, was ausgerechnet ihn zu einem Weltstar machen konnte.

Aber Christian Lorenz, genannt Flake, ist einer, das zeigt schon die Völkerwanderung, die der kleine, recht abgelegene Ort Brachwitz erlebt, nur weil der 51-jährige Rammstein-Keyboarder dort aus seinem zweiten Buch „Heute hat die Welt Geburtstag“ liest. Aus Zwickau, Berlin und Magdeburg sind die Fans gekommen, mehr als 300 füllen den Saal des Restaurants „Saalekiez“, dessen Betreiber Christian Hager seit Jahren mit dem Namensvetter aus dem Prenzlauer Berg befreundet ist.

Auf der Bühne, anfangs stehend und später zurückgelehnt in einen riesigen Sessel, ist das Gegenmodell eines Rockstars. In seinen schwarzhumorigen Erzählungen von der Rückseite des großen Rockruhmes bleibt von Glamour und Glitzer des Showbusiness nichts übrig. „Auf Tournee sein heißt vor allem Warten“, beschreibt Flake, der seine Lesung nur gelegentlich mit vorgelesenen Buchkapiteln bestreitet. Die restliche Zeit erzählt er aus dem einsamen und aberwitzigen Leben in der Blase der Berühmtheit. Es geht um stinkende Bühnenklamotten, abenteuerliche Missgeschicke in Konzerten und um all die Erlebnisse, die nur der macht, der im innersten Kreis einer der größten Rockbands aller Zeiten lebt.

Und sich bis heute fragt, wie es soweit kommen konnte. Lorenz’ Grundhaltung ist die des Clowns, der alles hinterfragt. Die Antworten schießt er zugespitzt auf sein Publikum ab, die Gesichtszüge wie vereist. Die Fans, die dichtgedrängt bis hinter zum Tresen sitzen, kommen minutenlang nicht mehr aus dem Lachen heraus, während Flake ungerührt von seiner Verhaftung in den USA erzählt oder schildert, wie seine Band 46 000 Mark für Getränke aus der Minibar bezahlen sollte. So sieht es also aus, wenn die Scheinwerfer verloschen sind und die Band zum Bus stiefelt! Und so, wenn einer von Rammstein im kleinen Kreis Autogramme gibt!

Die Schlange im „Saalekiez“ reicht bis zur Eingangstür.


Samstag, 16. Dezember 2017

Internet am Ende: Klappe zu, Zukunft tot



Aus dem offenen Internet der Vergangenheit ist durch die Megakonzerne ein System aus geschlossenen Netzwerken geworden. Die Freiheit ist online auf dem Rückzug

Als Mark Zuckerberg vor 15 Jahren den Programmcode für Facemash schrieb, wäre vielleicht noch etwas zu retten gewesen. Doch als Zuckerberg dann in einer Februarnacht des Jahres 2004 Facebook anschaltete, war es zu spät. Der 19-jährige Programmierer, kein besonders ehrlicher Mensch, kein besonders beliebter und auch keiner, der seinen Kommilitonen bis dahin besonders positiv aufgefallen wäre, hatte die Welt ein für allemal verändert. Und das, was wir bis heute "Internet" nennen, wirksam zerstört.

Denn seit Facebook seinen Erfolgszug angetreten hat, ist nichts mehr wie vorher. Sollte das www, wie das Internet eigentlich richtiger genannt werden müsste, ursprünglich ein Ort sein, an dem alle Informationen für jedermann frei zugänglich sind, miteinander verbunden durch Trillionen von Querverweisen, so setzte mit der Geburt von Zuckerbergs Baby ein anderer Trend ein. Statt einer offenen, weiten Landschaft, durch die jeder gehen konnte, gern auch anonym und unerkannt, wurden nun Burgen gebaut, Schlösser und Städte, in denen nur angemeldete Besucher geduldet werden. Manchmal ist, wie beim Kurznachrichtenportal Twitter, reinschauen noch erlaubt. Andere Netzwerke aber schotten sich komplett ab.

In ist, wer drin ist. Wer draußen steht und neugierig guckt, der möge sich anmelden, seine Kreditkartendaten hinterlegen und dann erst darf er mitmachen.

Ein Konzept, das nicht auf freien Fluss von Informationen zielt, sondern auf die Vermarktung von Daten und die Monetarisierung von Inhalten. Wer seine Kunden so gut kennt wie Facebook, Google, LinkedIn oder Twitter, der kann Werbepartnern maßgeschneidertes Publikum für ihre Kampagnen bieten. Die geben ihre Budgets dann mit dem ruhigen Gewissen aus, genau die Zielgruppe zu treffen, der sie ihre Produkte verkaufen wollen.

Das offene Netz mit seiner wabenartigen Struktur kann da nicht mehr mithalten. Auch hier schon strömte immer alles auf den größten Haufen, damals bei Yahoo, bei Myspace oder ICQ. Doch so mächtig wie die drei großen westlichen Webkonzerne Google, Facebook und Amazon und ihre asiatische Konkurrenz von Alibaba, Samsung, Tencent und Baidu waren in der Geschichte der Menschheit noch nie einzelne private Unternehmen.

War früher der Internet-Browser das Tor zu allen Diensten im Netz, so braucht es seit der Erfindung der App selbst den nicht mehr. Statt offener Türen in alle Richtungen hat das neue soziale Netz nur noch eine Öffnung - die zum Angebot des Herstellers der App, die nichts anderes ist als die Lesezeichen, die Menschen früher in eine Browserleiste legten. Nur dass sie jetzt den Desktop belegen und Nutzer dazu erziehen, das anzuklicken, was da ist, und nicht nach Dingen zu suchen, die es nicht sind.

Das Internet wird nach Ansicht des US-Forschers André Staltz so zum "Trinet": Suchen bei <>, Kaufen bei Amazon, Unterhalten bei Facebook. Google und Facebook zusammen erzeugen heute 70 Prozent des Datenverkehrs in Nordamerika, dazu kommt das Netzkino Netflix und Amazons Kinodienst prima. Das Internet mit seinen unzähligen Quellen ist, verglichen mit der Menge an Daten, die heute aus den Clouds der großen Tech-Konzerne abgerufen werden, nur ein winziger Zwerg, der kaum noch relevant ist.

Schuld sind die Nutzer, die Freiheit für Bequemlichkeit opfern. Am besten zu sehen ist das bei Facebook, das für viele kein Netzwerk aus zufälligen Einträgen und einer geheimnisvollen ordnenden Hand ist, sondern ein Informationsmedium. Etwa ein Drittel der Klicks auf Links hier bleibt innerhalb der Facebook-Welt hängen - Facebook-Nutzer verweisen auf Facebook-Posts, auf komplette eingestellte "Instant Articles" oder Bilder. 


Weil aber ohne die großen Netzwerke, vor allem ohne die Klickmaschine Facebook noch weniger Aktivität draußen ankäme, müssen Angebote aus dem noch freien Teil des Internets ihre Inhalte zwangsläufig in den Facebook-Katalog einstellen, weil hier die Zuschauer und Leser sind, die man auf seine eigenen Angebote hinweisen möchte. Reicht denen dann die zweizeilige Ankündigung einer Nachricht als Nachricht, profitiert nur Facebook vom eingestellten Teaser.

Das, was früher einmal das Internet war, eine Party, auf der jeder mittanzen durfte, der eine Idee hatte, für die sich viele Menschen begeistern ließen, wird so zu einer geschlossenen Veranstaltung, die sich im Trinet der Giganten abspielt. Dorthin fließt deshalb auch der Löwenanteil der Werbegelder, dort werden Gewinne eingefahren, deren Höhe es jedem Wettbewerber unmöglich macht, auf Augenhöhe aufzuschließen. Klappe zu. Und Zukunft tot.


Fefe beschreibt, wie weit der Einfluss von Google wirklich reicht

Sonntag, 26. November 2017

Ostrock und die Stasi: Der Feind mit der Klampfe


Der Staatssicherheit waren sie schon von Berufs wegen verdächtig - kaum irgendwo sonst wurde angestrengter überwacht und spioniert als im Milieu der Rock- und Popmusik des Arbeiter- und Bauernstaates. Ostrocker wurden so zu Opfern, aber auch zu Tätern.


Zumindest Kurt Hager war die Situation nicht geheuer. "Wie ich Dir schon sagte", schrieb der Kulturverantwortliche des SED-Politbüros Anfang April 1984 an Stasichef Erich Mielke, "haben sich durch die Ablehnung der Reisefähigkeit einiger auch international einsetzbarer Gruppen Probleme auf dem Gebiet der Rockmusik ergeben". Hager forderte Konsequenzen. "Wir müssen in dieser Frage großzügiger sein", mahnte er Mielke. Die "unterschiedliche Behandlung der Rockgruppen" führe zu einer Situation, "in der wir mit diesen Gruppen schwierige Auseinandersetzungen bekommen".

Schlechte Stimmung nach BAP


Die Stimmung in der DDR-Rockszene Mitte der 80er Jahre war so schon schlecht genug. Eine geplante DDR-Tour der BRD-Gruppe BAP, von der die DDR-Szene sich insgeheim eine weitere Öffnung erhofft hatte, war nach einem Streit um einen kritischen Liedtext abgesagt worden. Das erste Gastspiel des Hamburger Sängers Udo Lindenberg hatte nahezu ausschließlich vor handverlesenem Publikum stattgefunden, eine bereits angekündigte Tour ließen die DDR-Verantwortlichen anschließend still sterben. Der Bluesmusiker Hansi Biebl reiste in den Westen aus. Ausreiseanträge hatten auch Hans-Joachim Neumann, Chef von "Neumis Rock-Circus", die Sängerin Angelika Mann und der Gitarrist Udo Weidenmüller gestellt. Und die Wunden, die der Weggang einer ganzen Künstlergeneration mit Leuten wie Veronika Fischer, Manfred Krug oder Nina Hagen gerissen hatten, brannten immer noch. Kurz:

Die Situation war mal wieder ernst. Im Politbüro, wo man sich seit Anfang der 60er Jahre immer wieder auch mit dem ungeliebten Phänomen Popmusik auseinandergesetzt hatte, verteilte Erich Mielke am 24. April höchstpersönlich die neueste "Information über die Ergebnisse der Überprüfung der Reisefähigkeit von Rock-Musikformationen der DDR in das nichtsozialistische Ausland". Schlechte Nachrichten. Von 500 Amateurgruppen und 85 professionell arbeitenden Rockbands attestierte die Staatssicherheit ganzen sechs die uneingeschränkte Reisefähigkeit. Namhafte Gruppen wie City, Silly, Prinzip und Wir mussten daheim bleiben, obwohl sich, wie Kurt Hager zuvor noch an seinen Politbüro-Kollegen Mielke geschrieben hatte, "die leitenden Genossen des Ministeriums für Kultur für die Gruppen einsetzen und Gastspielangebote aus dem NSW vorliegen".

"Politisch negative Haltung"


Doch das hatte die besseren Argumente: Silly-Sängerin Tamara Danz unterhalte Verbindungen zu Personen, die die DDR illegal verlassen hätten, sie habe im übrigen eine politisch unzuverlässige Gesamthaltung und stelle ihre Wohnung für Treffen von Westberliner Bürgern mit politisch-negativen DDR-Bürgern zur Verfügung, teilte das Organ mit. Citys Toni Krahl habe ebenso wie Bassist Manfred Henning "eine politisch-negative Haltung zur DDR", er sei außerdem wegen staatsfeindlicher Hetze vorbestraft. Der City-Lichttechniker Rolf J. sei "1991 Nichtwähler" gewesen und pflege Beziehungen zu einem im Westen gebliebenen Techniker der Gruppe Kreis. Von Wir-Sänger Wolfgang Ziegler wußte man, dass er gegen die Zollbestimmungen verstoßen hatte, über Silly-Techniker Alfons D. lag der Hinweis vor, "wonach er nach Möglichkeiten sucht, die DDR ungesetzlich zu verlassen". "Die hatten immer Informationen abrufbar", ist sich City-Chef Toni Krahl heute sicher, "da konnten sie jeweils das hernehmen, was sie für einen Dämpfer politisch für nötig hielten."

Dann konnte auch Hager nichts mehr machen. Der Kessel blieb zu. Und der Druck stieg. Die Staatssicherheit aber war auf der Hut. Und Rockmusiker waren Mielkes Männern schon von Berufs wegen verdächtig. Langhaarig, erfahrungsgemäß häufig einer "feindlich-negativen Haltung" verdächtig und zu keiner Institution richtig dazugehörig - das passte nicht in den ordentlichen kleinen Sozialismus der DDR. Also durften Künstler wie Karat-Sänger Herbert Dreilich und Renft-Chef Klaus Jentzsch, Karussell-Bassist Claus Winter oder City-Sänger Toni Krahl zwar einerseits zu "gesellschaftlichen Höhepunkten" wie den Weltfestspielen und "Rock für den Frieden" in die Saiten greifen, andererseits aber wurden sie wie Feinde des System unter Beobachtung gehalten. Ein "zweiter Fall Biermann, ein zweiter Fall Renft-Combo", lautete die Devise, müsse unter allen Umständen verhindert werden.

Biermann und Renft verhindern


Ein zunehmend schwieriger werdendes Vorhaben. "Vorliegenden Hinweisen zufolge", meldete die Stasi ihrem Minister im Jahr 1983, "steigt die Anzahl der Rockformationen ständig an. Das erschwert eine sorgfältige Auswahl und Überprüfung der Personen erheblich." Außerdem läge, empört sich der zuständige Offizier, bei zentralen staatlichen Stellen keine "zentrale personelle Übersicht" über die Mitglieder der Gruppen vor. Es fehlten insgesamt Kader- und andere Unterlagen, aus denen die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung der einzelnen Gruppenmitglieder ersichtlich sei. "Daraus resultiert eine nicht ausreichende einheitliche staatliche und gesellschaftliche Einflussnahme, Erziehung und Kontrolle der Gruppenmitglieder".

Zumal, wie der Potsdamer Musikwissenschaftler Peter Wicke bestätigt, "kein homogener Apparat über dieser Art Kultur thronte". Ganz im Gegenteil vertrat meist ein "ganzes Geflecht von Leitungsinstanzen und Kommissionen sehr unterschiedliche Ansichten". So konnte es durchaus vorkommen, daß das Ministerium für Kultur die Produktion einer Platte genehmigte, deren Sendung im Rundfunk von der Kulturabteilung des SED-Zentralkomitees verboten wurde, noch ehe die Platte fertig war. Auch kam es vor, daß Gruppen in bestimmten Städten oder Bezirken Auftrittsverbot hatten, sie gleichzeitig aber im staatlichen Fernsehen spielen durften.

Auftrittsverbot, aber Fernsehauftritte


"Einheitliche politische Orientierungen werden bisher nicht genügend erarbeitet", hieß das dann bei den Männern des MfS. Eine Klage, die die Stasi von Anfang an führte. Seit den frühen 60er Jahren hatten junge Leute, die inspiriert von den Beatles und den Rolling Stones irgendwo Rock'n`Roll oder Beat spielten, immer wieder für Ärger gesorgt. Beatmusik galt als Werkzeug des Klassenfeindes, ja, als "Splitter des Pfahles im Fleisch des Sozialismus" , wie es in einer Akte geheimnisvoll heißt.

Kulturdarbietungen wie die der "Diana-Show-Band", die in Tigerfelle gekleidet "wildes Remmidemmi" (Junge Welt) zu machen pflegte, passten nicht in die Landschaft. Nach einer kurzen Phase der Öffnung für die neue Mode aus dem Westen, in der eine Beatles-Platte bei Amiga erscheinen und die FDJ eine "Gitarrenmusikbewegung" initiieren durfte, übernahmen bald wieder die Hardliner das Kommando.

Wie Dokumente aus dem SED-Parteiarchiv belegen, war der Kurswechsel langfristig vorbereitet worden. Schon 1964 ließ sich der damalige SED-Sicherheitschef Erich Honecker regelmäßig eine Aufstellung der "sicherheitsrelevanten Vorfälle bei Beat-Veranstaltungen" erarbeiten, in der jedes zu Bruch gegangene Bierglas und jeder wegen zu langer Haare "aufgegriffene" Jugendliche penibel aufgelistet wurde.

Harte Rhythmen staatsgefährdend


Nach dem berüchtigten 11. Plenum des ZK der SED im Dezember "gaben wieder die Sicherheitsorgane die ästhetischen Maßstäbe vor", meint Rockforscher Peter Wicke, "und nach deren Meinung waren harte Rhythmen nun mal eine staatsgefährdende Übung". Doch was man anfangs noch verbieten oder mit Polizeigewalt niederknüppeln konnte, ließ sich nie völlig vernichten. "Jede verbotene Band kehrte unter anderem Namen zurück", beschreibt Wicke, "und auch die Fans entwickelten immer neue Selbstbehauptungsstrategien." Rückzugsgefechte um Haarlängen, Bekleidungsmode und Sprachregelungen kündigten die Kapitulation des Systems an. "Da offensichtlich Beat-Formationen differenzierten Bedürfnissen unserer Jugend entsprechen", vermerkt ein Papier des Kulturministeriums, könne man mit Verboten nicht mehr arbeiten.

"Es kommt vielmehr darauf an, die jugendgemäße Tanzmusik weiterzuentwickeln". Angesichts der Gefahr, die man in den "zumeist unkontrollierten Aktivitäten zahlreicher Gruppen" und einer "Wirksamkeit, die sich nicht in Übereinstimmung mit unserer Kulturpolitik befindet" sah, setzte die DDR-Führung verstärkt auf Eingliederung. Jugendliche Musik ja, aber gepflegt muss sie sein. "Niemand hat etwas gegen eine gepflegte Bittmusik", verkündete nun auch Staats-und Parteichef Walter Ulbricht, der kurz zuvor zum Schrecken aller Rockfans noch öffentlich gefragt hatte: "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Muss man denn dieses Yeah, Yeah, Yeah nachmachen?".

Immer dieses yeah, yeah und yeah


Erst, als es nicht mehr anders ging, taute das Eis, Rock durfte hoffähig werden. Die Staatssicherheit allerdings redete immer ein Wörtchen mit. In kaum einem anderen Lebensbereich der DDR wurde angestrengter überwacht und ausgiebiger spioniert als in der DDR-Rock- und -Liedermacherszene. "Je ausgeprägter die ästhetischen Ressentiments gegen eine bestimmte Art Musik", sieht Wicke einen direkten Zusammenhang, "umso größer wurde die staatsgefährdende Wirkung eingeschätzt." Überall witterte das MfS Gefahr, überall hatte es seine Männer sitzen: In Singeclubs und hinter den Schlagzeugen, in Bandbüros und bei den Konzert- und Gastspieldirektionen, bei der Plattenfirma Amiga und in den Radiosendern.

"Schlüsselpositions-IM Rose" und GMS "Erika", IMS Peters, IM Höhne und unzählige andere besorgten Textabschriften, ehe die Lieder eingespielt wurden, Männer wie der spätere ORB-Moderator Lutz Bertram, der Liedermacher Gerhard Gundermann oder auch die "Firma"-Sängerin Tatjana meldeten diffuse Stimmungsschwankungen in den Gruppen weiter und informierten über illegal aus dem Westen eingeschmuggelte Verstärkertechnik.

"Biet" statt Beat


Und überall kamen die Männer von der Sicherheit, die noch 1974 gelegentlich "Biet" statt "Beat" schrieben und die Wirkung der gleichnamigen Musik einem "aufreizenden Rhythmus, der unter Nutzung modernster elektronischer Mittel in Überlautstärke dargeboten wird" zuschrieben, zu spät. Phänomene wie das des Fans, der seiner Lieblingsband zu jedem Auftritt nachreist, bemerkte man erst, als die Fans als schon als "sogenannter Anhang" von 100 bis 150 Personen "überregional in Erscheinung" traten.

Und auch da versteht das Ministerium noch nichts: "Regelrechte Anführer oder Organisationen sind bislang nicht bekannt", heißt es in einem Bericht über das "rowdyhafte, negative, asoziale und dekadente Verhalten" der DDR-Rockfans anno 1974 verwundert. Die Rockmusiker in der DDR waren sich durchaus über ihre seltsame Lage im Klaren. Zwischen Verbot und Vereinnahmung, Fallenlassen und Fördern, Kriminalisierung und Kooperation, so Peter Wicke, "vollführten sie eine komplizierte und risikoreiche Gratwanderung".

Rocker auf Gratwanderung


Einerseits die Ansprüche des Publikums, das sich an westlichen Rockbands orientierte, andererseits eng beschränkte Möglichkeiten, an Bühnentechnik, Plattenverträge und Medien Auftritte zu kommen. Dazu die Auflagen, Erwartungen und Instrumentalisierungsabsichten des SED-Apparates, der nie verstand, worum es bei Rockmusik eigentlich ging - Rockmusiker in der DDR war auch ein Diplomatenjob. Einer der "Diplomaten" war Puhdys-Keyboarder Peter Meyer. Unter dem Decknamen "Peter" lieferte er ab 1973 "Informationen zu Personen und Sachverhalten", wie es im Abschlussbericht der Hauptabteilung XX heißt. Mit zunehmenden Erfolgen und der damit verbundenen häufigen Gastspieltätigkeit seiner Rockgruppe im NSW sei dann allerdings eine kontinuierliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich gewesen.

Meyer, der nach der Wende bekundete, nur im Auftrag seiner Kollegen mit dem MfS gesprochen zu haben, wollte wohl auch nicht mehr. Die Puhdys hatten alles erreicht. Das MfS konnte ihnen nicht mehr helfen. "In den Mittelpunkt seiner Ausführungen bei Treffs rückten persönliche Probleme, vor allem zur Reisefähigkeit von Gruppenmitgliedern", klagt Meyers Führungsoffizier. Dadurch habe der IM nur noch "wenig operativen Wert". Achtzehn Tage nach dem Mauerfall wird Meyer "abgelegt". Der Großteil seiner Akte wurde vernichtet. Die Empfehlung der Staatssicherheit, daß "gesellschaftlich und künstlerisch nicht genügend geeignete Rockmusikformationen" einer "anderen gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit zugeführt" werden sollten, konnte nicht mehr in die Praxis umgesetzt werden.



Donnerstag, 9. November 2017

DDR-Klassiker zum Mauerfall: Damals hinterm Mond


Lach- und Sachgeschichten aus einer DDR, wie sie vielleicht gewesen sein könnte. Auf jeden Fall viel lustiger als das Original. Und heute schon ein Klassiker der Erinnerungsliteratur.

Es ist nicht viel passiert damals, ehrlich gesagt. Bisschen Einschulung, bisschen erste Freundin. Bisschen Sex, bisschen Schulhof-Geschubse, bisschen FDJ. Erste Gitarre, erste Zigarette. Erster schwerer Kopf auch. Ansonsten Pickel, Sorge um den Weltfrieden, Sportunterricht. Und all das nachmittags auf der Parkbank gemeinsam bequatschen, bis es zu einem sämigen Brei gekaut war.

Es gibt nicht viel zu berichten aus dieser Zeit, damals hinterm Mond, im ersten sozialistischen Arbeiter-und Bauernstaat DDR. Jakob Hein aber erzählt es mit großem Talent und bemerkenswerter Hingabe an skurrile Details. "Mein erstes T-Shirt", das bereits 2003 erschienene Debütbändchen des an der Berliner Charité praktizierenden Psychiaters, ist eine Art "Sonnenallee" für die Kinder der 80er Jahre, dieser "grauen Zeit" (Hein) mit ihrer "schrecklichen Musik".

Seltsame Zeiten zwischen "Tatort" im Westfernsehen und sturmfreier Partybude waren das, mit heutigen Maßstäben fast nicht zu fassen. Das T-Shirt war selbstverständlich ein Nicki damals hinterm Mond, der Sportlehrer schmiss mit einem fetten Schlüsselbund nach schwatzenden Schülern und die Staatssicherheit bezahlte das Bier.

In lakonischen Sätzen geht der gebürtige Leipziger auf Entdeckungstour in der Erinnerung, und was ihm dabei unter die Schreibmaschine geraten ist, verdient durchaus das Prädikat "amüsant und unterhaltsam". Hein, ein guter Freund des gefeierten "Russendisko"-Autoren Wladimir Kaminer, bleibt bei der Wahrheit in seinen kurzen Storys. DDR-Jugend pur gibt es hier, ungeschnitten und ohne Overdubs: Die Suche nach dem Netzhemd zum Über-den-Pullover-Ziehen wird beschrieben, die Jagd auf geeigneten Alkohol für ein Privatbesäufnis im Kinderzimmer.

150 Seiten lang schichtet der 30-Jährige kurze Sätze zu knochigen Geschichten zusammen, die nie "so war das" krähen oder sich prustend auf die Schenkel klopfen. Jakob Hein ist wie ein Thomas Brussig ohne dessen ausgestellte Nettheit; wie ein Jörg Mehrwald ("Bloß gut, dass es uns noch gibt") ohne dessen zuweilen gezwungen wirkende Komik.

Komisch waren wir schließlich selber, damals hinterm Mond. Beim Schulhofappell und im Wehrkundeunterricht, als Befreiungskartenschreiber für Angela Davis und als Udo-Lindenberg-Fans. Jakob Hein nun muss nicht viel mehr tun als Atmosphäre schaffen und seine Geschichten mit den unerlässlichen Details ausstaffieren: Ein Lolli-Lutscher hier, ein Schimpfwort dort -und stickum ist die Community der ehemaligen Diskojeans-Träger und "Duett - Musik für den Rekorder"-Hörer unter sich.

Ein Ostbuch ist das, zweifellos, und im Duktus eine Mischung aus "Fänger im Roggen" und Ottokar Domma zudem. Jakob Hein, von Kaminer als "geheimnisvoller Mensch" beschrieben, der in der DDR "wie so viele andere auf beiden Seiten der Barrikade kämpfte", erklärt nicht, er setzt voraus. Dass seine Leser wissen, was die "Poesiealbummode" war. Dass der Name der Fernsehsendung "Gixgax" eine Saite in ihnen zum Schwingen bringt. Und dass sie noch wissen, wie das gewesen ist: In der Annahmestelle für Sekundärrohstoffe zu stehen und unter den gestrengen Blicken des staatlich bestallten Altstoffwartes Aluminiumringe von leeren Schnapsflaschen abknaupeln zu müssen. Im Dienst von Frieden und Völkerfreundschaft auch noch, streng genommen.

Anders Sozialisierte müssen da zwangsläufig draußen bleiben. Kein Chance für sie, Heins gallige Erklärungen für "sozialistischen Realismus" oder den pubertären Leistungsknick nachzuvollziehen. Vielleicht aus diesem Grund sind zwischenrein einige Geschichten gestreut, die einen Arm bis ins Heute strecken.

Mittwoch, 1. November 2017

Der kleine King: Brennender Zorn


Stephen Kings Sohn Joe Hill tritt im zehnten Jahr als Schriftsteller mit seinem neuen Endzeit-Thriller "Fireman" aus dem mächtigen Schatten seines Vaters.

 Die große Seuche frisst sich durch die Gesellschaft. Hartnäckig und in einer Geschwindigkeit, die immer noch ein wenig Hoffnung lässt, erobert die Spore Dragonscale Amerika: Menschen bekommen zuerst einen schwarz-goldenen Ausschlag, dann beginnen sie zu qualmen und zu rauchen. Und schließlich gehen sie mir nichts, dir nichts in Flammen auf. Was für ein Quatsch!

Und wie fesselnd Joe Hill ihn in seinem neuen Thriller "Fireman" aufschreibt! Aus der bisher vielleicht hanebüchenensten Variante der ewig jungen Weltuntergangsgeschichte macht der 44-jährige Amerikaner ein abenteuerliches Fantasy-Spektakel, das Fans der Altmeister Stephen King, Peter Straub und Richard Laymon begeistern wird. Ein Wunder ist das nicht, denn hinter dem Pseudonym Joe Hill verbirgt sich niemand anders als Joseph Hillstrom King , der älteste der zwei Söhne des Schriftstellerehepaares Tabitha und Stephen King. Joseph King hat vor 20 Jahren seine erste Kurzgeschichte veröffentlicht, damals gleich unter falschem Namen, um nur an den eigenen Leistungen gemessen zu werden. Vor zehn Jahren dann legte King jr. mit "Blind" seinen ersten Roman vor, eine irre Horrorfantasie um einen vom Ruhm und der Welt angeödeten Rockstar, der aus lauter Langeweile im Internet einen Geist kauft und sich damit eine Menge Ärger einhandelt.



Hill, der es auch danach noch vermied, öffentlich als des Horrorkönigs Sohn für sein Buch zu trommeln, schaffte es, den miesen, unsympathischen Schmock im Verlauf der Handlung zum Sympathieträger werden zu lassen. "Blind" war kein billiger Trash-Horror aus Pappmaché, sondern intelligente Unterhaltung. Das Buch heimste Preise ein und wurde zu einem Bestseller, der nach Ansicht von Kritikern keinen Vergleich mit den Klassikern des Vaters scheuen muss. Der Unterschied ist: Joe Hill schreibt zwar nicht kürzer, aber langsamer. Wo Daddy in den letzten zehn Jahren elf Romane vorgelegt hat, kommt der Sohn nur auf vier, unter denen das aktuelle "Fireman" die deutlichsten Anleihen beim großen Erbe des Vaters nimmt. Dessen "The Stand", zu deutsch "Das letzte Gefecht", Ende der 70er Jahre mitten hinein in die allgegenwärtige Atomkriegsangst geschrieben, steht bei der Geschichte um eine Gruppe Überlebender der geheimnisvollen Sporeninfektion Pate, die Joe Hill anfangs im Breitwandformat, später aber immer mehr auf Kammerspielbesetzung zusammenschnurrend erzählt.

Im Mittelpunkt steht einerseits der "Fireman" John Rookwood, eine wunderliche Figur, die in friedlicher Symbiose mit ihrer Sporeninfektion lebt. Andererseits ist da die schwangere Krankenschwester Harper Grayson, die mehr und mehr zur wahren Heldin der Geschichte wird. Joe Hills Trick in Zeiten, in denen Zombie-Storys in Buch und Film boomen: Bei ihm sind die Infizierten die Normalen, Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation hinter dem Ende der gewohnten Welt plötzlich nicht nur mit der Frage konfrontiert sehen, wie sie am es schaffen können, zu überleben. Sondern sich auch noch mit denselben Problemen auseinandersetzen müssen wie vorher im zivilisierten Alltag der USA von heute. Wo beginnt freiwillige Einsicht in eine Notwendigkeit? Wo endet die Freiheit? Wann wird Machtgier pathologisch und ab wann führt Gruppenzwang in den kollektiven Untergang?

Die rätselhafte Seuche, der Joe Hill im Verlauf der Handlung sogar eine recht nachvollziehbare wissenschaftliche Begründung verpasst, ist hier einerseits Anlass für eine zumindest streckenweise actionreiche Handlung. Andererseits verweist sie wie eine Chiffre auf aktuelle Auseinandersetzungen in der amerikanischen Gesellschaft, in denen sich die gesamte King-Sippe mehrfach deutlich gegen den neuen Präsidenten Donald Trump positioniert hat. Wo der Zorn erst einmal brennt, gibt es kein Vergeben. Einlullende Glückseligkeit hingegen, die sich weigert, offenkundige Probleme wahrzunehmen und zu diskutieren, führt am Ende immer zur Herrschaft derjenigen, die keine Skrupel haben, sich die Situation zu nutze zu machen. Klingt, als sei der "Fireman" ein Wanderprediger des Guten. Aber das täuscht natürlich.

Joe Hill ist kein Autor nachdenklicher Betrachtungen über Rolle und Bedeutung von Toleranz und Mitmenschlichkeit in Zeiten des Untergangs, sondern ein rasanter Erzähler. Zwar mutet seine postapokalyptische Welt verglichen mit Cormac McCarthy's "Die Straße" oder Justin Cronins "Der Übergang" an wie das niedliche Sommerferienlager, in dem sich Harper Crayson, der Fireman, die Familie Storey und die übrigen Überlebenden verstecken. Doch wie sein Vater verfügt Hill über einen untrüglichen Sinn für erzählerischen Rhythmus. Er schreibt schnell und langsam und erzeugt so einen Sog, der seine Leser im Handumdrehen in den Bann schlägt.

Joe Hill, Fireman, Heyne, 960 Seiten, 17,99 Euro

Montag, 23. Oktober 2017

Billy Corgan: Was vom Ruhme übrig blieb


Billy Corgan von den Smashing Pumpkins lässt ab vom Pomp und singt akustisch.


Rick Rubin hat die Zauberformel. Schon Giganten wie Johnny Cash und Neil Diamond verdankten dem zauselbärtigen Produzenten ein zweites Leben in der Hitparade. Rubins Methode ist einfach: Er setzt die Künstler mit seiner Gitarre vor ein Mikrofon. Und lässt sie machen, was sie am besten können.

William Patrick "Billy" Corgan, in seinem früheren Leben als Chef und Sänger der Grunge-Ikonen The Smashing Pumpkins bekannt, dachte immer, es sei sein Talent, Rockmusik von voluminöser Größe zu schaffen. Die Alben "Siamese Dream" und "Mellon Collie and the Infinite Sadness" entstanden vor mehr als 20 Jahren, definierten die damals gerade weltweit erfolgreiche Grunge-Musik anders als das Kurt Cobain mit Nirvana tat.

Statt atemlosem Drauflosgebolze bevorzugte Corgan, Sohn eines Gitarristen aus Chicago, opulente Klänge, vielschichtige Arrangements und ausufernd lange Lieder. Spätestens nach dem "Mellon Collie"-Album hatte er das Sgt. Pepper-Zeitalter des Grunge eingeläutet. Er sang nun gern von Gott, zerstritt sich mit Kollegen und Plattenfirmen und löste die Pumpkins schließlich sogar auf, um unter dem Bandnamen Zwan noch einmal neu aufzufangen.

Was damals und auch mit dem ersten Solo-Album im Jahr 2005 nicht gelang, weil die neue Band allein schon durch Corgans patentierten Sound zu sehr nach Smashing Pumpkins klang, könnte jetzt mit dem "Ogilala" genannten Soloalbum des 50-Jährigen klappen. Das hat Corgan unter dem Künstlernamen WPC - für William Patrick Corgan - veröffentlicht, als wolle er nicht wiedererkannt werden.

Das aber fällt nicht schwer. Zwar sind die elf Stücke hier nicht mehr vom pompösen Rock der Vergangenheit geprägt, sondern nähern sich der stillen Phase an, die die Pumpkins rund um das 1998 erschienene Album "Adore" hatten.

Doch so sanft Corgan klingt, begleitet fast ausschließlich von akustischer Gitarre und Klavier, so nachdrücklich schiebt sich ins Bewusstsein zurück, welch unglaubliche Ausstrahlung der glatzköpfige Riese haben kann. Gerade, wenn er wie hier auf große Effekte verzichtet.

Mittwoch, 6. September 2017

American War: Erst wird es immer schlimmer

Gedenken an den ersten Bürgerkrieg: Auf dem Schlachtfeld von Gettysburg finden die Familien von Tausenden gefallenen Soldaten des Nordens und des Südens bis heute einen Ort, an dem sie ihrer Toten gedenken können.

Der in Ägypten geborene Omar El Akkad hat die aktuellen Weltkonflikte in die USA verlegt und mit „American War“ ein packendes Buch über den Untergang geschrieben.


Das kleine Mädchen lebt am Rande dessen, was vom Amerika unserer Tage übriggeblieben ist. Der Süden Louisianas ist klein geworden. Die wegen der Klimakatastrophe steigenden Ozeane haben Land weggeknabbert, der Einmarsch der Mexikaner hat die einstige USA Fläche gekostet. Und dann ist da natürlich der wie unter Quarantäne dahinsiechende Bruderkrieg mit dem Norden, ausgebrochen, als die Bundesregierung ein allgemeines Verbot von Verbrennungsmotoren verfügt hatte, gegen das die Südstaaten aufstanden wie damals, als Washington ihnen die Sklaverei untersagte.

Wir schreiben das Jahr 2074 und wie folgerichtig bricht in Omar El Akkads gefeiertem Bestseller „American War“ ein zweiter amerikanischer Bürgerkrieg aus. Noch ungleicher sind die Kräfte verteilt als beim ersten Mal zwischen 1861 und 1865, und nach ein paar Monaten schon stehen nur noch Mississippi, Alabama und Georgia zur Fahne der Roten. Sie beharren auf ihrem Selbstbestimmungsrecht, und koste es die ganze Welt das Leben.

Sarat Chestnut weiß von all dem wenig, denn sie ist mitten in den Konflikt hineingeboren worden, Die USA sind nicht mehr Führungsnation der freien Welt, sondern ein Ort aus Trümmern. Fern im Norden könnten noch Reste von Zivilisation sein. Doch hier unten im Süden gibt es nur Flüchtlingslager, halbwüchsige Selbstmordattentäter und die Angst vor Strafaktionen der verhassten Blauen, die die rebellische Bevölkerung von South Carolina bereits komplett ausgerottet haben.

Akkad, in Ägypten geboren und als kleiner Junge mit seinen Eltern nach Kanada geflüchtet, hat keinen „Roman für alle, die die Trump-Ära umtreibt“, geschrieben, wie die „Washington Post“ behauptet hat. Sein Buch geht tiefer und viel weiter, denn es funktioniert wie ein Gedankenspiel vor dem Spiegel. In der Welt, die er entwirft, ist alles seitenverkehrt, die Moral steht Kopf und aus dem kleinen Mädchen Sarat, das im Zusammenbruch aller Werte nach und nach fast ihre gesamte Familie verliert, wird über ein Jahrzehnt eine gefährliche Terroristin.

Es ist ein Zaunpfahl, mit dem der als Auslandskorrespondent im Jemen und in Pakistan erfahrene Omar El Akkad winkt. Unverkennbar sind die Parallelen seiner Geschichte zu den großen Weltkonflikten, die seit 2001 immer deutlicher fühlbar auch für die westlichen Demokratien toben. Camp Patience („Geduld“), wie Akkad das Flüchtlingslager nennt, in dem Sarat ihre Kindheit verbringt, gleicht den Lagern im Libanon und Jordanien.

Das von offiziellen Stellen des Nordens geduldete Massaker des selbsternannten 21. Indiana-Regiments an den Lagerinsassen ähnelt der Abschlachtung palästinensischer Zivilisten in den Lagern Sabra und Schatila Anfang der 80er Jahre.

Es hat dieselben Folgen. Unter der fürsorglichen Anleitung des ebenso weltgewandten wie undurchsichtigen Terroranwerbers Albert Gaines wird aus dem kleinen, verzweifelten Mädchen eine mit schierem Hass geladene Waffe. Der sich Joe, ein Außenagent des nahöstlichen Bouazzi-Reiches, das in Umkehr aller heutigen Umstände als Hort der Demokratie gilt, nur noch bedienen muss.

Eine frustrierende Welt ohne Lichtblicke, in der jeder Sieg über kurze Umwege in eine weitere Eskalation führt. Sarat tötet einen General des Nordens, der Norden verschärft die Strafmaßnahmen gegen den Süden. Die Terroristin landet in einem außergesetzlichen Gefängnis, das wie ein künftiger Bruder des vor 15 Jahren von den US-Streitkräften auf Kuba gegründeten Gefangenenlagers Guantanamo anmutet.

Isolation, psychischer Druck und körperliche Folter durch Waterboarding brechen sie schließlich, während draußen die Triebe eines möglichen Friedens sprießen: Auch der Süden, der nicht für Freiheit, Gleichheit oder Demokratie, sondern nur noch für sein Recht kämpft, nach eigenen Maßstäben starrsinnig sein zu dürfen, ist des ewigen Sterbens, des Mordens und Dahinvegetierens müde. Omar El Akkad hätte hier den Bogen bekommen können. Weg von der düsteren Dystopie, wie sie Michel Houellebecq in „Unterwerfung“ bis zum Exzess gemalt hat. Hin zu einem freundlichen Ende in Versöhnung.

Doch das wäre unrealistisch gewesen. Das Blut steckt denen in den Knochen, die es vergossen haben. Der Verrat, die Enttäuschung, das Wissen darum, dass alles von Anfang an vergebens war. Die Massaker von Sabra und Schatila, ausgelöst durch die Ermordung des libanesischen Präsidenten wenige Tage zuvor, waren für den Milizführer Elie Hobeika damals die Gelegenheit, seine Jahre zuvor durch die PLO ermordete Familie zu rächen. Die komplette Niederlage des Südens ist für Sarat Chestnut der letzte Anstoß, ihren eigenen Krieg mit einer letzten Attacke doch noch zu gewinnen.

Ehe es besser werden kann, muss es immer erst schlimmer werden, viel schlimmer.

Omar El Akkad: American War.
S. Fischer, 448 Seiten, 24 Euro,

Samstag, 24. Juni 2017

Kraftklub: Die Axt aus dem Osten


Im fünften Jahr nach ihrem Debütalbum schlägt die Erfolgsband aus Chemnitz auf „Keine Nacht für Niemand“ neue Töne an.

Links der Neubaublock aus alten Zeiten, daneben der Philosophenkopf, den die Einheimischen kurz „Nüschel“ nennen. Und davor die fünf Herren mit K, in weißen Polo-Shirts wie immer,  rote Hosenträger festgeschnallt und auf einer improvisierten Bühne versammelt. „Spring aus dem Fenster für mich“, singt Felix Brunner, der bei der Chemnitzer Rockband Kraftklub am Mikrophon steht und auch beim neuen Hit der fünf Sachsen zeigt, wie Ironie geht.

Natürlich singt die Menge, die zum Spontankonzert der Lokalhelden in die Brückenstraße gekommen ist, begeistert mit. Und natürlich ist es nicht wirklich ein Spontankonzert, das Felix Brunner, sein Bruder Till am Bass, die Gitarristen Karl Schumann und Steffen Israel und Drummer Max Marschk hier aufführen. Nein, Kraftklub feiern mit solchen Auftritten auf Straßen, in Hinterhöfen oder auf einem Lkw ihr neues, inzwischen drittes Album „Keine Nacht für Niemand“.

Raketenstart in Sachsen


Das muss so sein, denn Kraftklub sind fünf Jahre und drei Alben nach  ihrem Raketenstart aus Sachsen an die Spitze der Charts ein Top-Thema. Das Quintett spielt in einer Hit-Liga mit den Toten Hosen, Rammstein und dem Rostocker Rapper Marteria, spielt in ausverkauften Arenen und bekommt Einladungen zu den angesagtesten Festivals.

Daran war 2009, als der damals noch als Rapper auftretende Felix Brunner sich der Rockband seines Bruder Till anschloss, nicht zu denken. Die beiden Söhne des Künstlerehepaares Ina und Jan Kummer, das zu DDR-Zeiten mit der Avantgardegruppe AG Geige Furore gemacht hatte, zielten  eigentlich auch gar nicht auf den großen Pop-Markt. „Adonis Maximus“, die erste offizielle Veröffentlichung, vermählte Rap und Rock und unwiderstehliche Tanzbeats und ätzte böse gegen rundgelutschte Schlagerstars.  Mit der Anti-Metropolenhymne „Ich will nicht nach Berlin“ war es dann eben doch passiert. 20 Jahre nach den Prinzen hatte Sachsen wieder eine Top-Ten-Band.

Die sieht nun rot.  War das Debüt „Mit K“ noch ganz weiß gehalten, der Nachfolger „In Schwarz“ dann wie ein Negativbild ganz schwarz, so leuchtet der Streichholzaugen-Titel von „Keine Nacht für Niemand“ blutrot. Ein Zeichen, denn Kraftklub haben ihren musikalischen Horizont im dritten Anlauf entscheidend erweitert. Zu Punk und Hip Hop, Metal, TexMex und Glam-Rock-Riffs kommen diesmal Streicher, Beatles-Harmonien und  augenzwinkernde Verneigungen vor  Helden der Kraftklub-Musiker. Einer davon ist Sven Regener, Sänger und  Kopf der Band Element of Crime, deren fast zehn Jahre alter Song „Am Ende denk’  ich immer nur an dich“ hier nicht nur zitiert, sondern von Regener selbst mitgesungen wird.


Nachtvorstellung der Verrückten


Nicht der einzige Gast in dieser Nachtvorstellung der Verrückten, deren Titel auf das 45 Jahre alte Scherben-Album „Keine Macht für Niemand“ anspielt. Auch Wu-Tang-Clan Rapper Ol’ Dirty Bastard, die Britpopper Blur, Depeche Mode, die  Kumpels von Deichkind und Die Ärzte werden zitiert.

Und nachgemacht:  In „Dein Lied“, einer Ballade, in der ein enttäuschter Liebender seiner  Verflossenen hinterherheult,  heißt es provokativ „Du verdammte Hure, das ist dein Lied“. Geht gar nicht, schallte es augenblicklich von den Tugendwächtern der Popkultur, denen der Rollensong eindeutig zu weit ging, künstlerische Freiheit hin oder her. Felix Brunner hat die Vorwürfe ironisch gekontert. „Muss man bei seinen Texten immer eine Gebrauchsanweisung mitliefern?“, fragt er. Für ihn sei der Einsatz des Streichorchesters in einem Punksong mehr Provokation als die Verwendung eines Wortes, das ein betrogener Liebhaber durchaus auch im echten Leben verwenden könnte.

Erledigt. Mit dem Selbstbewusstsein seiner 27 Jahre räumt der gerade so noch in der DDR geborene Kraftklub-Texter die Vorwürfe so beiläufig ab wie seinerzeit die Kritik an der Kraftklub-Uniform aus Baseballjacken und Polo-Shirts. Kraftklub, die anfangs nie politisch sein wollten, sich später aber ganz entschieden gegen die Rock-Kollegen von Frei.Wild positionierten, sind heute die Axt aus dem Osten, die die Einsicht in die Notwendigkeit politischer Korrektheit grinsend in Stücke schlägt.

Rock kann nicht den Konsens suchen, wenn er richtig rocken will. Und ein Liedtext ist nicht immer das Seelenbild des Mannes, der ihn singt.

Kraftklub: Keine Nacht für Niemand, Vertigo Berlin

Samstag, 3. Juni 2017

Little Steven: Der kleine Boss mit dem Kopftuch


Er spielte schon mit Bruce Springsteen zusammen in einer Band, als den allenfalls ein paar Leute rund um Ashbury Park/New Jersey kannten. Als der spätere "Boss" sich an die Arbeit zu seinem dritten Album "Born to run" machte, holte er seinen alten Gitarren-Kumpel Steven Van Zandt dann in seine E-Street-Band - der Rest ist Rockgeschichte. 

Springsteen feierte Welterfolge, van Zandt, genannt "Little Steven", stand mit Gitarre und Kopftuch neben ihm, bis er sich Mitte der 80er entschloss, eine Solokarriere zu starten. Die führte den heute 67-Jährigen in große Hallen und kleine Säle, Little Steven trat als politischer Aktivist auf und versammelte neben Springsteen auch Lou Reed, Bono, Bob Dylan und Peter Gabriel als "Artists United Against Apartheid" um sich.

Musik aber machte er weiter, seit Mitte der 90er sogar wieder mit Springsteens E-Street-Band. Kein Wunder, dass "Soulfire", das eben erschienene siebte Solo-Album des zuletzt als Schauspieler in "Sopranos" und "Lilyhammer" erfolgreichen Mannes aus Massachusetts klingt, als hätte der Boss selbst Hand angelegt. 

Das kommt allerdings nicht davon, dass Little Steven Springsteen nachäfft, sondern eher daher, dass er den Sound seines alten Freundes über Jahre geprägt hat wie kein anderer Musiker. 

Wenn hier nun van Zandts "I'm coming back" klingt wie ein verschollenes Stück des Megastars, wenn die Bläser in "Soulfire" schwitzen und das schon 1977 mit dem Boss zusammen geschriebene "Love on the wrong side" vom Klavier eingeleitet wird, dann ist das großer, klassischer Stadionrock im Springsteen-Stil. 

Little Steven spielt mit seiner Band The Disciples Of Soul am 14. Juni auf der Parkbühne im Leipziger Clara-Zetkin-Park. Karten für das Konzert gibt es hier: mawi-concert.de

Mittwoch, 31. Mai 2017

Oldham singt Haggart: Ver­nei­gung vor einem Riesen



Country, wie er früher war. Der einmal zum Bonnie Prince Billy rückverwandelte Will Oldham wandert auf Merle Haggarts Spuren.

Neben Johnny Cash und Willie Nelson war Merle Haggard immer der leise, angenehme Typ, der ohne Schlagzeilen auskam und manchmal den Eindruck erweckte, er meine seine Dorftrottel-Hymne "Okie from Muskogee" ernst.

Das hat er nie getan. Viele andere Lieder hingegen schon - und die sind es, die sich Bonnie Prince Billy, der bürgerlich Will Oldham heißt und 33 Jahre jünger als der im vergangenen Jahr verstorbene Haggard ist, herausgesucht hat, um sie neu einzuspielen. Ein Vorhaben, mit dem sich nicht viel gewinnen lässt. Oldham ist zwar geadelt, seit Johnny Cash einen seiner Songs neu einspielte. Aber insgesamt blieb der Mann aus Kentucky stets zu eigensinnig in seinem musikalischen Ausdruck, als dass ihn das Mainstream-Country-Publikum wirklich hätte als einen der seinen adoptieren können. 

Insofern: Ein bisschen wie Haggard, der "Working man's poet", der im Gegensatz zu Cash Jahre im Gefängnis zugebracht hatte und wusste, wovon er sang. Oldham verzichtet hier darauf, Haggards Lieder zu modernisieren oder ihnen seinen Stempel aufzudrücken. Die 16 Songs werden respektvoll gespielt, sparsam instrumentiert und von Oldham beseelt gesungen.

All das Verstaubte, das Haggards Klassikern wegen ihrer Entstehungszeit bisweilen anhängt, bläst der stille Star des alternativen Country vorsichtig beiseite. Und unter der Patina der frühen Jahre, als Countrysänger Cowboyhut tragen mussten, dafür aber zur besten Sendezeit im Fernsehen liefen, kommen kleine, feine Kuschellieder zum Vorschein.

Samstag, 22. April 2017

Fischer-Z: Widerstand gegen den Wohlstand


Alles in allem sind es kaum elf Jahre gewesen, in denen John Watts den Namen Fischer-Z abgelegt und versucht hatte, unter seinem eigenen Namen an die großen Erfolge der 80er Jahre anzuknüpfen. Das gelang nicht, vielleicht auch, weil der studierte Psychologe sich nie dümmer stellte, als er ist.

Watts verband Liedermacherei und Rock, Pop und Multimedia, er reiste um die Welt und sang mit Musikern aller Kontinente, und bald schien es, als komme es ihm gar nicht mehr auf das Ergebnis seiner Bemühungen um neue Musik an, sondern nur noch um den Weg dorthin.

Aber natürlich ist der inzwischen 62-Jährige auch eitel. Wer mit Mitte 20 in Welthits wie "Marliese" und "Berlin" gezeigt hat, dass schwerer Inhalt und leichte Form bis an die Spitze der Charts klettern können, mag im Herbst seiner Karriere nur ungern dauerhaft in kleinen Klubs vor zwei Handvoll alten Fans auftreten. John Watts hat also den alten Bandnamen Fischer-Z aus dem Archiv geholt und eine neue Ära für die einstige New-Wave-Combo ausgerufen.

40 Jahre nach Bandgründung ist zwar außer ihm keines der Ursprungsmitglieder mehr dabei, aber Fischer-Z war schon immer ganz allein Watts' Baby, sein Sprachrohr, seine Stimme. "Building Bridges", bei ganz penibler Zählung wohl Album Nummer zwölf mit dem Schriftzug Fischer-Z auf dem Cover, unterstreicht den virtuellen Charakter dieser Formation durch den intimen Kreis, der es eingespielt hat. Neben Watts selbst ist da der Schlagzeuger und Percussionist James Bush, dazu Tochter Leila Watts und Mitproduzent Nick Brine als Backgroundsänger.

Ein Solowerk also, das in elf Songs hundert Prozent Watts bietet. Die zickige Gitarre ist hier, die Stimme wie eine überspannte Klaviersaite, die Bläsersektion aus dem Keyboard. Dazu kommen die Melodien, die immer an die großen Momente von "Cruise Missiles" und "The Worker" erinnern. Damals hatte Watts Politik und Beziehungskrisen in luftigen Pop gegossen, der dennoch wie ernsthafte Rockmusik gehört werden durfte.

Das versucht er hier wieder. "Building Bridges" startet mit abgeschlagenen Köpfen in Damaskus, blendet über auf Szenen aus der Finanzkrise, schimpft über den Mindestlohn und ruft die Besitzlosen zum Widerstand gegen den Wohlstand: "Die, die nichts haben, brauchen eine lautere Stimme!" Der weitgereiste Pop-Philosoph, allen Ehrgeizes ledig, sinniert öffentlich über die Leiden der Welt, über die Flüchtlingskrise und die alles zermalmende Kraft des Internets.

Gallig ist er dabei, die Stimme quengelt bei "Barbara Sunlight" ein höhnisches "heirate mich" und bei "Umbrella" verwandelt Watts "Paint it black" von den Rolling Stones in die Liebeserklärung eines alternden Mannes an ein junges Mädchen. "Shrink" ist dann ein Zwiegespräch des Sängers mit einem Alter Ego diesen Namens, in dem die verrückten Zeiten zu verrückter Musik beklagt werden. Watts darf das, denn er kann es, auch ganz allein.


Donnerstag, 2. Februar 2017

Carsten Mohren: Bis zum Ende leben


Im November vergangenen Jahres wusste Carsten Mohren, den seine Kollegen nur „Beathoven“ nannten, dass ihm nur noch kurze Zeit zu leben blieb. Mund- und Rachenkrebs im Endstadium, die Ärzte gaben dem Musiker mit den flinken Klavierfingern kein halbes Jahr mehr zu leben. Doch Carsten Mohren, aufgewachsen im Haus des Puhdys-Gitarristen Dieter Hertrampf, wollte trotzdem noch einmal raus, noch einmal auf die Bühne, noch einmal diese wilden, ekstatischen Konzerte spielen, für die seine Band Rockhaus bekannt war.

Also zogen sie los, die fünf Männer um Sänger Mike Kilian, die 1978 beschlossen hatten, erfolgreicher als die Puhdys zu werden. Carsten Mohren, schmal geworden und geschwächt von seiner Krankheit, stand mit dicker Brille auf der Bühne, er schmunzelte oft und spielte doch, als ob nichts gewesen sei: Ein Klavier bei „Parties“, das Schifferklavier bei „Blutrot“ und die Kirchenorgel bei „I.L.D.“. Rockhaus waren, knapp 40 Jahre nach der Gründung, 30 nach ihrem größten Erfolg mit dem Album „I.L.D.“, 20 Jahre nach der Auflösung und zehn nach dem Comeback zurück im Glück, mit vollen Hallen und Zusatzkonzerten.

Für Carsten Mohren, der immer auch als Komponist, Produzent und Toningenieur etwa für die Puhdys, Karat, Dirk Michaelis und Regina Thoss gearbeitet hatte, das Ziel aller Wünsche. Mit acht Jahren hatte er begonnen, Klavierunterricht zu nehmen. Mit 18 spielte er neben dem späteren Pankow-Frontmann André Herzberg in der Gauckler-Rockband, mit Mitte 20 wechselte er genau in dem Moment zu Rockhaus, als aus der Teenie-Truppe eine Band wurde, die ernsthafte Fragen in großen Rockhymnen wie „Mich zu lieben“ abhandelte. Woher kommt diese Einsamkeit? Was stellt diese Gesellschaft mit denen an, die in ihr leben?

Die Antwort ist offen, auch nach dem letzten Rockhaus-Album „Therapie“, das im Titel schon auf Mohrens schwere Erkrankung anspielte. Der Keyboarder, der auf seiner letzten Tour noch half, das erste Rockhaus-Live-Album einzuspielen, starb am Dienstag in einer Berliner Klinik.

Carsten Mohren wurde nur 54 Jahre alt.

Samstag, 28. Januar 2017

Als der Punk nach Deutschland kam


Als der Punk in Deutschland vor 40 Jahren aus den Probekellern kroch, war der Berliner Gerrit Meijer mit seiner Band PVC dabei.

Am Anfang sind Eddie Cochran, Elvis und Chuck Berry. Da ist Gerrit Meijer 14 Jahre alt und in Ami-Musik verliebt. So sehr, dass den Jungen aus Berlin die Empörungswellen in den Medien nach einem außer Rand und Band geratenen Bill Haley-Konzert im Sportpalast nur von einem überzeugen: Das ist es, das ist die Musik für mein Leben.

Ein halbes Jahrhundert später schaut Meijer, unterdessen knapp vor der 70, in einem Buch auf „die unzensierte Geschichte“ (Untertitel) von „Berlin. Punk. PVC“ (Titel) zurück. Die hat er, der staatenlose Sohn eines holländischen Zwangsarbeiters und dessen deutscher Frau, als Akteur erlebt. Meijer, der mit sechzehn seine erste akustische Framus-Gitarre bekommt, wird in den siebziger Jahren zu einem der Pioniere des Punk in Deutschland, ohne es jemals zu einer Berühmtheit zu schaffen, die es ihm erlaubt hätte, sorgenfrei von seiner Musik zu leben.

Meijers Band PVC ist ihrer Zeit zu weit voraus. Nur ein paar Monate nach den ersten aufsehenerregenden Berichten über die Sex Pistols und The Clash in Großbritannien begegnen sich Meijer und seine späteren Bandkollegen Jürgen Dobroszcsyk, Raymond Ebert und Knut Schaller bei einem Konzert den englischen Punkband The Vibrators im Berliner Kant-Kino.

Gerrit Meijer hat zu dieser Zeit schon knappe zehn Jahre in allerlei Gruppen hinter sich. Während er Maschinenschlosser lernt und als Gartenbauer und Lagerarbeiter jobbt, macht er immer irgendwo mit irgendwem Musik.

Allerdings braucht es den Do-it-yourself-Gedanken des Punk, der dem frühen Fan der Punkpioniere von den New York Dolls das Selbstbewusstsein verlieht, in Deutschland selbst eine Art Pionier zu werden. Gerrit Meijer, ein Lebenskünstler, der von seinen großen Träumen nicht lassen will, findet mit PVC erstmals die Möglichkeit, auch ohne alles überstrahlende Virtuosität auf seinem Instrument auszudrücken, was ihm auf der Seele brennt. Reisen nach London und Platten der Ramones, von Iggy Pops Stooges und Television zeigen dem kurz vor seinem 30. Geburtstag stehenden Hobby-Musikanten, dass der Abstand nach oben nicht mehr so groß ist wie noch zu Zeiten der Superbands und Megagitarristen mit ihren abendfüllenden Soli.

PVC spielen simplen, auf drei Akkorden hüpfenden Rock mit überschaubarem Melodiengehalt und knappen Botschaften. „Wall City Rock“ ist ihr erster Hit, eine Botschaft aus Berlin an die Welt, die zum Kultsong wird.

Nur hilft das wenig, um Geld damit zu verdienen. Gerrit Meijers Buch, das zuallererst eine Autobiografie ist, beschreibt die endlosen Versuche, aus dem Anfangserfolg etwas Dauerhaftes, Nachhaltiges zu machen. Doch Musiker sind Diven, Drogen liegen auf jedem Tisch und die Vorstellungen sind immer verschieden, selbst wenn alte Bandkollegen gehen und neue an ihren Platz rücken.

Die Berliner Punk-Pioniere PVC mühen sich. Vergeblich. Es dauert Jahre bis zu ersten Platte. Als sie dann erscheint, ist Punk heiß wie eine Tiefkühltruhe und Gerrit Meijer eine Art Betriebsnudel der Szene. Er hat Größen wie Iggy Pop kennengelernt, mit dem späteren Ideal-Gitarristen Eff Jott Krüger zusammengespielt und die Ärzte inspiriert, die all das erreichen werden, wovon er immer geträumt hat.

Zum eigenen großen Ruhm hat es dagegen nie gereicht, zum großen Geld ebensowenig. Aber immerhin lobt Oberarzt Bela B., der 1979 sein erstes Punkkonzert besuchte und dabei Gerrit Meijers Band PVC erlebte, den deutschen Punk-Senior heute in höchsten Tönen: „Diese Haltung - konsequenter als jede Tätowierung.“


Freitag, 16. Dezember 2016

Stuart Adamson: In Feldern aus Feuer

Kurz vor Schluss war er noch einmal richtig glücklich. Stuart Adamson und seine Bandkollegen lagen sich in den Armen, das Publikum feierte sie begeistert, und immer wieder mussten sie die Gitarren umlegen und weiterspielen. Stuart Adamson, Kopf der schottischen Rockband Big Country, sang wie in besten Tagen: "Peace in our time", "Look away" und "Fields of fire". Die Fans im Leipziger "Anker" tobten, Adamson fand kaum Worte. "Als ob ich nach Hause komme", sagte er, etwas fülliger um die Hüften als früher, aber topfit, "und kein Platz auf der Welt ist wie zu Hause".


Gestorben aber ist der Mann aus Dunfermline eine halbe Welt weit weg von daheim. Sechs Wochen schon suchte die Polizei den 43-Jährigen, der sein Haus in Nashville am 7. November 2001 verlassen hatte, um "Sonntagmittag wieder da" zu sein, wie er seinem Sohn schrieb. Doch seit dem 15. November, an dem er in Atlanta gesehen wurde, fehlte dann jede Spur von dem charismatischen Gitarristen. Bis zum Sonntag: Da fanden die Ermittler den Kultstar, der mit seiner Band über zehn Millionen Platten verkaufte, im Plaza-Hotel auf Hawaii. Adamson, seit vielen Jahren alkoholabhängig und zuletzt im Oktober angetrunken im Auto erwischt, hatte sich erhängt.

Ein stiller Schlussakkord im Leben eines Künstlers, der in den 80ern mit Rockhymnen wie "The Storm" und seinem typischen Dudelsack-Gitarrensound Triumphe feierte. Big Country, dank sozial engagierter Alben wie "Steeltown" zur moralischen Rock-Fraktion gerechnet, waren die erste West-Rockband, die ein Konzert in Moskau gab. Sie kämpften gegen den Nato-Doppelbeschluss, traten bei Live-Aid auf und spendeten für Greenpeace.

Wenig später lud dann auch die DDR-Jugendorganisation FDJ die Schottenrocker ein. Ihr Konzert in Weißensee, zu dem rund 180 000 Menschen pilgerten, sollte das größte Rockereignis bleiben, das der Arbeiter- und Bauernstaat erlebte. Den Osten Deutschlands hat Adamson aber nicht nur deshalb besonders geliebt. "Hier erinnert mich vieles an Schottland", beschrieb er beim letzten Konzert der BC-Abschiedstour in Leipzig. Adamson war da schon Pub-Besitzer im Country-Mekka Nashville geworden, wo er Songs mit Kumpel Ray Davis (Kinks) schreiben und nebenher in der Spaßcombo The Raphaels spielen wollte. Er lebte jetzt den Traum, den das letzte Big-Country-Album im Titel beschrieb: "Driving To Damaskus", fort vom falschen Glitzer der Popwelt, von Ruhm und Versuchung.

Big Country sollte es nur noch einmal geben, auf einem Live-Album, das die Band auch in Leipzig mitgeschnitten hatte. Die CD endet mit der Bitte "Stay alive!" (Bleibt am Leben), mit der sich Stuart Adamson jedes Mal von seinem Publikum verabschiedet hat.

Big Country gibt es immer noch. Oder besser wieder. nach Mike Peters von The Alarm, der damals in Leipzig im Vorprogramm spielte, singt heute Simon Hough.

Er klingt wie Adamson. Ist es aber leider nicht. Das Original fehlt.



Freitag, 2. Dezember 2016

Conny Ochs: Ein Reisender in Sachen großes Gefühl



Mit seiner Band Baby Universal ist der Hallenser Cornelius Ochs seit mehr als einem Jahrzehnt eine der wichtigsten, bekanntesten und erfolgreichsten Figuren der Rockmusik in der Region. Zuletzt legte die Lieblingsband von Kult-Regisseur Quentin Tarantino mit "Slow Shelter" ein Meisterwerk vor, das den Mix aus Brit-Pop und Hard-Rock um Folkelemente erweiterte. Seitdem hält sich die Band bedeckt, Ochs selbst tourt hingegen europaweit mit seinem neuen Solo-Album "Future Fables".

Zwölf Songs hat der Hallenser mit der unverwechselbaren Stimme im Kabumm-Studio in Golzow eingespielt, alle zwölf orientieren sich mehr an seinen gemeinsamen akustischen Alben mit der US-Doom-Legende Scott "Wino" Weinrich (St. Vitus) als am treibenden elektrischen Sound seiner Band.

Lieder mit Herz, Lieder mit Seele sind das, vom Auftakt mit dem auf zwei Gitarren hereinschleichenden "Hole" bis zum Finale mit der dunklen Klavierballade "Make some room". Conny Ochs singt flehentlich, er flüstert, zeigt aber bei "Killer" auch, dass er Nirvana ebensogut kann.

Fantastische Songkunst, der Sachsen-Anhalt, der Osten und ganz Deutschland spätestens seit den gemeinsamen Tourneen mit Scott Weinreich zu klein geworden ist. Seine zwischen Mark Lanegan, Lou Reed und Nick Drake pendelnde Musik, mit dem Debüt "Raw Love Songs" entworfen, mit "Black Happy" vervollkommnet und mit "Future Fables" nun für erste vollendet, wird überall verstanden.

Wie ein moderner Troubadour zieht Ochs durch Europa, um die Welt, er spielt in Quedlinburg und Venedig, in der Schweiz und Tschechien. Und erstmals seit Jahren trat er jetzt auch wieder in seiner Heimatstadt auf, in der kleinen Kneipe "Fliese", die der frühere Baby-Schlagzeiger Carsten Rottweiler betreibt, sang Ochs Lieder aus dem neuen Album, aus seinen früheren Werken und auch einige Stücke von den Babys. Schlecht beleuchtet, gut aufgelegt und am Ende völlig erschöpft. Ein Heimspiel, locker gewonnen.

Direkt zum Künstler:
www.connyochs.com

Dienstag, 27. Mai 2014

Bass-König ruft zum Monostock-Festival

Das Leben hat Torsten Hedel böse mitgespielt. Doch der 47-jährige Musiker hat sich aufgerappelt: In seiner kleinen Werkstatt im ostenm von Halle baut er Ostdeutschlands einzige handgemachte Gitarrenverstärker. Und am 30.5. ruft er zum ersten eigenen Rockfestival in den Rockpool in der Delitzscher Straße. Dabei ist dann natürlich auch Jonas Wahlberg mit seinem Stonewall Noise Orchestra aus Schweden – und dem Mono Amp-Verstärker, den Torsten Hedel für ihn gebaut hat, den eine Kindheit im Huttenchor zur Gitarre und schließlich zum Bass brachte.

Zum Bassbauen ist der gelernte Elektroniker durch eine schwere Erkrankung gekommen. "Eines Tages konnte ich nichts mehr hören", erinnert sich der Hallenser, Nichts mehr mit Musik. Es beginnt eine monatelange Odyssee zu Spezialisten aller Art. Dann erhält Hedel, den wegen seines Hörproblems inzwischen alle nur noch„Mono“ nennen, die niederschmetternde Diagnose: Multiple Sklerose. Das Beste daran ist, dass eine Therapie das Gehör wiederherstellen konnte. Das Schlechte: Die Krankheit selbst ist unheilbar.

Aber Hedel hat nicht aufgegeben. Mit seinem leistungsstarken und ungewöhnlich designten Verstärkern zählt er heute die Guano Apes, Uwe Hassbecker von Silly, die Kultband Pothead aus Berlin und Werner Neumann, den Jazz-Proffessor von der Musikuni Leipzig, zu seinen Fans. Beim „Monostock“, wie Halles Basskönig sein Festival nennt, treten außerdem Days of Grace, Electro Baby und die Bluesband Inutero, für interessierte Nachwuchsbasser gibt Zsolt Váradi einen Bass-Workshop mit den Verstärkern aus der Mono-Werkstatt. Zum Schluß folgt das Stonewall Noise Orchestra, mit dem Hedel inzwischen eng befreundet ist, als Headliner des Abends.

Mehr dazu: Rockpool

Das Stonewall Noise Orchestra spielt hier:

Mittwoch, 11. Dezember 2013

5 vor 12: Geplante Obsoleszenz

So sieht das aus, wenn das Bürgertum aufsteht. Die Leute sitzen um ein Feuer, das selbstverständlich in einer ordentlichen Schale prasselt. Ein Sponsor hat Glühwein spendiert, Freiwillige tragen Matratzen zusammen für die, die nicht länger wach bleiben wollen, wie das Motto der 48-Stunden-Protestaktion am neuen theater lautet. Auf der Bühne singen ein paar junge Menschen den Rauchhaus-Song von Ton Steine Scherben in staunende Gesichter: Wer sind diese Schmidt und Press und Mosch, von denen da immerfort gesungen wird? Und wo sind die Bullen, von denen die Rede ist?

Hier allerhöchstens im Publikum, zivil, aber rein privat, als Kunstfreunde, die sich wehren wollen gegen die von der Landesregierung geplanten Millionenkürzungen der Zuschüsse für die Theater. Kommen die, geht die Kultur, dieser Überzeugung sind alle, die sich im Innenhof versammelt haben. Dann wäre Halle keine Kulturhauptstadt mehr.

Ist es aber eine? Mehr als 200.000 Einwohner hat die Stadt, immer noch, vergleichbar viele Menschen wohnen im näheren Umkreis. Dennoch sind es nicht  endlose Heerscharen, die sich in den diesen letzten Kampf für ihre Kultureinrichtungen stürzen. Der OB ist da, die Ex-OB, viele Kulturarbeiter, viel von dem, was in einer Stadt wie Halle Geschmackselite darstellt. Aber das gemeine Volk? Die Leute, die zu "Wetten, dass..." tausendfach auf den Markt strömen? Die zu zehntausenden Laternenfeste feiern oder das Fußballstadion bevölkern? Liegt es an der späten Stunde, dass kaum Studenten unter den Protestierenden sind? An schlechten Bahnverbindungen, dass kaum jemand aus Halle-Neustadt angereist ist?

Nein, die von der Landesregierung geplante Obdoleszenz der städtischen Kultur trifft offenkundig auf ein bereitwilliges Desinteresse an derselben bei der Mehrheit der Bürger, für die sie angefertigt wird. 5 vor 12? In Halle gehen die Uhren anders.